Die Industrielle Revolution, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Westeuropa entfesselt wurde, bedeutete nicht nur das Aufkommen neuer Maschinen, sondern die Geburt einer vollkommen neuen Welt. Mit dem Einzug von Dampfkraft, mechanisierten Produktionslinien und Fabrikstädten wurden die historischen Karten neu gemischt. Diese Transformation war nicht bloß ein technologischer Sprung, sondern markierte den Beginn einer Epoche, in der Kapital, Arbeit, Bildung und Politik neu definiert wurden.
Das Osmanische Reich jedoch blieb an der Schwelle dieser neuen Ära stehen – und trat nicht ein. Es vermochte weder seine innere bürokratische Trägheit zu überwinden noch ein produktionsorientiertes Denken zu entwickeln, das mit der Welt hätte Schritt halten können. Kurz gesagt: Wir haben den Dampf verpasst. Doch den Dampf zu verpassen bedeutete nicht nur, den Zug zu verpassen, sondern die Geschichte selbst.
Wie Elips Haber berichtet, gewann mit der Gründung der Republik erstmals die Idee einer umfassenden Entwicklung an Boden. Das Ziel war diesmal nicht nur, einen Staat zu gründen, sondern diesen auch in eine wirtschaftlich autarke Organisation zu verwandeln. Die in den 1930er-Jahren umgesetzten Industriepläne waren Teil einer bis heute mit Sehnsucht erinnerten produktiven Aufbruchsphase: In kürzester Zeit wurden Fabriken in Uşak (Zucker), Nazilli (Textil), Kayseri (Flugzeugbau) und an vielen weiteren Orten errichtet und in Betrieb genommen.
Angesichts des Kapitalmangels und der schwierigen Rahmenbedingungen jener Zeit übernahm der Staat eine aktive Rolle in der Wirtschaft und griff direkt in die Produktion ein. Eisenbahnlinien wurden ausgebaut, Bergwerke erschlossen, die Türkische Lira gewann erstmals an Wert.
Diese Phase markierte den Höhepunkt einer staatlich geplanten, produktionsorientierten Entwicklungspolitik. Doch dieser wirtschaftspolitische Impuls konnte seine politische Grundlage nicht lange behaupten. Mit dem Übergang zum Mehrparteiensystem wich dieser Produktionsreflex zunehmend kurzfristigen, populistischen Entscheidungen.
Zwar blieb das Schlagwort „Entwicklung“ auch in der Ära der Demokratischen Partei erhalten, doch anstelle einer produktionsbasierten Strategie setzte man auf ein Modell, das auf Importe und konsumfördernde Kredite gestützt war.
Ende der 1950er-Jahre machten sich erste Probleme mit dem Außenhandel bemerkbar. In den 1960er-Jahren begann die unkontrollierte Wachstumsstrategie ihren Preis zu fordern. Schließlich war die Türkei in den 1970er-Jahren mit einer fragilen Industrie, unzureichender Kapitalbildung, schwachem Technologiestand und wachsender Abhängigkeit vom Ausland konfrontiert.
Damals mussten die meisten Bauteile für ein Automobil importiert werden – die Produktion war von außen abhängig und in sich widersprüchlich. Eigene Motoren konnten nicht gebaut, eigene Energie nicht erzeugt und eigene Systeme nicht entwickelt werden. Es war eine Industrialisierung ohne Industrie – ein Paradox, das bis heute nachwirkt.
Nach 1980 markierte die Integration des liberalen Wirtschaftsmodells in die Türkei einen weiteren Wendepunkt. Mit Turgut Özal rückte anstelle der nach innen gerichteten Wirtschaftsstruktur eine exportorientierte Industrialisierungsvision in den Vordergrund. Die Türkei begann, sich den internationalen Märkten zu öffnen.
Doch hinter dieser Öffnung stand weder eine solide Technologiepolitik noch ein institutionell fundierter Industrieplan. Zwar drangen viele Produzenten schnell in die Auslandsmärkte vor, mussten sich dort jedoch meist mit Auftragsfertigung zufriedengeben. Die Türkei fand ihren Platz in der globalen Wirtschaft nicht mit eigenen Marken, sondern als verlängerte Werkbank ausländischer Unternehmen. Das dominierende Modell war eines, das billige Arbeitskraft anbot, mit Kostenersparnissen arbeitete, aber keinen Mehrwert schuf.
