„Tote Hand“ oder „Nukleares Roulette“

Im vergangenen Juli wurde der Schlagabtausch zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, als Anzeichen dafür gewertet, dass man sich in äußerst gefährliche Gewässer einer „nuklearen Eskalation“ begeben hatte. Besonders nachdenklich stimmte, dass sich die darauffolgenden Ereignisse mit dem 80. Jahrestag des „nuklearen Massakers“ deckten, das Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche gelegt hatte. Steht die Welt möglicherweise vor einem tödlichen neuen Spiel des nuklearen Roulettes? Die Tatsache, dass die Nähte der gegenwärtigen internationalen Ordnung an allen Enden aufplatzen, vertieft die Sorge, eine nukleare Eskalation könnte in einem nuklearen Krieg enden.
August 14, 2025
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Im vergangenen Juli wurde der Schlagabtausch zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, als Zeichen dafür gewertet, dass man in äußerst gefährliche Gewässer einer „nuklearen Eskalation“ geraten war. Dass sich die darauffolgenden Ereignisse zudem mit dem 80. Jahrestag des „nuklearen Massakers“ deckten, das Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legte, war höchst bedenklich. Stand die Welt möglicherweise vor einem tödlichen neuen Spiel des nuklearen Roulettes? Die Tatsache, dass die Fundamente der gegenwärtigen internationalen Ordnung an allen Enden zu reißen scheinen, vertieft die Sorge, dass eine nukleare Eskalation in einem Atomkrieg enden könnte.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs warfen die USA am 6. und 9. August 1945 Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Dabei kamen mindestens 200.000 Menschen ums Leben. Die USA gingen als einziges Land in die Geschichte ein, das je eine „Atombombe“ eingesetzt hat. Aus amerikanischer Sicht war der Abwurf auf zwei japanische Städte, auch wenn er moralisch nicht zu rechtfertigen war, ein „notwendiges Übel“, da er das Ende des Krieges beschleunigt habe – selbst um den Preis Hunderttausender unschuldiger Opfer. Diese Doktrin des „notwendigen Übels“ diente der globalen Hegemonie der USA als bequemer Vorwand. Wie erschreckend diese Denkweise sein kann, zeigte sich am 12. Mai 1996, als die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, in einem Interview mit dem Sender „CBS News“ zu den durch US- und UN-Sanktionen gestorbenen irakischen Kindern befragt wurde. Auf die Bemerkung der Moderatorin: „Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kinder gestorben ist – mehr als in Hiroshima. War es das wert?“, antwortete Albright: „Ich denke, es war eine sehr schwierige Entscheidung, aber wir glauben, dass es den Preis wert war.“ Dieselbe Geisteshaltung steckt auch hinter der fortgesetzten Unterstützung Israels mit Waffen und Geld, während dessen Bomben Zehntausende Kinder in Gaza töten.

Den Befehl zum Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gab US-Präsident Harry S. Truman. Offiziell wurde dies damit begründet, Japan zur Kapitulation zu zwingen und so den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Doch das entsprach nicht der Wahrheit: Die Japaner wussten, dass sie den Krieg verloren hatten, und waren zu Verhandlungen bereit. Mehrere prominente US-Generäle, darunter Dwight D. Eisenhower, hielten einen Einsatz der Atombomben für unnötig. Eisenhower, der zwischen 1953 und 1961 selbst US-Präsident war und im Krieg die alliierten Streitkräfte in Europa befehligte, erklärte im Juli 1945 gegenüber Kriegsminister Henry Stimson, er sei aus zwei Gründen dagegen: „Erstens waren die Japaner bereit, sich zu ergeben, und es gab keinen Grund, sie mit diesem schrecklichen Ding zu treffen. Zweitens hasste ich den Gedanken, dass unser Land das erste sein sollte, das eine solche Waffe einsetzt.“

