„Mensch, ich verteidige dich – gegen dich selbst!“
Nuri Pakdil
Über die Zeit kann zweifellos vieles gesagt werden. Doch die indische Auffassung von Zeit bietet – trotz ihrer verfälschten abrahamitischen Wurzeln – eine weise Perspektive. Dieses Zeitverständnis, das auch die Grundlage des Reinkarnations- bzw. Samsara-Glaubens bildet, beinhaltet in den hinduistisch-brahmanisch-buddhistischen Lehren ein Konzept eines innerweltlichen Kreislaufs – ein perpetuum mobile des Materiellen.
Im abrahamitischen Ursprung hingegen basiert alles auf einer kosmischen Zyklik, in der ein Schöpfer unaufhörlich, in jedem Moment, neu erschafft, tötet und wieder zum Leben erweckt. Der theologische Grundunterschied liegt also in der Unterscheidung zwischen einem schöpferischen Subjekt und dem Geschaffenen. Die Vergöttlichung von Universum, Natur, Geschichte und Gesetzen (Pantheismus) und der Glaube an einen einzigen Schöpfer, der alles erschafft, zerstört und lenkt (Tauhid), stellen zwei unterschiedliche Ebenen des Glaubens und der Wahrnehmung dar.
Das Streben des Menschen danach, Gott, das Universum, die Natur, die Dinge und sich selbst zu erkennen und zu verstehen, ist zweifellos die edelste aller menschlichen Handlungen. In diesem Sinne bedeutet, den „Geist der Zeit“ zu erfassen, auch einen der Schlüssel zum Verständnis vieler anderer Dinge zu besitzen.
In einer toten Welt leben
In diesem Zusammenhang betrachtet, befinden wir uns – wenn wir uns der indischen philosophischen Zeitmathematik bedienen – tatsächlich im Kali Yuga, dem Zeitalter der Apokalypse. Es scheint, als würden wir zugleich all jene Eigenschaften leben, die in alten Glaubenssystemen als Vorzeichen des Weltuntergangs beschrieben werden. Denn wir leben gleichsam in einer sterbenden Zeit, unter Toten, an der Schwelle zum Tod. Leben gleicht einem letzten, qualvollen Atemzug vor dem Sterben. In einer zu einem Friedhof gewordenen Welt suchen wir zwischen Zombies, Vampiren, verzerrten Skeletten und zerstückelten Gliedmaßen nach Spuren des Lebens, nach Lebendigem, an dem wir uns festhalten können.
In einer Atmosphäre, über die Todesstaub gestreut wurde, versuchen wir zu atmen. Es ist, als wäre die Zeit ein unsichtbarer Friedhof, „auf dem die Dichter in Reih und Glied umherschreiten und reinste Verse rezitieren.“ (Attilâ İlhan)
Warum sind wir diesem Gefühl ausgeliefert?
Weil die Welt seit Langem von Vampiren und Zombies beherrscht wird. Sie verzehren Menschen, trinken Blut. Sie erfreuen sich am Töten, nähren sich an jener unheimlichen Energie, die vom Tod ausgeht – sie leben davon, tödliche Waffen zu produzieren und zu verkaufen.
Sie monopolisieren das gesamte Menschheitserbe – Wissen, Glauben, Kunst und Fähigkeiten – und nutzen es zur Erzeugung lebender Toter. Sie reizen unaufhörlich die teuflisch-dämonischen Gene im Menschen: Gier, Neid, Lüge, Maßlosigkeit. Verstand, Wille, Herz und Mitgefühl werden ausgeschaltet, um diesen niederen Trieben die Oberhand zu geben.
Sie fördern Verhaltensweisen, die wie das Leben erscheinen, es aber nicht sind: Essen, Trinken, Paarung, Tanz, Streit, Geplapper, Alkohol, Glücksspiel… All das wird zur Norm gemacht, um das Schamgefühl zu beseitigen und die Würde des Menschseins zu zerstören.
Mit dem Fortschritt der Technologie – insbesondere der Entwicklung künstlicher Intelligenz – steuern wir auf eine vollkommen menschenlose Welt zu. Von einem Zeitalter, in dem die menschliche Arbeitskraft ausgebeutet wurde, bewegen wir uns in eines, in dem Roboter und Computer die Arbeit übernehmen, und der Mensch auf ein rein konsumierendes Wesen reduziert wird.
Wohin diese Zeit führt, in welche post-menschliche Phase wir eintreten – das bleibt vorerst ein Rätsel.
In einer von todesverliebter Teuflischkeit erschaffenen und regierten Welt – einer Welt, die die Menschlichkeit verabscheut, das Leben des Menschen nicht erträgt und sich am Atem des Lebens rächt – gibt es nichts wirklich Sinnvolles außer dem von Schmerz und Trauer erfüllten Überlebenskampf einer Handvoll von Adam-Abkömmlingen, die darum ringen, Mensch zu bleiben und zu leben.
