Anstatt den Glauben zu töten, hat die Moderne seine dramatischsten Ausdrucksformen befeuert.
In Durham, North Carolina – nur wenige Meilen entfernt von großen Universitäten, Lehrkrankenhäusern und anderen Tempeln der Wissenschaft – ist der Heilige Geist nach wie vor eine machtvolle Präsenz. Als ich im vergangenen Jahr an einem Freitagabend einem Gottesdienst der Gemeinde Catch the Fire beiwohnte, bewegte sich eine zierliche, blondhaarige Frau durch die Reihen, legte Menschen die Hände auf Kopf und Schultern und rief den Heiligen Geist herbei. Ihre magentafarbene Tunika leuchtete im Schein der Scheinwerfer. Sie atmete schwer ins Mikrofon. Immer wieder hielt die Frau – eine in Toronto ansässige Evangelistin namens Carol Arnott – inne, zeigte mit dem Finger in eine Reihe von Gläubigen und rief: „Feuer auf sie, Herr!“ Knie gaben nach, Menschen sanken in ihre Sitze zurück.
Während Arnott weiter durch die Reihen ging, folgte ihr ein Mann mit Kapuzenpulli – der „Fänger“ –, bereit, jeden aufzufangen, der „im Geist fiel“. Eine einzige Berührung ihrer Hand genügte, und weitere Gläubige fielen zu Boden. „Steh nicht zu früh auf“, ermahnte Arnott eine benommene Frau, die auf dem Teppich lag. „Du bist wie ein Steak, das noch mariniert.“ Sie predigte, während sie weiterging, und schilderte eine Vision, in der Jesus ihr ein Bouquet Maiglöckchen überreicht und sie mit einer Blumenkrone und einem Brautschleier geschmückt habe. „Der Bräutigam kommt. Bist du bereit?“, fragte Arnott. Es war kaum zu verstehen bei all den Stöhnen und dem eruptiven „heiligen Lachen“, das durch den Saal hallte.
Catch the Fire gehört zur am schnellsten wachsenden christlichen Bewegung weltweit: den charismatischen Christen. Sie glauben, dass der Heilige Geist ihnen dieselben Gaben verleiht wie einst den Aposteln Jesu – Zungenrede, Heilung und Prophetie. Schätzungen zufolge zählen sie zu mehr als der Hälfte der rund 60 Millionen US-Amerikaner, die sich als „wiedergeboren“ bezeichnen. Dieser blühende, übersinnlich geprägte Glaube verweist auf ein Paradox der säkularen Moderne: Gerade in einer Ära schwindender Kirchenbindung erleben einige der dramatischsten Formen religiösen Ausdrucks eine neue Blüte. Anstatt Religion zu vernichten, hat der Säkularismus ihre ekstatischen Elemente geradezu befeuert.
Doch nicht nur charismatische Christen wenden sich einer Spiritualität zu, die in unserer rationalen Gegenwart fehl am Platz wirken mag. 87 Prozent der Amerikaner glauben an mindestens eine New-Age-Idee – etwa Karma, Wiedergeburt oder Telepathie. Während meiner Recherchen zur charismatischen Bewegung für mein neues Buch Spellbound sprach ich auch mit Podcast-Hosts, die in Silicon Valley Ayahuasca-Rituale propagieren, sowie mit spirituellen Coaches, die Behandlungen von Reiki bis zur Rückführung in vergangene Leben anbieten.
In einer New-Age-Gemeinde außerhalb von Denver besuchte ich einen Heil-Workshop, in dem es darum ging, die unsichtbaren Energien des Universums zur Behandlung von Krebs und Arthritis zu nutzen. Und ich nahm an einem schamanischen Trommelkreis teil, bei dem ein ehemaliger Softwareentwickler namens Greg die Teilnehmer auf eine Reise in die Geisterwelt führte – zu ihren Krafttieren. Wenn das hier eine „säkularisierte Zeit“ sein soll, dann müssen wir vielleicht neu überdenken, was Säkularisierung eigentlich bedeutet.