Am 16. Juli 1945 führten die USA ihren ersten Atombombentest in der Wüste „Jornada del Muerto“ in New Mexico durch. Der Test war erfolgreich, und nun sollte die Bombe als direkte Vernichtungswaffe eingesetzt werden – Zielorte: Hiroshima und Nagasaki. Truman ging es weniger um die Kapitulation Japans als vielmehr darum, der Welt die Wirkung der Bombe vorzuführen. Hauptzweck des Abwurfs war es, potenziellen Gegnern, allen voran der Sowjetunion, eine Machtdemonstration zu liefern. Zu Beginn des Kalten Krieges sendeten die USA die Botschaft, über eine unüberwindbare militärische Überlegenheit zu verfügen. Doch kurz darauf besaß auch die Sowjetunion ihre eigene Atombombe. Moskau war über die geheimen US-Atomprojekte informiert, da einige Wissenschaftler aus Sorge vor einem amerikanischen Monopol regelmäßig Informationen durchsickern ließen. Stalin wusste alles – die amerikanische Führung wusste hingegen nicht, dass er es wusste.

Während des Kalten Krieges standen sich die USA und die Sowjetunion mehrmals am Rande eines Atomkriegs gegenüber. Am 16. Oktober 1962 erschütterte die „Kuba-Krise“ die Welt: Die USA entdeckten sowjetische Atomraketen auf Kuba, blockierten die Insel und die Sowjets schickten Kriegsschiffe in die Region. Die Gefahr eines Atomkriegs versetzte die Welt in Angst. US-Präsident John F. Kennedy und der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow einigten sich nach 13 Tagen intensiver Verhandlungen: Die sowjetischen Raketen auf Kuba und die US-amerikanischen Jupiter-Raketen bei Izmir wurden abgezogen – ohne dass Ankara darüber informiert wurde. Für Kuba war es nicht anders.

II

Nach all den Jahren klingen erneut nukleare Säbel zwischen den USA und Russland. Im vergangenen Juli bezeichnete Trump Russland und Indien als „tote Volkswirtschaften“ und warf beiden Ländern vor, in „gefährliches Terrain“ zu geraten. Die Antwort kam nicht von Putin, sondern von Dmitri Medwedew, der auf „Telegram“ schrieb: Trump solle sich an seine geliebten „Zombiefilme“ erinnern und daran, wie gefährlich eine „tote Hand“ sein könne.

Warum verweist Medwedew auf „Zombiefilme“ und die „Tote Hand“? Die „Zombiefilme“ begannen 1968 mit George A. Romeros „Night of the Living Dead“ und setzten sich über vier Jahrzehnte fort. Darin wird ein apokalyptisches Szenario in den USA gezeigt, bei dem Tote als Zombies auferstehen und die Menschheit ums Überleben kämpft. Diese Filme, die oft politische Anspielungen enthielten, fanden weltweit ein großes Publikum. Trump soll sie in seiner Jugend gesehen und wie viele Gleichaltrige stark verinnerlicht haben. Auch die Kuba-Krise war ein prägendes Ereignis für seine Generation. Während die Zombiefilme Fiktion waren, war die Bedrohung durch Atomwaffen real. Ebenso brannten sich die Bilder von Hiroshima und Nagasaki ins kollektive Gedächtnis ein. 1983 lief der Film „The Day After“, der die USA kurz vor und nach einem Atomkrieg zeigt. Manche Eltern verboten ihren Kindern, ihn zu sehen. Kommentatoren zufolge prägte die Angst vor einem „nuklearen Weltuntergang“ die Weltsicht Trumps und seiner Generation nachhaltig.

„The Day After“, ausgestrahlt vom Sender „ABC“, zeigte die Vernichtung mehrerer Städte in Kansas in einem Atomkrieg mit der Sowjetunion. Über 100 Millionen Menschen sahen den Film – fast die Hälfte der US-Bevölkerung. Auch Präsident Ronald Reagan, selbst ehemaliger Schauspieler, sah ihn und schrieb später in sein Tagebuch: „Er hat mich in eine große Depression gestürzt.“

„Der Tag Danach“ schockierte Millionen von Amerikanern, weil er das Grauen der nuklearen Zerstörung in erschütternden Bildern zeigte. Verkohlte Leichenberge und sich langsam bildende Strahlenblasen wirkten weit stärker als jede tränenreiche Rede. Der Film war in gewisser Weise ein Abbild des „nuklearen Massakers“ von Hiroshima und Nagasaki.

