Hat Donald Trumps scharfe Zurechtweisung Israels in seinem Time-Interview vom 23. Oktober die Machtverhältnisse im Nahen Osten grundlegend verändert? Seine Äußerungen lösten sofort zwei gegensätzliche Reaktionen aus: Für die einen markiert Trumps Haltung eine klare Linie eines echten Wandels in der US-Außenpolitik; für die anderen ist sie lediglich ein politisches Manöver, um das während des zweijährigen Genozids Israels in Gaza verlorene Ansehen der Vereinigten Staaten wiederherzustellen.
In Bezug auf das Ende des jüngsten Genozids in Gaza behauptete Trump, der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu habe „aufhören müssen, weil die Welt im Begriff war, ihn zu stoppen“. Er fügte hinzu: „Wissen Sie, ich konnte sehen, was da geschah… und Israel geriet immer mehr in Verruf.“ Mit diesen Worten machte Trump deutlich, dass die systematische Vernichtung der Palästinenser in Gaza Israel in eine unausweichliche Isolation getrieben habe – eine Isolation, die selbst die USA nicht mehr unbegrenzt verhindern könnten.
Dies ist der Kern seiner Botschaft, die er in einer scharfen Warnung an Netanjahu wiederholte:
„Bibi, du kannst nicht gegen die Welt kämpfen… Die Welt ist gegen dich. Und Israel ist, verglichen mit der Welt, ein sehr kleiner Ort.“
Das mag wie eine offensichtliche Wahrheit klingen, doch angesichts der bedingungslosen Unterstützung der USA – und damit des gesamten Westens – hat Israel sich stets weit mächtiger gefühlt, als es tatsächlich ist. Israels wahrgenommene Stärke war historisch gesehen immer durch die vorbehaltlose Rückendeckung der Vereinigten Staaten definiert.
Nach Trumps Auffassung jedoch sehen sich die USA nicht länger als bedingungslose Schutzmacht Israels. Er deutet auf eine neue globale Machtdynamik hin und erklärt: „Da draußen gibt es viele Mächte, verstehen Sie, Mächte von außerhalb der Region“, womit er meint, dass deren Einfluss die traditionelle Schutzrolle Washingtons unhaltbar gemacht habe. Diese neue Einsicht zeigt sich besonders deutlich, als Trump auf Israels Bestrebungen eingeht, das besetzte palästinensische Westjordanland illegal zu annektieren. Nun spricht er unverblümt und entschlossen:
Die Annexion „wird nicht stattfinden, weil ich es den arabischen Ländern versprochen habe. Sie wird nicht stattfinden. Wenn doch, verliert Israel jegliche Unterstützung der USA.“
Eine solche Aussage ist in der Geschichte der US-israelischen Beziehungen beispiellos. Dennoch lässt sich dieser Widerstand leicht als typische Trump’sche Theatralik abtun – kühne Worte, die selten zu einer kohärenten Politik führen. In seiner zweiten Amtszeit plädierte Trump zwar für ein Ende des Krieges, tat jedoch wenig, um ihn tatsächlich zu stoppen; er äußerte Mitgefühl mit den Menschen in Gaza, belieferte Israel aber weiterhin mit Waffen. Diese Widersprüche erschweren es, zwischen Überzeugung und Inszenierung zu unterscheiden.
Das Gewicht von Trumps beispielloser Warnung ergibt sich vor allem aus ihrem Zeitpunkt. Das Time-Interview erschien am selben Tag, an dem das israelische Parlament (die Knesset) zwei Gesetzesentwürfe verabschiedete, die die Anwendung israelischer Gesetze auf das besetzte Westjordanland vorsehen – ein Schritt, der die vollständige und illegale Annexion des Gebiets ermöglichen würde. Diese provokante Abstimmung fand statt, während US-Vizepräsident JD Vance sich noch in Tel Aviv aufhielt. Beim Verlassen des Landes griff Vance die israelische Regierung scharf an und bezeichnete die Abstimmung als „merkwürdig“ und „eine sehr dumme politische Aktion“, die er als „Beleidigung“ empfand.
