Am 7. Oktober führte der militärische Arm der Hamas – der gewählte Vertreter des Volkes von Gaza – eine Operation durch, die nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit große Auswirkungen hatte. Israel nutzte die Operation „Al-Aqsa-Flut“ als Vorwand, um die seit über 80 Jahren andauernden Massaker in eine systematische Völkermordpolitik zu überführen. Diesen Völkermord ausschließlich unter dem Aspekt des menschlichen Verlusts des palästinensischen Volkes zu betrachten, führt jedoch zu fatalen Fehlschlüssen. Denn dieser Prozess offenbarte auch, dass viele Konzepte und Werte, die in der Menschheitsgeschichte durch verschiedene Erfahrungen entstanden sind und als universelle Werte gelten sollten, offenbar nur für bestimmte Menschen gelten.
Es wurde deutlich, dass Begriffe wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit den „modernen Individuen“ vorbehalten sind und dass das palästinensische Volk nicht in diesen Rahmen passt – eine politische und moralische Inkohärenz, die besonders in den Handlungen der entwickelten Staaten sichtbar wurde. Gleichzeitig sorgt auch die schwache Reaktion derjenigen Länder, die mit dem Volk von Gaza durch Religion, Abstammung oder gemeinsame geographische Schicksale verbunden sind, für die Fortsetzung dieses Völkermords vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Kurz nach seinem Amtsantritt verkündete US-Präsident Trump ein Projekt zu Gaza, das die Diskussion in eine neue Richtung lenkte. Nach den Vorstellungen der US-Regierung könnte eine Evakuierung Gazas und der Bau einer neuen Stadt eine Lösung für das palästinensische Problem darstellen. Als sie mit einer Visualisierung ankündigten, Gaza in eine moderne Stadt ähnlich Dubai zu verwandeln, wurde klar, dass es sich nicht bloß um ein städtebauliches Projekt handelt.
Denn laut Plan sollte die Bevölkerung Gazas – insbesondere nach Ägypten – in bestimmte Länder umgesiedelt werden. Es ist nicht schwer vorherzusehen, dass das palästinensische Volk, das seit Jahrzehnten im Exil lebt, einem neuen Vertreibungsplan nicht zustimmen wird. Unter dem Deckmantel einer räumlichen Transformation zielt dieses Projekt offensichtlich darauf ab, die kulturelle und soziale Struktur auszulöschen.
Denn wir erleben, dass sich die arabische Identität – anders als in der jahrtausendelangen Geschichte – in den letzten Jahren zunehmend vom kulturell und politisch bedeutsamen Levante-Raum in den konsumorientierten Golf verlagert. Es lässt sich sagen, dass sich die arabische Identität vielerorts in der Welt zwar in ihren Gewohnheiten noch nicht vollständig modernisiert hat, aber dennoch in eine konsumzentrierte Transformation mit einer modernen Moral eingebettet ist.
Der Widerstand des palästinensischen Volkes und der Freiheitskampf des syrischen Volkes bilden einen kulturellen und räumlichen Gegenpol zu dieser künstlich geschaffenen Identität. Die Städte dieser beiden Völker beherbergen ein bedeutendes Gedächtnis im Aufbau sozialer und kultureller Identität. Diese natürliche Verbindung zwischen Raum und kulturellem Gedächtnis birgt auch das Potenzial, symbolische Mittel des langjährigen palästinensischen Widerstandes zu schaffen. Städte wie Gaza, Damaskus, Aleppo, Amman, Bagdad, Jerusalem, Diyarbakır, Istanbul usw. beanspruchen eine zentrale Rolle beim Aufbau von Identität und im Widerstand gegen Kolonialisierung.
Im Gegensatz dazu stehen die künstlich geschaffenen Städte der Golfstaaten, die sich auf den Konsum von Dingen und Werten konzentrieren und das Zentrum einer neuen, konsumorientierten arabischen Identität darstellen. Diese beiden räumlichen Pole lassen sich auch im Kontext von Freiheit/Gefangenschaft oder Zuhause/Gefängnis verstehen.
Die antiken Städte des Nahen Ostens, die seit fast einem Jahrhundert unter den Kriegen und Zerstörungen leiden, die das Chaos hervorgerufen haben, stellen ein wichtiges Problem dar, das unsere Gegenwart und Zukunft beeinflussen wird. In diesem Zusammenhang kommt es dazu, dass einige Städte im Golf, die keine historische Grundlage und kulturelle Struktur besitzen, zunehmend zu Symbolen für den Lebensraum reicher Individuen werden und als solche die Machtzentren in der Region ablösen. Obwohl dies eine neue Situation für den Nahen Osten darstellt, hat die Welt in verschiedenen Zeiten ähnliche Beispiele erlebt.