Diese florierenden Subkulturen zeigen unter anderem, dass es in Amerika heute längst nicht mehr stigmatisierend ist, den Heiligen Geist anzurufen oder nach einem Krafttier zu suchen – wie es solche jenseitigen Unternehmungen einst waren. Während meines Besuchs bei Catch the Fire blickte ein Pastor in die lachende, sich windende Menge und verkündete: „Wir entscheiden uns dafür, albern auszusehen.“ Doch anders als Christen, die vor hundert Jahren in Zungen redeten, muss er heute nicht mehr befürchten, dass die Polizei den Gottesdienst auflöst oder örtliche Ärzte vor Gericht fordern, die Gläubigen für unzurechnungsfähig zu erklären. Heutzutage neigen Amerikaner eher dazu, theologische Eigenheiten anderer achselzuckend hinzunehmen – und sich ihre „Reinheitstests“ für den Bereich der Politik aufzuheben.
Charismatische Christen predigen eine Botschaft, die genauso sehr auf das Ablegen von Hemmungen abzielt wie auf das Einhalten biblischer Gebote. Der Pastor Randy Clark, der eng mit Catch the Fire verbunden ist, gestand, dass er zu Beginn seines Dienstes nichts Besonderes empfand, wenn andere im Geist „niedergestreckt“ wurden. Ein Freund riet ihm: „Du wehrst dich einfach. Tu das nächste Mal nicht so, als würdest du etwas fühlen, aber kämpfe auch nicht dagegen an. Werde einfach ein Segel im Wind.“ Clark befolgte diesen Rat, und als beim nächsten Mal für ihn gebetet wurde, „hatte ich eine körperliche Manifestation“, erzählte er mir. „Es fing mit meinem rechten Daumen an. Ich sah, wie er sich bewegte, und dachte: Das ist komisch. Ich könnte das stoppen. Aber ich entschied mich bewusst: Ich will offen sein, nichts unterdrücken, aber auch nichts erzwingen.“
Offenheit für den Heiligen Geist schließt orthodoxe Lehren keineswegs aus. Tatsächlich vertreten die meisten charismatischen Kirchen eine klassische Bibelauslegung, und viele Katholiken – also Angehörige einer betont dogmatischen Tradition – bezeichnen sich ebenfalls als charismatisch. Alpha, eine der weltweit erfolgreichsten evangelistischen Bewegungen, kombiniert die spürbare Erfahrung der göttlichen Gegenwart mit klassischen Argumenten für den christlichen Glauben. Gegründet 1977 von einer charismatischen anglikanischen Gemeinde in London, entwickelte sich Alpha zu einem elfteiligen Einführungskurs ins Christentum, der inzwischen in 112 Sprachen angeboten wird und in einem „Heiliger-Geist-Wochenende“ voller Gebet kulminiert.
„Menschen, die zunächst sehr skeptisch waren, erleben oft etwas Kraftvolles – und dann versuchen sie zu verstehen, was da eigentlich passiert ist“, erklärte mir Graham Tomlin, ein anglikanischer Priester, der Alpha seit vielen Jahren begleitet. „Als Mittel zur Evangelisation geht es hier nicht in erster Linie um Programme oder die Erklärung von Dogmen – obwohl das dazugehört –, sondern um eine Einladung, Gott zu begegnen.“
Aus einer bestimmten Perspektive scheinen diese Gruppen lediglich die Sehnsüchte der Gegenwart bis zu ihrem übernatürlichen Ende zu denken. Die wachsende Beliebtheit spirituell erfüllter Gottesdienste und der Fokus auf persönliche Gotteserfahrung gehen Hand in Hand mit dem gesellschaftlichen Trend, das individuelle Erleben über Tradition und rationale Argumentation zu stellen. Die charismatische Bewegung begann in den 1960er-Jahren gleichzeitig mit dem Aufstieg der Poppsychologie, die Selbstverwirklichung und Authentizität als Hauptquellen des Glücks propagierte. Der zunehmende Wunsch nach einer individuell erlebten Spiritualität steht auch in engem Zusammenhang mit dem Vertrauensverlust, den viele Amerikaner gegenüber Institutionen und Autoritäten in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben.