In diesem Zeitalter der Unmenschlichkeit treten auch alte Vorstellungen nicht-menschlicher Wesen wieder auf den Plan. Auf der einen Seite finden sich fantastische Verschwörungstheorien über Außerirdische, Anunnaki, Reptiloide; auf der anderen Seite verbreiten sich zunehmend Glaubenssysteme über unbestimmte Wesen, die angeblich gemeinsam mit dem Menschen existieren. Diese Vorstellungen – ein Mischmasch aus Mittelalter und Künstlicher-Intelligenz-Zeitalter – beeinflussen die Wahrnehmung gewöhnlicher Menschen heute weit mehr als konkrete Theorien, Ideen oder traditionelle religiöse Glaubenssätze.
Wir leben in einer Welt, in der die Szenarien aus Star Trek, The Truman Show, A Beautiful Mind, The Matrix oder die düsteren Dystopien wie Schöne neue Welt und 1984 Wirklichkeit geworden oder zumindest mit der Realität verschwommen sind.
Diese Welt lässt sich längst nicht mehr vorrangig durch Kategorien wie ausbeuterische Eliten, pharaonenhafte Tyrannen, feindliche Völker oder imperialistische Staaten erklären. Vielmehr wird sie beschrieben durch metaphysische Konzepte wie Iblis, Satan oder Dschinn – durch außer- oder unmenschliche Wesen und ihre bösartigen Handlungen. Die Kritik richtet sich nicht mehr auf die ekopolitische Struktur gesellschaftlicher Systeme, sondern auf die unmittelbaren Mitmenschen: auf die anderen, die Fremden. Es entstehen ausgrenzende, angsteinflößende, entmenschlichende Beschreibungen.
Menschen beginnen, andere Menschen nicht mehr zu lieben. Jeder, der ihnen nicht passt, den sie nicht mögen oder der ihnen schadet, wird mit Begriffen belegt, die ihn aus der menschlichen Sphäre herauslösen.
Diese Tendenz – so sehr sie auch einem Instinkt entspringt, wie die Idee des Teufels, die Gott vom Bösen entlastet, den Menschen vom Bösen zu entlasten sucht – zeigt sich in Formulierungen wie teuflisch, besessen, tierisch, niedrige Kreatur, die in jeder Sprache vorkommen. Sie ersetzen die einst religiös oder ideologisch gefärbten Schimpfworte vergangener Jahrhunderte wie Kafir, Götzendiener, Häretiker, Rafidit, oder im 20. Jahrhundert Bourgeois, Imperialist, Ausbeuter, Faschist, Oligarch.
Mit dem Fortschritt in der Genetik sowie neuen anthropologischen und archäologischen Entdeckungen verschärft sich diese bösartige Sprache weiter. Im Zusammenspiel mit evolutionären biologischen Theorien werden nun vor-sapiente Hominidenarten wie Neandertaler, Cro-Magnon oder Homo erectus zur Beschreibung ungeliebter Menschen herangezogen. Verschwörungstheorien behaupten, dass diese Vor-Menschen – in Neid und Feindseligkeit gegenüber der vollentwickelten Menschheit, dem Adam-Geschlecht (Homo sapiens) – als Menschen getarnt unter uns leben, sich wie Menschen verhalten, aber in Wirklichkeit Vampire, Zombies oder Kannibalen seien, die sich von menschlichem Fleisch, Gehirn und Herzen ernähren.
Diese Sichtweise definiert Menschen, die täuschen, bestehlen, verführen, manipulieren, emotional ausbeuten, den Körper benutzen und dann wegwerfen oder zur eigenen Dienerschaft zwingen – nicht mehr anhand ihrer konkreten Taten, sondern über eine abstrakte, metaphysische Entfremdung. Das jedoch dient letztlich der Entmenschlichung des Denkens selbst. Dabei hatte Marx diesen Mechanismus mit dem Ziel, konkrete Verhältnisse zu erklären, im Sinne einer Praxisphilosophie so formuliert:
„Das Kapital ist tote Arbeit, die sich nur belebt, indem sie lebendige Arbeit einsaugt – wie ein Vampir, der umso lebendiger wird, je mehr lebendiges Blut er trinkt.“
In den alten Glaubenssystemen paaren sich Iblis, Satan oder Div, Demiurg mit Menschen und setzen so ihre Linie fort – ganz wie beim ersten Sündenfall. Deshalb legten unsere menschlichen Ahnen stets großen Wert auf die Abstammung, und der wohl gebräuchlichste Fluch war: „Hurensohn“ – „Bastard“. Dieser Ausdruck zielt nicht auf Klasse, Rasse oder Stamm ab, sondern meint die Essenz des Menschseins, den Stoff des Adam-Seins. Ebenso steht die Betonung auf der unmoralischen Frau nicht für eine moralische Abwertung, sondern für eine verunreinigte Abstammung.
