BBC-Mitarbeiter: Wir werden gezwungen, pro-israelische PR zu betreiben

Ein erschütternder Brief, der von über 100 BBC-Journalistinnen und -Journalisten unterzeichnet wurde, wirft Licht auf einen der größten Skandale unserer Zeit. Dies ist der größte Skandal des westlichen Journalismus unserer Epoche. Die Nachrichtenmacher der BBC haben gesprochen. Andere Journalistinnen und Journalisten, insbesondere aus dem Westen, sollten es ihnen gleichtun.
Juli 15, 2025
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Ein erschütternder Vorstoß: Mehr als hundert BBC-Mitarbeiter haben Generaldirektor Tim Davie einen Brief geschrieben und darin erklärt, dass die Anstalt sich in ein Sprachrohr Israels verwandelt habe.

Weitere 300 Journalistinnen, Journalisten und Medienschaffende haben den Brief ebenfalls unterzeichnet – darunter auch ich. Wie zu erwarten war, bleiben alle BBC-Mitarbeitenden anonym, da sie andernfalls mit schweren beruflichen Konsequenzen rechnen müssten.

Im Brief heißt es:

„Wir schreiben, um unsere Besorgnis über unklare redaktionelle Entscheidungen und Zensur in Bezug auf die Berichterstattung der BBC über Israel/Palästina zum Ausdruck zu bringen. Wir sind der Überzeugung, dass die Ablehnung der Ausstrahlung der Dokumentation Gaza: Health Workers Under Fire nur eine von vielen entscheidungen war, die auf einer politisch motivierten Agenda beruhen. Dies zeigt erneut, dass die BBC in Bezug auf Israel nicht ‚furchtlos oder unparteiisch‘ berichtet.“

Weiter heißt es: Die Entscheidung des BBC-Managements, die Veröffentlichung der Recherche zu verweigern – obwohl der Inhalt den BBC-Richtlinien und der Sendepolitik entspreche – „wirkt wie eine politische Entscheidung“. Das Verhalten der BBC zeige, dass die Institution „lähmt vor der Angst, als Kritikerin der israelischen Regierung wahrgenommen zu werden“.

Es handelt sich um eine Dokumentation, die alle internen Kontrollinstanzen der BBC erfolgreich durchlaufen hatte. Es wurde kein einziger faktischer Fehler geltend gemacht. Die einzige BBC-Dokumentation, die sich offen mit der apokalyptischen Lage der Menschen in Gaza beschäftigte, wurde infolge einer hysterischen, israelfreundlichen Kampagne zurückgezogen – nur weil der Vater des erzählenden Kindes ein niedrigrangiger Technokrat innerhalb der Hamas-Verwaltung war. Da die Aussagen des Kindes von den Filmemachern verfasst wurden, ist dieses Detail in Wirklichkeit irrelevant.

Die Unterzeichnenden betonen im Brief ausdrücklich, dass sie nicht fordern, dass die BBC Position bezieht – sondern lediglich, dass BBC-Journalistinnen und -Journalisten in die Lage versetzt werden, „die Fakten transparent und im notwendigen Kontext zu präsentieren“. Dabei wird auf ein eklatantes Versagen hingewiesen:

„Als Institution haben wir es versäumt, eine bedeutende Analyse zur Rolle der britischen Regierung im Krieg gegen die Palästinenser zu liefern. Wir haben es versäumt, über Waffenverkäufe oder deren rechtliche Auswirkungen zu berichten. Stattdessen wurden diese Geschichten von konkurrierenden Medien veröffentlicht.“

Dies ist nur eines von mehreren aufsehenerregenden Versäumnissen einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die eigentlich der Aufgabe verpflichtet ist, die britische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen – und dies eindeutig nicht geschafft hat.

Und es handelt sich dabei um eine schwerwiegende Behauptung. Im Brief heißt es:

„Dies geschah nicht zufällig, sondern mit Absicht. Der Großteil der BBC-Berichterstattung in diesem Bereich ist geprägt von antipalästinensischem Rassismus.“

Genau darum geht es. Die BBC hat nicht einmal angedeutet, dass das Leben eines Palästinensers auch nur annähernd denselben Wert hat wie das eines Israelis. Gegen Ende des vergangenen Jahres habe ich im Auftrag von Drop Site News BBC-Nachrichten im Detail analysiert – gemeinsam mit Datenjournalist:innen, die anhand unbestreitbarer Statistiken zeigten, dass genau das der Fall ist.

