Indien und China haben letzte Woche mit den Grenzgesprächen zwischen dem indischen Nationalen Sicherheitsberater Ajit Doval und dem chinesischen Außenminister Wang Yi in Peking einen weiteren Schritt in Richtung gesunder und stabiler Beziehungen gemacht. Dies war das 23. Treffen im Rahmen des Mechanismus der Sondergesandten der beiden Länder und das erste nach fünf Jahren.
Die Beziehungen waren nach dem Konflikt im Galwan-Tal 2020 abgekühlt, als der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar häufig die Grenzfragen kritisierte. Das Wang-Doval-Treffen brachte die Diskussionen über die lang andauernden Grenzprobleme wieder auf eine normale Grundlage.
Das Treffen, das als umfassend und konstruktiv beschrieben wird, vermittelte ein Bild einer Annäherung in den chinesisch-indischen Beziehungen. Der Wiederaufbau des Vertrauens wird sicherlich Zeit brauchen. Aber jenseits der Grenz- und bilateralen Beziehungen könnten China und Indien durch das Klären von internationalen Fragen, bei denen sie sowohl Ähnlichkeiten als auch scharfe Unterschiede aufweisen, das gegenseitige Verständnis und Vertrauen fördern.
Erstens befindet sich die internationale Ordnung in einem Transformationsprozess. Die treibenden Kräfte dieser Transformation werden oft als der Aufstieg des Ostens und der Rückgang des Westens oder der Aufstieg des Südens und der Rückgang des Nordens dargestellt. China spricht häufig von „Jahrhundertveränderungen“. Sowohl China als auch Indien sind Teil dieser Transformation.
Beide Länder finden die internationale Ordnung, die von den USA und Westeuropa geführt wird, ungerecht. Wie China ist auch Indien Teil der BRICS-Gruppe, die darauf abzielt, die globale Governance umzugestalten und deren Name sich aus den Anfangsbuchstaben der ersten Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Indien fordert zudem eine Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, mit dem Ziel, dass auch Indien einen ständigen Sitz erhält, was von China klar abgelehnt wird.
Im September, bei einer Rede in New York, sprach Jaishankar von der „parallelen Erhebung“ Indiens und Chinas und erklärte, dass dies ein „sehr einzigartiges Problem“ darstelle. China, als die größte treibende Kraft hinter der sich wandelnden internationalen Ordnung, möchte, dass dieser Übergang reibungslos verläuft. Besonders in der Asien-Pazifik-Region steht China als eine wichtige Macht, die den Frieden und die Stabilität bewahren will.
Indien hingegen, einschließlich hochrangiger Beamter wie Jaishankar, sieht den Aufstieg Chinas als störend für die internationale Ordnung und als Bedrohung für die regionale Stabilität und den Frieden. Dies ist eine Haltung, die China nicht akzeptieren kann.
Zweitens; während die internationale Ordnung möglicherweise einen Zerfallsprozess durchläuft, ist eine neue Ordnung noch nicht in Sicht. Während sowohl Indien als auch China an einer Wiederbelebung der Zivilisation arbeiten, hat jeder von ihnen eine andere Vorstellung von der Zukunft der internationalen Ordnung.