Das Gedächtnis Adams kodierte die Abstammung – jene Linie, die ihm Übel zufügte, ihn verführte, belog, beneidete, tötete, das Böse lehrte – als nicht-menschliches Wesen. Denn der Mensch ist edel, ehrbar, erhaben – und das Böse ist seiner Natur nicht würdig.
Heute steht die Menschheit angesichts des Leids, der Unterdrückung und der unklaren Entwicklungen dieser Welt vielleicht wie der erste Adam – auf der Suche nach Erklärung, nach einem Zufluchtsort, nach Sinn.
Sie ist wie gefangen in einem riesigen Friedhof, einer Welt, in der Kannibalen, Vampire und Zombies in Blut und Tränen baden, in der Milliarden gewöhnlicher Menschen unter Hunger, Armut, Unterdrückung und Schmerz leben und sterben – als wären sie nur noch Halbtote. Deshalb ist die Suche nach dem wahren Leben, nach Atem, Seele und Paradies heute dringlicher denn je.
Die größte Zauberei, die den Menschen wirkungslos, passiv und versklavt macht, ist der Tod. Menschen zu töten, den Tod zu zeigen oder Gefühle zu töten, um Menschen zu hypnotisieren – das versklavt sie. Der Pharao sprach: „Ich töte und mache lebendig.“
Heute haben unbemannte Drohnen und tödliche Waffen, die pausenlos den Tod bringen, die Menschheit wie verzaubert: regungslos, willenlos, ohnmächtig. Doch die Reaktionen einer kleinen Minderheit zeigen, dass der Adam-Stoff noch lebt – und Widerstand leistet.
Nach göttlicher Lehre ist der Mensch ein ehrenvolles Wesen, das durch Gottes Atem erschaffen wurde – ausgestattet mit der Fähigkeit, sich selbst, die Welt und die Dinge zu erkennen. Seine Besonderheit unter allen Lebewesen ist sein Verstand – und das Verantwortungsgefühl, das dieser mit sich bringt.
Der Verstand ist ein Abbild des göttlichen Willens; der Mensch ist die partikulare Zusammenfassung des Kosmos, der Natur.
„Finde Adam – sei ein Mensch; im Menschen ist die Welt verborgen. / Verachte den Menschen nicht – in ihm liegt das ganze Weltgeheimnis.“ (Yozgatlı Fenni)
Der Sinn des Daseins ist es, über Raum und Zeit der Natur hinauszuwachsen, am schöpferischen Akt Gottes teilzuhaben – und so sich selbst und die Natur zu verwandeln, um neue Welten aus dem inneren Potenzial zu erschaffen.
Die Grundbedingung dieser Existenz ist die bewusste Wahl zwischen Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht – und sich dabei für das Gute, Wahre und Rechte zu entscheiden. Nur durch diese Entscheidung wird der Mensch wirklich zum Menschen.
Jeder Mensch, der dem Guten nachstrebt, der das Gute wählt und bemüht ist, gut zu sein und zu bleiben, stammt aus dem Geschlecht Adams.
Dieser Einsatz bedeutet den Kampf, seit der ersten Vermischung der Geschlechterlinien, gegen das im Gen, im Blut, in der Herkunft eines jeden Menschen – also von uns allen – vorhandene Gen des Iblis, des Satans; es ist der Versuch, dieses dämonische Blut zum Verstummen zu bringen und ein reiner Adam zu werden.
Die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und das Gute zu wählen, bedeutet auch, den Menschen vom Vormenschlichen, Adam vom Iblis-Satan zu unterscheiden – und das ist ein existenzielles Kriterium.
Das Böse ist keine bewusste Wahl – es ist das, was übrig bleibt, wenn man sich nicht für das Gute entscheidet.
Menschsein ist ein Prozess der Entscheidung
Der indische Philosoph Muhammad Iqbal sagt, dass der Mensch mit einem menschlichen Potenzial geboren wird und durch die Entscheidungen, die er im Leben trifft, entweder zum Menschen wird – oder auch nicht. Das Paradies, aus dem wir einst kamen – das laut Iqbal auf dieser Welt war, im goldenen Zeitalter des indischen Zeitrades –, ist nicht dasselbe wie das Paradies, zu dem wir gelangen sollen. In diesem Sinne, so Iqbal, hätten viele Menschen das Paradies noch gar nicht verlassen.
