Auch wenn der Krieg zwischen Israel und dem Iran oberflächlich betrachtet von kurzer Dauer erscheint, so sind doch beide Staaten permanent als aktive Akteure in nahezu allen Spannungsnarrativen und Kriegsszenarien rund um den Nahen Osten präsent.
Dass der Krieg nur kurz währte, bedeutet keineswegs, dass seine Auswirkungen ebenso kurzlebig wären.
Selbst in Konfliktszenarien, in denen Israel und Iran nicht direkt genannt werden, tauchen regelmäßig Strukturen und Akteure auf, die sich innerhalb der jeweiligen Einflusssphären dieser beiden Staaten bewegen oder offen wie verdeckt von ihnen unterstützt werden.
Geht man noch einen Schritt weiter, lässt sich festhalten, dass selbst im gesamten islamischen Raum – insbesondere beim sensiblen Thema Palästina – der Iran-Israel-Konflikt seit über 30 Jahren durch Organisationen wie Hamas oder Hisbollah mitverhandelt wird.
Diese Konstellation lässt sich sowohl durch die jeweiligen historischen und kulturellen Hintergründe der beiden Länder als auch durch die von ihnen repräsentierten Weltanschauungen und Lebensweisen erklären.
Dennoch bleibt eine solche Lesart unvollständig. Denn der Nahe Osten ist nach wie vor – trotz aller geopolitischen Umbrüche – ein Zentrum kultureller, religiöser und ethnischer Vielfalt, das aus seiner Geschichte heraus eine hohe Disposition zur Polarisierung und zur Erzeugung von konflikthaften Dualismen in sich trägt.
Eine historisch-soziopolitische und kulturell fundierte Analyse des Iran-Israel-Konflikts, die sich von tagespolitischer Rhetorik und spekulativen Verschwörungstheorien befreit, könnte eine deutlich konkretere Grundlage für das Verständnis der heutigen Dynamiken liefern.
Islamismus, Iran und Israel
Der Begriff Islamismus lässt sich als ein Sammelbegriff für jene intellektuellen Strömungen der islamischen Welt verstehen, die – seit dem 19. Jahrhundert – im Angesicht des kolonialen Rückstands gegenüber Europa nach Lösungsmöglichkeiten suchten.
Denkfiguren wie Dschamal ad-Din al-Afghani, Khayr ad-Din at-Tunisi, Muhammad Abduh, Iqbal, Mehmet Akif, Rashid Rida, Mustafa Sabri oder Hasan al-Banna entwickelten – trotz unterschiedlicher Ansätze – eine gemeinsame Vision:
die Befreiung und Erneuerung der islamischen Welt.
Ein zentrales Spannungsfeld in der frühen islamistischen Debatte bildete die von Afghani und Abduh verkörperte Frage:
„Soll der Wandel von unten nach oben oder von oben nach unten erfolgen?“
Diese Dichotomie prägte politische Theoriebildung wie auch sozialwissenschaftliche Reflexionen nachhaltig.
Heute liegen zu diesen Prozessen tausende Bücher und akademische Studien vor – und doch wirken sie besonders in mehrheitlich muslimischen Ländern weiterhin nach, sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Islamismus wurde in den letzten hundert Jahren zunehmend auch zu einer politischen Haltung und einem kulturellen Diskursraum, der bis heute in der islamischen Welt hoch relevant ist.
Nicht zuletzt lässt sich auch die ideologische Entwicklung radikaler salafistischer Gruppierungen im Nahen Osten, deren gewaltsame Aktionen weltweit Aufmerksamkeit erregen, in Teilen auf die Transformationen und ideengeschichtlichen Brüche innerhalb der islamistischen Denktradition zurückführen – auch wenn sich deren Methoden und Ziele inzwischen deutlich davon unterscheiden.
