Frankreich bleibt trotz des jüngsten Regierungswechsels gelähmt. Die Zeit, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren, bevor die Anleihemärkte Paris den Rücken kehren, läuft schnell ab.
Das Amt des Premierministers gleicht einer Drehtür. Innerhalb von nur drei Jahren hat Präsident Emmanuel Macron fünf Regierungen verschlissen, ohne greifbare Ergebnisse zu erzielen. Das Land steckt in einem politischen Schock fest, verursacht durch die unlösbare Blockade im Parlament.
Der Hyperstaat entsteht
Am 9. September übernahm Sébastien Lecornu von Macrons Renaissance-Partei das „vergiftete Glas“ seines erfolglosen Vorgängers François Bayrou. Wie seine Vorgänger scheiterte auch Bayrou an der strukturellen Reformunfähigkeit Frankreichs. Das Land hält mit Staatsausgaben von 57 % des BIP eines der weltweit größten Wohlfahrtssysteme aufrecht. Dieser überdimensionierte Sozialstaat wirkt wie ein Beruhigungsmittel für eine Gesellschaft, die durch Migration geprägt ist und mittlerweile in sozialistischer Manier wirtschaftet – und aus dieser Lage gibt es keinen Ausweg.
Frankreich kauft sich sozialen Frieden zunehmend über Schulden. Dies hinterlässt tiefe Lücken in den öffentlichen Kassen und verdeckt nur notdürftig die Risse einer fragmentierten Gesellschaft, in der Klassenkonflikte zunehmend aggressiv werden und islamische Subkulturen entstehen. Mit neuen Schulden in Höhe von 5,6 % des BIP in diesem Jahr und einer Gesamtverschuldung von 114 % steht Frankreich vor einem klassischen Ponzi-Dilemma: Wenn alte Schulden nicht mehr durch neue ausgeglichen werden können, bricht das System zusammen.
Märkte achten nicht mehr nur auf Schuldenquoten, sondern auf Vermögenswerte
Solche Krisen beginnen meist mit einem Vertrauensverlust – sei es durch einen politischen Zusammenbruch oder durch die Erkenntnis, dass der verschuldete Staat über keine ausreichenden realen Vermögenswerte verfügt. Viele Analysten verweisen auf die höhere Verschuldung der USA, doch dieser Vergleich ist irreführend: Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt, energieunabhängig und technologisch überlegen. Zukünftige Produktivitätsgewinne geben Washington Spielraum, seine Schulden zu stabilisieren – Europa, insbesondere Frankreich, nicht.
So bewegt sich eine der tragenden Säulen der Europäischen Union auf eine Konfrontation mit Investoren zu. Wie gewohnt wird die Europäische Zentralbank (EZB) als letzte Verteidigungslinie eingreifen müssen, um einen systemischen Zusammenbruch zu verhindern.
EZB-Feuerwehr: „Was auch immer nötig ist“ erneut
Die EZB verfügt über ein beeindruckendes Instrumentarium: Aufkäufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt (SMP/OMT), umfassende Medienkampagnen, Liquiditätsspritzen für Banken und Zinspolitik-Manöver. Offiziell sind solche Maßnahmen an Reform- oder Sparauflagen der EU oder des IWF gebunden; in der Praxis sind diese Vorgaben reine Formalität. Fiskalische Konsolidierung dient vor allem dazu, das Versagen der Spitzenpolitik zu kaschieren.
Die EZB kann außerdem die Leitzinsen senken oder Banken kurzfristig liquiditätstechnisch ausstatten, um Kreditklemme und Ansteckungseffekte zu verhindern. Jede Intervention untergräbt jedoch die monetäre Stabilität und diszipliniert die Haushalte zunehmend. Die Eurozone lebt nun nur noch unter dauerhafter monetärer Anästhesie.