Das bedeutet: Der verantwortungslose, unbewusste, instinkthafte Zustand des Menschen – das tierähnliche Dasein in einem Naturzustand, wie es die Anthropologie etwa in Afrika beschreibt – besteht weiterhin fort.
Tatsächlich bleiben wir, bis wir die Welt wirklich begreifen, Kinder. Und erst wenn wir verstehen, werden wir reif – akil baliğ.
Doch die meisten Menschen, so scheint es, bleiben entweder in ihrer guten Kindheit stehen, ohne je zu reifen, oder sie fliehen ihr böses Kindsein und suchen ein Leben lang nach einer besseren Kindheit.
Erst wenn der Mensch zu unterscheiden beginnt – zwischen Gut und Böse, Schön und Hässlich, Richtig und Falsch – wird er zu Adam. Und das Tragischste daran ist: Diese Reifung ist nie endgültig. Das Leben kann viele Menschen vom Menschsein zurück ins Vormenschliche stürzen.
„Meine Richter, das eigentliche Problem ist nicht, dem Tod zu entgehen – sondern dem Unrecht. Denn das Böse rennt schneller als der Tod.“ (Sokrates)
In diesem Sinn ist wahres Menschsein das Ergebnis von Entscheidung, Anstrengung und Mühe.
Das Gute ist der Name für diese Wahl und diese Mühe.
Böse zu sein hingegen ist eine genetische Letalität – ein instinkthaftes Vormenschentum.
In diesem Sinne sind nur die Guten wahrhaft Menschen; die Übrigen sind es nicht.
Wie Heidegger sagte: Nur der Mensch stirbt – alles andere verendet.
Der Tod – und die Auferstehung – gehören also dem Menschen allein.
Auch der Glaube an das Jenseits, an das baʿs baʿd al-mawt – das Wiederauferstehen nach dem Tod und die Rückkehr zu dem, was einem wahrhaft zusteht –, ist ausschließlich dem Gen Adams eigen.
Tod jedoch ist auch im metaphorischen Sinne zu verstehen:
Er bedeutet das Verkümmern jeder lebensnahen Handlung, Fähigkeit oder Funktion – das bloße Atmen ins Leere, das Bedeutungsverlust und Entlebendigung.
In diesem Sinn erzählen die Gleichnisse im Koran, in denen Abraham und Jesus Tote zum Leben erwecken, von der göttlichen Belebung halb toter Menschen und Gesellschaften – sie werden mit dem Atem Gottes wachgerüttelt, um durch das ur-Adamitische in sich selbst wieder aufzuerstehen.
Denn Gott ist derjenige, der Tote zum Leben erweckt; der aus dem Lebenden den Tod und aus dem Toten das Leben hervorbringt.
Der Nafas – der göttliche Hauch – ist die Lebensenergie Gottes, die Tote wieder belebt.
Hay – das Leben – stammt von Hû – von Ihm.
Adam ist der Lebendige.
Diejenigen aber, denen Gott seinen Atem entzieht, sind tot.
Auch wenn sie zu leben scheinen – in ihrem Wesen sind sie tot.
Die Zeit ist kein schöpferischer Gott – kein Dehr, kein Chronos –, sondern eine Prüfungsfrist, eine illusionäre Atmosphäre, ein Rad des Schicksals, das der menschlichen Fähigkeit zu zählen und zu ordnen dient und das Gute vom Bösen zu trennen vermag.
Der Homo sapiens, also Adam, ist das Ergebnis einer Vermischung mit anderen Menschentypen. Sein Gehirn vereint die rhythmische Fähigkeit der reptilischen und säugetierhaften Schichten mit der ordnenden, zählenden Gabe der obersten, adamitischen Schicht. In diesem Sinne sagten die Weisen der Antike, der Mensch besitze einen freien Willen (cüz’i irade) und sei ein Mikrokosmos: ein kleiner Spiegel des Universums, ein Teilbild des Schöpfers.
Dank dieser Eigenschaft kann der Mensch das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren erkennen und über wahres Wissen und echte Gefühle verfügen. Das ist das Wesen des Geschaffenseins.
„Wenn du nur das Licht siehst, das sichtbar ist, und nur die Stimme hörst, die laut ist, dann siehst du nichts und hörst nichts.“ (Sokrates)
Diese Gabe unterscheidet den Menschen von anderen Wesen – und erhebt ihn.
Doch diese Erhebung ist keine hierarchische Überlegenheit, sondern die Fähigkeit, Verantwortung gegenüber anderen Geschöpfen, der Natur und dem Schöpfer zu tragen – sowie durch Denken zu existieren.
Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich und seine Umwelt verändern, sich unter allen Bedingungen eine Lebensumgebung schaffen und sein Schicksal selbst bestimmen kann:
Er kann in Eiseskälte und Wüstenglut, auf Berggipfeln, im Krieg, Gefängnis, Hunger oder Elend überleben – aus einem Überlebensinstinkt heraus.
Er kann Werkzeuge erschaffen, die in der Natur nicht existieren, seine Triebe durch ästhetische Beziehungen zähmen, den Alltag verschönern, das Leben erträglicher machen und es durch Philosophie, Kunst und Literatur abstrahieren.
Den Überlebenswillen lernt er von der Natur, von Tieren und Pflanzen. Doch all das zu einem bewussten Lebensbau zu verwandeln, mit Verantwortung zu handeln, dem Leben Bedeutung zu verleihen, im kosmischen Gefüge wirklich zu existieren – das verdankt er einem ihm eingepflanzten adamitischen Urfunken.
Das ist jene schöpferische Kraft – die göttliche Berührung, die den Menschen zur einzigen Spezies macht, die um ihrer selbst willen existieren kann.
„Das ganze Universum ist ein großes Buch Gottes. / Berührst du einen einzigen Buchstaben, wird dir sein Sinn stets als ‚Gott‘ erscheinen.“ (Recaizade Mahmud Ekrem)
In diesem Sinne ist die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf, die Vorstellung, dass jede Handlung Folgen – eine Vergeltung – hat, also der Glaube an das Jenseits, sowie die atmende, heilende, gnadenvolle Beziehung des Schöpfers zu seinen Geschöpfen – all das die Versicherung für Adams Veranlagung zum Guten.
Kali Yuga ist jeder Moment, jeder Tag, jede Ära, in der diese göttliche Versicherung schwächer wird, verblasst oder ihre Wirkung verliert.
Die gesamte Menschheit und jedes einzelne Individuum können gleichzeitig in einem einzigen Leben alle Zeitalter durchleben – das Goldene, das Silberne, das Bronze- und das Eisenzeitalter. Und sie tragen zugleich auch die Wahrnehmung, das Wissen und die Merkmale dieses ewigen Zeitrades in sich.
Der Fehler der indischen Zeitauffassung liegt darin, das Universum in einem mystischen, tautologischen Zyklus als göttliches Rad zu verewigen und dabei menschlichen Verstand, Mühe und Entscheidungskraft zu ignorieren – den Menschen als ein passives Wesen des Schicksals und des Kosmos zu betrachten.
Doch alles, was dem Menschen eigen ist – auch die Zeit selbst –, jedes materielle und geistige Werk des Menschen, ist Ausdruck göttlicher Gnade und ein Produkt der adamitischen Besonderheit.
In der Natur, im Universum, in anderen Geschöpfen gibt es keine Zeit.
Wie Niyazi Mısri sagt: „Was war, ist bereits geschehen. Und was sein wird, ist schon gewesen.“
Die Wissenschaft schwankt heute zwischen der Kontrolle über die Zeit und dem Ausgeliefertsein an sie – das ist Ausdruck der Ohnmacht des Iblis, der sich weigerte, vor Adam niederzufallen, obwohl er alle Namen – also das Wissen über die Natur – von Adam gelernt hatte.
Die Adamskinder sehen die Zeit einzig als Möglichkeit zur Reinigung und Menschwerdung – sie versuchen, sie mit einer Mischung aus drängender Neugier zu meistern: „als würden sie ewig leben – und zugleich morgen sterben“.
Die Stellvertreterschaft des Menschen auf Erden, sein Status als Eşref-i mahlûkât – das edelste aller Geschöpfe –, beginnt mit dem Bewusstsein, dem Ewigen auf die Spur zu kommen.
Adam ist nicht das Produkt der Zeit, sondern das Produkt seiner eigenen schöpferischen Anlage.
Leben und Tod sind innerhalb von Raum und Zeit sich offenbarende Schleifen in einem metaversen Zyklus – Schleifen der Erkenntnis, Menschwerdung und Rückkehr zu Gott.
Deshalb beschreibt die göttliche Offenbarung das weltliche Leben als einen Übergang – und bietet den Sinn des Lebens als Möglichkeit, den Schöpfer und das eigene Selbst zu erkennen, um so Ewigkeit jenseits von Zeit und Raum zu verdienen.
Nicht nur das Leben, auch der Tod ist nur dann eine Gnade, wenn er in diesem Bewusstsein erfahren wird.
In der indischen Philosophie und anderen pantheistischen oder materialistischen Glaubensrichtungen existieren weder ein Schöpfer noch ein Ziel des Daseins. Der Mensch wird dort als willenloses Produkt einer sich ewig wiederholenden Natur betrachtet. Das einzige Ziel besteht darin, im Hier und Jetzt zu leben, innerhalb der Welt ein möglichst gutes Leben zu erreichen – und nach dem Tod, wenn möglich, in ein besseres Dasein zurückzukehren.
