Die Elefanten im Raum
Am 17. Februar versammelte der französische Präsident Emmanuel Macron die Führer von Dänemark, Italien, Deutschland, den Niederlanden, Polen, Spanien, dem Vereinigten Königreich, der Europäischen Kommission und der NATO, um die Unterstützung für die Ukraine zu bekräftigen. Auffällig war jedoch das Fehlen der Türkei, die als zweitgrößte Militärmacht der NATO nicht an dem Treffen teilnahm.
Während Europa weiterhin diskutiert und die USA Gespräche mit Russland in Saudi-Arabien führen, unternahm die Türkei einen Schritt, um die strategische Bühne neu zu gestalten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan empfing den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Ankara und zeigte deutlich, dass die Türkei eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Zukunft der Ukraine spielt. Selenskyj bekräftigte dies, indem er sagte: „Die Europäische Union, die Türkei und das Vereinigte Königreich… sollten in die Gespräche über Sicherheitsgarantien für die Region zusammen mit den USA einbezogen werden.“
Die umfassendere geopolitische Auseinandersetzung der Türkei mit Russland
Für Ankara ist die Ukraine kein isolierter Konflikt; sie ist Teil eines umfassenderen geopolitischen Wettbewerbs mit Moskau. Die Türkei und Russland stehen sich an vielen Fronten gegenüber, von Libyen über Syrien und den Kaukasus bis nach Afrika. Dieser Wettbewerb breitet sich nun auch auf Afrika aus. Während Russland versucht, sein Söldnernetzwerk weiter auszubauen, bietet die Türkei mit ihrer politischen, militärischen und wirtschaftlichen Reichweite eine Alternative zum Modell Moskaus. Während mit Wagner verbundene Söldner in Mali, Burkina Faso und Niger tätig sind, stärkt die Türkei ihre Präsenz in der Sahelzone durch zwischenstaatliche Partnerschaften, Verteidigungsabkommen und Infrastrukturprojekte. Im Roten Meer vertieft Ankara seine Präsenz in Sudan, während Russland in dem Land eine Marinebasis errichten möchte.
Die türkisch-russischen Beziehungen sind ein sensibles Gleichgewichtsspiel auf vielen Fronten – eine Beziehung, die je nach Bedarf Zusammenarbeit und Wettbewerb umfasst und immer durch strategische Berechnungen geprägt ist. Besonders in Syrien und Libyen hat die Türkei die Schwächen Russlands deutlich aufgedeckt.
In Syrien ist die Türkei wiederholt auf russische Unterstützerkräfte gestoßen. So etwa stoppte die türkische Armee während des Syrischen Bürgerkriegs das Vorrücken von russischen und Assad-treuen Kräften in Idlib. Doch die russische Position in Syrien wird zunehmend verwundbar. Moskau hat in seinen Bemühungen, das Assad-Regime zu retten, versagt und das Kreml hat die Angriffe Israels auf die Hizbollah und iranische Milizen, die für die Aufrechterhaltung von Moskaus Kontrolle entscheidend waren, unterschätzt.
Insbesondere das von Russland aufgestellte Luftabwehrsystem (A2/AD) zur Abschreckung von NATO-Operationen ist in Syrien gescheitert. Moskau kann den Luftraum nicht mehr effektiv verteidigen, während die Türkei nun über viel mehr operationelle Freiheit in Syrien verfügt. Darüber hinaus schwächt der Einfluss der Türkei auf die syrische Regierung die russische Präsenz in der Region. Während Russland beginnt, seine militärische Präsenz von den Luftwaffenstützpunkten Hmeymim und dem Seehafen Tartus im Mittelmeer schrittweise abzuziehen, füllt die Türkei diese Lücke.
In Libyen war die militärische Intervention der Türkei entscheidend. Die Türkei unterstützte die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) gegen die von Russland unterstützte Libysche Nationale Armee (LNA), zwang Russland, seine Stellvertretertruppen zurückzuziehen, zerstörte die Wagner-Operationen und änderte den Verlauf des Krieges. Dieser Schritt verringerte nicht nur den Einfluss Russlands in Nordafrika, sondern stärkte auch die langfristige militärische und politische Präsenz der Türkei. Als Zeichen des wachsenden Einflusses der Türkei kündigte die Afrikanische Union an, dass Libyen 2026 den Türkei-Afrika-Gipfel ausrichten werde – ein klares Zeichen dafür, dass die strategische Position der Türkei in der Region auf Kosten Moskaus gestärkt wurde.