Diese Struktur führte nicht nur zu tiefgreifenden sozialen Verwerfungen, unter denen wir bis heute leiden, sondern machte unsere Wirtschaft zu einem süchtigen Abhängigen kurzfristiger Kapitalzuflüsse. Wie bei jedem Land, das in eine solche Abhängigkeit gerät, blieb auch bei uns eine Kette wirtschaftlicher und politischer Krisen nicht aus. Infolgedessen wurde es nahezu unmöglich, den Blick von den chronischen Problemen des Alltags zu lösen, vorauszudenken, zu planen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen.
Diese Phase war auch eine Zeit des mentalen Umbruchs. An die Stelle des Produzierens trat das Verkaufen, statt zu entwerfen wurde kopiert, statt Innovation wurde adaptiert.
Die Türkei wuchs in dieser Zeit zwar, doch fern von Nachhaltigkeit – das Wachstum basierte nicht auf Qualität, sondern auf Quantität. Zur selben Zeit verfolgten Länder wie Südkorea und Taiwan konsequente Strategien zur Steigerung ihrer Produktionskapazität und zur Entwicklung von Technologien.
Während sie Marken aufbauten, exportierten wir weiterhin Produkte mit einem Kilopreis von unter zwei Dollar. Und was war das Ergebnis? Länder, die gestern noch Kolonien waren, machten enorme wirtschaftliche Fortschritte, während die Türkei – Erbin eines sechshundertjährigen Imperiums – mit dem Gesamtwert ihrer Börse nicht einmal den Marktwert eines einzigen amerikanischen Unternehmens erreichte. Wir sind zurückgeblieben!
Wenn manche versuchen, dieses Problem allein mit fehlender technischer Infrastruktur zu erklären, kann man nur noch schmunzeln. Diese selbsternannten Ökonomen, die keine Ahnung davon haben, mit welchen Widrigkeiten ehemals versklavte Länder in Asien – ohne Nahrung, ohne Freiheit, ohne Rechte – unglaubliches geleistet haben, bräuchten dringend Nachhilfe in Geschichte. Aber leider ist es längst zu spät…
Natürlich spielen geografische Gegebenheiten, begrenzte Ressourcen und strukturelle Herausforderungen eine wichtige Rolle. Doch unsere wichtigste Ressource ist das Humankapital – und dessen Effizienz hängt in erster Linie von der Qualität der Bildung ab.
Die Universitäten hätten das intellektuelle Rückgrat einer produktionsorientierten Wirtschaft sein sollen. Stattdessen haben sie sich zunehmend an gesellschaftlichen Erwartungen orientiert. Akademische Bildung dient heute nicht mehr der Entwicklung kreativer Individuen, sondern hat sich in einen Bewerberlehrgang für Beamtenstellen verwandelt. Ein Hochschulabschluss bedeutet für viele nur noch die Hoffnung auf einen guten KPSS-Punkt oder eine Stelle als Angestellter im Privatsektor. Dabei sollten Universitäten Wissen generieren, Patente hervorbringen und eng mit der Industrie kooperieren.
Heute jedoch gleichen viele Hochschulen eher Diplomfabriken. Anstelle von forschungsbasierten Abschlussarbeiten werden formelle Pflichttexte produziert, statt praxisorientierter Projekte dominieren bürokratische Prozeduren, und die dringend nötige Kooperation mit der Industrie bleibt aus. Viele Rektoren großer Universitäten haben nicht ein einziges international beachtetes wissenschaftliches Werk veröffentlicht – das sagt alles über den Zustand unserer akademischen Landschaft.
Unter den Absolventen gibt es nur sehr wenige, die eigene Unternehmen gründen oder in neue Produktionsbereiche einsteigen. Die überwältigende Mehrheit kämpft um eine Anstellung im öffentlichen Dienst. Unternehmertum wird kaum gefördert – weder finanziell noch kulturell – und oft sogar als riskanter oder gar sinnloser Weg abgetan. Junge Menschen werden nicht dafür ausgebildet zu produzieren, sondern darauf konditioniert, einen „sicheren Arbeitsplatz“ zu finden. Die staatlichen Subventionen für Absolventen, die in ihrem eigenen Fachgebiet arbeiten wollen, sind lächerlich gering. Dabei müssten sie durch langfristige Kapitalinvestitionen im Rahmen von Investmentbanking oder Crowdfunding unterstützt werden – nicht durch klassische Kredite! Vor allem nicht in einem inflationären Umfeld wie dem aktuellen.
Ja, die Wirtschaftskrisen, Währungsschwankungen und die anhaltende Inflation der letzten zwanzig Jahre haben das Entstehen eines gesunden unternehmerischen Umfelds nicht nur verhindert, sondern die Idee davon aus den Köpfen der Menschen verdrängt. Unsere Jugend kämpft heute ums tägliche Brot. Universitäten haben ihre gesellschaftliche Relevanz eingebüßt. Sie dienen heute oft nur noch als Instrumente, um für ein paar Jahre die Arbeitslosenzahlen zu kaschieren.