Da jeder Mensch eigentlich allein in diese Welt kommt und sie allein wieder verlässt, äußert er die in seinen Genen verankerte Angst und Hoffnung.
(Vielleicht ist die Menschheit nichts anderes als die sich wiederholenden Träume eines einzigen Menschen in Milliardenfacher Kopie.)
Dieser Glaube ist das Ergebnis der eingeschränkten Abstraktionsfähigkeit des prä-menschlichen Gehirns. Genau deshalb versuchen heutige globale Eliten mit all ihrer Macht, die Menschen dazu zu zwingen, mit ihrem reptilischen und säugetierhaften Gehirn zu leben. Sie fördern tierische Triebe, reizen primitive Gewohnheiten – und versuchen, das adamitische Bewusstsein zu unterdrücken.
Die Herrschaft über Gesellschaften durch psychische Störungen, also Pathokratie, ist zur vorherrschenden Politik unserer Zeit geworden.
Die Entmenschlichung ist das Ziel dieser Entwicklung.
Schon immer war es das Ziel politischer, wirtschaftlicher und religiöser Ideologien, die Mehrheit der Menschen zu versklaven. In diesem Zusammenhang liegt die gesamte Anstrengung der göttlichen Lehre des Tauhīd – des Einheitsglaubens – darin, den Menschen zu würdigen, ihm Ehre und Persönlichkeit zu verleihen und ihn aus seinen toten Gewohnheiten zu befreien, um Adam wiederzubeleben.
Eşref-i mahlûkât – das edelste aller Geschöpfe – bedeutet das Sichtbarwerden eines ursprünglichen Seinszustands in Raum und Zeit, eines Zustands, der in Universum und Natur so nicht existiert:
Ein archetypisches Potenzial, eine Position, die nur durch freie Entscheidung und bewusste Wahl erreicht werden kann.
Und der Weg dorthin – das Ringen, sich dieser Stufe zu nähern – ist bereits Teil dieses erhabenen Seinszustands.
Leben heißt widerstehen.
Heute leben wir in einer Welt, die durch Begriffe und Phänomene wie zyklische Zeit, die vier Elemente, Sonne, Feuer, Licht, Helligkeit und Dunkelheit geprägt ist – und durch damit verbundene Vorstellungen von Universum, Natur, Gott, Religion, Wissenschaft, Leben und Mensch.
Ohne diese Welt zu hinterfragen, ohne erneut die Fragen zu stellen:
„Was sind Iblis, Satan, Dschinn, Mensch und Adam?“,
können wir weder die abrahamitische Revolution, noch Mose oder Jesus, noch den Islam, noch die uns eingeprägte falsche Geschichtsschreibung, noch die heutige kapitalistische Welt und schon gar nicht jene ängstliche und ungewisse Zukunft wirklich verstehen.
Wir können das Göttliche, das Jenseits und die Prophetie nicht begreifen.
Wir verstehen nicht, was es heißt, das edelste aller Geschöpfe – Eşref-i mahlûkât – zu sein.
Human, Posthuman, Quantenphysik, künstliche Intelligenz, Energie, Information, Raumfahrt – was bedeuten sie?
Warum dieser Wettlauf um tödlichere Waffen?
Warum die Förderung von Inzest, Pädophilie, Sodomie, Alkohol, Drogen, Ehebruch, Zins, Besitz- und Reichtumssucht, Rassismus, Nationalismus, Konfessionalismus, pervertierte Religiosität, Finanzwetten, astrologische Magie, falsche Spiritualität, Hundevergötterung, Menschenfeindlichkeit, Nihilismus?
Um dem Teufelskreis, dem bodenlosen Abgrund des Kali-Yuga-Zeitalters zu entkommen, müssen wir stets das Ursprünglichste, das Natürlichste erinnern – und niemals von dieser Erkenntnis abweichen.
In einer toten Welt, unter Toten, in einer Umgebung, in der Sterbende im Todeskampf liegen, bedeutet wahres Leben:
Der Versuch, das Gute – die einzige Medizin gegen Vampire und Zombies – über alles zu stellen;
bedeutet: den göttlichen Odem, das Feuer, Wasser, die Luft, die Erde, die kosmische Energie des Lebens durch das Adamitisch-Werden zu einer ewigen Existenz zu erheben.
An diesem Leben festzuhalten – gegen das Geschlecht des Iblis, das Kinder tötet;
unter allen Umständen, in jeder Lage, gegenüber jedem – ob in Stärke oder Schwäche – das Gute zu verteidigen, das Böse zu meiden,
heißt: Eşref-i mahlûkât sein. Heißt Mensch bleiben. Heißt Adam werden.
