USA-China: Was liegt in London wirklich auf dem Tisch?

Das, was London diese Woche präsentiert hat, ist nicht nur eine Zusammenfassung politischer Positionen, sondern auch ein Ausdruck des politischen Willens. Können die beiden größten Volkswirtschaften der Welt innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen koexistieren, oder steuern wir auf eine vollständig bipolare Wirtschaftsordnung zu?
Juni 12, 2025
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Vergessen Sie Technologieverbote und den Export seltener Erden – bei den Handelsgesprächen in London geht es darum, wer die Regeln der globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts schreiben wird.

In London findet diese Woche ein hochriskantes Kräftemessen statt – weit entfernt von den Produktionsstätten in Shenzhen oder den Handelsräumen der Wall Street, aber im Zentrum der globalen Wirtschaftsordnung.

Hochrangige Vertreter der USA und Chinas führen heute (Dienstag) die zweite Gesprächsrunde, um den bedeutendsten wirtschaftlichen Wettbewerb unserer Zeit zu entschärfen.

Nach dem ersten Tag der Gespräche am Montag erklärte US-Präsident Donald Trump: „Unsere Gespräche mit China laufen gut. China ist kein einfaches Land … aber ich erhalte ausschließlich positive Berichte.“ Während China eine Lockerung der US-Technologiekontrollen fordert, verlangt Washington eine Reduzierung der chinesischen Exportbeschränkungen für seltene Erden.

Doch für Investoren – von Singapur bis ins Silicon Valley – geht es bei diesen Gesprächen nicht nur um Zölle. Es geht im Kern darum, wer die Spielregeln der globalen Wirtschaft im 21. Jahrhundert festlegen wird.

Beide Seiten versuchen, den im vergangenen Monat geschlossenen Genfer Rahmen wiederzubeleben – ein Abkommen, das die US-Zölle auf chinesische Waren von 145 % auf 30 % und die chinesischen Zölle auf US-Produkte von 125 % auf 10 % senkte und damit zumindest vorübergehend die angespannte Lage des Zollkriegs entschärfte.

Doch dieses Abkommen war eher ein Waffenstillstand als ein Friedensvertrag. Seitdem beschuldigen sich beide Seiten erneut gegenseitig der Nichteinhaltung.

Washington wirft Peking vor, beim Export kritischer Rohstoffe auf der Bremse zu stehen. Peking hingegen beklagt, dass die USA ihre Technologieeinschränkungen, insbesondere im Bereich Halbleiter und Künstliche Intelligenz, weiter verschärfen.

Diese Gespräche in London sind bedeutsam, weil das Risiko nie größer war. China und die USA sind längst nicht mehr nur konkurrierende Mächte – sie agieren als grundverschiedene Systeme, die versuchen, die globale Wirtschaftsarchitektur jeweils nach ihrem eigenen Modell zu formen.

Es ist ein umfassender Wettbewerb, der von Datenflüssen über digitale Währungen und Energiepolitik bis hin zu nationaler Sicherheit und Ideologie reicht. Wer das als Investor ignoriert, macht einen schwerwiegenden Fehler.

Um die Tragweite der Verhandlungen in dieser Woche zu verstehen, reicht ein Blick auf Zolltabellen nicht aus – man muss die breiteren Trends im Auge behalten.

Unter der Regierung von Trump verdoppeln die USA ihren strategischen Protektionismus. Die im April wieder in Kraft gesetzten umfassenden „Unabhängigkeitstag“-Zölle waren kein isolierter Schritt, sondern die nächste Phase eines umfassenderen Vorhabens, die Offenheit der US-Wirtschaft gegenüber dem Ausland grundlegend neu zu gestalten.

China hingegen reagiert unter der Führung von Staatspräsident Xi Jinping mit einer Beschleunigung seiner Selbstversorgungsinitiativen, der Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes sowie mit verschärften Kontrollen über Kapitalflüsse und ausländische Technologien.

Die beiden Wirtschaftsgiganten steuern rasch auf ein entkoppeltes System mit parallelen Lieferketten, konkurrierenden Standards, rivalisierenden digitalen Währungen und sich gegenseitig ausschließenden Regeln für Künstliche Intelligenz zu. Das alte Modell der Globalisierung, das auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhte, löst sich vor unseren Augen auf.

Aus Marktsicht bringt diese Fragmentierung zwar Volatilität mit sich, eröffnet jedoch gleichzeitig außergewöhnliche Chancen. Strategische Sektoren werden neu bewertet – und das mit zunehmender Geschwindigkeit.

Verteidigungstechnologien, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Halbleiterproduktion und seltene Erden sind zu Stellvertreterfeldern in diesem ökonomischen Machtkampf geworden.

Jüngste Kapitalströme spiegeln diese Entwicklung deutlich wider: US-amerikanische und europäische Investoren steigern ihre Investitionen in die heimische Chipproduktion, während China massive öffentliche Mittel bereitstellt, um seine eigenen Technologie-Champions zu unterstützen und die Industriepolitik in eine strategische Waffe zu verwandeln.