Lecornu übernimmt das vergiftete Glas
Seit Sommer 2024 unterliegt Frankreich zusammen mit sechs weiteren Ländern, die die Maastricht-Kriterien verletzen, dem EU-Verfahren bei Haushaltsdefiziten. Dieses Verfahren ist jedoch wirkungslos; niemand in Brüssel oder Paris glaubt noch an die Bedeutung des alten Stabilitätspakts. Die EU ist faktisch zu einer Schuldenunion geworden, und die politische Klasse geht davon aus, dass die EZB die Defizite unbegrenzt finanziert.
Lecornus „Reform“-Strategie erzählt dieselbe Geschichte: keine strukturellen Änderungen, nur Steuererhöhungen. Die Regierung plant, das Defizit von 5,4 % in 2025 auf unter 3 % bis 2029 zu senken – durch 44–50 Mrd. Euro Einsparungen, davon 30 Mrd. Kürzungen und 20 Mrd. neue Steuern. Die geplante Abschaffung der Körperschaftsteuer wurde bis 2030 verschoben. Einkommensstarke werden mit Sondersteuern belastet, Energieverbraucher spüren steigende Kosten bei Strom, Gas und Luftverkehr, und selbst multinationale Unternehmen werden zusätzliche Abgaben zahlen.
Dies ist eine Art „Konsolidierung“ im europäischen Sinne: keine echte Reform, sondern mehr Einnahmen. Ziel ist es, die Anleihemärkte zu beruhigen und gleichzeitig sozialen Frieden zu erkaufen – ein unmögliches Gleichgewicht.
Märkte signalisieren bereits Probleme
Ob Lecornu politisch Erfolg haben wird, ist ungewiss. Die Anleihemärkte haben längst entschieden. Die Rendite der französischen 10-jährigen Staatsanleihen liegt derzeit bei 3,57 %, dem höchsten Stand des letzten Jahrzehnts. Die Differenz zu deutschen Anleihen hat sich von unter 30 Basispunkten vor einigen Jahren auf 75–80 Basispunkte erhöht. Investoren werten das steigende Risiko französischer Anleihen als Spiegelbild finanzieller Unordnung und politischer Lähmung.
Abgesehen von der Inflation (offiziell ca. 3 %, tatsächlich höher) stehen die Volkswirtschaften der Eurozone nach Jahren der Null- oder Negativzinsen erstmals wieder vor positiven Realzinsen. Dies offenbart die „Zombifizierung“ der Wirtschaft: Langjährige künstliche Stützmaßnahmen haben die Leistungsfähigkeit von öffentlichem und privatem Sektor weit unter das Niveau gedrückt, das für die Schuldenbedienung unter realen Marktbedingungen nötig wäre.
Zombie-Ökonomie ohne Zukunft
Das Modell der Eurozone – zentrale Kontrolle, unbegrenzte Verschuldung, permanente EZB-Intervention – stößt nun an seine Grenzen. Frankreich veranschaulicht die Konsequenzen dieses Modells: ein aufgeblähter Sozialstaat, schwindende Wettbewerbsfähigkeit und eine Schuldenlast, die nur solange rollbar ist, wie die Märkte „genug“ sagen.
Erwarten Sie nicht, dass Washington Europa rettet. Die Dollar-Swap-Linien der US-Notenbank sind ausschließlich Schlüsselverbündeten wie Japan vorbehalten. Europa wird inzwischen – insbesondere nach der feindlich wahrgenommenen Digital Services Act und Digital Markets Act – nicht mehr als privilegierter Partner gesehen. Aus Sicht Washingtons erscheint Brüssel eher wie ein zweitklassiger Antragsteller denn wie ein systemrelevanter Verbündeter.
Die Lektion ist einfach: Ignoriert man reale Risiken zu lange und überdeckt sie mit monetärem Morphium, garantiert man eine gewaltige Explosion. Frankreich scheint der wahrscheinlichste Auslöser einer systemischen Krise zu sein, die sich in der Eurozone wie ein Waldbrand ausbreiten könnte.