Symbol des globalen Widerstands: Warum Israel vor der Gaza-Flottille fürchtet

So sehr der eigentliche Grund für das Scheitern von Israels Strategie in der Sumud (Standhaftigkeit) und dem Widerstand des palästinensischen Volkes liegt, darf die entscheidende Rolle der internationalen Solidarität keinesfalls unterschätzt werden. Die Freiheitsflottillen sind keine isolierten Aktionen, die lediglich daran gemessen werden, ob sie Gaza erreichen oder nicht. Im Gegenteil: Sie sind ein unverzichtbarer Teil eines größeren, komplexen globalen Prozesses, der Israels tiefe Isolation auf der internationalen Bühne vorantreibt – und dieser Prozess hat bereits beachtliche Erfolge erzielt.
September 13, 2025
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Um die tiefe und erschütternde Bedeutung der Solidaritätsflottillen, die nach Gaza aufbrechen, vollständig zu begreifen, genügt es, einen Blick auf die Handlungen und Rhetorik der israelischen Regierung zu werfen. Als die jüngste und vielleicht wichtigste dieser Initiativen – die Globale Solidaritätsflottille – in See stach, verschärfte sich die aggressive Rhetorik Israels deutlich, am schärfsten formuliert vom Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir.

Der rechtsextreme Minister erklärte offen, dass alle Freiwilligen an Bord der Flottille „Terroristen“ seien und dementsprechend behandelt würden. Um die erschreckende Tragweite dieser Stigmatisierung gewaltfreier Aktivist:innen als Terroristen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf eine kürzlich von der Zeitung The Guardian veröffentlichte Untersuchung. Demnach wurden in den ersten 19 Monaten des Genozids alle 6.000 in Gaza inhaftierten Palästinenser:innen auf Grundlage eines Gesetzes festgehalten, das sie als „illegale Kombattanten“ – also faktisch als Terroristen – einstuft und unbegrenzte Haft ohne Anklage ermöglicht.

Die Untersuchung zeigt, dass die große Mehrheit der von Israel Inhaftierten in Wahrheit Zivilisten sind – darunter Ärzt:innen, Lehrer:innen, Journalist:innen, Beamte und Kinder. Dass Israel dieselbe repressive Einstufung nun auch auf internationale Aktivist:innen anwendet, die erklärtermaßen die Blockade von Gaza durchbrechen wollen, macht die enorme politische und strategische Bedeutung dieser Missionen für Israel unübersehbar.

Die Angst Israels vor der Beteiligung der Zivilgesellschaft an seinem militärischen Besatzungs- und Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk ist keineswegs neu. Der andauernde Genozid hat vielmehr offengelegt, dass das internationale Recht und die globalen politischen Systeme vollständig versagt haben – und dass die Rolle der Zivilgesellschaft entsprechend rasant gewachsen ist.

Als 2008 das erste Solidaritätsschiff der Free-Gaza-Bewegung den Gazastreifen erreichte, reagierte Israel mit offener Wut. Die Aktivist:innen fungierten als unverzichtbare Botschafter:innen, die ihre Gesellschaften über die israelische Blockade informierten. Als 2010 die Gaza-Freiheitsflottille – darunter die MV Mavi Marmara – den Versuch unternahm, die Blockade zu durchbrechen, fiel Israels Reaktion tödlich aus: Israelische Kommandos töteten zehn Aktivisten und sendeten damit ein unmissverständliches Signal, dass es nicht einmal den Eingriff angesehener westlicher Hilfsorganisationen in seinen Krieg gegen die Palästinenser dulden würde.

Seitdem ist es zur gängigen Praxis Israels geworden, Aktivist:innen zu kriminalisieren und sie entsprechend zu behandeln. Diese Haltung wird zusätzlich dadurch verfestigt, dass bis heute kein israelischer Verantwortlicher für massive Gewalt gegen Zivilisten zur Rechenschaft gezogen wurde. Dennoch ließ sich die Solidaritätsbewegung nicht abschrecken und startete 2011, 2015 und 2018 erneut Versuche, die Blockade zu brechen. Dass diese Missionen seltener wurden, lag nicht an Desinteresse, sondern daran, dass einige europäische Staaten in enger Koordination mit Israel alles unternahmen, um die Ausfahrten der Aktivist:innen zu verhindern.

