Die letzten 10 Minuten eines Fußballspiels, insbesondere die letzten fünf Minuten, gelten als die gefährlichsten Phasen. Eine Studie, die Spiele seit dem Ende des 19. Jahrhunderts untersuchte und in denen 40.000 Tore erzielt wurden, ergab, dass in dieser Phase mehr Tore fallen.
Ähnlich verhält es sich auf globaler Ebene: Nach vielen Jahren gingen in über 60 Ländern – und damit ein großer Teil der Weltbevölkerung – Wähler an die Urnen, was 2024 politische Winde auslöste, die das Schicksal der globalen Geopolitik und Wirtschaft beeinflussten. Bei den Wahlen 2024 erlebte die Welt ein Novum seit den 1910er Jahren: In entwickelten Ländern verloren alle amtierenden Regierungen im Durchschnitt 7 % der Stimmen. Doch das Ergebnis der US-Wahlen offenbarte das Potenzial, diesen politischen Wind in einen geopolitischen Sturm zu verwandeln.
Noch bevor die Wahlen im November abgeschlossen waren, war die Überzeugung, wer ins Weiße Haus einziehen würde, weit verbreitet. Dies führte dazu, dass die globale geopolitische und wirtschaftliche Lage sich wie die letzten fünf bis zehn Minuten eines Spiels zuspitzte. Als sich ab Sommer 2024 abzeichnete, dass Trump wiedergewählt würde, wurde allgemein akzeptiert, dass die USA in eine „technische politische Rezession“ eintreten würden – analog zu einer wirtschaftlichen Rezession, wenn ein Land zwei Quartale in Folge schrumpft.
Dieser politische Stress bot sowohl Spannung als auch Chancen. Vom Wahlausgang bis zu Trumps Amtseinführung am 20. Januar verbreitete sich weltweit das Gefühl, dass die „letzten fünf Minuten“ der globalen Geopolitik angebrochen seien. Washington selbst trug maßgeblich zu dieser Atmosphäre bei. Biden genehmigte Langstreckenraketen für die Ukraine gegen Russland, tolerierte direkte Angriffe Israels auf den Iran und intensivierte den Handelskrieg mit China. Damit bestätigte Washington die geopolitische Leere kurz vor Trumps Amtsantritt.
In dieser Zeit gewann die syrische Opposition innerhalb von 11 Tagen, was sie in 11 Jahren bewaffneten Kampfes nicht erreicht hatte. In den beiden größten Volkswirtschaften Europas fielen die Regierungen. Südkorea durchlebte eine krisenhafte politische Situation, die einem Putsch ähnelte. In der Türkei kam Bewegung in den lange eingefrorenen Konflikt mit der PKK. Ein Waffenstillstand wurde in Libanon und Gaza erzielt.
Die Kosten der Trump-zentrierten geopolitischen „letzten fünf Minuten“ könnten ab 2025 und darüber hinaus erheblich sein. Denn die unvermeidliche Instabilität, die aus Washington ausgeht, hat die Welt mit einem „amerikanischen Problem“ konfrontiert. Der US-Präsident verspricht seinen Wählern radikale Schritte – von der Veränderung der physischen Grenzen der USA bis hin zur Umwälzung des globalen Handels.
Es ist absehbar, dass sich der geopolitische und wirtschaftliche Fluss in den kommenden Jahren um dieses „amerikanische Problem“ herum gestalten wird. Es war zwar nicht überraschend, dass die globale Ordnung nach 1945, die unter amerikanischer Führung geschaffen wurde, Transformationen und Brüche erleben würde. Doch es war unerwartet, dass der Schöpfer dieser Ordnung – an die sich 14 Präsidenten vor Trump fest klammerten – allein entschied, dass deren Nutzwert aufgebraucht sei.
Der Versuch, die bestehende Ordnung inmitten heißer Handelskriege abzuschaffen, wird enorme globale Kosten verursachen. Für die USA wäre dies ein hochriskanter Schritt. Die zunächst karikaturhaften geopolitischen Forderungen Trumps – wie Grönland, Kanada, Mexiko und Panama – werden bald von den globalen Handelskrisen und der Inflation, die durch die Tarifpolitik entstehen, verdrängt werden. Erst dann wird die Rechnung vollständig sichtbar werden.
