Die Drusen in Syrien am Scheideweg

Die drusische Gemeinschaft in Syrien steht an einem historischen Scheideweg. Entweder bleiben sie ein integraler Bestandteil des syrischen Staates, oder sie akzeptieren die Rolle eines vorübergehenden Spielballs in den Plänen Israels. Doch eines darf nicht vergessen werden: Israel hat bisher jeden Akteur, den es genutzt hat, früher oder später von der Bühne entfernt. Auch die Drusen müssen ihre Entscheidungen überdenken, bevor sie mit dieser bitteren Wahrheit konfrontiert werden.
Juli 17, 2025
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Die Drusen in Syrien: Am Scheideweg zwischen arabischer Einheitstreue und Zusammenarbeit mit Israel

Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Beginn der syrischen Revolution hat die drusische Gemeinschaft im überwiegend südlich gelegenen Teil des Landes meist eine neutrale Haltung eingenommen. Besonders in der Provinz as-Suwaida äußerte sich diese Neutralität in einer verdeckten Zusammenarbeit mit dem Regime. Unter Baschar al-Assad bot das Regime den Drusen bestimmte Privilegien an, um sie aus den Konflikten herauszuhalten. Zu diesen Privilegien zählten bezahlte Milizkräfte, eine gewisse lokale Autonomie und eine begrenzte Einmischung staatlicher Institutionen. Daher blieb Suwaida von der massiven Zerstörung, die viele sunnitisch-arabische Regionen erlebten, weitgehend verschont.

Mit dem schrittweisen Zerfall des Assad-Regimes jedoch traten innerhalb der drusischen Gemeinschaft zuvor verborgene Meinungsverschiedenheiten ans Licht. Diese Spaltung kristallisierte sich im Wesentlichen in zwei Hauptströmungen heraus. Die erste Strömung vertritt eine arabisch-nationalistische Linie, wie sie einst vom libanesischen Führer Kamal Jumblatt verkörpert wurde. Diese Gruppe lehnt eine israelische Einflussnahme kategorisch ab und setzt sich für den Verbleib innerhalb eines geeinten syrischen Staates ein. Die zweite Strömung hingegen orientiert sich pro-israelisch. Diese Fraktion hat enge Beziehungen zur drusischen Gemeinschaft in Israel und zu deren religiösem Oberhaupt Mowafak Tarif geknüpft. Aus ihrer Sicht bietet Israels Unterstützung eine verlässlichere Zukunft als die ungewisse Lage in Syrien.

Israel wiederum ließ es sich nicht entgehen, diese Spaltung zu seinen Gunsten zu nutzen. Da Tel Aviv die Entstehung einer neuen, stabilen Ordnung in Syrien als Bedrohung betrachtet, möchte es diesen Prozess möglichst stören. In diesem Zusammenhang fungieren einige drusische Führungsfiguren wie Hikmat al-Hijri als „Begründungslieferanten“ für eine mögliche israelische Intervention in Syrien.

Vor wenigen Monaten kam es in Suwaida zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und beduinischen Gruppierungen. Diese Gefechte waren zwar nicht direkt mit der neuen syrischen Führung verbunden, spiegelten jedoch historische Spannungen wider. Die Regierung in Damaskus griff dennoch ein, um die Kämpfe zu beenden, und begann, durch Vermittlung mit beiden Seiten die staatliche Präsenz wiederherzustellen. Doch einige drusische Gruppen unter der Führung von Hikmat al-Hijri griffen Sicherheitskräfte an und töteten zahlreiche Beamte. Daraufhin leitete die syrische Regierung eine entschlossene Militäraktion ein.

Israel versuchte in dieser Phase durch mehrere Luftangriffe Einfluss zu nehmen. Die fast vollständige Zerstörung des syrischen Verteidigungsministeriums in Damaskus zeigte die Entschlossenheit Israels. Doch weder diese Angriffe noch die Luftschläge auf Ziele in Suwaida konnten den Vormarsch der syrischen Armee aufhalten. Diese erreichte schließlich das Stadtzentrum von Suwaida und brachte die Region weitgehend unter Kontrolle. Dabei arbeitete man mit arabisch-nationalistisch gesinnten drusischen Führern wie Yusuf al-Jarbua zusammen. Mit ihrer Hilfe wurden regimefreundliche drusische Sicherheitskräfte aufgestellt und staatliche Institutionen wiederaufgebaut.

Eine Bodenoffensive Israels erscheint jedoch nahezu unmöglich. Denn Suwaida liegt etwa 90 Kilometer von den besetzten palästinensischen Gebieten entfernt, und dazwischen befindet sich die Provinz Daraa, die mehrheitlich von regierungsfeindlichen sunnitischen Arabern bewohnt wird. Statt einer direkten militärischen Intervention verfolgt Israel daher eine Strategie der inneren Destabilisierung, indem es separatistische Gruppen und kurdische Fraktionen unterstützt.

Diese Strategie hat jedoch für die Drusen schwerwiegende Folgen. Das Erstarken der al-Hijri-Fraktion hat die arabisch-nationalistischen Stimmen innerhalb der Gemeinschaft verdrängt. In der Folge wird die drusische Bevölkerung von der syrischen Mehrheit zunehmend als „Agenten-Gemeinschaft“ wahrgenommen. Das erschwert ihre Reintegration in den syrischen Staatsapparat erheblich. Zudem darf nicht vergessen werden, dass Israel historisch gesehen selten langfristige Allianzen eingeht – und bereit ist, jeden Partner fallenzulassen, sobald er nicht mehr nützlich ist.

Auf regionaler Ebene haben Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten die israelischen Angriffe deutlich verurteilt. Ankara und Riad nutzten ihren Einfluss auf Washington, um Druck auf Tel Aviv auszuüben. Infolgedessen wurden die Angriffe eingestellt, und die syrische Armee beginnt sich nun schrittweise aus Suwaida zurückzuziehen. An ihrer Stelle übernehmen lokale Sicherheitskräfte aus der Region die Kontrolle.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die drusische Gemeinschaft in Syrien steht an einem historischen Wendepunkt. Entweder sie bleibt ein integraler Bestandteil des syrischen Staates, oder sie akzeptiert eine temporäre Rolle als Spielball in Israels Plänen. Doch eines darf nicht vergessen werden: Israel hat bislang jeden Akteur, den es benutzt hat, irgendwann von der Bühne entfernt. Die Drusen müssen ihre Entscheidung überdenken, bevor sie sich dieser bitteren Realität stellen müssen.

Bekir Gündoğdu

Forscher-Autor. Er hat in verschiedenen Positionen in den Bereichen Politik, Zivilgesellschaft und Medien gearbeitet. Derzeit ist er weiterhin als Redakteur im Bereich Neue Medien und Online-Publishing tätig.
E-Mail: [email protected]

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