Die regionale Machtambition der Türkei

Neben der bereits in Dienst gestellten TCG Anadolu baut die Türkei derzeit gemeinsam mit Spanien einen zweiten Flugzeugträger. Angesichts der maritimen Expansionsstrategie, die unter dem Begriff „Blaues Vaterland“ (Mavi Vatan) zusammengefasst wird, sind diese Entwicklungen weder für Griechenland noch für Zypern ein gutes Zeichen. Auch wenn berechtigte Zweifel darüber bestehen, auf welcher Seite die Türkei tatsächlich steht, scheint sie bereit zu sein, die Sicherheit Europas über politische Prinzipien zu stellen.
Juli 17, 2025
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Europas Sicherheitsinteressen und die Machtvakuums im Nahen Osten eröffnen Ankara größere Handlungsspielräume. Präsident Erdoğan scheint entschlossen, diese Chancen zu nutzen.

Im Kontext wachsender interner Repression sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Anfang dieses Monats in einer Rede:
„Unser Ziel ist die große und starke Türkei. Unsere Mission ist der Aufbau des Türkei-Zeitalters in seiner vollen Pracht. Unser Kompass sind unsere uralten Werte, die uns zu dem machen, was wir sind.“

Diese Äußerungen stellten eine offene Herausforderung an andere mächtige Akteure im Nahen Osten, die ebenfalls regional hegemoniale Ambitionen verfolgen – nämlich Israel, Iran und Saudi-Arabien.

Doch dieser machtpolitische Ansatz geht weit in die Vergangenheit zurück. Erdoğans antisemitische Tendenzen zeigten sich bereits in seiner Jugend, als er Vorsitzender der Jugendorganisation der islamistischen Milli Selamet Partisi (MSP) unter Führung von Necmettin Erbakan war – einem Pionier des politischen Islams in der Türkei. In jener Zeit war Erdoğan Autor, Regisseur und Darsteller des Stücks „Mas-Kom-Yah“ (Freimaurer‑Kommunist‑Jude).

Erdoğans Unterstützung für die Hamas reicht zurück bis 2006, als er den damaligen Führer des Hamas-Komitees, Khaled Mashal, offiziell nach Ankara einlud. Erdoğan bezeichnete Hamas nicht als Terrororganisation, sondern als „Befreiungsbewegung und kämpfende Gruppe, die ihr Land und ihr Volk verteidigt“.

Während der Gezi‑Park‑Proteste 2013 beschuldigte Erdoğan den sogenannten „Zinssatz‑Lobbi“ als Hauptverantwortlichen. Ein türkisches Gericht verurteilte daraufhin den Aktivisten Osman Kavala – Gründungsmitglied der in Ungarn‑stämmigen George‑Soros‑gegründeten Stiftung Open Society Foundations – wegen angeblicher Beteiligung zu lebenslanger Haft.

2015 war Erdoğan Teil einer zweistündigen TV-Show mit dem Titel „Der große Strippenzieher“ („The Mastermind“), in der behauptet wurde, ein israelisch-stämmiger Mentor plane eine Weltherrschaft.

Im Jahr 2020 veröffentlichte die türkische Kommunikationsbehörde einen vierminütigen Clip namens „Kızıl Elma“ (Roter Apfel), in dem Erdoğan Verse aus der Eröffnungs-Sure der Eroberung (Sure al-Fetih) rezitierte. Das Video endete mit Bildern von al-Aqsa in Jerusalem – die er als Orte darstellte, die er von Israel „befreien“ wolle.

Ende März 2025 sprach Erdoğan während der Ramadan-Feiertage im Çamlıca‑Moschee‑Komplex in Istanbul – der größten Moschee der Türkei – und rief:
„Möge Allah das zionistische Israel vernichten!“

Laut dem Verteidigungsanalysten Paul Iddon baute Erdoğan die Türkei massiv auf, während der Zwölf-Tage-Krieg zwischen Israel und Iran noch andauerte.

Aslı Aydıntaşbaş, Direktorin des Turkey Project beim Brookings-Institut, warnt, dass Erdoğan die sunnistische islamistische und nationalistische Rhetorik verschärfe, während Israel versuche, in Libanon, Gaza und Syrien militärische Dominanz zu erlangen – womit die Wahrscheinlichkeit eines direkten Konflikts zwischen der Türkei und Israel steige.

