Ein Jahr ist vergangen …
Präsident Ahmad al-Schara trat vor die Öffentlichkeit in der Kleidung von Abu Muhammad al-Julani, die er während des Radd al-I‘tidaʾ (Abschreckung des Angriffs)-Krieges getragen hatte. Mit nur leichter Sicherheitsbegleitung und ohne jegliche Kontrollen oder Durchsuchungen bewegte er sich durch die Menge aus Tausenden von syrischen Bürgern, die sich völlig spontan versammelt hatten, und begab sich zur Umayyaden-Moschee. Er bestieg die Kanzel und sagte:
‚Der Grund für unseren Erfolg seid ihr. Mit eurer Unterstützung werden wir unseren Weg fortsetzen.‘
Dies war eine Szene, die in einem anderen arabischen Land kaum vorstellbar wäre – und Worte, die kaum ein arabischer Führer so leicht aussprechen könnte.

Ahmad al-Schara hatte seine Kleidung für diesen Tag mit großer Sorgfalt ausgewählt. Er sendete seiner Umgebung eine klare Botschaft: Er war noch immer derselbe Mensch, er hatte sich nicht verändert. Auf der Kanzel der Umayyaden-Moschee sprach er jene jungen Männer an, die kaum älter als zwanzig waren und beim Einzug in Damaskus in der ersten Reihe gestanden hatten. Er betonte, dass er weiterhin Abu Muhammad al-Julani sei – ihr Scheich und frommer Kommandeur in den Schlachten Nordsyriens – und zeigte damit, dass die Realpolitik im Kern nicht allzu viel an seiner Haltung verändert hatte.
Die Botschaft, die er an die Außenwelt richtete, lautete:
‚Wir haben unsere Kriegskleidung nicht abgelegt, und wir sind weiterhin stolz auf unseren Kampf, in dem wir keinen einzigen unschuldigen Menschen getötet, sondern uns im Gegenteil selbst in Gefahr gebracht haben, um Zivilisten zu schützen.‘
Tatsächlich hatte er dieselben Worte erst wenige Tage zuvor auf dem Doha-Forum gegenüber einem westlichen Moderator geäußert, der offenbar erwartet hatte, dass er sich von seiner Vergangenheit distanzieren würde.

An diesem Morgen erhoben sich aus allen Minaretten Syriens die Takbir-Rufe. Dies war nicht nur eine Siegesfeier, sondern eine Bekräftigung der eigenen Siegesidentität. Anschließend begannen im ganzen Land militärische Paraden. Die für Israel wohl am stärksten provozierende Szene war jedoch die Parade der ‚Schahin‘-Drohnen in der Stadt Daraa im Süden Syriens. In jenem Süden, von dem Netanyahu ständig behauptet hatte, er werde ihn entwaffnen, war in Daraa – der Stadt, in der die Revolution begonnen hatte – der Vormarsch Israels gestoppt, es war zu Zusammenstößen gekommen, und die Stadt hatte Söhne verloren, die als Märtyrer gefallen waren.
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Dieses eine Jahr war lang und schwer. Dieser Staat, der sich noch in seiner Geburtsphase befand, sah sich Krisen und Herausforderungen gegenüber, die selbst größere und stabilere Länder erschüttern könnten. In den ersten Stunden der Revolution versuchten einige regionale Staaten, den Sieg für sich zu beanspruchen, indem sie aus dem Süden Kämpfergruppen nach Damaskus schickten. Doch die Geschwindigkeit, mit der Ahmad al-Schara und seine Gefährten voranschritten, war höher als das Tempo, mit dem an Konferenztischen Entscheidungen getroffen wurden; die Zeit, die sie benötigten, um Damaskus zu erreichen, war kürzer als die Dauer jenes Treffens selbst.
Mit diplomatischer Unterstützung der Türkei gelang es Syrien, mitten in einem politischen Minenfeld zunächst die Länder der Region davon zu überzeugen, dass die neue Führung vernünftig und rational handelte. Anschließend entstand ein diplomatisches Unterstützungsbündnis, bestehend aus Saudi-Arabien, der Türkei und Katar.
Im ersten Jahr stand al-Schara zusammen mit Trump und Putin in einem Bild, während einige andere funktionierende Staaten bereit waren, Demütigung und Herablassung in Kauf zu nehmen, nur um ein Foto mit dem US-Außenminister zu bekommen.

Al-Schara prägte zudem ein neues politisches Motto gegenüber jenen, die ihm Pragmatismus vorwarfen. Er sagte:
‚Pragmatismus ist ein negativer Begriff; er erweckt den Eindruck, als hätte ein Mensch zwei Möglichkeiten vor sich – eine richtige und eine pragmatische – und würde die pragmatische wählen. Dabei lautet die richtige Bezeichnung praktische Politik: Wir erkennen die notwendigen Schritte tatsächlich und setzen sie um.‘


Ein Jahr ist seit der syrischen Revolution vergangen, und in dieser Zeit – trotz Sanktionen und trotz Israel – wurden weit größere Fortschritte erzielt, als man damals hätte erwarten können. Die Sanktionen wurden aufgehoben, Damaskus ist zum Besuchszentrum der Region geworden, und im Nahen Osten ist ein freies Syrien entstanden, in dem das Volk seinen Staat nicht aus Angst, sondern aus eigener Zustimmung respektiert.


