Ein Hoffnungsschimmer für ein stabileres Nahost in Syriens fragiler Übergangsphase
Seit fast einem halben Jahrhundert steht Syrien als offene Wunde im Herzen des Nahen Ostens: Es schürt Instabilität, nährt Konflikte und unterdrückt sein eigenes Volk mit brutaler Härte. Im Laufe des nunmehr vierzehn Jahre andauernden syrischen Bürgerkriegs haben zahlreiche Kettenreaktionen der Instabilität auf die Nachbarländer und schließlich auf die gesamte Welt ausgestrahlt. Der oft gebrauchte Satz „Was in Syrien geschieht, bleibt nicht in Syrien“ brachte die scheinbar unlösbare Krise des vergangenen Jahrzehnts auf den Punkt.
All das änderte sich am 8. Dezember 2024, als Baschar al-Assad überraschend und in aller Eile aus seinem Palast in Damaskus floh und in Russland Zuflucht suchte. Nach einem plötzlichen und blitzartigen Angriff stürzte eine Koalition bewaffneter Oppositionsgruppen das Assad-Regime innerhalb von nur zehn Tagen wie ein Kartenhaus. Damit stand die internationale Gemeinschaft vor einer historischen und strategischen Chance, das Herz des Nahen Ostens in eine stabilere, stärker integrierte und konstruktivere Region zu verwandeln.
Der aktuelle Übergangsprozess in Syrien ist äußerst fragil. Er birgt große Herausforderungen und stellt zugleich ein Dilemma für die internationale Gemeinschaft dar. Von Beginn an wird dieser Übergang maßgeblich von Hayat Tahrir al-Scham (HTS) geleitet und dominiert – einer Bewegung, die aus dem sogenannten Islamischen Staat im Irak und in der Levante (ISIL/ISIS) hervorgegangen ist und einst mit al-Qaida in Verbindung stand. Diese historische Herkunft wirft Bedenken hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit den Übergangsstrukturen in Syrien auf.
Doch das heutige HTS ist das Ergebnis eines fast zehnjährigen Wandlungsprozesses. Nach der Abspaltung von ISIL im Jahr 2013 kämpfte HTS offen gegen diese Terrororganisation. 2016 kappte es öffentlich seine Verbindungen zu al-Qaida, erleichterte den Eintritt Tausender türkischer Soldaten in die von ihm kontrollierten Gebiete, akzeptierte und hielt einen langanhaltenden Waffenstillstand unter Vermittlung der Türkei und Russlands ein, gründete im Nordwesten Syriens eine technokratische „Rettungsregierung“, die im Vergleich zu anderen Regionen höhere Standards bei öffentlichen Dienstleistungen etablierte, führte harte Maßnahmen gegen sowohl ISIL als auch al-Qaida durch und nahm schließlich erste verdeckte Kontakte zur internationalen Gemeinschaft auf. Im Laufe dieser Entwicklung, besonders nach 2016, vollzog HTS eine ideologische Wende, wie sie in der Geschichte dschihadistischer Bewegungen kaum je gesehen wurde: Es wandte sich nicht nur vom globalen Dschihad ab, sondern positionierte sich aktiv dagegen und übernahm die Ideale der syrischen Volksrevolution – samt ihrer grünen Fahne.
Obwohl HTS und ihr Anführer Ahmad al-Sharaa heute in Damaskus die Verwaltung kontrollieren, zögerte ein Großteil der internationalen Gemeinschaft nicht, den Kontakt zu suchen – denn weit verbreitet war die Überzeugung, dass Dialog und Engagement größere Einflussmöglichkeiten auf den fragilen Übergang böten als politische Isolation. Die Europäische Union, das Vereinigte Königreich und die Schweiz machten den Anfang, indem sie zahlreiche Sanktionen gegen die syrische Wirtschaft lockerten – in der Hoffnung, dem Land neues Leben einzuhauchen. In dieser Phase erließ auch die scheidende Biden-Regierung im Januar 2025 eine sechsmonatige „allgemeine Lizenz“, die einige restriktive Maßnahmen vorübergehend aussetzte. Doch diese Initiative hatte keine nennenswerte Wirkung im Hinblick auf die praktischen Abläufe mit den syrischen Verwaltungsstrukturen.