Trumpismus von 2017 bis 2025
Die Welt tritt in die zweite Amtszeit von Trump in einem völlig anderen Kontext ein als während seiner ersten Amtszeit. Vergleicht man die Welt von 2017 mit der heutigen, werden strukturelle Brüche sichtbar. Während 2017 den Beginn eines Übergangs zu Protektionismus und Unilateralismus markierte, könnte Trumps zweite Amtszeit im Jahr 2025 in einer fragmentierteren, multipolaren Welt, die mit Inflation, Energiesicherheitskrisen und Klimaherausforderungen kämpft, zu weit größeren geopolitischen und wirtschaftlichen Spannungen führen.
Die Trump-Administration wird in eine globalwirtschaftliche und geopolitische „Software“ hineingeboren, die faktisch blockiert ist und nicht funktioniert. Es scheint wahrscheinlich, dass sie diese Instabilität noch weiter verschärfen wird. Ein Blick auf die von Trump zusammengestellte Kabinettsliste verdeutlicht das Ausmaß der Krise: Wenn Trump selbst als die „vernünftigste Person“ angesehen werden kann, ist die Tragweite der Lage offensichtlich. Die überwältigende Mehrheit des Kabinetts besteht aus medienwirksamen, rassistischen und christlich-zionistischen Figuren, die populistische politische Strömungen ansprechen.
Die von der Reagan-Regierung geprägte Aussage „Personal ist Politik“ gilt auch für die Trump-Regierung. Mehr als 1.000 Ernennungen, die vom Senat bestätigt werden müssen, und rund 4.000 weitere hochrangige Positionen werden von der neuen Regierung besetzt. Während seiner ersten Amtszeit gab es zumindest Personen mit einer gewissen Kompetenz und Erfahrung im Staatsdienst; diese fehlen heute gänzlich.
Biden, der maßgeblich zu Trumps Wahlerfolg beitrug, war sich dieser Gefahr bewusst und erklärte in einer historischen Abschiedsrede, dass die neue Regierung eine gefährliche Oligarchie darstellen würde. Obwohl der scheidende Präsident der USA monatelang als bedeutungslos und irrelevant wahrgenommen wurde, muss seine Einschätzung zur neuen Regierung ernst genommen werden.
Die G-Null-Welt
Die Rückkehr dieses Begriffs, der seit langem aus dem amerikanischen politischen Vokabular und der Rhetorik verschwunden war, sollte ernst genommen werden. Das amerikanische Imperium war nie frei von oligarchischen Strukturen und konnte es auch nie sein. Es wäre naiv anzunehmen, dass eine Macht in dieser Größenordnung durch eine partizipative und integrative Demokratie regiert werden könnte. Doch die Funktionsfähigkeit des amerikanischen Imperiums beruhte auf einem Algorithmus und einem gesellschaftlichen Vertrag, der die Macht der Interessengruppen in einem akzeptablen Gleichgewicht hielt.
Bis in die 1990er Jahre wurde dieses Gleichgewicht durch politische Eliten gewährleistet, die über bestimmte politische Prinzipien und Visionen verfügten. Mit dem Zerfall der amerikanischen Eliten entstand ein Chaos, das sich über die Jahre zu der heutigen Lage entwickelte. Die Krise der Eliten, deren erste Anzeichen nach 1990 sichtbar wurden, spiegelt sich am deutlichsten in den Kandidaten und politischen Dynastien wider, die bei den Wahlen antraten. So fand 2024 erstmals seit 1976 eine Wahl ohne die Namen Bush, Clinton oder Biden statt. Trump hat nicht nur die amerikanischen Wahlen zum zweiten Mal gewonnen, sondern auch die politische Krise der USA in eine neue Phase geführt.
Wie Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, sagte: „Amerika war eine Republik – wenn Sie sie bewahren können!“ Die zweite Amtszeit von Trump wird eine Zeit sein, in der die amerikanischen Institutionen einem ernsthaften Demokratietest unterzogen werden.
Während sich die politische Krise in Washington verschärft, bewegt sich die Welt zum ersten Mal seit 1945 in Richtung einer „führerlosen“ Ära. Die Welt, die mit den globalen Herausforderungen eines hegemonialen Akteurs vertraut war, steht nun vor der Unsicherheit, wie sich eine Ära entwickeln wird, in der weder eine hegemoniale noch eine führende Macht vorhanden ist. Zwar verfügen einige Länder über Rahmenpläne und Prognosen, um mit der entstehenden Fragilität, den Risiken und Bedrohungen umzugehen, doch die Dominoeffekte dieser Krise, die über diese minimalen Annahmen hinausgehen, sind unvorhersehbar.