Infolgedessen haben die Krisen nicht nur die Kapitalakkumulation verhindert, sondern auch dazu geführt, dass das vorhandene Kapital nicht in die Produktion, sondern in spekulative Bereiche gelenkt wurde.
Heute konzentriert sich in der Türkei nicht nur die Jugend, sondern ein großer Teil der Unternehmer nicht auf Industrie oder Technologie, sondern auf Bauwesen, Grundstückskäufe oder kurzfristige Börsengeschäfte.
Denn dort sind die Gewinne schneller und scheinbar sicherer. Dies hat dazu geführt, dass die Produktionskultur weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft verdrängt wurde. Wie bereits erwähnt: Für einen jungen Unternehmer, der ein eigenes Geschäft aufbauen möchte, ist der Weg lang, die Unterstützung gering, das Risiko hoch. In einem solchen Umfeld kann nachhaltiges Unternehmertum nicht gedeihen.
In der Welt hingegen zeigt sich ein völlig anderes Bild. Die 2020er Jahre sind ein Jahrzehnt, in dem neue Revolutionen in zahlreichen Bereichen wie Künstliche Intelligenz, grüne Transformation, Biotechnologie und Raumfahrtindustrie begonnen haben. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, stehen wir vor einem gewaltigen Entwicklungssprung.
Die entwickelten Länder begnügen sich längst nicht mehr mit der Produktion allein – sie sichern sich geistiges Eigentum, Patente und Algorithmen, noch bevor überhaupt produziert wird. Die führenden Volkswirtschaften der USA, Europas und Asiens verstehen Produktion nicht nur als einen Prozess, sondern als ein ganzheitliches Ökosystem. Universitäten, Labore, der Privatsektor und staatliche Institutionen arbeiten dort auf ein gemeinsames Ziel hin: die Schaffung von Mehrwert.
Unser Land hingegen ist diesem Wettbewerb seit Jahrhunderten weit hinterher. Die Wirtschaft ist nach wie vor ineffizient, die öffentliche Verwaltung träge, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung unzureichend. (Allein Samsung investiert mehr in F&E als alle börsennotierten Unternehmen der Türkei zusammen – und das mit dem Dreifachen!)
Noch immer gilt es als lukrativer, sich um öffentliche Aufträge zu bemühen, als ein innovatives Projekt zu entwickeln. Am Ende dieser gesamten Ineffizienzkette steht logischerweise die schwere Last der Inflation, die auf den Schultern der Bevölkerung liegt. Denn eine Volkswirtschaft, die nicht produziert, ist gezwungen, ständig zu importieren. Eine dauerhaft importierende Wirtschaft ist vom Devisenmarkt abhängig. Und eine währungsabhängige Ökonomie erlebt bei jeder kleinsten Wechselkursschwankung eine Inflationsexplosion.
Inflation ist daher nicht nur ein bloßer Preisanstieg, sondern das Spiegelbild der Produktionslosigkeit – ihr deutlichstes Resultat.
Auch das Bild an der Börse Istanbul ist ein weiteres Symptom dieser strukturellen Schieflage. Die niedrige Bewertung der erwähnten Unternehmen ist nicht nur ein finanzieller Indikator, sondern ein greifbares Zeichen für ihre mangelnde Produktionskraft, ihre unzureichende Markenbildung und ihre geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wir produzieren – aber für die Marken anderer.
Letztendlich müssen wir diesen Teufelskreis unbedingt durchbrechen.
Wir haben die Industrielle Revolution verpasst – wenn wir auch die digitale Revolution verpassen, könnte das kommende Jahrhundert eine Zeit werden, in der wir nur durch Verschuldung überleben.
Dabei sind die notwendigen Maßnahmen glasklar:
Wir müssen die Universitäten wieder in Institutionen verwandeln, die Wissen generieren; die Jugend zur unternehmerischen Tätigkeit motivieren; Produktion nicht nur in der Fabrik, sondern im Kopf beginnen lassen. Markenbildung darf nicht bloß Marketingstrategie sein, sondern muss zu einer nationalen Strategie werden.
Der Staat muss die Privatwirtschaft nicht nur durch Fördermittel, sondern auch durch Lenkungs- und Schutzmaßnahmen unterstützen.
Andernfalls wird dieses Land weiterhin dem Irrglauben verfallen, dass Konsum Reichtum bedeutet.
Doch wahrer Reichtum bemisst sich nicht an dem, was man konsumiert, sondern an dem, was man produziert.