Die US-Einflussnahme in der Region ist durch den Rückzug aus dem JCPOA (Nuklearabkommen mit Iran) und durch die im Juni erfolgten Angriffe auf iranische Anlagen geschwächt worden. Zudem bleibt unklar, wie weit die USA bereit sind, ihre Unterstützung für ihre kurdischen Partner in Nordsyrien aufrechtzuerhalten.

Vor sechs Jahren sagte Erdoğan an einer Militärakademie in Ankara: „Wenn ihr nicht über ausreichende militärische, politische und wirtschaftliche Stärke verfügt, wird euch niemand ernst nehmen.“ Heute untermauern die wachsenden Rüstungsaktivitäten der Türkei diese These.

Der Global Fire Power‑Index 2025 listet die Türkei unter den Top 10–Militärmächten der Welt auf Platz 9, während die Financial Times in einem Militärbriefing die Türkei als „existentiell wichtig für Europas Sicherheit“ beschrieb.

Ankara nutzte diese Position und drängt auf zwei bedeutende Verteidigungsabkommen: die Co-Produktion des französisch-italienischen SAMP/T bodengestützten Luftabwehrsystems mit Frankreich und Deutschland sowie den Kauf von Eurofighter‑Typhoon‑Kampfflugzeugen.

Um die erste Vereinbarung durchzusetzen, versucht Erdoğan, Widerstände von Präsident Macron hinsichtlich der ostmediterranen Spannungen mit Griechenland und Zypern zu überwinden.

Deutschland hat seine Bedenken gegenüber dem Eurofighter-Vertrag scheinbar abgelegt. Gleichzeitig signalisiert das post‑Brexit-Vereinigte Königreich seine Bereitschaft, die Verhandlungen strategisch zu unterstützen. Ein von Premier Starmer vorgeschlagenes „Koalitions-Friedenskraft“-Programm für die Ukraine lief allerdings ins Leere. Im Gegensatz dazu erklärte Außenminister Hakan Fidan ausdrücklich den Willen der Türkei, sich in Europas Sicherheitsarchitektur zu integrieren.

Im März präsentierte die EU ihr „Readiness 2030“‑Programm (ehemals ReArm Europe), mit dem zusätzliche 650 Mrd. € Verteidigungsausgaben sowie ein 150‑Mrd.‑€‑Kreditinstrument („SAFE“) eingeführt werden sollen. Letzteres erlaubt auch Drittstaaten wie der Türkei, an gemeinsamen Rüstungsbeschaffungen teilzunehmen. Angesichts eines schnell wachsenden Verteidigungssektors bietet sich hier der Türkei eine strategische Chance.

Dafür sind jedoch zwei Hauptbedingungen erfüllt sein müssen: Erstens darf kein teilnehmender Staat die Interessen der EU oder ihrer Mitgliedsländer gefährden, zweitens ist eine Einstimmigkeit aller EU-Länder erforderlich.

Griechenland besteht darauf, dass die Türkei ihre „Drohung, Griechenland den Krieg zu erklären“, zurückzieht, bevor sie zustimmt. Der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler wies diese Befürchtungen zurück und bezeichnete sie als „bilaterale Angelegenheiten, die nicht auf multilaterale Plattformen gehören“.

Trotz CAATSA-Sanktionen beabsichtigt die Türkei, 40 F‑16-Kampfjets aus den USA zu erwerben, und hofft, wieder in das F‑35-Programm aufgenommen zu werden. US-Botschafter Tom Barrack erklärte, bis Jahresende könne es dazu kommen.

Neben der bereits im Einsatz befindlichen TCG Anadolu baut die Türkei gemeinsam mit Spanien einen zweiten Flugzeugträger. Im Rahmen der umfassenden maritimen Strategie „Blaues Vaterland“ ist das ein Signal, das weder Griechenland noch Zypern als positiv bewerten können.

Auch wenn berechtigte Zweifel darüber bestehen, auf welcher Seite die Türkei letztlich steht, scheint sie bereit zu sein, die Sicherheit Europas über Prinzipien zu stellen.

*Robert Ellis ist Analyst und Kommentator zu Türkei-Themen sowie internationaler Berater am RIEAS Institut in Athen. Er schreibt regelmäßig in dänischen und internationalen Medien. Zuvor war er Berater der EU‑Parlamentsgruppe Türkei und Senior Fellow beim Gatestone‑Institut in New York.

Quelle: https://nationalinterest.org/blog/middle-east-watch/turkeys-regional-power-push