Seit geraumer Zeit schreibe ich über den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft. Jetzt möchte ich Sie ein wenig zurückführen – in die 1980er Jahre, als Umweltprobleme zum ersten Mal auf unsere Tagesordnung traten und der Stern der Grünen erst in der Ferne zu leuchten begann. Damals war es undenkbar, unter unserem eigenen Namen zu schreiben! Wir alle hatten Pseudonyme – meines war Deniz Gürsel. Unter diesem Namen veröffentlichte ich in Zeitungen und Zeitschriften Essays, die als „politisch“ hätten gelten können. Diejenigen, die sich mit Umweltfragen befassten, fasste ich 1989 zu einem kleinen Buch zusammen, das unter dem Titel „Çevresizsiniz“ (Ihr seid ohne Umwelt) im Verlag İnsan Yayınları erschien. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich daraus einige Passagen zitieren.
Çevresizsiniz (Ihr seid ohne Umwelt)
„Der Mensch ist zugleich Knoten und Lösung, Beute und Jäger. Die Umwelt getrennt vom Menschen zu betrachten oder Umweltprobleme lösen zu wollen, ohne den Menschen selbst zu verändern, ist vergebliche Mühe.
Die moderne Welt ist eine Welt, in der der Mensch am weitesten in den Hintergrund gedrängt wurde – obwohl alles angeblich zu seinem Wohlstand, seinem Nutzen, seinem Frieden geschieht. In einer solchen Welt lebend, füllen wir unsere Köpfe mit dem Fastfood-Wissen zahlloser Zeichen, deren Bedeutung wir nicht wirklich verstehen, und sollen zugleich die Schläge dieser Moderne ertragen, die mit der rechten Hand winkt und mit der linken trifft. Unsere Verstimmung, unser Gefühl einer bleibenden Leere, unser Schleier in den Augen – all das kommt auch daher. In Keban wird ein Staudamm gebaut, in Istanbul eine zweite Bosporusbrücke, doch unser Gefühl von Verletztheit und Einsamkeit rührt sich keinen Millimeter. Pompöse Begräbnisse – was vermögen sie schon gegen die Angst vor dem Tod?“

Der Verkehrswahnsinn, die Verstopfungen und Stauungen des Stadtlebens, der Druck, die Menschenmassen, die Hochhäuser, der verlorene Geruch der Erde, die krankmachenden, verschmutzten Umweltbedingungen, die unsere körperliche und seelische Gesundheit zerstören; die Angst vor einer nuklearen Katastrophe, vor einem Krieg, der mit Massentoden enden wird… Ob all dies ausreicht, um eine neue Welt zu fordern, weiß ich nicht. Was mich vielmehr beschäftigt, ist die Frage, wie die Welt in diesen Zustand geraten ist – welches menschliche Material uns all dieses Unheil eingebrockt hat? Ob allein die Gier nach Wohlstand, das grenzenlose Streben nach Wachstum, die unstillbare Begierde nach immer Neuem dafür verantwortlich sind? Und was ist mit jenen Menschen geschehen, die einst den Gütern dieser Welt entsagt hatten? Ich begreife die Umweltprobleme von Anfang bis Ende als ein Problem der Menschentypologie…
Der Kapitalismus hat ein ökonomisches Menschenmodell geschaffen. Der Sozialismus stellte dem scheinbar ein politisches Menschenmodell entgegen… Doch eine Seite an einem System zu ziehen, das den Wettstreit ohnehin voraussetzt, stärkte letztlich nur das Ganze. Entwicklung, Zersplitterung, Arbeitsteilung, das Auseinanderdriften der Töne wurden chronisch… Der einzige Weg, den narzisstischen Egoismus zu brechen, der die Natur plündert, besteht darin, neue Formen zu finden, die das Ego wirklich befriedigen, ohne die Harmonie des Menschen mit der Natur zu zerstören. Meiner Überzeugung nach sind diese neuen Formen nichts anderes als die traditionellen Lebensweisen selbst.“
Diese Zeilen schrieb ich vor vielen, vielen Jahren. Seither habe ich noch etliche Jahre darüber hinaus gelebt. Gewiss – mein Glaube, meine Grundüberzeugungen bestehen fort, doch ich sehe, dass ich die Welt nach „Çevresizsiniz“ zunehmend mit komplexeren, stärker auf Machtverhältnisse gestützten Theorien betrachte und meinen naiven Blick aus jungen Jahren kaum mehr aufrufe. In dieser Zeit hat sich auch die politische und wirtschaftliche Struktur unseres Landes tiefgreifend verändert. Besonders für die letzten zwanzig Jahre ist der Ausdruck „stille Revolution“ wohl der passendste. Die meisten dieser Veränderungen habe ich von Herzen unterstützt; bei jenen, die ich nicht unterstützte, nahm ich mir das Recht auf Kritik heraus – oder ich schwieg, im Glauben, dass Schweigen manchmal die wirksamste Form der Kritik ist.
