Die jüdische Scheidung hat begonnen

Das jüdische Volk bewegt sich auf eine unvermeidliche Abrechnung zu. Für Am Yisrael — die Nation Israel —, die an ein gemeinsames Volk und ein gemeinsames Schicksal gebunden ist, und für die Juden in der Diaspora, die strikt an ihre persönlichen Ethiken gebunden sind, ist dies eine Zeit der Ehrlichkeit und Voraussicht. Der Scheidungsprozess hat begonnen. Die einzige Frage ist, wer es bemerken wird und wer sich anschließend auf das Kommende vorbereiten wird.
Oktober 13, 2025
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Das Wort „Jude“ umfasst heute sehr unterschiedliche Verpflichtungen, Weltanschauungen und Loyalitäten.

(5. Oktober 2025 / JNS) Über viele Generationen hinweg hatte das Bewusstsein des jüdischen Volkes eine klare Bedeutung: eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Schicksal und weltweite Bindungen. Ein Jude, egal ob in Israel, den Vereinigten Staaten oder anderswo lebend, fühlte sich als Teil einer einzigen Familie.

Heute, wenn wir uns umsehen, ist unklar, ob diese Definition noch Gültigkeit hat. Tatsächlich bewegt sich das jüdische Volk auf eine Art Scheidung zu — eine Trennung zwischen Menschen, die sich selbst „Jude“ nennen, deren Werte und Loyalitäten jedoch zunehmend auseinanderlaufen.

Ein aktuelles Beispiel dieser Spaltung war Mitte September, als die jüdische Schauspielerin Hannah Einbinder bei der Annahme ihres Emmy Awards „Free Palestine“ rief.

Die unterschiedlichen Gruppen innerhalb des jüdischen Volkes reagierten zweifellos sehr unterschiedlich auf diese Handlung. Einige unterstützten sie und waren stolz auf sie; andere waren entsetzt über ihre Worte und konnten ihre Absichten nicht verstehen.

Das jüdische Volk ist in verschiedene Lager gespalten.

Eine Gruppe fühlt tiefe Verbundenheit mit Israel und den jüdischen Brüdern weltweit. Sie sehen sich durch Verantwortlichkeiten und Solidarität miteinander verbunden. Sie wissen, dass das Überleben der Juden von der Stärke Israels abhängt, und dass Israels Überleben wiederum (wenn auch in geringerem Maße) auf der Unterstützung des jüdischen Volkes beruht.

Die andere Gruppe hat eine ganz andere Perspektive. Für sie ist „Judentum“ eine kulturelle, ethische oder sogar zufällige Identität. Sie priorisieren eher breitere gesellschaftliche Gerechtigkeitsprojekte als das Überleben des jüdischen Volkes oder die Existenz des jüdischen Staates. Manche bleiben still, wenn Israel dämonisiert wird, andere beteiligen sich aktiv an anti-israelischen Bewegungen.

Diese Spaltung ist so tief, dass der Ausdruck „jüdisches Volk“ selbst seine Bedeutung zu verlieren beginnt. Das Wort „Jude“ umfasst nun sehr unterschiedliche Verpflichtungen, Weltanschauungen und Loyalitäten. In vielerlei Hinsicht haben diese Gruppen nichts Gemeinsames mehr.

Vielleicht ist es an der Zeit, diese Spaltung ehrlicher zu benennen. Eine Gruppe kann am besten als Am Yisrael definiert werden — die Nation Israel, die fest an das gemeinsame Volk, Land und Schicksal gebunden ist. Die andere Gruppe besteht größtenteils aus der Diaspora; sie kann ihre kulturelle Identität weiter pflegen, hat aber möglicherweise keine verbindliche Beziehung zu Israel für das zukünftige Überleben des jüdischen Volkes.

Scheidungen sind immer schmerzhaft, bringen jedoch auch Klarheit. Sobald die Trennung anerkannt wird, können beide Seiten ihren Weg ohne Verwirrung oder falsche Erwartungen fortsetzen.

Juden, die sagen „nicht in meinem Namen“ oder „Palästina von Fluss zu Meer frei“ und sich selbst als nicht an die zionistischen Juden gebunden sehen, können ihren Weg fortsetzen, ohne die Last, mit Zionisten in Verbindung gebracht zu werden. Ebenso können zionistische Juden sich von der Verwirrung befreien, ihre Brüder beim Stehen neben denen, die ihre Feinde feiern, beobachten zu müssen. Sobald die Trennung akzeptiert ist, müssen beide Seiten nicht mehr so tun, als lebten sie dieselbe Geschichte.

In diesem Zusammenhang ist es vorhersehbar, dass das Rückkehrgesetz eines Tages nicht mehr garantiert wird. Es ist logisch, dass Israel Personen, die – unabhängig von ihrer Religion – eine Bedrohung für das Bestehen des Landes darstellen, die Einreise verweigert.

Wer Israel als möglichen Heimathafen für sich oder ihre Kinder betrachtet, handelt klug, indem er noch Gelegenheiten zum Erwerb von Eigentum nutzt. In nicht allzu ferner Zukunft könnte das automatische Rückkehrrecht für Juden eingeschränkt oder vollständig aufgehoben werden. Als das Rückkehrgesetz in Kraft trat, basierte es auf der Definition des „jüdischen Volkes“. Diese Definition hat sich geändert, somit könnte auch das Rückkehrgesetz geändert werden.

Das jüdische Volk bewegt sich auf eine unvermeidliche Abrechnung zu. Für Am Yisrael — die Nation Israel, die an gemeinsames Volk und Schicksal gebunden ist — und die Juden der Diaspora, die strikt ihren persönlichen Ethiken folgen, ist dies eine Zeit der Ehrlichkeit und Voraussicht. Der Scheidungsprozess hat begonnen. Die einzige Frage ist, wer es bemerkt und wer sich auf das Kommende vorbereitet.

Dies ist ein Wendepunkt. Alte Annahmen über die jüdische Einheit werden infrage gestellt. Der Ausdruck „jüdisches Volk“ hat nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher. Eine schmerzhafte und traurige Spaltung findet statt, doch sie kann für alle von Nutzen sein.

*Daniel Rosen ist Mitvorsitzender und Mitgründer von Emissary, einer Organisation, die sich im sozialen Bereich dem Kampf gegen Antisemitismus widmet.

Quelle: https://www.jns.org/the-jewish-divorce-has-begun/