„The Day After“ warnte davor, dass der nie für möglich gehaltene Atomkrieg eines Tages doch anklopfen könnte. Im Film will die schwangere Alison Ransom ihr Kind nicht zur Welt bringen, weil sie nach den Schrecken, denen sie beigewohnt hat, alle Hoffnung verloren hat. Sie widerspricht Dr. Russell Oakes, der sie zu trösten versucht, mit den Worten: „Wir wussten es. Wir wussten alles über Bomben und Strahlung. Wir wussten seit vierzig Jahren, dass es geschehen könnte. Niemand hat sich darum gekümmert.“ Mit Anspielungen auf die Kuba-Krise von 1962 konfrontierte der Film die Amerikaner mit der Tatsache, dass sie in einem globalen Spiel des „nuklearen Roulettes“ Geiseln waren. Er schuf zwar Bewusstsein für das nukleare Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten, verstärkte aber auch kollektive Hoffnungslosigkeit.

Der Film stellte Konservative und die Anti-Atom-Bewegung gegeneinander. Konservative Kommentatoren kritisierten ihn, weil er angeblich die „amerikanische Abschreckung“ schwäche. Anti-Atom-Aktivisten hingegen nahmen ihn begeistert auf und organisierten während der Ausstrahlung Kerzenlichtproteste gegen Atomwaffen. Laut den Produzenten hatte der Film keine andere politische Botschaft, außer dass ein Atomkrieg „schlecht“ sei. Manche Beobachter meinten jedoch, er habe vielen jugendlichen Zuschauern Gefühle von Schrecken, Nihilismus und Verzweiflung eingeimpft. Der „Day-After-Effekt“ wird bis heute in Diskussionen über Atomkriegsszenarien als historisches Phänomen angeführt. Man nimmt an, dass auch Trump diesen Film als junger Mann gesehen hat – in seiner ersten Amtszeit verwies er bei Gesprächen über Atomwaffen mehrfach auf dessen schockierende Szenen.

Einen wichtigen Einfluss auf Trumps Interesse an Atomwaffen hatte sein Onkel John G. Trump, Elektroingenieur und langjähriger Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). John G. Trump, der 1985 im Alter von 78 Jahren starb, war Mitgründer eines Unternehmens, das Generatoren für die Nuklearforschung herstellte. 1983 verlieh ihm Präsident Ronald Reagan die „National Medal of Science“ für seine Arbeiten zur Anwendung von Strahlung in Medizin, Industrie und Kernphysik. Trump, der als besessen von Atomwaffen gilt, verwies bei Gesprächen zu diesem Thema oft auf das, was er von seinem Onkel gelernt hatte. „Onkel Nuklear“ warnte ihn auch davor, dass nukleare Forschung ein gefährliches Ausmaß für die Welt annehmen könne. Als Trump 2016 zum Präsidenten gewählt wurde und dafür kritisiert wurde, offen über den Einsatz von Atomwaffen zu sprechen, entgegnete er: „Warum bauen wir sie dann? Warum bauen wir sie?“ Am 9. August 2017 schrieb er auf X (Twitter): „Meine erste Anweisung als Präsident war es, unser Atomarsenal zu erneuern und zu modernisieren. Es ist jetzt stärker und mächtiger als je zuvor.“ In einem Interview erklärte er, Länder wie Japan oder Südkorea sollten ihre eigenen Atomwaffen entwickeln, wenn sie nicht mehr für den „militärischen Schutz“ durch die USA zahlen wollten. Zudem sagte er, ein Atomkrieg sei ohnehin unausweichlich: „Wie auch immer, es wird passieren. Es ist nur eine Frage der Zeit… Würden Sie nicht auch wollen, dass Japan Atomwaffen hat, wenn Nordkorea welche besitzt?“ Von seinem Onkel hatte er gehört, dass in einem Atomkrieg zwischen zwei Mächten beide verlieren würden. Deshalb erklärte er, dass es im nuklearen Roulette keinen Sieger geben könne.