Die Islamische Revolution von 1979 im Iran ist als ein konkretes Resultat der machtzentrierten Diskurse islamischer Denkschulen innerhalb der islamischen Welt zu verstehen. Tatsächlich wurde die Gegenpositionierung zum „säkularen, imperialistischen Westen“ als zentrales Motto vor allem in den städtischen Zentren des „Ostens“ geprägt, in denen ökonomisch überwiegend untere Schichten leben – und dieses Motiv wurde maßgeblich durch die intellektuellen Debatten islamischer Gelehrter und Aktivisten generiert.
Diese politischen Diskurse zeigen heute eine Tendenz, die konfessionellen Spaltungen zu übersteigen und stattdessen eine umfassendere politische Mechanik zu etablieren, die den Fokus von sektiererischen Trennlinien ablöst.
Man könnte sagen, dass die Revolution durch Beiträge von Denkern wie Ali Schariati oder Sayyid Qutb maßgeblich beeinflusst wurde.
Die Parallele, die zwischen Säkularismus und Kolonialismus gezogen wurde, führte im Laufe der Jahre dazu, dass die Islamische Republik Iran in einen sich selbst erhaltenden, degenerativen und nach innen gekehrten Kreislauf geriet.
Zwar entsprechen die historischen Entstehungsprozesse und deren Auswirkungen auf politische Entwicklungen in beiden Phänomenen einem ähnlichen Verlauf, doch im Kontext des Islamismus wurde dieser Umstand überwiegend als Bedrohung wahrgenommen und reflektiert.
Unter Berücksichtigung der strategischen schiitisch-sunnitischen Spannung in der islamischen Geschichte Irans hatte der Iran traditionell die Rolle des „Anderen“ innerhalb der muslimischen Welt inne. Doch erstmals bot der Islamismus dem Land die Möglichkeit, als Modellrolle aufzutreten und darauf aufbauend seine expansive Strategie zu entwickeln.
Insbesondere die Gründung Israels und die Rolle des Westens als politischer Propagandazentrum in der Region weiteten die symbolische Spannungszone zwischen Iran und Israel aus und intensivierten den Konflikt.
Bis zum Aufkommen einer konservativen Regierung in der Türkei mit islamistischem Hintergrund agierte Israels regionale Expansion vor allem durch eine Iran-feindliche Reflexion, insbesondere im Kontext der Palästina-Frage.
Der antiwestliche Diskurs des Islamismus, der sich gegen die USA, Israel und Europa richtet, nimmt weiterhin einen zentralen Stellenwert im Bewusstsein vieler Muslime ein.
Infolgedessen besitzt die Rolle Israels als natürlicher Gegner einen sowohl politischen als auch gesellschaftlichen Rückhalt in islamistischen Narrativen.
Diese Dynamik stellt einen der grundlegenden Kernpunkte des Konflikts zwischen Iran und Israel dar.
Die Übergabe eines Erbes: Ansprüche auf das Kalifat
Der Anspruch auf den Titel des Kalifen im islamischen Raum steht zugleich im Zentrum eines Bemühens um Zentralität und Macht. Das Land, das einen Kalifen stellt, erlangt symbolische Autorität, indem es das Banner der islamischen Welt in seinen Händen hält. Diese Dynamik hat zu Narrativen geführt, die grundlegende Führungsansprüche mit historischen und theologischen Begründungen ausstatten.
Saudi-Arabien versucht, theologisch fundierte Argumentationen zu entwickeln, die sich um das seit Langem in der islamischen Geschichte kontrovers diskutierte Thema der „Kureischitität des Kalifats“[1] drehen. Zudem dienen bedeutende religiöse Stätten wie Mekka und Medina (die Kaaba und die Prophetmoschee) als wichtige Referenzpunkte zur Stärkung dieses Anspruchs.
