„Religionsökonomie“

Auch darüber, ob die Religion zum Wohlstand eines Landes beiträgt oder nicht, gehen die Meinungen auseinander. Die Wissenschaftswelt ist in dieser Frage in drei Lager gespalten. Es gibt diejenigen, die von einem negativen oder positiven Zusammenhang zwischen Religion und Wirtschaft sprechen, und wiederum andere, die meinen, dass es gar keinen klaren Zusammenhang gibt.
September 16, 2025
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Was auch immer man sagen mag – die Geschichte wird entweder von der Religion, der Wirtschaft oder von beiden zugleich gelenkt. Sowohl jene, die die Geschichte durch die Brille der Klassenkämpfe betrachten, als auch jene, die Glaubenskämpfe als den Hauptmotor der Geschichte sehen, haben in mancher Hinsicht recht. Wer sagt, „Karl Marx hatte recht“, liegt ebenso wenig falsch wie jener, der bei Max Weber, der den Kapitalismus mit der protestantischen Ethik in Verbindung brachte, zahlreiche Belege für die Bedeutung des Glaubens im Lauf der Geschichte findet.

Wenn man bedenkt, dass Religion im Allgemeinen das Geistige und Wirtschaft das Materielle symbolisiert – und dass der Mensch weder ohne Spiritualität noch ohne Materielles gedacht werden kann – dann ist Nasreddin Hodscha, der sagt „Du hast auch recht“, wohl der Gerechteste von allen.

Woran denken wir nicht alles, wenn wir Religion und Wirtschaft hören? Von der Frage, wie ein wirtschaftliches Leben im Einklang mit den Geboten und Verboten der Religion möglich ist, bis hin zu Produkten, die mit dem Anspruch hergestellt werden, religiöse Bedürfnisse zu befriedigen (zu denen in letzter Zeit sogar luxuriöse Hotels und ganze Inseln hinzugekommen sind). Von Debatten darüber, ob Kapitalismus oder Sozialismus dem Islam eher entspricht, bis hin zu Konsumkritik oder gar zu Rechtfertigungen nach dem Motto: „Wenn es erlaubt ist, konsumiere ich so viel ich will.“

Seit einiger Zeit beschäftigen wir uns in unseren Artikeln damit, wie man all diese Themen aufgreifen sollte, betonen den „Geist der Zeit“, fragen, was heute zu tun ist, und heben die Bedeutung von Kritik und Selbstkritik sowie unsere Verantwortung gegenüber der Welt, dem Leben, den Menschen und uns selbst hervor. Natürlich bemüht sich auch die Wissenschaft – die moderne Ökonomie und die akademische Welt –, die Themen, über die wir am Stammtisch mit rauchenden Köpfen diskutieren, auf wissenschaftliche Weise zu begreifen.

In diesem Artikel möchte ich eine Einschätzung auf Grundlage des Werkes „Religionsökonomie – Glaube, Reichtum, Glück“ unseres geschätzten Denkers Prof. Dr. Ömer Demir vornehmen.

Ömer Demir ist der Ansicht, dass der traditionelle wissenschaftliche Blick auf „Religion“ lange Zeit unangemessen war. Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts galt Religion in der akademischen Welt als eine Art historischer Irrtum, ein Fremdkörper im Lauf der Geschichte, den man nach ein paar Würgereflexen schon bald ausspucken könne. Die Begründer der Sozialwissenschaften sahen Religion in diesem Licht und gingen von folgenden Annahmen aus:

  1. Religion ist falsch, weil sie rationales Denken behindert, und sie ist schädlich, weil sie Tyrannen heiligt.

  2. Religion ist dazu bestimmt, zu verschwinden, indem sie aus dem menschlichen Leben eliminiert wird, und sie ist zum Scheitern verurteilt.

