Druzen: Eine isolierte Glaubensgemeinschaft im zersplitterten Nahen Osten
Diese geheimnisvolle religiöse Minderheit, die sich über Syrien, Libanon und Israel erstreckt, hat über lange Zeit hinweg eine sensible Balance zwischen Integration und Unabhängigkeit gefunden. Doch inzwischen befinden sich ihre Mitglieder im Zentrum verschärfter Machtkämpfe in der Region.
In der südsyrischen Provinz Suwaida forderten jüngste Gewaltakte Hunderte von Todesopfern, destabilisierten die fragile neue Regierung Syriens und zogen Israel in die Krise hinein.
Im Mittelpunkt der Krise stehen die Drusen — eine geheimnisvolle religiöse Minderheit, die sich in Syrien, Libanon und Israel eine eigenständige, fragile Identität aufgebaut hat. Während sie ihre strengen Traditionen bewahrt haben, bemühten sie sich stets, sich an die regionalen Machtverhältnisse anzupassen.
Doch das Gleichgewicht, das einst ihr Überleben sicherte, gerät jetzt ernsthaft unter Druck: Die Unruhen in Syrien und Israels zunehmend aggressive regionale Haltung machen die Gemeinschaft verwundbar gegenüber neuen Bedrohungen.
Der Drusenglaube ist abgeschottet und wird oft missverstanden. Im 11. Jahrhundert entstand er als Abspaltung vom ismailitischen Zweig des schiitischen Islams. Obwohl die Drusen historische Wurzeln im Islam haben, bezeichnen sie sich selbst nicht als Muslime. Ihr monotheistisches Glaubenssystem verbindet Elemente aus griechischer Philosophie, Hinduismus und Neuplatonismus; ihre heiligen Texte sind nur einem ausgewählten Kreis zugänglich. Diese mystische Struktur weckte sowohl Bewunderung als auch Misstrauen und führte dazu, dass einige muslimische Gelehrte sie über Jahrhunderte als „Ungläubige“ abstempelten.
Weltweit leben etwa eine Million Drusen, mehr als die Hälfte in Syrien, wo sie etwa 3 % der Bevölkerung ausmachen. Der Rest ist in Libanon, Israel und auf den von Israel in den 1960er Jahren eroberten Golanhöhen verteilt.
Traditionell schwören Drusen ihrem jeweiligen Aufenthaltsstaat Loyalität — eine Haltung, die eher auf religiösen Lehren der Pragmatik und des Selbstschutzes als auf politischen Konflikten fußt. Das führte dazu, dass Drusen in Syrien, Libanon und Israel unterschiedliche politische Wege eingeschlagen haben. Dennoch besteht unter ihnen eine starke transnationale Bindung: Verwandtschaft, geteiltes Gedächtnis und ein gegenseitiges Schutzgefühl.
„Erstaunlich ist, dass diese Gemeinschaft in einer der gewalttätigsten Regionen der Welt bis heute überleben konnte. Aber wir haben eine Philosophie – und ich glaube, genau diese Philosophie hat uns gerettet“, sagte der während des Bürgerkriegs geflohene syrische Drusen‐Romancier und Dichter Fadi Azzam.
Unter Bashar al‑Assad hielten sich die Drusen weitgehend von offenen Aufständen fern und widersetzten sich zugleich einer vollständigen Integration in das Regime. Viele dienten in der syrischen Armee, doch lokale Milizen – besonders in Suwaida, dem Zentrum der drusischen Gemeinschaft – bewahrten sich einen gewissen Grad an Unabhängigkeit zur Selbstverteidigung.
Dieses sensible Gleichgewicht wurde in den letzten Monaten von Präsident Ahmed al‑Sharas neuer Regierung herausgefordert, die versuchte, das komplexe Netzwerk nachkriegsbedingter bewaffneter Gruppen zu kontrollieren. Vor Kurzem erreichte die Lage einen kritischen Punkt: In Suwaida eskalierte ein tödlicher Konflikt zwischen Drusenkämpfern und Mitgliedern arabischer Beduinenstämme. Kurz darauf griffen Regierungstruppen zur Unterdrückung ein — und standen den drusischen Milizen gegenüber, die der neuen Verwaltung Syriens nicht trauten.
