Kann die Volkswut in Jordanien und Ägypten zu einem Bruch führen?

Die seit Monaten andauernden israelischen Angriffe auf Gaza führen nicht nur in diesen uralten Landstrichen, sondern auch in den zentralen Ländern der arabischen Welt zu einer tiefen moralischen Erschütterung. Besonders auf den Straßen in Ägypten und Jordanien staut sich eine Wut an, die immer schwerer zu unterdrücken ist. Die Bilder von palästinensischen Kindern, die an Hunger sterben, bringen die Regierungen dieser Länder gegenüber ihren eigenen Völkern in eine ernsthafte Legitimationskrise.
Juli 30, 2025
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Die seit Monaten andauernden israelischen Angriffe auf Gaza führen nicht nur in diesen uralten Landstrichen, sondern auch in den zentralen Ländern der arabischen Welt zu einer tiefen moralischen Erschütterung. Besonders auf den Straßen Ägyptens und Jordaniens staut sich eine Wut an, die kaum noch unterdrückt werden kann. Die Bilder von palästinensischen Kindern, die an Hunger sterben, bringen die Regierungen dieser Länder gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen in eine ernsthafte Legitimationskrise.

Doch die Angelegenheit ist nicht nur humanitär, sondern umfasst auch politische, ideologische und strategische Dimensionen. Denn sowohl Ägypten als auch Jordanien werden dafür kritisiert, angesichts der humanitären Tragödie in Gaza zu schweigen – dieses Schweigen jedoch speist sich aus tiefgreifenden strukturellen und außenpolitisch abhängigen Entscheidungen.

An erster Stelle steht die hohe Abhängigkeit beider Länder von den amerikanischen Politiken als Hauptgrund für ihre passive und ineffektive Haltung gegenüber Israel. Sowohl wirtschaftliche Hilfen als auch militärische und diplomatische Unterstützung bewegen sich in einem von Washington vorgegebenen Rahmen, dessen Überschreitung für diese Regierungen ernsthafte Konsequenzen haben könnte. Deshalb meiden sowohl Kairo als auch Amman scharfe Aussagen gegen Israel, konkrete Sanktionen oder diplomatische Brüche. Weder der Rückruf von Botschaftern noch das Aussetzen von Abkommen stehen zur Debatte, da die Entscheidungsmechanismen kaum anders als im Sinne Washingtons gestaltet werden können.

Darüber hinaus ist die Problematik nicht auf Außenpolitik beschränkt. Beide Regierungen hegen eine historische und ideologische Abneigung gegenüber der Hamas, dem größten Akteur im Widerstand in Gaza. Die Zugehörigkeit der Hamas zur Muslimbruderschaftslinie und ihre organische Verbindung zu den Muslimbrüdern verkompliziert die Lage für beide Länder zusätzlich. Während die Muslimbruderschaft in Ägypten vor Jahren zur Terrororganisation erklärt und vollständig unterdrückt wurde, existiert sie in Jordanien zwar nur begrenzt, wird jedoch systematisch geschwächt. Deshalb wird ein Machtzuwachs oder eine Heroisierung der Hamas in der Bevölkerung als Bedrohung für das innere Gleichgewicht dieser Regime wahrgenommen.

Diese Sensibilität zeigt sich besonders deutlich im jordanischen Fall. Dutzende Jugendliche, die Solidaritätsbekundungen für Gaza abgaben oder Aktionen gegen Israel planten, wurden in den letzten Monaten festgenommen und einige mit harten Strafen belegt. Aktivisten mit Bindungen zum palästinensischen Widerstand wurden trotz zunehmender öffentlicher Empörung inhaftiert. Die jordanische Führung, die wiederholt deutlich gemacht hat, dass grenzüberschreitende Angriffe gegen Israel für sie eine rote Linie darstellen, zeigt keinerlei Toleranz in dieser Frage. Zudem löste der Aufruf von Hamas-Verantwortlichen für Gaza, Khalil al-Hayya, die Bevölkerung in Jordanien und Ägypten zu Protesten zur Aufhebung der Blockade auf, eine erhebliche Nervosität in den Regierungen aus. In der jordanischen Presse folgten harte Vorwürfe und Kampagnen zur Diskreditierung der Hamas. Die Botschaft war eindeutig: „Jeder Aufruf, die Straßen zu mobilisieren, wird vom Regime als innere Einmischung gewertet.“

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Ägypten. Während des Krieges wurde der Grenzübergang Rafah für humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza geschlossen gehalten, was als aktive Beteiligung Kairos an der Belagerung interpretiert wurde und weit über bloße Passivität hinausgeht. Darüber hinaus führte schon vor der israelischen Besetzung der Grenze die Verweigerung der Einreise von Hilfsgütern zu erheblicher Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Bilder von hungernden Kindern aus Gaza hinterließen eine tiefe Wunde im ägyptischen Gewissen. Die Aussage von al-Hayya „Wird Ägypten still bleiben, während Gaza an Hunger stirbt?“ traf nicht nur die Regierung, sondern auch das Volk tief. Daraufhin versuchte Präsident Abdulfattah al-Sisi mit einer Rede die öffentliche Stimmung zu beruhigen, indem er erklärte: „Ägypten ist kein Teil der Blockade“ und die Verantwortung Israel zuschrieb. Doch diese Erklärung konnte weder das gesellschaftliche Gewissen beruhigen noch die Schwere der Krise mildern.

Die Reaktionen auf der Straße sind kein Thema, das die Regierungen einfach ignorieren können. Sowohl Ägypten als auch Jordanien haben Gesellschaften, die mit Wirtschaftskrisen, wachsender Armut und politischem Druck zu kämpfen haben. Die Gaza-Frage birgt das Risiko, sich zu einem moralischen Aufstand zu verbinden, der diese Probleme noch verschärft. Besonders das demografische Gewicht der palästinensischstämmigen Bevölkerung in Jordanien zwingt das Regime zu vorsichtigem Handeln. Doch bislang ist vor allem eine tiefe Kluft zwischen Volk und Staat zu beobachten, die von Tag zu Tag wächst.

Letztlich mögen die Regierungen in Amman und Kairo kurzfristig mit Sicherheitsmaßnahmen den öffentlichen Druck eindämmen können. Langfristig wird dies jedoch ihre Legitimität weiter untergraben. Für das Blut, die Tränen und die an Hunger gestorbenen Kinder in Gaza wird nicht nur Israel zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch jene, die schweigend zuschauen. Die in den Herzen der Menschen wachsende Wut ist nicht nur eine Reaktion auf Außenpolitik, sondern bildet zugleich den Boden für eine innere Auseinandersetzung. Und je näher diese Zeit rückt, desto größer wird der Druck auf die Regierungen werden.

Bekir Gündoğdu

Forscher-Autor. Er hat in verschiedenen Positionen in den Bereichen Politik, Zivilgesellschaft und Medien gearbeitet. Derzeit ist er weiterhin als Redakteur im Bereich Neue Medien und Online-Publishing tätig.
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