Mit dem fortgesetzten Genozid hat sich diese Dynamik jedoch grundlegend verändert. Die Solidarität mit den Palästinenser:innen in Gaza ist rasant gewachsen und hat in vielen europäischen Gesellschaften breite Unterstützung gefunden. Dieser Aufschwung hat schließlich auch einige Regierungen – darunter Spanien – auf den Plan gerufen. Die jüngste Globale Solidaritätsflottille ist von Spanien aus gestartet. Weitere Schiffe werden sich der Flotte auf ihrer Route anschließen. Sie transportieren dringend benötigte humanitäre Hilfsgüter nach Gaza – in vollem Bewusstsein, dass die Wahrscheinlichkeit, abgefangen und beschlagnahmt zu werden, weitaus größer ist als die Chance, die belagerte Küste zu erreichen.

Diese bittere Realität hat sich durch jüngste Ereignisse noch deutlicher gezeigt: Die Conscience-Flottille wurde im Mai vor Malta von Drohnen angegriffen, die Schiffe Madleen und Handala wurden im Juni und Juli beschlagnahmt. Kurz vor der Beschlagnahme von Madleen diffamierte Israels Verteidigungsminister Israel Katz die weltweit bekannte Klima- und Menschenrechtsaktivistin Greta Thunberg als „antisemitisch“ und drohte: „Ihr solltet lieber umkehren … denn ihr werdet Gaza nicht erreichen. Israel wird jede Aktion, die darauf abzielt, die Blockade zu brechen oder Terrororganisationen zu unterstützen, stoppen.“

Diese Wut spiegelt die Kontinuität der jahrelangen aggressiven Sprache und Gewaltakte der israelischen Regierungen gegen alle, die sich der Gaza-Blockade widersetzen. Doch warum so viel Zorn? Offensichtlich haben diese kleinen, oft unterfinanzierten Missionen weder die Macht, die Blockade tatsächlich zu beenden, noch die zwei Millionen Menschen in Gaza, die gleichzeitig Genozid und Hungersnot ausgesetzt sind, ausreichend zu versorgen.

Israel weiß jedoch sehr genau, dass zivilgesellschaftliche Aktionen in der Palästina-Frage äußerst wirksam sein können. Tatsächlich stammt der Großteil der weltweiten Unterstützung für palästinensische Rechte nicht von politischen Strukturen, die vorgeben, die Palästinenser:innen zu vertreten, sondern direkt aus der Zivilgesellschaft. Dies umfasst ein breites Spektrum an Handlungsformen: politische Lobbyarbeit, die Staaten zur Einhaltung des Völkerrechts zwingt, juristische Verfahren, wirtschaftlichen Druck durch Desinvestitionen und Boykotte, kulturelle und akademische Boykotte sowie Massenmobilisierungen.

Gerade deshalb sind die Solidaritätsflottillen ein starkes Symbol dafür, wie weit die Zivilgesellschaft gehen kann, um Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich Regierungen und internationale Institutionen erfüllen müssten. Ben-Gvirs offene Drohung, Aktivist:innen als „Terroristen“ zu behandeln, ist ein direkter Ausdruck von Israels Angst vor diesen Initiativen – und zugleich ein unfreiwilliges Eingeständnis der wachsenden Wirkung der internationalen Solidaritätsbewegung.

So sehr der eigentliche Grund für das Scheitern von Israels Strategie in der Sumud (Standhaftigkeit) und dem Widerstand des palästinensischen Volkes liegt, darf die entscheidende Rolle der internationalen Solidarität keinesfalls unterschätzt werden. Die Freiheitsflottillen sind keine isolierten Aktionen, die lediglich daran gemessen werden, ob sie Gaza erreichen oder nicht. Im Gegenteil: Sie sind ein unverzichtbarer Teil eines größeren, komplexen globalen Prozesses, der Israels tiefe Isolation auf der internationalen Bühne vorantreibt – und dieser Prozess hat bereits beachtliche Erfolge erzielt.

Quelle: https://znetwork.org/znetarticle/a-symbol-of-global-resistance-why-israel-fears-the-gaza-flotillas/