Die wichtigste Selbstkritik betrifft das Versäumnis, unsere Menschen nicht ausreichend glaubensbasiert vor dem Kapitalismus und der Konsumgesellschaft zu warnen und nicht genügend für die Wiederbelebung unserer auf Genügsamkeit und Teilen gegründeten Traditionen gewirkt zu haben. Meist wurden Entwicklung, Wachstum und unser großer Fortschritt in der Modernität betont. Doch Entwicklung, Wachstum und Modernität haben auch eine andere Seite – eine, auf der ein gewaltiger Müllberg wächst. Ein Prozess, der so unaufhaltsam ist, dass er sogar Menschen in Müll verwandelt, sie aussortiert und entwertet.
Die Feststellung, dass die Moderne selbst Menschen zu Abfall macht und sie aussortiert, stammt – Gott hab ihn selig – von dem großen Soziologen Zygmunt Bauman.
Verworfenes Leben: Moderne und ihre Abfälle
Jetzt liegt vor mir, neben meinem „Çevresizsiniz“, Zygmunt Baumans Buch „Verworfenes Leben: Moderne und ihre Abfälle“. Beide haben ganz ähnliche Cover – angespülter Abfall, Skelette, Müllhaufen…
Besonders seit dem 11. September 2001 hören wir für unsere Gegenwart kaum noch glänzende Bezeichnungen wie „Zeitalter der Menschenrechte“ oder „Informationszeitalter“. Stattdessen sind Begriffe wie „Konsumgesellschaft“ (Baudrillard), „Gesellschaft des Spektakels“ (Debord), „Netzwerkgesellschaft“ (Castells, Dijk), „Transparenzgesellschaft“, „Müdigkeitsgesellschaft“ (Byung-Chul Han), „Risikogesellschaft“ (Beck), „Zeitalter des Zorns“ (Mishra) in Umlauf – Bezeichnungen, die kaum wohlklingend sind.
Und wir nennen unsere Zeit bescheiden die „technomediatische Welt“ – eine Zeit also, die im Hinblick auf menschliche Beziehungen kaum mit wohlwollenden Worten beschrieben werden kann…

Zygmunt Bauman hielt die Gesellschaft, in der – wie er sagte – „eine dauerhafte Ansammlung großer, dichter und in Bewegung befindlicher Menschen unterschiedlicher Herkunft… in einer sich ständig verändernden Menge voneinander abweichender Fremder zerrieben wird“, am treffendsten mit dem Adjektiv „flüssig“ (liquid) zu beschreiben.