In gewisser Weise könnten wir beobachten, wie nicht nur die globalen politischen und wirtschaftlichen Institutionen funktionsunfähig werden, sondern auch Strukturen wie die G-20 und die G-7, die keine institutionelle Grundlage haben, ihre Bedeutung verlieren. Die neue Ausrichtung, die die globale Wirtschaft und Geopolitik möglicherweise in den Rahmen einer G-2-Welt (USA-China) einzwängt, könnte letztlich zu einer von Ian Bremmer beschriebenen G-Null-Welt führen.
Die G-Null-Welt würde ihrer Natur nach alle globalen und regionalen Verantwortlichkeiten entwerten und auf globaler Ebene eine Ära der Regellosigkeit einleiten. Mit anderen Worten: Wir könnten gezwungen sein, das Verschwinden der globalen Ordnung, wie wir sie im vergangenen Jahrhundert und im ersten Viertel dieses Jahrhunderts kannten, zu diskutieren.
Beim Übergang in das zweite Viertel des 21. Jahrhunderts werden langsames Wachstum und Inflation die zentralen Themen der globalen wirtschaftlichen Agenda sein. Solange diese Probleme bestehen bleiben, werden geopolitische Spannungen hoch bleiben. Angesichts des Multiplikatoreffekts des „amerikanischen Problems“ ist es wahrscheinlich, dass die globale Geopolitik einem noch härteren Stresstest unterzogen wird.
Betrachtet man die erheblichen Ungleichgewichte in der Verteilung des globalen BIP von 110 Billionen Dollar, wird deutlich, dass die neue Krise des Kapitalismus in Abwesenheit einer globalen Ordnung noch weiter eskalieren könnte. Trumps vermutlich unsorgfältige und verantwortungslose Politik könnte die geopolitischen Spannungen auf globaler Ebene weiter vertiefen und die bestehenden Bruchlinien verstärken.
Die Welt der Trump’schen Zölle
Es scheint, dass Zölle das wichtigste politische Instrument Trumps sein werden, das bisher konkrete Formen angenommen hat. Trump sieht Zölle als ein vielseitiges Mittel zur Reduzierung von Handelsdefiziten, zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies ist jedoch eine realitätsferne Herangehensweise. Historisch gesehen waren Zölle nur in Ländern wie Südkorea und China wirksam, wenn sie mit umfassenderen innenpolitischen Strategien kombiniert wurden. Ohne eine solche Strategie birgt Trumps unterschiedslose Nutzung von Zöllen das Risiko, unausgewogene Auswirkungen auf die US-Industrie zu haben und die Kosten für Verbraucher zu erhöhen.
Auf globaler Ebene gibt es keine Geheimnisse darüber, was passieren wird: Ein Rückgang des Handelsvolumens, Unterbrechungen in den Lieferketten, ein Anstieg der Verbraucherpreisinflation, wirtschaftliche Ineffizienzen und eine Verschlechterung des Investitionsklimas sind nahezu unvermeidliche Folgen.
In einer Zeit, in der Europas wirtschaftliche Stagnation sich vertieft, China Anzeichen einer „Japanisierung“ zeigt und die globale wirtschaftliche Fragmentierung andauert, werden die Kosten des „Trump-Effekts“ oder des „Amerikanischen Problems“ im Jahr 2025 spürbarer sein. Die Schwächung der Grundlagen für multilaterale Zusammenarbeit, der Druck auf Schwellenländer sowie die Auswirkungen auf das Wachstum und die Stabilität der Finanzmärkte werden unvermeidliche Ergebnisse sein.
Letztlich wird in der Trump-2.0-Ära der Fokus auf die „Zollwaffe“, die an der Wand hängt, Handelskriege an einem gewissen Punkt unvermeidlich machen. Zwei zentrale Fragen stehen dabei im Raum: Wie hoch könnten die wirtschaftlichen Kosten dieses Krieges steigen, und könnte er zu echten militärischen Konflikten führen?
Viele Länder, insbesondere in der europäischen Region, könnten gegenüber Trumps Handelskriegen in eine lose-lose-Situation gedrängt werden. Entweder entscheiden sie sich für eine erzwungene „wirtschaftliche Scheidung“ von China, indem sie vollständig auf die Seite Amerikas treten, oder sie stellen sich gegen Washington und sehen sich mit den wirtschaftlichen und politischen Kosten der von Trump errichteten Zollschranken konfrontiert.
