TİKAs Mögliche Beiträge zum Wiederaufbau des Staates in Syrien: Eine Bewertung im Licht der Somalia-Erfahrung
Die Institution, die die internationalen Entwicklungskooperationsaktivitäten der Türkei leitet, TİKA (Türkische Agentur für Zusammenarbeit und Koordination), hat seit ihrer Gründung weltweit eine Vielzahl von Projekten mit dem Fokus auf Entwicklung, humanitäre Hilfe und den Ausbau institutioneller Kapazitäten durchgeführt. Im Rahmen der türkischen „Afrika-Öffnungspolitik“ war die intensive Investition TİKAs in Somalia, insbesondere seit 2011, ein äußerst wichtiger Teil des Bestrebens der Türkei, sich in Afrika einen regionalen Verbündeten und strategischen Partner zu schaffen. In einer Zeit, in der die Staatskapazität in Somalia fast vollständig zusammengebrochen war, haben die von TİKA durchgeführten Projekte in Bereichen wie Infrastruktur, Gesundheit und Bildung maßgeblich zur Wiederaufbaumaßnahme des somalischen Staates beigetragen. Diese Bemühungen haben auch den Weg für die Errichtung strategischer Partnerschaften mit Somalia und die Ausweitung des türkischen Einflusses am Horn von Afrika geebnet. Nach rund 15 Jahren spiegeln die Beziehungen zwischen Somalia und der Türkei heute eine wahre Erfolgsgeschichte wider.
Heute, nach dem langjährigen Bürgerkrieg in Syrien, der Flucht von Bashar al-Assad und der Übernahme der Kontrolle durch die oppositionellen Kräfte unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham (HTŞ), ist der Prozess des „Wiederaufbaus des Staates“ wieder auf die Agenda gerückt. Denn das Assad-Regime hat in Syrien als „institutionelle Struktur des Staates“ ein völliges Trümmerfeld hinterlassen. Die Wiederaufbauarbeit des Staates in Syrien, die für die Türkei aufgrund der geographischen Nähe von großer Bedeutung ist, stellt eine äußerst wichtige Gelegenheit dar, potenziell einen „verbündeten Nachbarn“ für die Türkei in der Region zu gewinnen. Denn die Türkei hatte im Laufe ihrer Geschichte meist statische und distanzierte Beziehungen zu ihren Nachbarn, die oftmals konfliktbeladen waren, wie die Beispiele Armenien oder Griechenland zeigen. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die Möglichkeit, mit dem Nachbarn, mit dem die Türkei die längste Grenze teilt, eine partnerschaftliche Beziehung aufzubauen, eine äußerst wichtige Chance für das Land.
An diesem Punkt könnte eine umfassende Entwicklungs- und Hilfsstrategie, die TİKA in Somalia umgesetzt hat, auch in Syrien zum Tragen kommen. In kritischen Phasen wie der Wiederherstellung der grundlegenden Staatsfunktionen, der Stärkung der institutionellen Strukturen und der Wiederherstellung der Infrastruktur in Syrien, könnte TİKAs Erfahrung einen Rahmen bieten, der mit den diplomatischen und strategischen Zielen der Türkei übereinstimmt.
TİKAs Erfahrung in Afrika und das Somalia-Modell
Nach seiner Gründung im Jahr 1992 hat TİKA zunächst seine Einflussbereiche in Zentralasien und auf dem Balkan ausgeweitet, bevor es in den 2000er Jahren begann, auch in verschiedenen Regionen Afrikas tätig zu werden. Mit einer institutionellen Neustrukturierung im Jahr 2011 begann TİKA, in vielen Ländern und Regionen der Welt aktiv zu werden. Im Einklang mit der Türkei’s Politik der Öffnung gegenüber Afrika wurde Somalia zu einem besonders herausragenden Beispiel im Bestreben, die Beziehungen zu den afrikanischen Ländern zu vertiefen.
