Gierig sind wir, einverstanden – aber ist das wirklich alles?

Wenn man sich den gegenwärtigen Zustand unserer Welt anschaut, ist es da nicht offensichtlich, dass bloßer Verstand und eine auf theoretischer Lehre basierende Moral nicht ausreichen, um der Gier Einhalt zu gebieten?... Wäre ein religiöser Ansatz, der sich auf die Tradition stützt, im Wesen des Menschen eine moralische Wurzel erkennt und in unserem Verlangen auch die Menschlichkeit sieht, nicht mehr eine Unterstützung als ein Hindernis im Bemühen, die moralischen Tugenden wieder in die Ökonomie einzuführen und der neoliberalen Vorherrschaft entgegenzuwirken? Dies ist meine gedankliche Linie, und solche Fragen kreisen mir im Kopf herum.
Juni 23, 2025
image_print

Goethe erkannte bereits in seinem „Faust“, dass das Papiergeldsystem – das er als einen Pakt mit dem Teufel darstellte – die Zukunft bestimmen und das Ende der alten Ordnung einläuten würde.
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelten zahlreiche Denker Ideen, die dazu dienten, diese neue Geldwirtschaft zu legitimieren. Reichtum wurde zum höchsten Ziel von Familie und Staat; „Politische Ökonomie“ wurde als die Wissenschaft des Erwerbs und der Bereicherung definiert.
Die Physiokraten, Montesquieu und Voltaire – sie alle verherrlichten Reichtum und Luxus, in der Annahme, dass auf diese Weise der Wohlstand in die breite Bevölkerung getragen werde. Sie verteidigten die Idee von Hobbes, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, und die Grundphilosophie aus Mandevilles „Bienenfabel“: dass eine Gesellschaft ohne das Streben nach Luxus und Reichtum zum Untergang verurteilt sei.

Natürlich gab es auch erbitterte Kritiker, für die dieses Bild eine „abstoßende Form von Reichtum“ darstellte – wie etwa Rousseau.
Rousseau vertrat die Ansicht, dass Gewalt im Wesen des Strebens nach Reichtum selbst liege und dass die Suche nach Luxus aus Neid, Hochmut, Eifersucht und dem Wunsch, sich von anderen abzuheben, entstehe. Für ihn durfte das Streben nach Reichtum, Luxus und Besitz weder für das Individuum noch für die Gesellschaft ein Ziel an sich sein – denn sonst, so warnte er, würde die Zahl der Armen zwangsläufig steigen.
Seiner Meinung nach sei es äußerst gefährlich, wenn die politische Ökonomie versuche, eine soziale oder politische Philosophie zu begründen.

Mittler zwischen diesen beiden Polen waren Denker wie Adam Smith und David Hume.
Sie akzeptierten das Streben nach Reichtum als Teil der menschlichen Natur, versuchten jedoch, die daraus entstehenden Gefahren durch Moral, Politik, Logik und Kritik zu bändigen.
Smith zufolge gehörten Selbstliebe und das Bedürfnis nach Anerkennung durch andere zu den primären Beweggründen menschlichen Handelns. Das „Ich“ strebte unaufhörlich danach, sich von anderen bestätigen zu lassen.
Auch das Verlangen nach Reichtum leitete sich laut Smith aus dieser Gier ab, die jedoch durch moralisches Bewusstsein ins Gleichgewicht gebracht werden müsse.

Vielleicht hatten die Kritiker recht – doch gewonnen haben zweifellos die Ersten.
Und die Vermittler, die glaubten, einen vernünftigen Mittelweg zu finden, irrten sich gewaltig. Wir leben heute in einer Zeit, in der behauptet wird, die Wirtschaft habe ihre Beziehung zur Moral verloren und ihre Tugend eingebüßt – und genau diesen Weg sind wir damals gegangen.
Das Streben nach Reichtum und Luxus sowie die Art und Weise, wie man existiert, sind derart legitimiert worden, dass – um es mit Guy Debord, dem Autor der Gesellschaft des Spektakels, zu sagen – wir nicht mehr durch Besitz, sondern durch Sichtbarkeit existieren.

Luxuskonsum, der angeblich den Handel beleben und Völker einander näherbringen sollte, hat dieses Versprechen nicht eingelöst. Reichtum wurde nicht breiter verteilt, sondern die Kluft zwischen Arm und Reich ist sowohl innerhalb einzelner Gesellschaften als auch weltweit auf ein unvorstellbares Maß angewachsen.