  3. Religion ist eine Scheinrealität ohne wahres Sein.

  4. Religion ist eher ein Merkmal des individuellen seelischen Zustandes als ein soziales Phänomen einer Gruppe oder Gemeinschaft. Sie ist nicht als Dimension des sozialen Systems, sondern als Dimension des individuellen Bewusstseins zu untersuchen.

Bis in die 1950er Jahre hielten sich diese Thesen. Daher fand man unter Wissenschaftlern die geringsten Anteile an religiösen Menschen stets in den Sozialwissenschaften. Doch zunächst begannen einige mutige Akademiker, diese Annahmen in Frage zu stellen – und später folgten ihnen Hunderte, die das genaue Gegenteil für zutreffend hielten.

Und wie hätten sie nicht zweifeln sollen? Trotz aller Modernisierung, Wissenschaft und Technologie blieben die religiösen Überzeugungen der Menschen unerschüttert. Weltweite Umfragen zeigten, dass rund 80 % der Menschheit weiterhin an einen Schöpfer glauben. Ergebnisse wie die, dass der Anteil der Menschen in der Ukraine, die sich als orthodoxe Christen bezeichneten, nach dem Ende des militanten Materialismus von 15 % (1990, noch im sowjetischen Block) auf über 70 % stieg, waren eine wahre Sensation.

Das alles führte dazu, dass „Religion in den letzten Jahren – von der Politikwissenschaft über die internationalen Beziehungen, von der Ökonomie bis zur Sozialpsychologie – in nahezu allen Sozialwissenschaften als Teil der erforschten Realität und damit als legitimer Gegenstand der Wissenschaft anerkannt wurde.“ (Dieser Feststellung von Ömer Demir stimme ich vollkommen zu. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass die verschiedenen sozialistischen Systeme – trotz ihres militanten Materialismus über mehrere Generationen hinweg – die religiösen Überzeugungen der Menschen letztlich nur gestärkt haben. Allerdings ist ebenso offensichtlich, dass gerade in den letzten Jahren Phänomene wie Evangelikalismus, Entwicklungen innerhalb von Christentum und Judentum, die als Islamophobie etikettierten Erscheinungen und Rechtfertigungen, Israels genozidale Politik und die Entwicklungen rund um smarte Endgeräte in der technomediatischen Welt traditionelle religiöse Vorstellungen erheblich untergraben und geschwächt haben – und dass dies ein Thema ist, über das man sehr ernsthaft nachdenken muss.)

Auch die Wirtschaftswissenschaft hat in diesem Prozess erkannt, dass Religion eine unverzichtbare Dimension der menschlichen Existenz ist und einen erheblichen Einfluss auf wirtschaftliche Einstellungen, Verhaltensweisen und Präferenzen ausübt. Die Untersuchung dieses Einflusses hat neue wissenschaftliche Felder eröffnet.

So begann man – ähnlich wie bei Themen wie Familie, Sexualität, Kriminalität, Terrorismus, Bildung, Gesundheit und Umwelt – auch religiöse Ausrichtungen mit den Mitteln der ökonomischen Analyse zu erforschen, und es entstand ein neues Forschungsfeld unter dem Namen „Religionsökonomie“.

Demgegenüber entwickelten sich Ansätze der „Religiösen Ökonomie“, die versuchen, das Fundament des wirtschaftlichen Handelns in einen moralisch-religiösen Rahmen zu stellen. Unter Überschriften wie „Christliche Wirtschaft“ oder „Islamische Wirtschaft“ wurden neue Konzepte formuliert.

All das habe ich aus dem Buch „Religionsökonomie: Glaube, Reichtum, Glück“ von Prof. Dr. Ömer Demir (erschienen bei Sentez Yayınları) gelernt. Ich empfehle dieses Buch nachdrücklich: Es bietet wissenschaftlich fundierte Antworten auf Fragen wie den Einfluss von wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlstand auf Religion oder die Beziehung zwischen Glauben und menschlichem Glück.