In Somalia, wo die staatliche Autorität fast vollständig zusammengebrochen war und ein chronisches Gefühl der Unsicherheit sowie eine humanitäre Krise herrschten, führte TİKA umfassende Projekte durch, um die „kollabierte Staatsstruktur“ wieder aufzubauen. Krankenhausbau und -renovierung, Ausbildung von Gesundheitspersonal, Schulbau und -restaurierung, landwirtschaftliche Produktionsförderung und Arbeiten zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten öffentlicher Institutionen bildeten das Rückgrat dieser Projekte. Die Türkei beschränkte ihre Aktivitäten in Somalia nicht nur auf humanitäre Hilfe, sondern verfolgte eine Politik, um einen starken politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen strategischen Partner zu schaffen. Diese Strategie verschaffte der Türkei sowohl eine respektierte Rolle als Akteur in der Region als auch diplomatischen und wirtschaftlichen Einfluss über Somalia. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Vermittlerrolle der Türkei zwischen Somalia und Äthiopien. Die Mission von TİKA in Somalia beschränkte sich also nicht nur auf Entwicklungs- und humanitäre Hilfe, sondern erweiterte sich, um die globalen strategischen Ziele der Türkei zu umfassen. Das heutige Ergebnis dieser Bemühungen ist eine starke bilaterale Beziehung zwischen Somalia und der Türkei sowie der wachsende Einfluss der Türkei in der Region.
Vom Somalia-Modell nach Syrien: Potenzielle Chancen und Risiken
Nach der Flucht von Assad am 8. Dezember 2024 und der Eroberung von Damaskus begann eine neue Ära für Syrien. Die durch jahrelange Konflikte verursachte Zerstörung hatte viele Aspekte des Landes lahmgelegt, von der städtischen Infrastruktur bis zu den öffentlichen Institutionen. Die neuen Regierung steht nun vor dringenden Herausforderungen wie der Wiederbelebung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen, der Rückkehr der Flüchtlinge und der Stabilisierung der Wirtschaft. Diese neue Phase in Syrien bietet auch für die Türkei eine bedeutende Gelegenheit. TİKA, das in Somalia eine ähnliche Rolle gespielt hat, könnte und sollte eine führende Rolle bei der Unterstützung des Wiederaufbaus Syriens übernehmen. Bereits in den letzten Tagen hat TİKA seine Aktivitäten in Syrien wieder aufgenommen, was auf diese Möglichkeit hinweist.
Zunächst sollten sofortige Maßnahmen zur Reparatur der durch den Krieg zerstörten Infrastruktur und zur Linderung der humanitären Krise ergriffen werden. Der Wiederaufbau oder die Reparatur von Krankenhäusern, die Wiederherstellung funktionierender Wasser- und Abwassersysteme, die Installation von Stromnetzen und die Deckung der Wohnbedürfnisse sind grundlegende öffentliche Dienstleistungen, die die Legitimität des Staates in den Augen der Gesellschaft aufbauen. Gesundheits- und Bildungsprojekte sind ebenfalls von großer Bedeutung in dieser Phase. Da die Türkei über Erfahrungen im Bau von Krankenhäusern und Schulen in Somalia und anderen Ländern verfügt, kann TİKA auch in Syrien ähnliche Projekte durchführen. Diese Schritte werden kurzfristig sichtbare Ergebnisse in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort und die Verbesserung der humanitären Lage bringen.
Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen und der Aufbau institutioneller Kapazitäten. Wie in Somalia ist auch in Syrien der Mangel an qualifizierten Fachkräften in den grundlegenden staatlichen Bereichen wie Finanzen, Justiz, Sicherheit und lokale Verwaltung ein ernstes Problem. TİKA könnte durch die Zusammenarbeit mit türkischen öffentlichen Institutionen und Universitäten technische Schulungen für in Syrien zurückkehrende syrische Staatsbürger organisieren und Unterstützung im Bereich der technischen Infrastruktur leisten. Die Gewährleistung regelmäßiger finanzieller Überwachung und Transparenz in den Beziehungen der neuen Regierung zu internationalen Unterstützern könnte ebenfalls ein Teil dieser Kapazitätsaufbauprojekte sein. Im Somalia-Beispiel nahm die Legitimität und der Ruf des Staates sowohl in der Innenpolitik als auch auf internationaler Ebene zu, als die öffentlichen Ämter begannen, ihre grundlegenden Dienstleistungen zu erbringen. Ein ähnlicher Effekt könnte auch in Syrien eintreten.