Die Menschheit muss dieses Bewusstsein wiederentdecken.
Menschen müssen bereit sein, dieses Bewusstsein allen prä-menschlichen Gewohnheiten vorzuziehen.
Wenn es einen universellen und gesellschaftlichen Weg zur Erlösung gibt, dann muss er hier beginnen.
Vielleicht stoßen wir beim Überdenken und Neuabwägen von allem auf etwas, das längst unter der Sonne gesagt wurde.
Aber wenigstens wären es wir selbst, die es heute und aus eigener Erkenntnis wiederfinden.
Vorausgesetzt, wir wissen, was wir überhaupt suchen.
Zeitzyklen nach vedischem Hindu-Wissen
Der indische Philosoph Swami Tejomayananda fasst in seinem Werk Purajana Gita das zyklische Zeitverständnis der indischen Philosophie wie folgt zusammen: „Nach indischer Auffassung durchläuft das Universum verschiedene Zeitalter, die als Yuga bezeichnet werden. So wie ein Erdenjahr aus vier Jahreszeiten besteht, kennt auch das Universum vier sich wiederholende Zeitalter. Der größte kosmische Zyklus wird Maha Yuga (Großes Zeitalter) genannt und besteht aus den vier Yugas: Krita Yuga, Treta Yuga, Dvapara Yuga und Kali Yuga. Diese Zeitalter sind nicht gleich lang. Nach vedischer Zeitrechnung entspricht ein göttliches Jahr 360 menschlichen Jahren.“
In der Bhagavad Gita heißt es: „Nach menschlicher Zeitrechnung dauert eintausend Yugas einen Tag Brahmas. Und ebenso lange währt seine Nacht.“
Der Maha-Yuga-Zyklus besteht aus vier Zeitaltern mit unterschiedlicher Dauer und unterschiedlichen Lebensweisen:
Krita (Satya) Yuga – Das Goldene Zeitalter, Zeitalter der Wahrheit
Es entspricht dem Frühling im menschlichen Jahreslauf – eine Periode der Erneuerung und Wiedergeburt.
In diesem Zeitalter ist das menschliche Bewusstsein auf seinem höchsten Niveau.
Der Mensch erlebt sich in Einheit mit dem universellen Geist.
Wünsche wurden allein durch die Kraft des reinen Willens und Denkens verwirklicht.
Tugend, Gerechtigkeit und Moral bestimmten das Leben. Es gab kein Bedürfnis nach Wohnraum – die Natur stellte alle Notwendigkeiten zur Verfügung.
Alle Menschen waren gut geboren, lebten in Glück und Schönheit.
Sie widmeten sich der größten Tugend: dem Denken.
Es gab keine Götter, keinen Handel, keine Armut oder Reichtum.
Die höchste Tugend war die Entsagung von weltlichen Begierden.
Es existierten keine Krankheiten, kein Altern, kein Hass, kein Stolz, keine negativen Gedanken.
Ein Geist der Einheit und des Ganzseins herrschte vor.
Besonderheit dieser Ära:
Die Menschen meditierten intensiv und konnten durch Gedankenkräfte alles erreichen.
Krankheit, Altern, Trauer oder Angst waren unbekannt.
Die verehrte göttliche Inkarnation war Narayana.
Die Menschen lebten nach vier Grundprinzipien:
Entsagung, Reinheit, Mitgefühl und Wahrhaftigkeit.
Es gab keine Kasten, keinen Glaubensunterschied – alle wurden als gleich angesehen.
Die durchschnittliche Lebensspanne betrug 100.000 Jahre.
Gegen Ende dieses Zeitalters begann das Prinzip der Entsagung zu schwinden.
Treta Yuga – Das Silberne Zeitalter
Treta Yuga entspricht dem Sommer im Jahreslauf – mit der Hitze beginnt der Zerfall.
Das Mahabharata beschreibt diesen Abschnitt mit den Worten:
„Die Tugend nahm ab, Opfergaben begannen. Die Menschen erhielten, was sie wollten, durch Geben und Arbeit.“
Tugend und moralische Werte schwinden.
Die Menschen widmen sich nicht mehr dem Denken, sondern dem Sammeln von Wissen.
Leidenschaften, Eifersucht, Habgier und Machtstreben nehmen zu.
Die Schwachen werden unterdrückt, Besitz wird angestrebt, Natur wird zerstört.
Fruchtbarkeit und Produktion gehen zurück – das Überleben erfordert nun Arbeit.
Es ist die Zeit des Auftretens negativer Kräfte und der Beginn der Spaltung der Menschheit.