Napoleon beauftragt Haussmann als Gouverneur, um seine Macht in Paris zu festigen und die anderen Gleichgewichte zu wahren. Zwischen 1853 und 1870 startete Haussmann ein riesiges städtisches Erneuerungsprojekt, um die städtischen Probleme zu beseitigen und Paris ein modernes Stadtbild zu verleihen. Mit diesen Projekten wurden neue Boulevards, Vororte, Plätze und Parks gebaut, wodurch die Stadt neu erschaffen wurde. Paris wurde von einem Wohnort der Einwohner zu einem Raum des modernen Zerstörens, der von Konflikten geprägt war. Die unendliche Beziehung zwischen Haus und Raum erinnert an das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Widerstand. Berman definiert den Modernismus als eine Anstrengung, in einem Zuhause zu leben, in dem der Mensch versucht, seine Existenz in dieser Welt zu spüren. Doch er sagt auch, dass dieser Modernismus ein neues Problem in unser Zuhause bringt: Der Mensch erschafft sich ein Gefängnis, das überall von Albträumen umgeben ist! Paris, das einst das Zuhause der Armen und der anderen Stadtbewohner war, wurde schnell zum Gefängnis der kämpfenden Klassen. Aus der Perspektive von Berman sind die kulturellen Zentren, die das kulturelle Gefüge erschaffen, in Räume umgewandelt worden, die das Heim und die Identität zerstören – diese Räume haben die Eigenschaft eines Gefängnisses. Berman bevorzugt die Idee der Kontinuität statt der Fragmentierung und der Einheit statt der Teilung. Diese Kontinuität beginnt sich im Raum zu zeigen. Mit der Modernisierung der Stadt wird auch die Seele ihrer Bewohner modernisiert. Die Bewohner sind in der Stadt, aber auch die Stadt ist in ihnen. Öffentliche Freiheiten werden nur in den öffentlichen Bereichen der Stadt frei geäußert. Als Haussmann Paris gewissermaßen zerstörte, spielte er zwar mit dem kollektiven Gedächtnis, schuf aber gleichzeitig unbeabsichtigt einen Raum, der den transparenten Übergang aller Bewohner ermöglichte. Berman sieht in diesem neuen Raum, der von Haussmann durch die Boulevards geschaffen wurde, die Widersprüche der Moderne. Laut Berman verließen die Stadtbewohner – die neuen Armen – ihre Viertel, als diese zerstört wurden, nicht, sondern wurden sichtbar gemacht.
Das Volk von Gaza symbolisiert die Seele des Raumes, der zerstört werden soll. Die kulturelle und räumliche Struktur, die zerstört werden soll, kann durch den Wiederaufbau der palästinensischen Kultur in der Diaspora ihre Seele wieder in den Straßen herumlaufen lassen. Die Identität, die in Gaza unsichtbar gemacht werden soll, wird in andere Straßen verlagert, und Palästina kann dort neu aufgebaut werden. Deshalb soll die Vertreibung des Volkes von Gaza ihre Identität von allem befreien, was sie ausmacht. Das Ziel ist es, Palästina von seiner Einzigartigkeit als Teil der muslimischen Welt und des alten Ostens zu trennen, insbesondere im Kontext des Begriffs „Terror“. Gaza, das als eines der zentralen Orte des Salafismus und des Chaos, das in den letzten 30 Jahren entstanden ist, dargestellt werden soll, ist in diesem Sinne mit diesem ihr zugewiesenen Mantel im Widerstand.