Einige religiöse Führer zeigen sich jedoch besorgt, dass dieser subjektive Impuls zu weit gehen könnte. „Die Betonung von Gefühlen und Emotionen ist grundsätzlich gut, aber die Gefahr besteht darin, dass sie objektive Wahrheit verdrängt. Es wird zu: ‚Ich fühle es, also ist es meine Wahrheit‘“, sagt Nicky Gumbel, ein anglikanischer Priester, der die weltweite Ausbreitung des Alpha-Kurses leitete und weiterhin an dem Programm mitwirkt. „Erlebte Erfahrung wird zum Maßstab für alles.“
Doch Selbstoptimierung ist die starke Unterströmung der amerikanischen Kultur. Sie wirkt allem entgegen, was traditionelle Vorstellungen von Wahrheit und deren Verkündigung ausmacht. In der New-Age-Gemeinde, die ich in Denver besuchte, predigte der Pastor, dass alle Menschen ihr „einzigartiges, authentisches, von Gott ausgedrücktes Selbst“ verwirklichen sollten. Ein spiritueller Coach sagte mir bei einer anderen Gelegenheit: „Ich habe die Neumond- und Vollmond-Zeremonien gemacht. Ich habe viel mit Kristallen gearbeitet, mit Salbei, Schwitzhütten. Ich habe so viele Dinge ausprobiert, einfach um meinen Weg zu finden – was sich für mich richtig anfühlt.“
Wer diese kulturelle Landschaft verstehen will, darf nicht der Versuchung erliegen, diese Gruppen nur anhand ihres Wahlverhaltens zu beurteilen. Natürlich würden viele spirituelle New-Age-Experimentierende in moralischen Fragen und politischen Ansichten mit charismatischen Christen aneinandergeraten. Doch das übliche Kulturkampf-Schema verdeckt die tieferliegenden, vorpolitischen Impulse, die diese Formen amerikanischer Religiosität miteinander teilen: den Wunsch nach spürbarem Kontakt mit göttlicher Macht und das Vertrauen in persönliche Erfahrung statt in sogenannte Experten. Zusammengenommen erklären diese Haltungen die amerikanische Politik besser als jede Theorie, die sich auf das bekannte Blau-gegen-Rot-Narrativ stützt.
Diese Mischung aus spirituellem Hunger und Misstrauen gegenüber elitären Autoritäten ruft einen bestimmten Typ von Führungsperson auf den Plan. In den letzten zehn Jahren hat Donald Trump Anhänger in eine Erzählung über den Niedergang und die Wiedergeburt Amerikas hineingezogen, die eher spirituell als politisch ist. Er ist der Präsident eines anti-institutionellen, traditionsskeptischen, erfahrungszentrierten Zeitalters, in dem weniger Amerikaner die Kirche besuchen, aber viele Gurus auf YouTube folgen. Die Gefühle von Frustration und Kränkung, die ein Kandidat verkörpert, zählen mehr als sein politisches Programm.
Seine Botschaft, dass Institutionen schwach, korrupt und keiner Loyalität würdig seien; sein stilles Versprechen, man könne sich Wohlstand einfach herbeiträumen – ungeachtet dessen, was Ökonomen sagen; seine persönliche Dominanz über die Republikanische Partei: All das hat Erfolg, weil das öffentliche Vertrauen in sämtliche Institutionen – nicht nur in traditionelle Kirchen – zerbrochen ist. Dieses Misstrauen reicht bis in die Arbeitswelt hinein – jene Institution, die den größten Einfluss auf den Alltag der meisten Menschen hat. Nur 21 Prozent der US-Arbeitnehmer geben an, ihren Führungskräften stark zu vertrauen. Gleichzeitig sind soziale Verhaltensweisen, die wir mit einer frommeren, weniger toleranten Zeit verbinden – das Ziehen harter Grenzen, das Ausstoßen von „Ketzer*innen“, das Erwarten göttlicher Vergeltung für Feinde – von den Kirchen in die Politik gewandert. Viele Amerikaner sind bereit, ihren Glauben in einen politischen Erlöser zu setzen, der sagt, er sei „von Gott gerettet worden“.
