Sollten wir besorgt sein darüber, dass immer mehr Aspekte des Lebens mit zunehmender Geschwindigkeit zum Gegenstand des Geldes werden? Oder sind wir uns dieses Zustands überhaupt bewusst? Oder haben wir uns so sehr daran gewöhnt, dass wir ihn inzwischen für normal halten? Haben wir unsere Fähigkeit, darüber zu staunen oder uns zu wundern, völlig verloren? Muss heute hinter jeder Handlung und jedem Tun eine finanzielle Kalkulation stehen? Ist eine andere Welt denkbar, außerhalb einer, in der nur Geld zählt? Sind dies bloß Stammtischfragen, die Arbeiter, Arbeitslose oder Rentner im Café um die Ecke miteinander witzelnd austauschen? Oder weisen sie auf eine schmerzliche, aber verdrängte Wahrheit hin?
Meiner Beobachtung und meinem Verständnis nach haben wir diesen Zustand gründlich verinnerlicht und normalisiert. So sehr, dass selbst im Bewusstsein vieler Muslime unausgesprochen die Annahme existiert, der Kapitalismus sei eine universelle Realität, der Koran hingegen eine historische Ansprache. Ist der Kapitalismus tatsächlich universell, der Koran aber historisch? Diese Frage möchte ich mir für einen eigenen, ausführlicheren Text aufheben, denn sie verdient nicht nur einen, sondern gleich mehrere Artikel. Hier möchte ich vielmehr von einer Person und ihrem Buch sprechen, deren Thesen anfangs auf Widerstand stießen, später jedoch von genau jenen, die sie einst kritisierten, stillschweigend bestätigt wurden.
Als Francis Fukuyama 1992 sein Buch The End of History and the Last Man (Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch) veröffentlichte und in einer Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges die liberale Demokratie als endgültige ideologische Form der Geschichte erklärte, wurde diese Ansicht – vor allem von Marxisten – scharf kritisiert. Nach Fukuyama hatte die Menschheit den Höhepunkt ihrer ideologischen Entwicklung erreicht; es sei nun nicht mehr die Zeit großer historischer Konflikte, sondern die Zeit der Institutionalisierung der liberal-demokratischen Ordnung. Inspiriert von einem hegelschen Geschichtsverständnis, das die Menschheitsgeschichte als einen Freiheitskampf deutet, vertrat er die Auffassung, dass am Ende dieses Kampfes mit der liberalen Demokratie ein universeller Konsens erreicht worden sei. Kritiker bezeichneten diese Sicht als naiv, reduktionistisch und sogar als eine Form imperialer Ideologie. Konnte man die vielstimmige, konfliktreiche, dynamische Struktur der Geschichte wirklich so einfach abschließen?
Doch die vergangenen drei Jahrzehnte haben diesen Anspruch nicht etwa widerlegt, sondern ihn auf merkwürdige Weise eher „still bestätigt“. Marxistische, sozialistische, theokratische oder andere alternative Systeme konnten kein nennenswertes Gegengewicht bilden; ja, selbst deren Vertreter griffen meist auf liberale Diskurse und Instrumente zurück. Bedeutet dies nun tatsächlich das Ende der Geschichte? Oder handelt es sich vielmehr um eine neue Form hegemonialer Vorherrschaft des Liberalismus in der Krise?
Die schärfsten Antworten auf Fukuyamas These kamen – wenig überraschend – aus marxistischer Tradition. Denker wie Perry Anderson, David Harvey oder Slavoj Žižek wiesen auf die strukturellen Krisen des Kapitalismus, auf Klassenungleichheiten, ökologische Zerstörung und globale Ausbeutung hin und interpretierten die „Ende der Geschichte“-Behauptung als ideologische Manipulation. Aus marxistischer Sicht ist der Kapitalismus ein System, das seine eigenen Krisen ständig neu hervorbringt – und genau diese Krisen bilden den Boden für neue historische Aufbrüche und revolutionäre Brüche. Demnach ist der Liberalismus nicht das Ende der Geschichte, sondern allenfalls eine vorübergehende hegemoniale Ordnung. Doch konnten diese Kritiken innerhalb von dreißig Jahren keine revolutionäre Kraft entfalten; sie blieben zumeist in akademischen oder marginalen Nischen verhaftet.