Trumps Projekt eines „Goldenen Kuppel-Luftverteidigungssystems“ soll nuklear bestückte Raketenangriffe auf die USA abwehren – und zugleich die Option offenhalten, dass die USA selbst als Erste Atomwaffen einsetzen. Die Doktrin der „gegenseitig gesicherten Vernichtung“ (Mutual Assured Destruction) gilt nach wie vor als Garant dafür, dass Atommächte nicht gegeneinander Krieg führen. Kritiker sehen jedoch in Trumps „durchschlagsicherer“ Goldener Kuppel den letzten Sargnagel für die Kontrolle strategischer Atomwaffen. Denn wie das israelische „Eiserne Kuppel“-System könnte auch das 175 Milliarden Dollar teure US-Projekt durchbrochen werden. Ein ähnliches Vorhaben gab es bereits unter Präsident Reagan mit der „Strategic Defense Initiative“ (SDI). Reagan wollte mit Laser- und Nuklearwaffen im Weltraum einen Schutzschild gegen sowjetische Raketen schaffen. Das extrem teure Programm, das unter dem Namen „Krieg der Sterne“ verspottet wurde, wurde später aus Spargründen eingestellt – auch begünstigt durch den Zerfall der Sowjetunion. Trumps „Goldene Kuppel“ rief diese Debatten aus den 1980er-Jahren erneut ins Gedächtnis.

III

Der Schlagabtausch zwischen Trump und Medwedew brachte die nuklearen Weltuntergangsszenarien des Kalten Krieges erneut ins Gespräch. Während seiner ersten Amtszeit hatte Trump erklärt, es sei „pure Dummheit“ zu glauben, dass Atomwaffen wegen der „gegenseitig gesicherten Vernichtung“ niemals eingesetzt würden. Medwedew erklärte am 28. Juli, die US-Politik berge das Risiko, einen größeren Konflikt zwischen den USA und Russland auszulösen. Als Reaktion kündigte Trump am 31. Juli an, den Einsatz zweier Atom-U-Boote in strategischen Regionen angeordnet zu haben. Später sagte er gegenüber Journalisten mit Blick auf Medwedew: „Er sprach über Atomwaffen – wenn man über Atomwaffen spricht, muss man vorbereitet sein. Wir sind vollkommen bereit.“ Dabei hatte Trump im Wahlkampf noch behauptet, er könne den Ukraine-Russland-Krieg sehr schnell beenden. Dass sich die Angelegenheit nun vom Ukraine-Russland-Konflikt zu nuklearen Säbelrasseln zwischen Washington und Moskau entwickelt hatte, werteten manche als Zeichen dafür, dass Trump sich von seiner „America First“-Politik in Richtung der neokonservativen Befürworter „endloser Kriege“ bewegte.

Hiroshima und Nagasaki waren Vorboten des „Zeitalters des nuklearen Weltuntergangs“. Die heutigen Atomwaffen sind weitaus zerstörerischer als jene von 1945. An der Spitze der weltweiten Bestände stehen Russland und die USA. Im Nahen Osten ist Israel das einzige Regime mit Atombomben – ein offenes Geheimnis. Offiziell spricht die US-Regierung nicht darüber, denn US-Gesetze verbieten Militärhilfe an ein nuklear bewaffnetes Israel. Dennoch forderten sowohl in Israel als auch in den USA manche, dass Israel in Gaza eine Atombombe einsetzen solle. Im Januar 2024 erklärte der israelische Minister für Kulturerbe, Amichai Eliyahu, der Einsatz einer Atombombe gegen Gaza sei „eine Option“. Und es war nicht das erste Mal, dass er dies sagte.

