Steigen die Spannungen erneut?
Die am 13. Juni von Israel begonnenen Angriffe auf den Iran hatten auch im Libanon, der seit vielen Jahren unter israelischen Angriffen leidet, erhebliche Auswirkungen. Obwohl die Auseinandersetzungen Israels mit der Hisbollah nur von geringer Intensität waren, zeigte sich durch das Ausbleiben der erhofften Unterstützung von Donald Trump gegenüber der neu gebildeten Regierung im Libanon angesichts der israelischen Besetzung des Südlibanons, welche Risiken dem Libanon im Iran-Israel-Krieg bevorstehen. In diesem Zusammenhang versucht der Libanon zwar derzeit, Ruhe zu bewahren, doch die empfindlichen inneren Dynamiken offenbaren, dass das Land stark von diesem Krieg betroffen sein wird.
Hisbollah – Schiiten und Iran
Angesichts der in den frühen Morgenstunden begonnenen israelischen Offensive richtete sich der Blick nicht nur auf den Iran, sondern zunächst auch auf die Hisbollah. Diese erklärte jedoch eindeutig, sich nicht an dem Krieg beteiligen zu wollen. Nachdem Hassan Nasrallah nach dem 7. Oktober keine erwarteten Maßnahmen ergriff und die Drohungen der Hisbollah gegenüber Israel nur rhetorisch blieben, war die Erwartung, dass die neue Führung in diesem Krieg zurückhaltend bleiben würde, nachvollziehbar. Allerdings ist offensichtlich, dass sich die Haltung der Hisbollah zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 13. Juni 2025 verändert hat. Die Tatsache, dass der Iran die Hisbollah während des Gaza-Krieges im Stich gelassen hat und mit dem Tod Nasrallahs diese Behauptungen gestärkt wurden, stellt eine mögliche Erklärung dar. Andererseits wird auch vermutet, dass Nasrallah aus einem inneren Reflex heraus zurückhaltend blieb, um zu verhindern, dass der Libanon direkt zur Zielscheibe Israels wird. So versuchte die Hisbollah, ohne Israel anzugreifen, ihre militärische Stärke zu bewahren und gleichzeitig ihre Verantwortung gegenüber der schiitischen Gemeinschaft und letztlich gegenüber dem gesamten Libanon zu demonstrieren, indem sie die israelische Bedrohung möglichst fernhielt. Doch indem sie sich nicht direkt am Krieg beteiligte, konnte die Hisbollah keinen Gewinn erzielen, im Gegenteil: Aufgrund ihres stillen Widerstands war sie der schwersten Zerstörung durch Israel ausgesetzt. Angesichts der Schwächung ihrer militärischen Macht scheint die Hisbollah nun als grundlegende Strategie festgelegt zu haben, im Schatten der Iran-Israel-Krise zu bleiben, um ihre einzige verbleibende Stärke – die politische Legitimität – nicht zu verlieren. In der Tat könnte eine Gefährdung des Libanons zugunsten Irans durch die Hisbollah, die bereits nach dem 7. Oktober an Unterstützung verloren hat, zum wichtigsten Faktor für das Ende ihrer Existenz werden. Daher sind die langen Erklärungen von Hisbollah-Funktionären zur Unterstützung Irans wenig überzeugend. Vielmehr scheint die Organisation weniger darum bemüht zu sein, ihre Verbindung mit dem Iran vollständig zu kappen, als vielmehr ums Überleben zu kämpfen.
