In den sieben Monaten seit dem Sturz des ehemaligen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sind 78 ausländische Regierungen und multilaterale Organisationen nach Damaskus gereist, um mit dem neuen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa und seinem Übergangsteam in Kontakt zu treten.
Kein postkonfliktgeschütteltes Land in der Geschichte hat je einen derart plötzlichen und umfangreichen diplomatischen Ansturm erlebt. Angesichts der Folgen eines halben Jahrhunderts Assad-Diktatur und 13 Jahren zermürbenden Kriegs sind die Fortschritte, die Syrien in diesen Monaten gemacht hat, bemerkenswert.
Nahezu alle Sanktionen und Maßnahmen, die dem Land in den vergangenen fünf Jahrzehnten auferlegt wurden, sind aufgehoben oder ausgesetzt worden, und Syrien wurde zügig wieder in regionale und globale multilaterale Organisationen aufgenommen. So soll Präsident al-Sharaa im September vor der UN-Vollversammlung sprechen – als erster syrischer Staatschef seit 1967.
Land der Chancen
Auch wirtschaftlich atmet Syriens Wirtschaft nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder auf. In den letzten Wochen wurden Verträge und Absichtserklärungen im Wert von über 20 Milliarden US-Dollar unterzeichnet – mit Unternehmen aus Katar, Saudi-Arabien, Kuwait, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Frankreich und den Vereinigten Staaten.
Die ersten syrischen Exporte in die USA befinden sich derzeit auf dem Seeweg. Amerikanische kommerzielle 4G- und 5G-Telekommunikationsinfrastruktur ist inzwischen in das SyriaTel-Netz integriert, und mindestens vier US-amerikanische Unternehmen aus den Bereichen Öl, Gas und Energie bereiten den Markteintritt in Syrien vor.
Trotz zahlreicher Herausforderungen eines postkonfliktiven Übergangs – darunter Übergangsjustiz, Friedens- und Versöhnungsprozesse, Abrüstung, Demobilisierung und Reintegration (DDR) sowie Schutz und Repräsentation ethnischer und religiöser Gruppen – befindet sich Syrien in einer bemerkenswert stabilen Lage.
Obwohl weiterhin Gewalt herrscht, ist sie in den letzten Wochen auf ein historisches Tief gefallen. Der regierungsfeindliche Aufstand, der im Januar an der Mittelmeerküste begann, hat seit zwei Monaten keinen Anschlag mehr verübt. Der Islamische Staat (IS) bleibt zwar eine ernsthafte Bedrohung, aber die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit und operative Koordination zwischen Damaskus, Washington und anderen internationalen Akteuren funktioniert inzwischen reibungslos.
Der Störfaktor
Während Syriens Übergang sich stabilisiert und das Land in die internationale Gemeinschaft zurückkehrt, bleibt jedoch eine große strukturelle innenpolitische Herausforderung bestehen: die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) im Nordosten des Landes. Trotz eines im März unterzeichneten Rahmenabkommens haben die sporadischen Gespräche zwischen der SDF und Damaskus kaum greifbare Fortschritte erzielt. Der Waffenstillstand im Nordosten von Aleppo hält zwar, und das von der SDF geförderte Öl wird an Damaskus verkauft, doch das gegenseitige Vertrauen bleibt gering.
Obwohl es kaum öffentlich berichtet wurde, hat die SDF wiederholt versucht, Truppen und schwere Waffen an die Frontlinien zu den Regierungstruppen im Nordosten von Aleppo zu verlegen – trotz der Vorgabe des Waffenstillstands, die Region entmilitarisiert zu halten. US-Truppen mussten mehrfach eingreifen und SDF-Konvois zurückschicken.
Quellen aus Raqqa und Hasakeh berichten weiterhin über umfangreiche unterirdische Militärbautätigkeiten der SDF. In den letzten sechs Monaten wurden über 100 arabische Männer und mehrere Frauen von SDF-Kräften festgenommen, nachdem deren Angehörige zu den Regierungstruppen übergelaufen waren. Der Tod zweier arabischer Kinder durch SDF-Kräfte in den vergangenen Wochen hat die Spannungen zwischen der SDF und den arabischen Gemeinschaften im Nordosten Syriens weiter verschärft.
Während eines von den USA vermittelten Besuchs einer Delegation des Innenministeriums in Qamishli und Hasakeh zur Inspektion von Schulprüfungen am 29. Juni wurden Regierungsvertreter von SDF- und Vertretern der Autonomen Verwaltung mehrfach über demokratischen Konföderalismus und Dezentralisierung belehrt – bei Sitzungen unter Porträts des PKK-Führers Abdullah Öcalan, bei denen Fotografen anwesend waren und die Regierungsdelegation zwei Mal gebeten wurde, unterhalb dieser Bilder Platz zu nehmen.