Im vergangenen Mai erklärte der pro-Trump-Abgeordnete Rand Fine, einer der zionistischen Republikaner im US-Kongress, im Interview mit dem trumpnahen Sender „Fox News“: „Wir haben die Japaner zweimal bombardiert, um sie zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen … Dasselbe sollte man auch hier tun.“ Einer der israel­freundlichen republikanischen Falken, Senator Lindsey Graham, sagte in der NBC-Sendung „Meet the Press“: „Im Zweiten Weltkrieg haben wir uns entschieden, den Krieg zu beenden, indem wir die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen. Das war die richtige Entscheidung.“ Graham wandte sich zudem direkt an Israel: „Israel, als jüdischer Staat hast du das Recht, alles zu tun, was nötig ist, um zu überleben!“

Die Direktorin des „National Intelligence Office“ – das 18 Geheimdienste, darunter die CIA, beaufsichtigt – Tulsi Gabbard, besuchte im vergangenen Juni bei einer Japanreise nach einem US-Stützpunkt auch Hiroshima. Am 10. Juni veröffentlichte Gabbard auf ihrem „X“-Konto ein dreiminütiges Video zu diesem Besuch. Darin sagte sie: „Vor kurzem habe ich Hiroshima besucht und stand im Zentrum einer Stadt, die noch immer die Spuren des unvorstellbaren Schreckens trägt, den eine einzige 1945 abgeworfene Atombombe verursachte. Was ich sah, die Geschichten, die ich hörte, und die unvergessliche Trauer werden für immer bei mir bleiben.“ Gabbard betonte, dass die Welt heute näher als je zuvor am Rand einer nuklearen Vernichtung stehe, und warnte davor, dass kriegstreiberische politische Eliten die Angst und Spannungen zwischen Atommächten leichtfertig anheizen. „Wir müssen diesen Weg in den nuklearen Krieg ablehnen und für eine Welt arbeiten, in der niemand in Angst vor einem nuklearen Völkermord leben muss“, sagte sie. Gabbard hob hervor, dass die heutigen Atomwaffen weitaus stärker seien als jene, die 1945 von den USA eingesetzt wurden, und warnte, dass eine einzige dieser Waffen in wenigen Minuten Millionen von Menschen töten könnte. Sie zeigte im Video auch Aufnahmen der Zerstörung Hiroshimas sowie eine Simulation, die zeigte, wie die Golden Gate Bridge in Kalifornien bei einem möglichen Nuklearangriff einstürzen würde. Laut Alexa Henning, stellvertretende Büroleiterin Gabbards, teile auch Präsident Trump die Sorgen über einen Atomkrieg. Diese Erklärung war nötig geworden, weil Gabbard von neokonservativen Kreisen kritisiert wurde. Bereits 2023 hatte Gabbard auf „X“ geschrieben: „Die Kriegstreiber versuchen, uns in den Dritten Weltkrieg zu treiben. Das kann nur ein Ende haben: nukleare Vernichtung und das Leiden und Sterben all unserer Liebsten.“ Sie warnte: „Wenn wir es passiv zulassen, dass sie uns wie Schafe diesem Völkermord zuführen, dann sind auch wir verrückt.“ Es war klar, dass Gabbard damit die Neokonservativen meinte.

Einer der bekanntesten Neokonservativen, Radio- und TV-Kommentator Mark Levin, gehörte zu den Kritikern von Gabbards Video. Er griff sie an und verteidigte Präsident Truman: Dieser habe die Atombombe eingesetzt, um eine US-Invasion Japans und den Verlust Hunderttausender Soldaten zu vermeiden. „Es gibt vieles, was man aus der Geschichte lernen kann. Im Zweiten Weltkrieg gab es keinen Krieg für immer. Aus Ihrem Video ist nicht klar, ob Sie Trumans Entscheidung zustimmen oder nicht“, so Levin.

