Das Türkei-Dilemma Europas

Europa braucht die Türkei zur Stärkung seiner Verteidigung. Aber ist Ankara wirklich der europäischen Sicherheit verpflichtet? Die Europäische Union befindet sich in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite steht die Bedrohung durch Wladimir Putins Russland, das entschlossen ist, die regelbasierte Weltordnung umzustürzen, und auf der anderen Seite US-Präsident Donald Trump, der eine ähnliche Agenda verfolgt.
August 4, 2025
Turkey and EU relations.Turkey and European Union flags on wooden door with padlock. 3d illustration
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Das Türkei-Dilemma Europas

Europa braucht die Türkei, um seine Verteidigung zu stärken. Aber ist Ankara wirklich der europäischen Sicherheit verpflichtet?

Die Europäische Union steckt in einer Zwickmühle. Einerseits sieht sie sich einer Offensive durch Wladimir Putins Russland gegenüber, das entschlossen ist, die regelbasierte Weltordnung umzustürzen, und andererseits einem US-Präsidenten Donald Trump, der eine ähnliche Agenda verfolgt.

Anne Applebaum zitierte in Autocracy, Inc. den russischen Außenminister Sergei Lawrow kurz nach Russlands Invasion in der Ukraine im Februar 2022 mit den Worten: „Hier geht es überhaupt nicht um die Ukraine, sondern um die Weltordnung. Die derzeitige Krise ist ein schicksalhafter, epochaler Moment in der modernen Geschichte. Sie spiegelt den Kampf darüber wider, wie die Weltordnung aussehen wird.“

Im Februar wurde Trumps „Pitbull“, Vizepräsident JD Vance, zur Münchner Sicherheitskonferenz geschickt, um die Europäer in ihre Schranken zu weisen. In seinen Ausführungen erklärte Vance, Präsident Trump habe unmissverständlich klargemacht, dass die europäischen Freunde eine größere Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit des Kontinents übernehmen müssten.

Trumps „Befreiungstag“ am 2. April, an dem er eine Reihe von Zöllen auf US-Importe ankündigte, hat den Welthandel erschüttert und hallt noch immer nach. Die EU ist Trumps Handelsforderungen auf seinem Golfresort in Turnberry, Schottland, nachgekommen.

Die EU, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lange Zeit von der sogenannten „Friedensdividende“ profitiert hatte, hat die Botschaft verstanden und beginnt sich zu mobilisieren. Im März stellte die EU-Außenbeauftragte, die ehemalige estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, den Plan „Readiness 2030“ vor – ein Vorhaben, das bis zu 800 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben vorsieht.

Im Mai präsentierte die EU „SAFE“, ein neues Finanzinstrument, das bis zu 150 Milliarden Euro in Form von Krediten für Rüstungsbeschaffungen bereitstellt. Doch ungeachtet der zur Verfügung gestellten Mittel und unabhängig davon, wie sehr die europäischen NATO-Mitgliedstaaten ihr Versprechen einhalten, fünf Prozent ihres jeweiligen BIP für Verteidigung auszugeben, bleibt es ein steiniger Weg.

Im Februar schätzte der in Brüssel ansässige Thinktank Bruegel, dass 300.000 zusätzliche Soldaten und eine jährliche Steigerung der Verteidigungsausgaben um mindestens 250 Milliarden Euro notwendig seien, um russischer Aggression entgegenzuwirken.

Der Mangel an einem einheitlichen Kommando- und Kontrollsystem ist ein bedeutender Nachteil. Aus demselben Grund ist die Kampfkraft von 300.000 US-Soldaten erheblich größer als die der vergleichbaren Anzahl europäischer Soldaten, die auf 29 nationale Armeen verteilt sind.

Die Rüstungsbeschaffung stellt ein weiteres zentrales Problem dar, und der Bericht stellt infrage, ob diese ohne Zugang zur US-Rüstungsindustrie überhaupt möglich wäre. Can Kasapoğlu und Peter Rough kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass europäische strategische Autonomie aus diesem Grund eine Illusion sei.