Selbst wenn der parteipolitische Diskurs mittlerweile Züge fundamentalistischer Sekten angenommen hat, gibt es Anzeichen dafür, dass der 60-jährige Niedergang der organisierten Religion im Westen sich verlangsamt hat. Vielleicht beginnt sogar eine stille Wiederbelebung. Nachdem der Anteil der Amerikaner, die angeben, keiner Religion anzugehören, 20 Jahre lang stetig gestiegen war, scheint er sich nun eingependelt zu haben. Immer mehr junge Männer gehen wieder in die Kirche – viele von ihnen schließen sich katholischen oder orthodoxen Gemeinden an. In England und Wales verzeichnet die Generation Z einen deutlichen Anstieg der Kirchenbesuche: Innerhalb von nur sechs Jahren stieg der Anteil der Bevölkerung, der regelmäßig zur Kirche geht, von 8 auf 12 Prozent.
Während meiner Recherchen begegnete ich immer wieder Menschen, die der Zynik und der selbstgebastelten Sinnsuche überdrüssig geworden waren – und die schließlich ihren Weg in alte Institutionen und übernatürliche Glaubenswelten fanden. So auch Christine Flynn, die mit ihrer Familie außerhalb von Milwaukee lebt. In ihren jungen Erwachsenenjahren stöberte sie gern in den Esoterikabteilungen von Buchläden und versuchte, sich durch Intuition und Eigenrecherche selbst zu verwirklichen. „Ich dachte, ich mache meine eigenen Nachforschungen, und wo auch immer ich lande, das ist dann eben richtig. Ich musste mit niemandem darüber reden“, erzählte sie mir. Doch nachdem sie Mutter geworden war und beobachtete, wie ihr atheistischer Ehemann begann, sich für das Christentum zu interessieren, „wurde ich es leid, so zynisch zu sein.“ Sie begann, die christlichen Bücher zu lesen, die ihr Mann herumliegen ließ. Heute ist sie Mutter von sechs Kindern, unterrichtet diese zu Hause – und veröffentlichte letztes Jahr ein Memoir über ihren Weg in die katholische Kirche.
Solche Bekehrungen wie die von Flynn sind Teil einer weltweiten Entwicklung. Sowohl das Christentum als auch der Islam wachsen außerhalb des Westens rasant. Weltweit betrachtet wird der Anteil der Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen – laut einigen Studien derzeit etwa 7 Prozent – in den kommenden Jahren wahrscheinlich sinken. Nicky Gumbel, der anglikanische Priester und Alpha-Leiter, erzählte mir, dass das Programm besonders in chinesischsprachigen Gemeinschaften großen Erfolg habe, die sich mit der kommunistischen Vergangenheit auseinandersetzen. „Reiner Säkularismus erfüllt nicht“, sagt er. In einer globalisierten Gesellschaft wie den USA erscheinen Vorhersagen vom dauerhaften Zusammenbruch des religiösen Glaubens und der Praxis verfrüht.
Der Mensch ist im Grunde religiös – in dem Sinne, dass wir danach streben, Ordnung in das Chaos des Daseins zu bringen und einer Quelle ultimativen Sinns zu huldigen. Der katholische Philosoph Charles Taylor schrieb 1989 in seinem Buch Sources of the Self, dass jeder Mensch nach einem Gefühl der Erfüllung strebe – einem „Muster höheren Handelns“, das das eigene Leben mit einer größeren Realität oder Erzählung verbinde. Er warnte davor zu glauben, dass diese Sehnsucht sogar unter Nichtgläubigen verschwunden sei. Die Säkularisierung mag unsere Formen des Ausdrucks verändern – sie hat aber diese grundlegenden Impulse nicht ausgelöscht. Ungläubige haben mit charismatischen Gläubigen womöglich mehr gemeinsam, als ihnen bewusst ist.
*Molly Worthen ist Historikerin an der University of North Carolina at Chapel Hill und Autorin von „Spellbound: How Charisma Shaped American History From the Puritans to Donald Trump“.
Quelle: https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2025/06/american-religion-charismatic-christianity/682991/