Mit ihrem Video hatte Gabbard ein Wespennest der Neokonservativen aufgestoßen. Die Angriffe kamen von allen Seiten. Auch der langjährige republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell, nutzte die Gelegenheit und ließ in einem Interview mit dem Magazin „Politico“ kein gutes Haar an Gabbard. Er kritisierte nicht nur sie, sondern auch andere Gegner endloser Kriege in der Trump-Regierung, allen voran Vizepräsident JD Vance.

Allerdings widersprachen Gabbards Aussagen im Video Trumps früheren Äußerungen über den Einsatz von Atomwaffen im Zweiten Weltkrieg. 2016 hatte Trump während seines Wahlkampfs den damaligen Präsidenten Barack Obama dafür kritisiert, dass er Hiroshima besucht hatte. Trump erklärte damals, dieser Besuch sei ihm egal, solange Obama sich nicht dafür entschuldige, dass die USA die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten. Am 20. Januar 2024 brachte Trump in einer Rede in New Hampshire das Thema Hiroshima erneut auf, um auf die Frage der „präsidentiellen Immunität“ einzugehen: „Hiroshima – keine sehr nette Sache, aber wahrscheinlich hat es den Zweiten Weltkrieg beendet, oder?“ Damit deutete er an, dass er den Befehl von Präsident Truman im August 1945, die Atombomben auf Japan abzuwerfen, für gerechtfertigt hielt. Im März 2025 sagte Trump jedoch auch, es wäre wunderbar, wenn alle ihre Atomwaffen abschaffen würden.

IV

Hinter Medwedews Hinweis auf „Dead Hand“ („Tote Hand“) an Trump verbirgt sich eine Geschichte, die seit den 1990er Jahren immer wieder auftaucht. Diese wird in dem rund 600 Seiten starken Buch Dead Hand: The Untold Story of the Cold War Arms Race and Its Dangerous Legacy von David Hoffman erzählt, einem Auslandsredakteur der „Washington Post“. Für dieses 2009 erschienene Werk erhielt Hoffman den Pulitzer-Preis. Anhand amerikanischer und sowjetischer Dokumente sowie Interviews mit Eingeweihten enthüllt Hoffman die Hintergründe der „Toten Hand“. Diese betraf nicht nur die sowjetischen Atomwaffen, sondern auch geheime biologische und chemische Waffenprogramme. Damit wird auch klar, warum Medwedew Trump an den Film „Night of the Living Dead“ erinnerte.

Der berühmte Autor von Spionageromanen des Kalten Krieges, John le Carré, urteilte über das Buch: „Eine beeindruckende Forschungs- und Erzählleistung. Schockierend.“ Tatsächlich geben die geheimen Rüstungsprogramme beider Seiten während des Kalten Krieges äußerst warnende Lektionen darüber, wie nahe die Welt am Abgrund einer Katastrophe stand. Mit „gegenseitig“ ist gemeint, dass die Sowjets glaubten, die USA hätten ähnliche Programme – und umgekehrt. Der Kalte Krieg war eine Ära, die stark von gegenseitigen Wahrnehmungen geprägt war: „Wenn ich es tue, tut es mein Feind wahrscheinlich auch“ – keine abwegige Annahme.

1969 erklärte US-Präsident Richard Nixon das Ende des amerikanischen Programms zur Herstellung biologischer Waffen. Drei Jahre später unterzeichneten die Sowjetunion, die USA und weitere 20 Staaten das „Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen“. Darin verpflichteten sich die Unterzeichner, keine biologischen Waffen zu entwickeln, zu produzieren, zu lagern oder auf andere Weise zu erwerben. Doch die sowjetischen Führer glaubten nicht, dass die USA ihr Programm eingestellt hatten – und die Amerikaner dachten dasselbe über die Sowjets. Beide Seiten könnten sogar recht gehabt haben.