Besonders in einem Szenario, in dem Europa die USA als ein weiteres „China“ betrachtet, könnten sich für die Türkei bestimmte wirtschaftliche und geopolitische Handlungsspielräume eröffnen. Für Ankara wäre es wichtig, sich schon jetzt darauf vorzubereiten, diese Spielräume zu nutzen, um ihre Interessen zu maximieren. In diesem Zusammenhang sollte die Türkei daran arbeiten, eine neue Grundlage für ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa zu schaffen.
Eine Welt mit weniger Amerika
(Weltweit verteilte US-Militärstützpunkte und -anlagen)
Es liegt auf der Hand, dass Trumps „America First“-Strategie globale Auswirkungen haben wird. Schon die Themen der diesjährigen Davos-Konferenzen, die am Tag von Trumps Vereidigung begannen, reichen aus, um die geopolitischen Brüche zu erahnen, die Washington verursachen könnte. Davos, das jahrelang als Bühne für die globalen Entscheidungsträger des Westens diente und die Weltagenda mitgestaltete, lauscht nun passiv auf Washington und fragt sich, was die eigene Zukunft bringt. Diese in gewisser Weise tragische Situation wäre vielleicht weniger problematisch, wenn sie lediglich als interner Konflikt oder Bruch des Westens begrenzt bliebe. Doch sobald das Trump-zentrierte Negativszenario Realität wird, ist es unvermeidlich, dass die tektonischen Verschiebungen, die dadurch ausgelöst werden, nahezu alle Regionen der Welt erreichen.
Trump wird ein zweites Mal US-Präsident, diesmal mit einer von Rhetorik geprägten, inhaltlich jedoch wertlosen und in Fakten oft fehlerhaften Herangehensweise sowie einem äußerst problematischen Team. Trotz aller erzwungenen Analysen lässt sich kein Wert- oder Ideologiesystem erkennen, das er oder sein Team für Amerika oder die Welt vorschlagen. Stattdessen steht ein verstärktes Chaos, weit über das seiner ersten Amtszeit hinaus, als erstes Szenario im Raum. Die politische Instabilität und wirtschaftliche Unsicherheit in den USA könnten sich auf die Welt ausweiten.
Niemand hat derzeit eine klare Vorstellung davon, welche Auswirkungen eine „führerlose und unorganisierte Welt“ nach einer Phase intensiver Globalisierung haben könnte. Dies ist kaum verwunderlich, denn trotz aller Probleme konnte sich die bestehende Ordnung, gestützt auf Globalisierung, bisher eine Welt ohne Führung und Struktur kaum vorstellen.
Letztendlich bleibt Amerika ein Land, das immer bereit war, mit „weniger Welt“ zu leben. Der amerikanische Isolationismus hatte schon immer realistischere Möglichkeiten als andere Länder. Die Exporte von Gütern und Dienstleistungen machen nur etwa 10 % des US-BIP aus. Ohne Kanada und Mexiko fällt dieser Anteil noch bescheidener aus. Die Frage ist nun, wie gut die Welt darauf vorbereitet ist, mit „weniger Amerika“ zu leben. Seit 1945 hat Amerika ein globales Netz von rund 750 Militärbasen und Einrichtungen in 80 Ländern aufgebaut. Wie die Welt mit der Realität eines „weniger Amerika“ umgehen wird, bleibt eine offene Frage.
Doch Washington wird es immer schwerer fallen, dieses Netz im Rahmen einer „weniger Amerika“-Strategie aufrechtzuerhalten. Sollte ein möglicher Handelskrieg nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die NATO erschüttern, könnte dies zu einer echten globalen „Amerika-Reset“-Phase führen und das „amerikanische Problem“ noch weiter verschärfen. Denn das eigentliche Problem, das weit über Trumps „America First“-Strategie hinausgeht, wird sein, wie die gigantische militärische Struktur der USA, die jährlich fast 1,5 Billionen Dollar (einschließlich Zusatzkosten) verschlingt, ohne konkrete Aufgaben bestehen kann. Trumps Rhetorik müsste zuerst das Hindernis des „amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes“ überwinden – ein Hindernis, das bisher kein US-Präsident erfolgreich durchbrochen hat oder zu durchbrechen versucht hat.
Quelle: perspektif.online.com