Die europäische Einsatzbereitschaft ist uneinheitlich. Dänemark, am Tor zur Ostsee gelegen, hat Schwierigkeiten, eine einsatzbereite Brigade aufzustellen. Dennoch stehen in einer Verteidigungslinie, die sich von Norwegen über Finnland, die baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) bis nach Polen erstreckt, die Grenzstaaten bereit, einen russischen Angriff abzuwehren.

Am vergangenen Freitag erklärte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, dass General Alexus Grynkewich, der neue NATO-Kommandeur in Europa, US-Berichte bestätigt habe, wonach Russland Europa bereits im Jahr 2027 herausfordern könnte – was das Gefühl der Dringlichkeit weiter verstärkte.

Der EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas warnte, dass Europas Straßen, Brücken und Eisenbahnen nicht dafür ausgelegt seien, im Falle eines Krieges mit Russland schnell Panzer, Truppen und militärische Ausrüstung über den Kontinent zu transportieren. Die Modernisierung der Infrastruktur zur Verbesserung der militärischen Mobilität werde 17 Milliarden Euro kosten.

Der britische Premierminister Keir Starmer, unterstützt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, hatte versucht, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden, um eine Friedenssicherungstruppe für die Ukraine bereitzustellen – doch wie die Mäuse, die sich darauf einigten, der Katze ein Glöckchen umzuhängen, war niemand bereit, den ersten Schritt zu tun.
Nichtsdestotrotz könnte die Northwood-Erklärung, in der Frankreich und das Vereinigte Königreich ihr Bekenntnis zur nuklearen Zusammenarbeit bekräftigten, als Wiederbelebung der Entente Cordiale angesehen werden.

Darauf folgte der Kensington-Vertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland, der in 30 Artikeln konkrete Kooperationsbereiche festlegte. Im Kern könnte diese trilaterale Partnerschaft als Grundlage für ein europäisches Sicherheitsrahmenwerk dienen.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan war ebenfalls zum Treffen in London eingeladen worden und bekundete in einem Interview das Interesse der Türkei, Teil einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur zu werden. Mit ihrer rasch wachsenden Rüstungsindustrie hat die Türkei zudem ein klares Interesse daran, vom SAFE-Instrument der EU zu profitieren.

Allerdings gibt es die Bedingung, dass eine Beteiligung der Türkei die einstimmige Zustimmung der europäischen Staaten erfordert – und dass kein Land aufgenommen werden kann, das die Interessen der EU oder eines ihrer Mitgliedstaaten bedroht.

Angesichts des türkischen Aufrüstungsprogramms und Präsident Erdogans Versuchen, die säkulare Opposition zu zerschlagen, gibt es gute Gründe, die Entscheidung Deutschlands und Großbritanniens zu hinterfragen, den Verkauf von 40 Eurofighter-Typhoon-Kampfjets an die Türkei zu genehmigen.

Die USA haben bereits dem Verkauf von 40 F-16-Kampfjets zugestimmt – im Gegenzug für die türkische Ratifizierung des NATO-Beitritts Schwedens – und Präsident Erdogan ist zuversichtlich, dass die Türkei wieder in das US-amerikanische F-35-Programm aufgenommen wird.

Vor sechs Jahren warnte Macron, dass Europa mit dem Aufstieg Chinas und der autoritären Wende der Regime in Russland und der Türkei konfrontiert sei. Vor drei Jahren drohte der türkische Präsident Erdogan Athen mit einem Raketenangriff, und die „Blaues Vaterland“-Marinedoktrin der Türkei richtet sich sowohl gegen Griechenland als auch gegen Zypern.

Angesichts des möglichen Rücktritts von Finanzminister Mehmet Şimşek und der instabilen politischen Lage wäre es töricht, wenn Europa all seine Hoffnungen auf diese Karte setzen würde.

*Robert Ellis ist Türkei-Analyst und Kommentator. Er ist internationaler Berater am RIEAS (Research Institute for European and American Studies) in Athen und regelmäßiger Kommentator zu türkischen Themen in der dänischen und internationalen Presse. Zuvor war er Berater der Turkey Assessment Group im Europäischen Parlament sowie Senior Fellow am Gatestone Institute in New York.

Quelle: https://nationalinterest.org/feature/europes-turkey-dilemma