Was Napoleon und folglich Haussmann in Paris zu tun versuchten, wollen heute die USA und die westliche Welt in den historischen Kulturzentren des Nahen Ostens, die sie als „Naher Osten“ bezeichnen, durchführen. Je mehr die Menschen aus Gaza unsichtbar gemacht werden sollen, desto mehr breitet sich der Widerstandsgeist, der in den öffentlichen Räumen dieser Orte verankert ist, auf andere Städte und Schichten des Lebens als Proteste und Misstrauen gegenüber dem System aus. Als Haussmann Paris verwandelte, baute er die neuen, weichen Straßen nicht aus einer humanistischen Reflexion heraus, aber Napoleons politische Agenda musste sowohl das Volk zufriedenstellen als auch den Armen in dem neuen Paris-Bild ihren Platz an den Tischen der Reichen verwehren. Auch wenn die breiteren Boulevards ursprünglich dafür entworfen wurden, die rebellierenden Massen während der Ereignisse von 1845 zu blockieren, war dies auch ein Hinweis darauf, dass der Staat ein neues und schnelles Kommunikationsnetzwerk aufbaute. Heute stehen uns als Ergebnis des Abschottungsregimes der USA und Israels die neuen Lokalisierungsformen der Palästinenser und die Verengung ihrer sozialen Welten als deutliche Ergebnisse bevor. Ähnlich wie Haussmann versucht auch Trump, Gaza zu einem Teil des israelischen Sicherheits- und Überlebensnetzwerks zu machen. Auf diese Weise könnte die Verschiebung der neuen arabischen Identität und Kultur, die in den Golfstaaten entstanden ist, nach Norden ausgedehnt werden.
Zunächst einmal soll das Volk von Gaza vor der Zerstörung einer erschütternden Vernichtung, einer tiefen Armut und einer daraus resultierenden erzwungenen Migration stehen. Dies bedeutet auch die Vertreibung einer dynamischen politischen Kultur. Die von Berman beschriebenen Häuser der Armen in den Hintergassen von Paris und die von Sennett beschriebenen jüdischen Ghettos in Venedig können im Kontext von Gaza im Hinblick auf die Beziehung zwischen Raum und Identität miteinander verglichen werden. Die historische Verbindung zwischen Armut und Seuchen ist auch eine räumliche Verbindung. Seuchen verbreiten sich in den Vororten der Stadt. Venedig erstickte zu dieser Zeit im Chaos, das durch Ungleichheit erzeugt wurde. Obwohl die Krankheiten die ganze Stadt umhüllten, war das Hauptproblem das Ghetto, in dem die Juden lebten. Die Bevölkerung glaubte, dass Syphilis nicht nur durch Geschlechtsverkehr, sondern auch durch den Kontakt mit Juden übertragen wurde. Diese Orte, die den verfallenen Teil des Körpers der Stadt verkörpern, führten schnell zu einer Angst vor Berührung und einer Trennung. Das palästinensische Volk soll, genau wie die jüdischen Gemeinden in Venedig damals, zu einer Gesellschaft gemacht werden, die von ihren eigenen Leuten und den umliegenden Ländern als ein Volk angesehen wird, das man nicht berühren oder dem man helfen darf.
Trump möchte Gaza nicht nur als Stadt umgestalten, um die kulturelle Identität und das politische Bewusstsein, das sie aufgebaut haben, zu zerstören, sondern auch die Palästinenser im kollektiven Bewusstsein der Menschen als Ursprung von Terror und Chaos umgestalten. Die Betonung des „Radikalismus“ in Netanyahus Rede vor dem US-Kongress kann als Teil dieses Plans gelesen werden. Wie erfolgreich der Versuch war, Palästina als das unharmonische (terroristische) Element im „friedlichen Nahen Osten“ zu positionieren, werden wir gemeinsam sehen. Doch die tiefe Stille und Reaktionslosigkeit, die auf Trumps Plan folgten, zeigen, dass ein Prozess der Zustimmungserzeugung im Gange ist. Die Akteure, die Gaza zu einer von „Pest“ befallenen Gesellschaft oder Gaza zu einer Stadt des Todes machen wollen, sind für Trump eine Lösung, die den jüdischen Glauben an die Verbreitung der Syphilis in Venedig und die Staaten, die das „nationale Interesse“-Gift in ihre Adern injiziert haben, repräsentieren. Doch es wird zunehmend deutlich, dass der Widerstandsgeist von Gaza den Völkern einen dynamischen Veränderungsimpuls in der Schwelle zu einer neuen Welt bieten könnte.
Quellenangaben:
[1] Die Beziehung zwischen Ideologien, Macht und Raum, Nusret Altundağ, unveröffentlichte Masterarbeit.
[2] Berman, M. (2024). Alles, was fest ist, verflüchtigt sich. Übers. Ümit Altuğ & Bülent Peker. İletişim Yayınları.
[3] Taraki, Lisa. Enklave Mikropolis: Der paradoxale Fall von Ramallah/Al-Bireh. Journal of Palestine Studies Vol. XXXVII, Nr. 4 (Sommer 2008), S. 6–20.
[4] Sennett, R. (2008). Fleisch und Stein; Körper und Stadt in der westlichen Zivilisation. Übers. Tuncay Birkan. Metis Yayınları.