Dem in Großbritannien ansässigen Syrian Observatory for Human Rights zufolge kamen bei den Auseinandersetzungen mehr als 500 Menschen ums Leben.
Die Krise riss Israel, das den Schutz der Gemeinschaft zugesichert hatte, ungewollt in ihren Bann.
In Israel löste die Gewalt Unruhen in der kleinen, aber einflussreichen drusischen Minderheit aus. Es kam zu Protesten, Straßensperren und vereinzelt zu grenzüberschreitenden Aktionen nach Syrien. Die israelische Armee reagierte mit Luftangriffen bis in das Zentrum Damaskus – doch für viele syrische Drusen bedeuteten diese Angriffe eine tiefere Entfremdung von der neuen syrischen Regierung.
„Die Drusen befinden sich gerade buchstäblich zwischen zwei Feuern“, sagt der israelische Drusen-Historiker und Akademiker Reda Mansour von der Reichman University in Tel Aviv.
Vorläufig scheint eine fragile Waffenruhe zu bestehen. Doch der Konflikt öffnete alte Wunden und erinnerte an eine lange Geschichte der Verfolgung, die bis ins Osmanische Reich und die arabischen nationalistischen Regime des 20. Jahrhunderts zurückreicht. In den 1950er Jahren führte Präsident Adib Shishakli in Syrien eine brutale Kampagne, bei der Hunderte Drusen ums Leben kamen und Dörfer bombardiert wurden. Dieses Trauma bildet bis heute die Grundlage für die Selbstgenügsamkeitsdoktrin, welche die drusische Militanz in Syrien geprägt hat.
„Wenn man die Gesellschaften im Nahen Osten klassifizieren würde: Es gibt Landwirte und Hirten; Händler und Krieger – und die Drusen sind Krieger“, sagte Azzam. „Das gehört zu ihrem Geheimnis.“
Auch außerhalb Syriens nehmen Drusen unterschiedliche Rollen ein: In manchen Ländern beeinflussen sie Politik, in anderen leisten sie einen Loyalitätsbeitrag.
In Libanon, wo sie etwa 5 % der Bevölkerung ausmachen, agieren einflussreiche drusische Familien seit langem als Machtvermittler zwischen Christen, Sunniten und Schiiten.
In Israel und auf den von Israel kontrollierten Golanhöhen leben rund 145.000 Drusen – sie befinden sich in einer einzigartigen Position.
Im Unterschied zu anderen arabischen Minderheiten müssen drusische Männer in Israel Wehrdienst leisten, viele bekleiden militärische oder politische Führungspositionen. Trotzdem beklagen Drusen Benachteiligung und kritisieren ein Gesetz von 2018, das ihren vollen Staatsbürgerstatus einschränkt.
Ehemaliger israelischer Botschafter Mansour erklärte: „Die Formel der Drusen war immer: Leb in dem Land, in dem du lebst, aber sei die loyalste Gemeinschaft – um zu überleben.“
Dieser Ansatz hat den Drusen über Jahrhunderte hinweg gedient – doch in Suwaida offenbarte sich nun klar die Grenze dieser Strategie.
Am Donnerstag verließen viele Bewohner nach Tagen des Ausharrens ihre Häuser. Sie sahen zerstörte Schaufenster, mit Trümmern bedeckte Straßen und rauchende Panzer – eine Landschaft der Verwüstung. Hunderte Kilometer entfernt trauert Azzam um seine Tante, die bei den blutigen Ereignissen ums Leben kam, und versucht, sich Gedanken über die Zukunft zu machen.
„Ich bin nicht optimistisch, aber auch kein Pessimist“, sagte er. „Heute war ein harter Tag – und meine Gefühle sind noch frisch.“
*Euan Ward ist Korrespondent der Times für Libanon und Syrien. Er arbeitet mit Sitz in Beirut.
Quelle: https://www.nytimes.com/2025/07/18/world/middleeast/who-are-druse-syria-israel-clashes.html