Die saudische Führung steht seit Jahren in einer Konkurrenzsituation mit den Vereinigten Arabischen Emiraten um die Führungsrolle in der arabischen Welt. Mit dem Amtsantritt von König Salman scheinen sowohl der überraschende Dialog mit dem Iran als auch die Annäherungen an China Saudi-Arabien in eine neue Position zu versetzen. Gleichzeitig finanziert Saudi-Arabien seit etwa fünf Jahrzehnten die Verbreitung des Salafismus, der als ideologisches Fundament zur Ausweitung des Einflussbereichs der saudischen sunnitischen Interpretation betrachtet werden kann.
Allerdings hat die langjährige, vor allem von den USA geprägte und Saudi-Arabien in eine passive Rolle drängende Beziehung die Stärke dieser Führungsansprüche maßgeblich geschwächt.
Der zweitgrößte Anspruch auf das Kalifat ist Ägypten zuzuschreiben. Als Land mit einer jahrtausendealten Zivilisation entlang des Nils und einer langen Staatstradition beherbergte Ägypten auch zeitweise das Kalifat. Zudem macht die Rolle Ägyptens als ein zentraler Schauplatz der oben erwähnten Islamismus-Debatten das Land strategisch bedeutend.
Jedoch führten die Niederlage von 1967 sowie die nachfolgenden politischen Regime zu einem vollständigen Verlust dieser Führungsansprüche. Die Politik von Anwar Sadat, Husni Mubarak und Abdel Fattah al-Sisi – insbesondere ihre intolerante Haltung gegenüber der Muslimbruderschaft und die israelfreundliche Positionierung in der Palästina-Frage – haben Ägypten in der islamischen Welt weitgehend entmachtet.
Der dritte Anspruch entspringt der Türkei, die trotz strenger Modernisierungspolitiken versucht, das osmanische Erbe durch konservative Strategien weiterzuführen. Die Beziehungen zur islamischen Welt, die sich insbesondere in den letzten 20 Jahren herausgebildet haben, stellen eine neue Entwicklung gegenüber den westlich orientierten 80 Jahren der Republik dar.
Der symbolische Stellenwert Istanbuls als ehemalige Hauptstadt des Osmanischen Kalifats stärkt diesen Anspruch, jedoch schwächen die von der Politik losgelösten wirtschaftlichen und urbanen Entwicklungen den Rahmen dieses Narrativs. Das Phänomen der „türkischen Religiosität“ sowie die sozialen Organisationsformen haben lange Zeit das Potenzial gehabt, die militärische Fahne der islamischen Welt zu sein. Zudem verfügt die Türkei über ein fruchtbares intellektuelles Terrain, um zum Diskurs über den Islamismus beizutragen.
Der vierte Anspruch entspringt dem Herzen der schiitischen Welt: dem Iran. Die schiitische Expansion Irans erstreckt sich in den letzten Jahren über ein breites Spektrum von Zentralasien bis Afrika. Dies stärkt zwar politisch die Hand Irans, doch wirtschaftliche Sanktionen, repressiven Regierungspraktiken sowie Fehlentscheidungen in Syrien haben das nach 1979 aufgebaute Ansehen erheblich beschädigt.
Nichtsdestotrotz ist Israel gezwungen, in der Region mit den verbleibenden beiden bedeutenden Akteuren – Iran und Türkei – zu rechnen, um im Nahen Osten zu bestehen.
Globalisierung und Lokalität
Der Übergang von der Moderne zur Postmoderne hat die politischen Ansprüche weltweit paradigmatisch in eine Krise gestürzt. Obwohl die technischen Möglichkeiten und die digitale Flexibilisierung der Nationalgrenzen den Anschein erwecken, als ob die Globalisierung gestärkt worden sei, bewirkt die Wiederentdeckung der eigenen Historizität lokaler Kulturen eine neue Form der Sozialisation. Nach Dirlik hat sich ein Interesse an der Lokalität als Widerstandsraum gegen das Kapital und als Ort der Imagination alternativer Möglichkeiten für die Zukunft herausgebildet.[2]
Die konkreten Beziehungen der Lokalität zwingen zu einer Auseinandersetzung mit der im Kapitalachsen entworfenen Form des Nationalstaates. Denn, wie Kojin Karatani in seinem Buch The Structure of World History darlegt, ist dem Nationalstaat eine kapitalistische Komponente eingegliedert worden, die der Globalisierung eine politische Dimension verleiht. In diesem Sinne geht Lokalität, wie auch Dirlik betont, Hand in Hand mit der Ablehnung der von der Moderne konstruierten „Metanarrative“.