Erst letzte Woche kündigte das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie eine neue Investitionsinitiative im Umfang von 500 Milliarden Yuan (etwa 69 Milliarden US-Dollar) an – mit einem Fokus auf Dual-Use-Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.

Gleichzeitig hat das US-Handelsministerium seine Exportbeschränkungen ausgeweitet – unter anderem auf Komponenten für Quantencomputing und Trainingsdatensätze für Künstliche Intelligenz. Die Botschaft beider Seiten ist klar: Technologische Überlegenheit von morgen ist heute eine Frage der nationalen Sicherheit.

Die Gespräche in London sind vor diesem Hintergrund eine Bühne, auf der entweder die Zukunft verhandelt wird – oder eben nicht. Die Treffen, bei denen US-Finanzminister Scott Bessent, Handelsminister Howard Lutnick und Handelsbeauftragter Jamieson Greer auf Chinas Vizepremier He Lifeng treffen, stellen die ranghöchsten Gespräche seit dem Neustartprozess in Genf dar.

Beide Hauptstädte wissen, was auf dem Spiel steht – und keine von ihnen will den Eindruck erwecken, zurückzuweichen.

Investoren befinden sich in einem merkwürdigen Dilemma: Sie sind den Risiken der Fragmentierung ausgesetzt, befinden sich aber gleichzeitig in einer Position, von dem Wettlauf um die Vorherrschaft in der Wirtschaft der Zukunft zu profitieren. Genau deshalb werden die Gespräche in London sowohl in Unternehmensvorständen als auch in diplomatischen Kreisen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Sollten die Gespräche die Genfer Linie aufrechterhalten können, könnte dies die Marktstimmung stabilisieren und grenzüberschreitenden Transaktionen, die durch politische Unsicherheit gelähmt sind, neues Leben einhauchen.

Ein Scheitern hingegen – und die derzeitigen Signale deuten auf grundlegende Diskrepanzen in Vertrauen und Erwartungen hin – würde den Entkopplungsprozess beschleunigen. Lieferketten würden sich schneller verlagern, Kapital würde in großem Umfang neu zugewiesen und bei kritischen Vorprodukten wie Halbleitern und seltenen Erden würden die Inflationsrisiken erneut steigen.

Investoren werden künftig in einer Art dualem Portfolio-Denken agieren müssen: Ein Portfolio optimiert für den westlichen Block, das andere strukturiert nach dem Einflussbereich Chinas.

Doch es gibt eine noch tiefere Erkenntnis, die nicht übersehen werden darf: Der gegenwärtige Wettbewerb dreht sich nicht nur um BIP-Zahlen oder technologische Führerschaft – es ist ein Konflikt zweier wirtschaftlicher Visionen, die um ihre Legitimität ringen.

Die eine Vision basiert auf dem demokratischen Kapitalismus, der nach Jahrzehnten der Liberalisierung wieder mehr Kontrolle über Handel und Industriepolitik zurückerlangt. Die andere auf einem zentralistisch organisierten, staatlich gelenkten Modell, das Ordnung, Tempo und Resilienz verspricht. Es handelt sich hierbei nicht um eine Neuauflage des Kalten Krieges, sondern um etwas Neueres, Flüssigeres – und womöglich viel Langlebigeres.

Deshalb ist es verkürzt, diese Gespräche lediglich als Zollverhandlungen zu betrachten. Es geht um Systemdesign: Jede Diskussion über Chips, Daten oder kritische Rohstoffe ist im Kern eine Auseinandersetzung darüber, wer in den kommenden Jahrzehnten wirtschaftliche Macht definieren wird.

Einige Investoren haben bereits begonnen, sich auf diese Realität einzustellen. Staatsfonds ziehen sich aus passiven Indexanlagen zurück und lenken ihr Kapital in strategische Sektoren. Risikokapitalinvestitionen verlaufen zunehmend entlang ideologischer Linien.

Private-Equity-Fonds wiederum ziehen sich aus grenzüberschreitenden Deals in politisch sensiblen Branchen zurück. Smartes Kapital erkennt: Das hier ist kein vorübergehender Zyklus – es ist ein makroökonomischer Megatrend.

Was London diese Woche präsentiert, ist nicht nur eine Zusammenfassung politischer Positionen, sondern auch ein Ausdruck politischen Willens. Können die beiden größten Volkswirtschaften der Welt innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen koexistieren – oder bewegen wir uns auf eine vollständig bipolare Wirtschaftsordnung zu?

Märkte haben schon immer Risiken eingepreist. Doch hier geht es um etwas Grundlegenderes: Wir erleben eine Zeit, in der konkurrierende Weltanschauungen bepreist werden. Und die Gespräche in London markieren den Beginn des nächsten Kapitels dieser neuen Ära.

Quelle: https://asiatimes.com/2025/06/us-china-whats-really-at-stake-in-london/#