„Führt Religion zu Wohlstand?“

Eine der Fragen, die Ömer Demir in seinem Buch stellt, lautet genau so. Er widmet diesem Thema ein eigenes Kapitel und versucht, die Beziehung zwischen Religion, Wirtschaft und Wohlstand zu verstehen.

Die enormen Unterschiede im Wohlstandsniveau der Gesellschaften sind eigentlich erst in den letzten zweihundert Jahren sichtbar geworden. Jahrhunderte zuvor produzierte die Menschheit pro Kopf annähernd das Gleiche. Der Westen, der vor tausend Jahren im Vergleich zu anderen Gesellschaften leicht im Rückstand lag, startete vor allem nach 1820 einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Zum ersten Mal in der Geschichte mussten Länder in „entwickelt“ und „unterentwickelt“ eingeteilt werden. Auf die ökonomische Vorherrschaft des Westens folgte seine politische und kulturelle Dominanz.

All dies wissen wir – aber die Wissenschaft hat bis heute nicht endgültig klären können, warum manche Länder im Verlauf der Geschichte wohlhabend wurden und andere arm blieben. Man könnte nun aufzählen: „Kapitalbildung, qualifizierte Arbeitskräfte, Produktivität, Geografie, Klima, Kultur, Innovationsbereitschaft, technologische Leistungsfähigkeit, Arbeits- und Sparneigung, Rechtssystem, gewählte Entwicklungspolitik und politische Systeme“ – all diese Faktoren wurden einzeln untersucht, aber es konnte nie abschließend geklärt werden, ob sie Ursache oder Ergebnis wirtschaftlicher Entwicklung sind. Einigkeit besteht in der Wissenschaft nur darüber, dass die von einer Gesellschaft entwickelten inklusiven Institutionen eine Schlüsselrolle für wirtschaftlichen Erfolg spielen und dass wirtschaftliche Entwicklung zwangsläufig zur Stärkung der Demokratie beiträgt.

Ob Religion zum Wohlstand eines Landes beiträgt oder nicht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die wissenschaftliche Welt ist in dieser Frage dreigeteilt: Es gibt diejenigen, die von einem positiven oder negativen Zusammenhang zwischen Religion und Wirtschaft sprechen, und wiederum andere, die überhaupt keinen klaren Zusammenhang erkennen können.

Ömer Demir teilt das Kapital in zwei Kategorien: in „Humankapital“, das aus Wissen, Fähigkeiten, Erfahrung und der Wechselwirkung von körperlicher und geistiger Gesundheit entsteht, und in „Sozialkapital“, das durch gegenseitiges Vertrauen, Solidarität, Kooperationsbereitschaft und die Netzwerke, die all dies ermöglichen, gebildet wird. Die Wirkung der Religion auf die Wirtschaft versucht er über diese beiden Kapitalformen zu erklären, da sie die Motivation zur Arbeit beeinflussen.

Auf Basis empirischer Studien vertritt er die Ansicht, dass Religiosität über körperliche Gesundheit, geistige Stabilität und Bildung einen positiven Einfluss auf das Humankapital ausübt. Diese Überzeugung dürfte säkulare Kreise, die sich an die absurde These klammern, es gäbe einen negativen Zusammenhang zwischen Religiosität, Bildungsniveau und psychischer Gesundheit, gehörig aufschrecken. Doch anstatt in Abwehrhaltung zu springen, sollten sie dem Weg der Wissenschaft folgen und ihre seltsame Behauptung, wohlhabendere Gesellschaften seien weniger religiös, weil sie besser gebildet sind, in Ruhe noch einmal überdenken. Auch die mittlerweile gut belegte Korrelation zwischen Teilnahme an religiösen Aktivitäten und einer längeren Lebenserwartung wäre eine Überlegung wert.