Menschen begannen, Sunu-Opferzeremonien durchzuführen und sich der Verehrung zuzuwenden.
Von den vier Grundprinzipien wurden nur drei – Reinheit, Mitgefühl und Wahrhaftigkeit – befolgt.
Die durchschnittliche Lebensdauer betrug 10.000 Jahre.
Am Ende dieser Ära begann das Prinzip des Mitgefühls zu schwinden.
Dvapara Yuga: Bronzezeit – Periode des Niedergangs.
Es ist eine Zeit, in der die positiven und negativen Aspekte des Lebens ungefähr ausgeglichen sind.
Diese Epoche entspricht dem Herbst und das Wetter wird kälter, die Farben werden blass.
Das Bewusstseinsniveau sinkt. Wünsche und Begierden nehmen zu; Katastrophen und Krankheiten treten auf.
Es gibt Bemühungen, Gut und Böse im Gleichgewicht zu halten.
Die Dauer dieser Periode ist halb so lang wie Krita Yuga.
Die Menschen beginnen, ihre moralischen Gefühle zu verlieren; die ursprünglich ungeteilten Veden (Wissen, heilige Schriften) beginnen sich zu spalten.
Das Bewusstsein ist nur noch halb so hoch wie in der ersten Periode.
Ehrlichkeit, Güte und edle Moral nehmen ab, und die Suche nach der Wahrheit beginnt zu erlöschen.
In diesem Zeitalter begannen die Menschen, in Tempeln zu beten.
Von den vier Grundprinzipien wurden nur noch zwei – Reinheit und Wahrhaftigkeit – befolgt.
Die durchschnittliche Lebensdauer sank auf etwa 1000 Jahre.
Am Ende dieser Ära begann das Prinzip der Reinheit zu schwinden.
Kali Yuga: Eisenzeit – Kali bedeutet Kampf und Streit.
Es ist das Dunkle Zeitalter, in dem wir uns derzeit befinden.
Dieses Zeitalter entspricht dem Winter.
Materielle und geistige Verderbtheit nehmen zu; Chaos, Konflikte, Kriege, Krankheiten, Wut, Angst, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Naturkatastrophen prägen diese Zeit.
Die negative Energie ist sehr hoch.
Die Menschen entfernen sich von der Natur, schätzen sie aber wegen der darin vorkommenden Erze.
Gute Moral und Gerechtigkeit sind verschwunden, egoistische Interessen dominieren das Leben.
Geld und materielle Werte stehen über allem.
Betrug und Lügen sind alltäglich und werden sogar als notwendig angesehen, um Erfolg zu haben.
Sexuelle Begierden nehmen unkontrolliert zu.
Die Armen bleiben meist tugendhaft.
Die einzige verbliebene Tugend ist das Gute.
Die Veden (heilige Schriften) werden vergessen; materielle und geistige Reinigung gibt es nicht mehr.
Wer sich von diesem negativen System entfernen will, kehrt zur Natur zurück.
Aufgrund der harten Lebensbedingungen in der Natur verkürzt sich die Lebensdauer der Menschen, und das Kali-Zeitalter führt zum möglichen Aussterben der Menschheit.
In dieser Ära praktizieren die Menschen als Gottesdienst das Rezitieren der heiligen Namen des Göttlichen.
Diese Zeit ist bekannt als das Zeitalter des Kampfes und der Streitigkeiten, in dem ständig Naturkatastrophen, Krankheiten und Kriege auftreten.
Man nimmt an, dass dieses Zeitalter vor etwa 5000 Jahren begann.
In dieser Zeit wurden die Veden erstmals schriftlich festgehalten.
Früher konnten die Menschen Wissen mühelos im Geist behalten; diese Fähigkeit schwand, sodass das Wissen schriftlich fixiert werden musste.
Die alten indischen Schriften „Veden“ wurden in vier Hauptteile gegliedert: Rig, Sama, Yajur und Atharva.
Diese Einteilung führte zur Schaffung sozialer Klassen mit jeweiligen Aufgaben und Pflichten:
-
Priester–Lehrer
-
Herrscher–Krieger
-
Bauern–Kaufleute
-
Arbeiter
Noch bedeutender war die Entstehung des Kastensystems, das Menschen aufgrund ritueller Reinheit hierarchisch einteilte:
-
Priester
-
Krieger
-
Kaufleute
-
Arbeiter
-
„Unberührbare“ (Sklaven, Gefangene oder deren Nachkommen)
Im Kali Yuga wird von den vier Grundprinzipien nur noch die Wahrhaftigkeit teilweise befolgt.
Die durchschnittliche Lebensdauer beträgt etwa 100 Jahre.
(Quelle: Nilgün Çevik Gürel – dusunuyorumdergisi.com)