Der Brief wirft auch ein kritisches Licht auf eine zentrale Figur:

„Die inkonsistente Anwendung der Richtlinien wirft Fragen zur Rolle von Sir Robbie Gibb auf, der im Vorstand der BBC und im BBC-Ausschuss für Rundfunkstandards sitzt. Wir sind besorgt darüber, dass eine Person, die enge Verbindungen zur Zeitung The Jewish Chronicle unterhält – einem Medium, das wiederholt antipalästinensische und häufig rassistische Inhalte veröffentlicht hat – in irgendeiner Weise an redaktionellen Entscheidungen der BBC beteiligt ist, einschließlich der Entscheidung, die Dokumentation Gaza: Health Workers Under Fire nicht auszustrahlen.“

Sir Robbie Gibb ist ein bemerkenswertes Beispiel. Als Bruder eines Ministers der Konservativen Partei trat Gibb nach dem Studium als politischer Analyst bei der BBC ein, wurde später persönlicher Sekretär des konservativen Schattenfinanzministers Francis Maude und kehrte anschließend zur BBC zurück – als stellvertretender Redakteur des Flaggschiff-Politikformats Newsnight. Danach wurde er Redakteur von BBC-Politiksendungen wie Daily Politics, wo er eng mit dem Hauptmoderator Andrew Neil zusammenarbeitete – der damalige Vorsitzende des rechtsextremen Magazins The Spectator.

Im Jahr 2017 wurde er unter Premierministerin Theresa May Kommunikationsdirektor der Konservativen Partei. Später trat er dem BBC-Verwaltungsrat bei.

Dass sich die Tür zwischen der Konservativen Partei und der BBC so schnell dreht, kann einem schwindelig machen.

Die ehemalige Newsnight-Moderatorin Emily Maitlis bezeichnete Gibb als „aktiven Agenten der Konservativen Partei“ und erklärte, dass er Einfluss auf den redaktionellen Inhalt der BBC habe – er verhalte sich wie ein „Schiedsrichter der BBC-Unparteilichkeit“.

Im Jahr 2020 versuchte Gibb, gemeinsam mit einem Konsortium die Zeitung The Jewish Chronicle zu kaufen – eine Zeitung, die, wie im Brief erwähnt, regelmäßig antipalästinensische und zutiefst rassistische Inhalte veröffentlicht. Statt sich für eine faire mediale Repräsentation der jüdischen Gemeinschaft im Vereinigten Königreich einzusetzen, agierte Gibb als glühender Unterstützer des israelischen Staates.

Dass eine solche Person bei der BBC so viel Macht und Einfluss hat, ist wirklich bemerkenswert. Kann man sich vorstellen, dass jemand mit Verbindungen zur politischen Linken und Pro-Palästina-Haltung eine ähnliche Position bekäme? Wahrscheinlicher ist es, dass der Mond sich in einen riesigen Panda namens Flibble verwandelt.

Wie im Brief ausgeführt wird:

Dieser Interessenkonflikt offenbart die Doppelmoral gegenüber BBC-Inhaltsproduzent:innen, die im Namen der „Unparteilichkeit“ zensiert wurden. In manchen Fällen wurde Mitarbeitenden vorgeworfen, eine Agenda zu verfolgen, nur weil sie auf Social Media Nachrichten teilten, die die israelische Regierung kritisierten. Gleichzeitig bleibt Gibb, trotz seiner offen bekannten ideologischen Haltung, in einer einflussreichen Position mit kaum nachvollziehbaren Entscheidungen.

Wir können die Gebührenzahler nicht länger bitten, Gibbs ideologische Loyalitäten zu ignorieren.

Im Schreiben heißt es weiter, die Berichterstattung der BBC über Israel und Palästina „verfehle unsere eigenen redaktionellen Standards“ und es bestehe eine „eklatante Diskrepanz zwischen dem, was die BBC über Gaza und das Westjordanland berichtet, und dem, was unser Publikum aus zahlreichen glaubwürdigen Quellen wie Menschenrechtsorganisationen, UN-Mitarbeitenden oder Journalisten vor Ort erfährt.“

Deshalb wird im Brief auch folgende brisante Behauptung aufgestellt:

„Es entsteht der Eindruck, dass die BBC oftmals als PR-Instrument für die israelische Regierung und das Militär fungiert.“

Es ist bemerkenswert, dass über einhundert Journalist:innen, die ihr Berufsleben der BBC gewidmet haben, sich hinter diese Aussage stellen.

„Wir mussten zu dem Schluss kommen, dass Entscheidungen nicht im Dienste der Informationsbedürfnisse unseres Publikums getroffen wurden, sondern zur Anpassung an politische Agenden“, heißt es weiter.

Die Unterzeichnenden äußern zudem ihre tiefe Besorgnis darüber, dass die Berichterstattung der BBC in diesem Bereich weit hinter den Erwartungen ihrer Zuschauer:innen zurückbleibt. Und sie fügen hinzu:

„Wir halten die Rolle von Robbie Gibb sowohl im Verwaltungsrat als auch im Redaktionellen Standardkomitee für unhaltbar. Wir fordern die BBC auf, sich neu auf journalistische Werte wie Unparteilichkeit, Integrität und furchtlose Berichterstattung ohne Voreingenommenheit zu besinnen – im Interesse unseres Publikums.“

Zu den Unterzeichnenden gehören neben BBC-Mitarbeitenden auch prominente Schauspieler:innen wie Juliet Stevenson, Khalid Abdalla, Zawe Ashton und Miriam Margolyes.