Einer derjenigen, die über die Dynamiken des Kapitalismus, die Philosophie und Psychologie des Geldes nachdenken, ist Metin Sarfati – jemand, der jahrelang versuchte, das Missverständnis um Adam Smith zu korrigieren.
Er schreibt: „Proust beschreibt in seinen Werken meisterhaft die Eifersucht. Er schildert den Schmerz des Eifersüchtigen. Diogenes hätte geschrieben: ‘Begehren ist der Schmerz, den wir empfinden, wenn ein anderer etwas besitzt, das wir begehren. Selbst wenn ein anderer etwas besitzt, das wir bereits haben, empfinden wir Eifersucht.’ Wenn es heute ein zentrales ökonomisches Motiv ist, zu begehren, was ein anderer Mensch oder eine andere Gesellschaft besitzt oder zu besitzen scheint – leidet dann, nach Proust, nicht die gesamte Menschheit? In diesem Fall erscheint der Reichtum wie die Belohnung für diesen Schmerz. Und ist Luxus nicht längst zu einer Obsession, zu einer Fixierung geworden? Wenn im Luxus das Ziel darin besteht, einen Unterschied zwischen dem ‘Ich’ und den ‘Anderen’ zu schaffen – wird das nicht auch die Feindschaft und Gewalt zwischen dem ‘Wir’ und dem ‘Anderen’, das zu einer anderen Welt gehört, anheizen?… Ist der Mensch von heute nicht getrieben vom Wunsch, sichtbar zu sein – aus Angst, sich in dem bodenlosen Brunnen eines versprochenen, endlosen Genusses zu verlieren?“

Wie viele andere habe auch ich Sarfatis Worten und Fragen zugestimmt.
Doch konnte ich es mir nicht verkneifen, ihm in einem grundlegenden Punkt zu widersprechen.

Wohin ohne Spiritualität?

Sarfati glaubt, die Lösung liege darin, dass die heutige Ökonomie sich wieder den Themen der klassischen politischen Ökonomie zuwendet und sich mit der Ethik, von der sie sich entfremdet hat, erneut verbindet. Gleichzeitig aber befürwortet er die Abwendung vom theologischen Diskurs des 17. Jahrhunderts.
Die Debatte darüber, ob es eine direkte, völlig deckungsgleiche Verbindung zwischen Moral und religiösem Glauben gibt, lassen wir für den Moment ruhen – in dem Wissen, dass sie vielleicht später erneut aufgegriffen werden muss.
Auch die Frage, inwiefern eine akademische Ethik einer gesellschaftlichen Moral ähneln kann, oder die von Levinas aufgeworfene Priorität von Ethik vor Ontologie wollen wir an dieser Stelle beiseitelassen.

Ich jedoch möchte Sarfati sogleich meinen grundlegenden Einwand entgegnen:
Ohne eine religiöse Tradition, die uns immer wieder an die doppelte Natur des Menschen erinnert, kann Gier nicht überwunden werden.
Wir können aus dem Teufelskreis der Maßlosigkeit nicht ausbrechen, wenn wir nicht jene geistige Seite des Menschen verstehen und anerkennen, die über das bloße Begehren hinausgeht.

Ja, der Mensch ist wie es in der Sure Bakara (2:30) heißt blutvergießend und verderblich, und wie in der Sure Ma’aridsch (70:19), ungeduldig, gierig und unersättlich.
Doch die Natur des Menschen erschöpft sich nicht in diesen Eigenschaften. Er ist zugleich wie in der Sure Sâdsche (32:9) offenbart, ein Wesen, dem Gott von Seinem Geist eingehaucht hat, der Statthalter Gottes auf Erden (Bakara, 2:30)…

Wenn wir den Zustand unserer heutigen Welt betrachten, ist es da nicht offensichtlich, dass der bloße Verstand und eine theoretisch verbleibende Moral nicht ausreichen, um der Gier Einhalt zu gebieten?
Wäre ein religiöser Ansatz, der sich auf die Tradition stützt, im Wesen des Menschen einen moralischen Ursprung erkennt und in unserem Verlangen auch die Menschlichkeit sieht, nicht mehr eine Hilfe als ein Hindernis im Bemühen, moralische Tugenden wieder in die Ökonomie einzubringen und der neoliberalen Vorherrschaft entgegenzuwirken?

Dies ist die Linie meines Denkens – und solche Fragen treiben mich um.

Prof. Dr. Erol Göka

Prof. Dr. Erol Göka wurde 1959 in Denizli geboren. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. 1992 wurde er zum Dozenten für Psychiatrie ernannt, und 1998 übernahm er die Leitung der Psychiatrischen Klinik des Ankara Numune Ausbildungs- und Forschungskrankenhauses. Derzeit ist er für die Ausbildung und Verwaltung der Psychiatrischen Klinik der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität der Stadt Ankara verantwortlich. Er ist Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift Türkiye Günlüğü sowie vieler anderer wissenschaftlicher Zeitschriften aus den Bereichen Medizin und Geisteswissenschaften. Mit seinem Buch Türk Grup Davranışı (Türkisches Gruppenverhalten) wurde Erol Göka 2006 mit dem „Denker des Jahres“-Preis der Türkischen Schriftstellervereinigung ausgezeichnet, und 2008 erhielt er den „Ziya Gökalp Wissenschafts- und Förderpreis“ der Türkischen Gesellschaft.

Website: erolgoka.net
E-Mail: [email protected]

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.