Trotz zunehmender wirtschaftlicher und demografischer Belastungen wird der russische Präsident Wladimir Putin die Kriegsmaschine weiterhin am Laufen halten, solange er in der Ukraine Fortschritte erzielt. Um seine Kalkulationen zu ändern, müssen westliche Führer die Sanktionen gegen den Kreml verschärfen, der Ukraine fortschrittliche Waffen liefern und die Abwanderung russischer Fachkräfte fördern.
Trotz der Verlangsamung bleibt die Inflation ein erhebliches Problem. Infolgedessen senkte die russische Zentralbank den Leitzins mit 100 Basispunkten auf 17 % – weniger als erwartet. Russische Verbraucher spüren die Auswirkungen bereits. So wird beispielsweise für dieses Jahr ein Rückgang der Autoverkäufe um 24 % prognostiziert.
Neben der wirtschaftlichen Schrumpfung steht Präsident Putin auch vor einem finanziellen Problem. Das Haushaltsdefizit Russlands in den ersten acht Monaten des Jahres 2025 erreichte 1,9 % des jährlichen BIP – eine Zahl, die nach amerikanischen oder europäischen Maßstäben gering ist, für ein Land jedoch problematisch, das aufgrund der Invasion in der Ukraine von internationalen Kreditquellen abgeschnitten ist. Bis zum Jahresende dürfte dieses Defizit auf 2,6 % des BIP steigen. Gleichzeitig sanken die Einnahmen aus Öl- und Gassteuern im Jahresvergleich um rund 20 %, was den Staatsfonds schwächte. Der liquide Anteil des Fonds beträgt derzeit 50 Milliarden US-Dollar, etwa 1,9 % des BIP. Da Putin erkannt hat, dass das Bargeld in weniger als einem Jahr aufgebraucht sein könnte, kündigte er den Haushalt 2026–2028 mit erheblichen Steuererhöhungen an, was die Wirtschaft weiter belasten und Unmut in der Bevölkerung hervorrufen könnte.
Neben den wachsenden wirtschaftlichen Belastungen sieht sich Russland auch einer sich vertiefenden demografischen Krise gegenüber. Im Krieg starben oder wurden etwa eine Million Soldaten verletzt, und fast die gleiche Anzahl Menschen verließ das Land – meist wehrpflichtvermeidende Männer. Auffällig ist, dass Russland in diesem Jahr demografische Daten nicht mehr veröffentlicht.
Zudem beschränken die westlichen Sanktionen den Zugang Russlands zu wichtigen Technologien, was Investitionen und Modernisierungsbemühungen in der Wirtschaft behindert.
Unter diesen Bedingungen ist es wenig überraschend, dass die Mehrheit der Russen kriegsmüde ist. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage zeigt, dass 66 % der Befragten Verhandlungen der Fortsetzung militärischer Aktivitäten in der Ukraine vorziehen.
Trotz dieser multiplen Herausforderungen bleibt Putin entschlossen. Die Lage ist noch nicht katastrophal. Die russische Wirtschaft mag stagnieren, aber sie ist nicht zusammengebrochen. Mit einer Erwerbsbevölkerung von über 72 Millionen kann Putin immer noch etwa 30.000 Soldaten pro Monat rekrutieren, indem er Männern aus den ärmsten Regionen des Landes ein Vielfaches ihres durchschnittlichen Einkommens zahlt. In Verbindung mit dem repressiven Apparat könnte dies Putin überzeugt haben, dass er über die Mittel verfügt, um die Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten und inneren Unmut lange genug zu unterdrücken.
Vielleicht noch wichtiger ist, dass die russischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld weiterhin Fortschritte erzielen, ein entscheidender Bestandteil von Putins Strategie. Natürlich sind diese Fortschritte langsam und sehr teuer – sowohl in Bezug auf Menschenleben als auch auf finanzielle Ressourcen. Für Putin gilt jedoch: Solange er weiterhin ukrainisches Territorium erobert, gibt es keinen Anreiz, Friedensverhandlungen zu beginnen, unabhängig davon, welche Angebote die US-Regierung unterbreitet.
Das bedeutet nicht, dass westliche Sanktionen wirkungslos sind. Putin hat nur begrenzten Zugang zu fortschrittlicher Militärtechnologie und ist für Ersatzteile und andere Materialien auf China, Nordkorea und den Iran angewiesen. Er verfügt über weniger Mittel zur Truppenrekrutierung und muss mehr ausgeben, um innere Unruhen zu unterdrücken. Im neuen Finanzplan 2026 muss er für Militär- und Sicherheitsausgaben nominal dasselbe Budget wie im Vorjahr bereitstellen, was inflationsbereinigt tatsächlich einer Kürzung entspricht.
In Zukunft wird Russland angesichts seiner demografischen Probleme höhere Löhne für Mitarbeiter der Verteidigungsindustrie und für Rekruten zahlen müssen, während der zivile Sektor stärker verlangsamt wird. Gleichzeitig könnte eine Rezession das finanzielle Gleichgewicht gefährden und das Land in einen Teufelskreis stürzen: Hohe Steuern zur Kriegsfinanzierung schwächen das Wirtschaftswachstum und verringern die Einnahmen weiter.
Aus Putins Sicht sind dies Probleme der Zukunft. Kurzfristig verfügt er noch über genügend Mittel, um die innere Ordnung aufrechtzuerhalten und die langsamen Fortschritte seiner Armee in der Ukraine zu finanzieren. Ja, diese Finanzierung erfolgt auf Kosten von Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Innovation und Infrastruktur. Doch für Putin ist der militärische Fortschritt an der Front eine Investition in die Zukunft Russlands, da er seine Verhandlungsposition bei einem möglichen Friedensabkommen stärkt.
Wenn Putins Hauptziel die territoriale Expansion ist, stellt sich die Frage, wie der Fortschritt der russischen Truppen in der Ukraine gestoppt werden kann. Dafür muss der Westen so hart wie möglich Druck auf Putins Schwachstellen ausüben. Westliche Entscheidungsträger können den Zusammenbruch der russischen Kriegsmaschine beschleunigen, die Frontlinie einfrieren und ukrainische Leben retten, indem sie technologische, wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen verschärfen, der Ukraine fortschrittliche Waffen liefern und die Abwanderung russischer Fachkräfte fördern.
*Sergei Guriev ist Dekan und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der London Business School, ehemaliger stellvertretender Rektor der Sciences Po Paris und ehemaliger Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