Ömer Demir betont, dass es zur Stärkung des Sozialkapitals in einer Gesellschaft keinen anderen Weg gibt, als Transparenz zu fördern und jene Glaubensüberzeugungen zu verbreiten, die das Sozialkapital nähren. Er stellt fest, dass Religiosität zur Erhöhung des Sozialkapitals beiträgt, indem sie den Menschen hilft, ihre Impulse zu kontrollieren, einander zu vertrauen, sich für andere verantwortlich zu fühlen, fleißiger zu arbeiten, zufrieden zu sein, anstatt neidisch zu werden, Konsummuster von Verschwendung und Angeberei zu befreien, in ihren Beziehungen ehrlich, vertrauensvoll und solidarisch zu handeln und die Kriminalitätsrate zu senken.

„Je weniger offizielle institutionelle Verfahren nötig sind, um die Einhaltung gemeinsamer Regeln zu sichern, desto geringer werden die Transaktionskosten; die so erzielten Einsparungen können in die Produktion von Gütern und Dienstleistungen umgeleitet werden“, sagt er. Doch er fügt auch eine wichtige Einschränkung hinzu: „Religiöses Sozialkapital verwandelt sich nicht automatisch in soziales Kapital. Denn die Eigenschaften, die eine Person durch ihre religiöse Bindung gewinnt, können sie in sich gekehrt, weltabgewandt und kontaktscheu machen; sie kann zwar in religiösen Angelegenheiten sehr aktiv und opferbereit sein, aber gleichzeitig wenig Bereitschaft zeigen, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die keinen direkten religiösen Bezug haben. Solche Ergebnisse können sogar als Indikatoren dafür gelten, dass religiöses Kapital das Sozialkapital negativ beeinflusst.“

Diese Beobachtungen von Ömer Demir dürften auch Sie dazu angeregt haben, über die Realität unseres Landes nachzudenken. Doch wie auch immer – man darf solche Forschungen auf keinen Fall abbrechen. Vergleichende Untersuchungen des Konsumverhaltens zwischen Religionen, präzise Definitionen von „Religiosität“ sowie die Analyse der Unterschiede zwischen Fanatismus und moderater Religiosität sind unbedingt notwendig.

Die Wissenschaft sollte sich nicht mit belanglosen, folgenlosen Themen beschäftigen, sondern mutige Studien durchführen, die der Gesellschaft nützen und Politik sowie öffentliche Verwaltung Orientierung geben. Forschungen zur Religionsökonomie sollten unbedingt mit der Religionspsychologie verbunden werden.

Ich persönlich bin schon jetzt der Meinung, dass der Begriff „Religiosität“ unzureichend ist, um über das Thema im gesellschaftlichen und psychologischen Kontext sprechen zu können. Meines Erachtens muss die Perspektive auf Religion begrifflich diversifiziert und zusammen mit Persönlichkeitsentwicklung und seelischer Reifung untersucht werden.

Prof. Dr. Erol Göka

Prof. Dr. Erol Göka wurde 1959 in Denizli geboren. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. 1992 wurde er zum Dozenten für Psychiatrie ernannt, und 1998 übernahm er die Leitung der Psychiatrischen Klinik des Ankara Numune Ausbildungs- und Forschungskrankenhauses. Derzeit ist er für die Ausbildung und Verwaltung der Psychiatrischen Klinik der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität der Stadt Ankara verantwortlich. Er ist Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift Türkiye Günlüğü sowie vieler anderer wissenschaftlicher Zeitschriften aus den Bereichen Medizin und Geisteswissenschaften. Mit seinem Buch Türk Grup Davranışı (Türkisches Gruppenverhalten) wurde Erol Göka 2006 mit dem „Denker des Jahres“-Preis der Türkischen Schriftstellervereinigung ausgezeichnet, und 2008 erhielt er den „Ziya Gökalp Wissenschafts- und Förderpreis“ der Türkischen Gesellschaft.

Website: erolgoka.net
E-Mail: [email protected]

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