Inzwischen kommen auch aus dem Inneren der BBC erschütternde Stimmen. Eine:r der Mitarbeitenden sagt:

„Es ist offensichtlich, dass starke Gefühle gegen Gibb innerhalb der BBC existieren.“

In den Gängen des New Broadcasting House tauschen sich Kolleg:innen über die irrationalen Entscheidungen der Leitung und die Rolle aus, die Gibb darin spielt.

„Wir fühlen uns, als hätten wir eine missbräuchliche Beziehung zur BBC – als würden wir getäuscht, kontrolliert und zum Schweigen gebracht.“

„Wir sind erschöpft – von der Doppelmoral und der Außerkraftsetzung redaktioneller Standards. Für viele Mitarbeitende hat dies das Gerechtigkeitsempfinden vollständig zerstört.“

„Wir trösten uns gegenseitig mit der Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Solange Gibb im Amt ist, glauben wir nicht, dass die BBC ihrem Anspruch auf Gerechtigkeit und Unparteilichkeit gerecht werden kann.“

Eine andere BBC-Mitarbeiter:in sagt:

„Seit über einem Jahr erkennen wir, dass die Nachrichteninhalte der BBC nicht mit der Realität übereinstimmen. Unser Publikum wird praktisch aufgefordert, nicht den eigenen Augen und Ohren zu trauen.“

„Jeder mit einem Smartphone hat die Bilder aus Gaza und dem Westjordanland gesehen, und doch hat sich BBC News in der Idee von ‚Komplexität‘ hoffnungslos verstrickt.“

„Warum gelingt es uns nicht, die Wahrheit offen auszusprechen, wenn es um Palästina geht – während wir im Fall von Russland und der Ukraine eine klare Haltung einnehmen konnten? Robbie Gibb ist zumindest ein Teil der Antwort.“

„Wir haben diese Sorgen immer wieder geäußert – aber niemand hat uns zugehört. Jetzt erheben wir unsere Stimme, weil wir der Öffentlichkeit besser dienen müssen.“

Und das ist genau der Punkt – ein weiteres Beispiel für einen der größten Skandale des westlichen Journalismus unserer Zeit.

Was BBC und andere Institutionen tun, ist Folgendes: Sie löschen oder verstecken bewusst die völkermörderischen und verbrecherischen Aussagen israelischer Führer – oder weigern sich schlicht, deren kriminellen Charakter zu benennen. Dabei sind diese Aussagen der klarste Hinweis auf Israels zukünftige Handlungen – und doch täuscht die BBC ihr Publikum gezielt über die wahren Absichten der israelischen Regierung. Diese Aussagen werden behandelt, als kämen sie aus einem Paralleluniversum, während man sich auf irreführende Aussagen israelischer Beamter konzentriert, die gezielt an ein westliches Publikum gerichtet sind.

Die BBC hat ihre Berichterstattung wiederholt um die Lügen und Behauptungen des israelischen Staates herum konstruiert. Trotz erdrückender Beweise dafür, dass Israel immer wieder lügt und unter der Sonne nahezu jedes Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, behandelt die BBC diese Aussagen als glaubwürdig.

Palästinensische Stimmen wurden deutlich seltener berücksichtigt – und wenn doch, wurden sie behandelt, als säßen sie auf der Anklagebank, im Gegensatz zu israelfreundlichen Stimmen, denen oft freier und wohlwollender Raum geboten wurde.

Gräueltaten und Kriegsverbrechen wurden ignoriert oder verharmlost. Enthüllungen über solche Verbrechen wurden entweder gar nicht oder nur sehr begrenzt berichtet.

Das Leben von Palästinenser:innen wird systematisch als weniger wertvoll dargestellt als das von Israelis. Begriffe wie „Massaker“ bleiben meist israelischen Opfern vorbehalten, während mitfühlende und menschliche Sprache überproportional für Israelis und kaum für Palästinenser:innen verwendet wird.

Standardformulierungen wie „Das Gesundheitsministerium steht unter Kontrolle der Hamas“ sollen das Vertrauen in die gemeldeten Opferzahlen aus Gaza untergraben, während zugleich entscheidende Fakten wie der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister kaum oder gar nicht erwähnt werden.

Die Tatsache, dass sich selbst unter israelischen Völkermord-Expert:innen ein Konsens gebildet hat, dass Israel einen Genozid begeht, wurde verschwiegen – indem man die Stimmen dieser Wissenschaftler:innen ganz einfach ausblendete.

Diese Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.

Dies ist der größte Skandal des westlichen Journalismus unserer Zeit. Die Nachrichtenschaffenden der BBC haben gesprochen. Andere Journalist:innen – insbesondere im Westen – sollten ihrem Beispiel folgen.

*Owen Jones ist ein britischer Kolumnist, Kommentator, Journalist, Autor und politischer Aktivist.

Quelle: https://www.owenjones.news/p/bbc-staff-were-forced-to-do-pro-israel