Mit solch eindringlichen Worten versuchte Bauman im Jahr 2001, in seinem Werk „Gemeinschaften: Auf der Suche nach Sicherheit in einer unsicheren Welt“ (dt. Übersetzung: N. Soysal, Say Verlag, 2016), den Zustand der westlichen Gesellschaften zu schildern. Nur kurze Zeit später, 2004, steigerte sich sein Aufschrei in dem Buch „Ausgeschlossene Leben: Moderne und ihre Abfälle“ (dt. Übersetzung: O. Yener, Can Verlag, 2018). Dort beschreibt er, wie die durch Globalisierungsprozesse verursachte Verlagerung großer Teile jener Macht, die einst in den Händen des modernen souveränen Staates lag, zu neuen, „wilden“ Zuständen führte – gleichsam zu einem neuen Wilden Westen. Es entstanden fragile und äußerst empfindliche Gleichgewichte.
„Der Planet ist voll. Die Globalisierung der Modernisierung – also die Ausbreitung der modernen Lebensweise über den gesamten Erdball – hat zwei Arten von Abfall hervorgebracht. Erstens: die in unkontrollierbaren Mengen produzierten materiellen Abfälle der modernen Lebensform; zweitens: Menschen, die selbst zu Abfall geworden sind – Flüchtlinge, Asylsuchende, Migranten.“
Zygmunt Bauman, den wir 2017 verloren haben, konnte den 2023 begonnenen und noch andauernden Genozid und Widerstand in Gaza nicht mehr erleben. Doch aus seinen früheren Reaktionen auf israelische Massaker wissen wir, dass er niemals zu jenen gehört hätte, die zu einem Völkermord schweigen – geschweige denn, wie Jürgen Habermas, die Ermordung von Tausenden unschuldiger Kinder und Zivilisten durch ihre Glaubensgenossen als etwas Legitimierbares darzustellen versucht hätten.
Je mehr die „Absonderung der Schlacken der Moderne“ zunahm und neue Ängste hervorbrachte, desto mehr schwand das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, das Menschen miteinander verband. Wenn das Vertrauen fehlt, halten die Menschen ihre Versprechen nicht mehr; die Welt wird gefährlich und bedrohlich, Misstrauen wird zur vorherrschenden Stimmung, Unbeständigkeit und das Gefühl der Falle nehmen überhand; Bindungen und Verpflichtungen verlieren ihren Sinn. So ist es gekommen. Die Angst um Sicherheit hat ein kaum noch erträgliches Ausmaß erreicht. Die Sicherheitsindustrie ist derart angewachsen, dass sie zu einem der Hauptfaktoren für die Müllproduktion geworden ist, die den Planeten überzieht.
Bauman hätte zweifellos auch entschieden widersprochen, die palästinensische Bevölkerung als eine Art „Abfall“ zu betrachten, die – im Namen des israelischen Wachstums und der Sicherung seiner Interessen – aus dem Nahen Osten entfernt werden müsse.
Ich bin deshalb von „Çevresizsiniz“ zu „Verworfenes Leben“ übergegangen:
Wenn wir uns nicht mit dem Menschenproblem befassen, wenn wir aufhören, den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft aus einem glaubensbasierten Blickwinkel zu kritisieren, wenn wir in der Moderne nur den Aspekt von Fortschritt und Technologie sehen, aber nicht ihre Seite, die Müll produziert und den Menschen selbst zu Abfall macht, dann wird es uns schwerfallen zu begreifen, wie ein Genozid vor den Augen der Welt so leicht vollzogen werden kann.
Gott bewahre: Wenn wir um jeden Preis modern werden wollen, werden wir ihnen am Ende ähnlich – unsere Herzen verdunkeln sich, unser Gewissen erblindet, und wir merken es nicht einmal.
Ja, wir sollen uns entwickeln, stärker werden – aber wir müssen stets wachsam bleiben gegenüber jener Seite der Moderne, die Müll produziert, den Menschen entwertet, unsere Menschlichkeit verzehrt und den Genozid legitimiert.
Bewahren wir die kritischen Potenziale unseres Glaubens, unsere moralische Standhaftigkeit und unser kostbarstes Gut – die menschlichen Werte.