Die Lücke schließen: Warum der Westen mit der Türkei zusammenarbeiten sollte
Vom Mittelmeer bis zum Kaspischen Meer erweitert die Türkei nicht nur ihre militärische Präsenz, sondern verwaltet auch die strategische Umgestaltung und stört Russlands operative Kalkulationen, während sie Vladimir Putin in der Verteidigung hält.
In diesem Zusammenhang hat die Einladung von Selenskyj nach Ankara es der Türkei ermöglicht, ihren Einfluss sowohl im Osten als auch im Westen zu maximieren. Erstens hilft die strategische Unabhängigkeit der Türkei in europäischen Angelegenheiten, ihre Beziehungen zu Moskau zu stärken. Russland sieht die Türkei als neutralen Akteur, mit dem es ohne die Einschränkungen der EU direkt verhandeln kann. Zweitens stimmt die militärische Autonomie der Türkei, insbesondere ihre Kompetenz in Drohnen (UAV) und Waffentechnologie, mit der Politik von US-Präsident Donald Trump überein, der die Selbstgenügsamkeit der NATO fördert. Drittens bleibt die Türkei trotz ihrer direkten Beziehungen zu Moskau einer der stärksten Unterstützer der Ukraine und verteidigt entschlossen deren territoriale Integrität im Kampf gegen die russische Expansion.
Die Unterstützung der Ukraine schränkt Russlands Expansion im Schwarzen Meer ein und stärkt die strategische Position der Türkei in der Region. Aus türkischer Sicht ist eine starke und souveräne Ukraine ein entscheidendes Gegengewicht zur russischen Dominanz in der Region. Während viele europäische Länder zögern, die Ukraine zu unterstützen, handelte die Türkei schnell. Nur wenige Tage nach dem groß angelegten russischen Übergriff setzte die Türkei die Montreux-Konvention in Kraft und blockierte den Durchgang russischer Kriegsschiffe durch die Bosporusstraße – dieser Schritt wurde als neutral präsentiert, schränkte jedoch erheblich die Fähigkeit Moskaus ein, seine Schwarzmeerflotte zu verstärken.
Auf dem Schlachtfeld lieferte die Türkei der Ukraine eines ihrer effektivsten Waffensysteme: die Bayraktar TB2-Drohnen. Diese Drohnen zerstörten russische gepanzerte Konvois und Marineeinheiten in der Ukraine und veränderten den Kriegsverlauf, während sie der Türkei die Möglichkeit gaben, Einfluss zu nehmen, ohne direkt in den Konflikt einzugreifen.
Die Türkei nutzt ihre strategische Manövrierfähigkeit meisterhaft, indem sie einerseits die Ukraine bewaffnet und andererseits direkte Engagements mit Russland eingeht. Während die USA und Europa ihre nächsten Schritte diskutieren und Hilfspakete fein abstimmen, hält die Türkei Russland weiterhin an mehreren Fronten beschäftigt – eine Taktik, zu der westliche Hauptstädte entweder unwillig oder unzureichend sind.
Macrons Gipfel in Paris zeigte zwar die Einheit Europas, wies jedoch auf einen strategischen Fehler hin. Die Rolle der Türkei bei der Eindämmung Russlands, insbesondere an der südlichen NATO-Front, ist von unverzichtbarer Bedeutung. Die Türkei zu isolieren ist nicht nur ein kurzfristiger Fehler, sondern auch ein strategisches Versagen. Wenn Europa die Ukraine wirklich unterstützen und Russland in Schach halten möchte, sollte es die Türkei als einen Schlüsselpartner ansehen und mit ihr zusammenarbeiten.
Andererseits wartet die Türkei nicht auf einen Kompromiss. Ankara wird weiterhin die geopolitischen Dilemmata Russlands zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Der Westen sollte die strategische Bedeutung der Türkei anerkennen und die Gelegenheit nutzen, um in Übereinstimmung mit gemeinsamen Interessen zusammenzuarbeiten – bevor die Zeit abläuft.
Quelle: hudson.org