Der wichtigste Punkt, den man bei beiden Herangehensweisen nicht vergessen darf, ist die nach wie vor stabile ideologische Verbindung zwischen der Hisbollah, der schiitischen Gemeinschaft und dem Iran. Diese Verbindung hat zwei Dimensionen: eine, die sich auf den Libanon allgemein, und eine, die sich speziell auf die Schiiten bezieht. Dass alle konfessionellen Gruppen im Libanon – mit Ausnahme der Drusen – als politische Akteure auf ausländische Unterstützung angewiesen sind, gehört zu den grundlegenden Strukturen der libanesisch-iranischen Beziehungen. Aufgrund der dominanten schiitischen Bevölkerung im Libanon – insbesondere in den südlichen Regionen an der Grenze zu Israel und in wichtigen Stadtteilen wie Dahieh in der kleinen Hauptstadt Beirut – wird die libanesische Regierung immer wieder daran erinnert, in ihren diplomatischen Beziehungen zum Iran äußerste Zurückhaltung zu wahren. Auf der anderen Seite wirkt im kollektiven Bewusstsein der schiitischen Gemeinschaft das Argument „Nie wieder“ stark fort – ein Ausdruck des Bedürfnisses, die eigene Identität zu bewahren und dabei zumindest ansatzweise weiterhin die Präsenz des Iran zu spüren. Auch wenn die Schiiten aufgrund des derzeit trüben Verhältnisses zwischen dem Iran und der Hisbollah nicht mehr in dem Maße wie früher für den Iran eintreten, sind sie nicht bereit, vollständig auf das iranische Regime und das Prinzip der Velayat-e Faqih (Herrschaft des islamischen Rechtsgelehrten) zu verzichten. Deshalb empfinden viele libanesische Schiiten jeden Schlag, den der Iran von Israel erleidet, sowie jede Bedrohung eines möglichen Regimewechsels in Teheran auch als persönliche Last. Sie betonen, dass sie ihre Verbundenheit mit dem Iran nicht aufgeben werden – als Ausdruck psychologischer Unterstützung für Teheran.
Die Sorgen der libanesischen Regierung
Nach der Wahl von Präsident Joseph Aoun äußerte sich dieser unmittelbar danach deutlich gegen die Nutzung libanesischen Territoriums und bezeichnete den israelisch-palästinensischen Konflikt als „Krieg der Anderen“. Diese Haltung rief den Widerspruch des Hisbollah-Führers Naim Qassem hervor. Heute jedoch zeigt die Tatsache, dass die libanesische Regierung der Hisbollah den ausdrücklichen Befehl erteilt hat, sich nicht aktiv am Krieg zu beteiligen, und dass Naim Qassem daraufhin keinerlei Reaktion zeigte, dass ein gewisses Maß an Harmonie zwischen den Parteien gewahrt werden muss. Hinter der zunehmend entschlossenen Haltung des libanesischen Staates gegenüber der Hisbollah steht jedoch eine tiefgreifende Besorgnis. Die Tatsache, dass Israel seine Besetzung Südlibanons nicht beendet hat – und dies voraussichtlich auch in naher Zukunft nicht tun wird – sowie der Druck, den Tel Aviv über die USA auf den Rückzug der UNIFIL-Truppen von der Südgrenze ausübt, sorgen für Spannungen. Inmitten dieser Lage bemühen sich libanesische Entscheidungsträger, nicht noch stärker ins Visier israelischer Angriffe zu geraten. Denn selbst die kleinste militärische Aktion seitens der Hisbollah könnte dazu führen, dass der Libanon in die Zeiten der Zerstörung von Dahieh zurückgeworfen wird.
Darüber hinaus ist sich der Libanon bewusst, dass Israel im Falle eines Sieges über den Iran seine Aufmerksamkeit erneut – und diesmal mit größerer Härte – auf die Hisbollah richten und einen neuen Krieg beginnen würde. Daher ist es für den libanesischen Staat von entscheidender Bedeutung, rasch Maßnahmen zu ergreifen, um – ohne auf äußere Provokationen hereinzufallen – die Entwaffnung der Hisbollah auf dem Verhandlungsweg voranzutreiben. Doch die Aussicht, dass die Hisbollah kurzfristig ihre Waffen nicht abgeben wird und sich die Spannungen verschärfen könnten, ist ein weiterer Faktor, der große Besorgnis in Beirut auslöst. Ein möglicher Sieg Israels über den Iran würde Premierminister Netanjahus regionale Vorherrschaft weiter festigen – und der Schaden, den diese Dominanz anrichten würde, wäre nach Palästina wohl am stärksten im Libanon zu spüren.