Die Spannungen zwischen Gesellschaften, die Lokalität in einer neuen Form traditioneller sozialer Strukturen repräsentieren, und jenen, die die Globalisierung verkörpern, überschreiten geographische Grenzen. Darüber hinaus errichtet Israel, wie A. Loewenstein in seinem Buch Das Palästina-Laboratorium beschreibt, für Kapitalgruppen ein Experimentierfeld. Dieses Laboratorium ist mehr als eine technische Grenze; es testet systematische Repressionspraktiken gegenüber dem „Anderen“ und exportiert diese in andere Länder.
Zwischen Iran und Israel zeigt sich ein symbolischer Konflikt, der über sie hinausgeht und die Globalisierung und Lokalität verkörpert. Dieser entspringt demselben Ursprung wie die Spannungen, die Migranten im Westen erfahren. Der Konflikt zwischen Globalisierung und Lokalität ist, wie die zuvor genannten Punkte, Gegenstand weitreichender Debatten, die den Umfang dieses Textes übersteigen. Dennoch sollte er unserer Meinung nach besonders unter den Ursachen der Spannungen in den Völkern des Nahen Ostens eingehend diskutiert werden.
Denn die zerbrochene Beziehung zwischen Staaten und Völkern und die daraus resultierende Spannung erzwingt eine andere politische Denkweise von uns.
Fazit
In Louis-Ferdinand Célines großartigem Roman Reise ans Ende der Nacht, der den Krieg in all seiner Realität darstellt, findet sich ein Dialog, der in Bezug auf die Definition von Krieg von großer Bedeutung ist:
Feldwebel Barousse wurde gerade getötet, mein Oberst.
„Und, was ist daran?“
Er wurde auf dem Weg nach Etrapes erschossen, um den Brotwagen zu übernehmen, mein Oberst!
„Und, was ist daran?“
Eine Granate hat ihn in Stücke gerissen, mein Oberst!
„Was zum Teufel?“
Genau das! Mein Oberst…
„Ist das alles?“
Ja, das ist alles, mein Oberst.
„Und das Brot?“
Dieser Dialog bildet den Kern von Célines Roman. Denn für ihn führt jeder seinen eigenen Krieg, und als Feldwebel Barousse für eine Konserve bestraft wurde, diente auch er diesem sinnlosen Krieg. Eine Welt, in der jeder seinen eigenen Krieg führt, sendet zugleich die Botschaft, dass alle im Krieg sind.
Seit 1948 vertritt das israelische Regime, das das palästinensische Volk entweder ins Exil treibt oder diejenigen tötet, die bleiben, heute koloniale Staatsregime. Folglich ist dieser Krieg eine Fortsetzung des hundertjährigen Kampfes zwischen Unterdrückten und Unterdrückern. Die Ausweitung des Krieges im Nahen Osten setzt das Anzünden der Häuser und das Zerstören der Ernten der Völker der Region fort.
Über die Ursachen und Folgen des Krieges hinaus die aktuelle Tagespolitik zu verlassen, eröffnet das Potenzial, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeinsam zu bedenken.
[1] Vgl. die wertvolle Arbeit von Mehmed Said Hatiboğlu Hilafetin Kureyşliliği, die in diesem Diskurs als ein grundlegendes Werk gilt.
[2] Dirlik, A. (2005). Postkolonyal aura: Kritik der Dritten Welt im Zeitalter des globalen Kapitalismus. Übers. Galip Doğduaslan. Boğaziçi Universität Verlag.