Im Einklang mit der Politik der Türkei, in Syrien einen „verbündeten Nachbarn“ aufzubauen, wird TİKAs Entwicklungsprojekte auch als ein Instrument der öffentlichen Diplomatie dienen. Einerseits wird durch humanitäre und technische Hilfe konkrete Ergebnisse vor Ort erzielt, andererseits kann die politische Annäherung zwischen den beiden Ländern auf allen Ebenen gestärkt werden. Allerdings birgt dieser Prozess auch einige wichtige Risiken für TİKA. Erstens gibt es weiterhin Sicherheitsrisiken in einigen Teilen des Landes, insbesondere aufgrund der unklaren Zukunft der PYD-YPG. Das sichere Durchführen von Feldoperationen erfordert Schutzmaßnahmen für TİKA-Mitarbeiter und lokale Partner. Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die internationale Legitimität der neuen Regierung. Es ist noch unklar, wie die internationale Gemeinschaft die unter der Führung von HTŞ stehende neue Regierung anerkennen wird. Einige Länder könnten Vorbehalte gegen diese Regierung haben, Sanktionen verhängen oder humanitäre Hilfe an bestimmte Bedingungen knüpfen. Ein Beispiel dafür ist, dass die USA die Caesar-Sanktionen nicht aufgehoben haben. Daher wird die Notwendigkeit einer engeren Koordination von TİKA mit internationalen Organisationen und anderen Geberländern noch deutlicher. Zudem könnte die Unterstützung der Türkei allein nicht ausreichen, um groß angelegte Wiederaufbaumaßnahmen zu realisieren; multilaterale Finanzierungsmechanismen und Kooperationen sind erforderlich. In diesem Zusammenhang wird die Zusammenarbeit mit Ländern wie Katar, die eine engere Politik mit der Türkei in Bezug auf Syrien verfolgen, noch wichtiger werden.
Fazit
Die Flucht von Assad aus Syrien und die Übernahme der Macht durch die von HTŞ geführte Opposition haben eine neue Ära für das Land eingeläutet. Nach den jahrelangen Konflikten benötigt Syrien nun einen umfassenden Wiederaufbauprozess. Die Erfahrungen der Türkei in Somalia, die ein Land im Zustand eines „kollabierten Staates“ beim Wiederaufbau unterstützt hat, bieten heute wichtige Lehren für Syrien. Das Modell, das TİKA in Somalia angewendet hat, erzielte nicht nur schnelle Ergebnisse in grundlegenden Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Infrastruktur, sondern hatte auch eine langfristige Perspektive zur Stärkung der lokalen Institutionen. Die Anwendung eines ähnlichen Ansatzes in Syrien würde es der neuen Regierung erleichtern, landesweit öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen und Legitimität in der Bevölkerung zu erlangen.
Diese Bemühung steht in Einklang mit der Strategie der Türkei, einen „verbündeten Nachbarn“ zu gewinnen. TİKAs Projekte werden nicht nur im Kontext der Entwicklungshilfe von Bedeutung sein, sondern auch als Schritte zur Stärkung der diplomatischen und politischen Einflussnahme in der Region. Die Verwaltung dieses Prozesses umfasst viele komplexe Aspekte, von der Koordination mit internationalen Akteuren bis hin zur Sicherheit vor Ort. Dennoch kann TİKA mit einer gut strukturierten Strategie, die von starker politischer Willenskraft unterstützt wird, einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau des syrischen Staates leisten.
Die Somalia-Erfahrung hat gezeigt, dass die Verbesserung der Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur in kurzer Zeit, gefolgt von der Entwicklung institutioneller Kapazitäten und der Steigerung der wirtschaftlichen Möglichkeiten, entscheidend für den raschen Wiederaufbau kollabierter Staatsstrukturen ist. Die Anwendung eines ähnlichen Fahrplans in Syrien wird die gesellschaftliche Unterstützung für die neue Regierung stärken. Dadurch wird die Rückkehr von Flüchtlingen erleichtert und langfristig zur Wiederbelebung der Wirtschaft des Landes beigetragen.
Der gesamte Prozess wird die Sicherheits- und Stabilitätsziele der Türkei positiv unterstützen und zu einer Entwicklung der Nachbarschaftsbeziehungen zu Syrien auf einer neuen Grundlage beitragen. TİKA ist eine Institution, die in der Lage ist, sowohl humanitäre als auch strategische Ziele in einem so großen Transformationsprozess gleichzeitig zu realisieren. Am Ende dieses Prozesses wird die Türkei zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen „verbündeten Nachbarn“ haben, der über das Potenzial verfügt, als starker Akteur zur regionalen Stabilität beizutragen und die Türkei in diesem Bereich zu unterstützen – eine historische Gelegenheit für unser Land.