Nach amerikanischer Darstellung war „Dead Hand“ ein geheimes System der Sowjets mit dem Codenamen „Perimeter“. Es sollte im Falle einer nuklearen Vernichtung der sowjetischen Führung automatisch oder halbautomatisch einen massiven Gegenschlag mit Atom- und Biowaffen auslösen. Im Westen wird „Perimeter“ auch als „Weltuntergangsmaschine“ bezeichnet. Das System überwachte militärische Kommunikationsfrequenzen, Strahlungswerte, Luftdruck, Temperatur und kurzfristige seismische Störungen. Deuteten diese Messungen auf einen Nuklearangriff hin, löste „Perimeter“ automatisch den Start aller interkontinentalen ballistischen Raketen der Sowjets aus. Einmal ausgelöst, war der Prozess irreversibel. Das System signalisierte damit: Selbst wenn der Gegner glaubt, die sowjetische Schlagkraft völlig vernichtet zu haben, würde er dennoch mit gleichem Maß zurückgeschlagen werden. Deshalb beschäftigt „Perimeter“ seit Jahrzehnten die amerikanische Strategieplanung.

Hoffmans Buch zeigt, dass die sowjetischen Führer überzeugt waren, die USA planten tatsächlich einen Erstschlag. Die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen „Pershing II“ in Westeuropa in den heißesten Jahren des Kalten Krieges war für die sowjetische Militärführung eine ernste Bedrohung – sie konnten Moskau in weniger als fünf Minuten erreichen. Deshalb entwickelten die Sowjets das halbautomatische Antwortsystem „Dead Hand“: die unsichtbare Seite des wahnsinnigen Wettrüstens.

Laut Hoffman war die Existenz von „Dead Hand“ in den Abrüstungsverhandlungen der späten 1980er Jahre zwischen den USA und der UdSSR übersehen worden. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb das System erhalten. Selbst Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der UdSSR, wusste davon, konnte es jedoch nicht abschaffen. Reagan und Gorbatschow hatten zwar das Ziel, Atomwaffen vollständig abzuschaffen, erreichten es aber nicht – dennoch machten sie bedeutende Fortschritte. Hoffman zufolge setzten die Sowjets und später die Russen auch ihre biologischen und chemischen Waffenprogramme fort. Viele dieser Waffen waren nach amerikanischer Sicht noch immer einsatzbereit, nicht vollständig demontiert oder gesichert. Selbst im „Schlafmodus“ blieb „Dead Hand“ ein potenzielles Vernichtungsinstrument. In einem Interview betonte Hoffman, er glaube, dass das System noch existiere. Er erklärte zwar, die USA hätten ihr Biowaffenprogramm aufgegeben, setzten aber weiterhin auf defensive biologische Forschung – was leicht als Deckmantel für offensive Programme dienen könne.

Die Russen haben die Existenz von „Dead Hand“ nie offiziell zugegeben. Medwedews Hinweis darauf sorgte daher für Verwirrung: Meinte er das in Hoffmans Buch beschriebene System – oder ein den Amerikanern unbekanntes neues Waffensystem? War es ein Bluff oder eine echte Drohung? Schon zuvor hatten die Amerikaner vor „Dead Hand“ gewarnt, während die Russen das Thema im Nebel der Ungewissheit ließen. Daher ist Medwedews Bemerkung ungewöhnlich. Solche seltenen Andeutungen hochrangiger Funktionäre können in Krisen zwischen den Großmächten als Vorteil gesehen werden: Wer dem Gegner signalisiert, über eine geheime, alles vernichtende Waffe zu verfügen und sie notfalls einzusetzen, verschafft sich möglicherweise Abschreckungsvorteile.

Systeme können fehlerhaft sein, Maschinen können versagen, und schlimmer noch: Menschen können törichte Entscheidungen treffen. Die Menschheitsgeschichte ist in gewisser Weise eine Abfolge von Katastrophen, die durch solche törichten Entscheidungen verursacht wurden. Wie Alison Ramsom im Film „The Day After“ betont, kann Gleichgültigkeit tödlich sein.