Der Skeptizismus jener, die der vermeintlichen Kursänderung der USA misstrauen, ist berechtigt. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass Washington tatsächlich seine Richtung geändert hat. Die während des Genozids gezeigte bedingungslose Unterstützung bleibt ein unwiderlegbarer Beweis für die fortbestehende Loyalität gegenüber Israel. Die lange Geschichte amerikanischer Rückendeckung, die bis vor die Staatsgründung Israels zurückreicht, macht einen plötzlichen Politikwechsel höchst unwahrscheinlich. Wenn es also keine grundlegende Veränderung ist – was geschieht dann wirklich?
Die „unzerbrechliche Bindung“ besteht fort, doch das Kräfteverhältnis hat sich verschoben. Israel hat zwischen dem Status eines privilegierten Verbündeten und eines Akteurs geschwankt, der die regionale Agenda über seine Lobby mitbestimmt. Der Krieg hat Israels Schwächen offengelegt und die alte Dynamik wiederhergestellt: Die USA sind erneut als Retter aufgetreten – als die Seite, die die Prioritäten vorgibt. Zusätzlich zu den jährlichen 3,8 Milliarden Dollar Militärhilfe genehmigte Washington ein weiteres Hilfspaket von 26 Milliarden Dollar, um Israels Wirtschaft und Kriegsführung aufrechtzuerhalten. Nachdem Israel seine militärischen Ziele in Gaza nicht erreicht hatte, griff Washington ein und vermittelte das „Gaza-Abkommen“ – einen fragilen Waffenstillstand, der Israel ermöglicht, seine Ziele auf anderem Wege weiterzuverfolgen.
Das Ergebnis ist eine Rollenumkehr: Trump wurde in Israel populärer als Netanjahu, und das Image der USA als entscheidende Macht wurde wiederbelebt. Der scheinbare Konflikt zwischen den beiden Ländern betrifft weniger Werte als Kontrolle – wer steuert das israelische Schiff: Tel Aviv oder Washington? Die scharfe amerikanische Rhetorik deutet auf ein neues Bewusstsein über die wiedererlangte Einflussmacht hin – doch Einfluss allein ist noch keine Politik.
Diese Situation ist noch weit von einer echten Kursänderung entfernt. Die USA bestehen weiterhin darauf, den sogenannten israelisch-palästinensischen Konflikt nach ihren eigenen politischen Prioritäten zu lenken – Prioritäten, die im Wesentlichen mit denen Israels übereinstimmen. Washington ignoriert dabei das Völkerrecht, die einzige Quelle für Ausgewogenheit und Objektivität, und stellt sicher, dass die Zukunftsplanung der Region – trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten – vollständig unter der Kontrolle der USA und Israels bleibt.
Solche politischen Ansätze werden weder Frieden noch Gerechtigkeit bringen; sie werden unweigerlich denselben Kreislauf israelischer Gewalt neu entfachen. Auch wenn die Bombardierungen in Gaza vorübergehend nachgelassen haben, eskaliert die Gewalt im besetzten Westjordanland bereits erneut.
Ein gerechter und dauerhafter Frieden kann nicht durch die willkürlichen Richtungswechsel amerikanischer Regierungen, endlose Kriege oder unverbindliche Erklärungen gegen Annexion erreicht werden. Wahrer Frieden erfordert echte Rechenschaftspflicht, anhaltenden internationalen Druck, Sanktionen und die konsequente Anwendung des Völkerrechts. Nur wenn die Welt Netanjahu – und der von ihm verkörperten selbstzerstörerischen Politik – weiterhin entgegentritt, kann ein neuer Genozid verhindert und ein gerechter Frieden endlich möglich werden.
