Scott Bessent ist nicht nur ein Finanzminister, sondern auch ein Stratege, der versucht, die neue Weltordnung des 21. Jahrhunderts zu gestalten. Er nutzt Zölle nicht nur als Steuern, sondern als ein grundlegendes Prinzip und setzt die Länder, die davon profitieren, einem Loyalitätstest aus. Diese Strategie, die mit der Einkreisung Chinas begann, stellt nun alle Länder der Welt vor dieselbe Frage: „Wie viel Anpassungsfähigkeit zeigt ihr, um im System zu bleiben?“ Leider wird eines der schwierigsten Antworten auf diese Frage in den kommenden Monaten die Türkei geben müssen.
Die Weltwirtschaft stand in den ersten Monaten des Jahres 2025 an der Schwelle zu einem tiefgreifenden Wandel. Doch dieser Wandel zeigte sich nicht in Form der üblichen lauten Krisen oder revolutionären Ausbrüche, sondern durch stille, entschlossene und strategische Schritte. Scott Bessent, der sein Amt im US-Finanzministerium antrat, war zuvor nur in den inneren Kreisen der Finanzwelt bekannt. Doch mit den globalen Handelspolitiken, die er in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit umsetzte, wurde er nicht nur ein Minister, sondern zu einem der Architekten einer neuen Ordnung. Heute beschäftigt sich Bessent nicht nur mit der amerikanischen Finanzpolitik, sondern ist zu einem Akteur geworden, der die wirtschaftlichen Bürokratien von Peking bis Brüssel, von Seoul bis Mexiko-Stadt in Atem hält.
Um den Einfluss zu verstehen, den Bessent auf das globale System ausübt, muss man nicht nur seine wirtschaftliche, sondern auch seine ideologische Perspektive betrachten. Im Zentrum dieses Rahmens stehen Zölle – jedoch nicht im herkömmlichen Sinne des Protektionismus. Für Bessent ist ein Zoll nicht nur eine Einfuhrsteuer. Er nutzt Zölle als komplexes Instrument zur Gestaltung der Produktionsstruktur eines Landes, der Kapitalflüsse, der technologischen Unabhängigkeit und sogar der Außenpolitik. Damit werden Zölle in seiner Hand nicht nur dazu eingesetzt, Importe zu verringern, sondern dienen zugleich dem Aufbau eines neuen internationalen Systems.
Die unter Trump begonnenen und unter Biden in bestimmten Aspekten fortgesetzten protektionistischen Wirtschaftspolitiken verwandelten sich unter Bessent in einen systematischen Transformationsplan. Der erste konkrete Schritt dieser Transformation begann mit der radikalen Erhöhung der Einfuhrzölle gegenüber China. Der zunächst mit 34 % angekündigte Zollsatz stieg infolge der aggressiven Reaktionen Chinas und gegenseitiger Vergeltungsmaßnahmen auf bis zu 125 %. Dieser Schritt bedeutete eine beispiellose Intervention in der Geschichte des modernen Welthandels. Auffällig war dabei jedoch, dass sich diese Maßnahme nicht nur gegen China richtete, sondern Botschaften an das gesamte asiatische Produktionsnetzwerk sandte. Denn auf Bessents Zollliste standen nicht nur China, sondern auch Länder wie Indien, Vietnam und Thailand – viele von ihnen haben sich in den letzten zwanzig Jahren mit billigen Arbeitskräften zu tragenden Säulen der globalen Produktion entwickelt. Doch dieses Modell wird nun in Washington für überholt erklärt.
Unter der Führung Bessents geht es den USA nicht mehr nur darum, Handelsdefizite auszugleichen. Das eigentliche Ziel ist es, die globalen Kapital- und Produktionsströme neu zu lenken. Dafür dienen Zölle nicht nur als Schutzinstrument, sondern auch als Mechanismus der Auswahl und des Ausschlusses. Die hohen Zollraten gegenüber China und anderen asiatischen Ländern wirken nicht nur kostenerhöhend, sondern stellen eine strukturelle Willenserklärung dar. Die USA sind entschlossen, sich vom Modell der auf billige Arbeitskraft basierenden Lieferketten zu verabschieden. Das neue Modell soll auf hohen Umwelt- und Arbeitsstandards, verlässlichen Bündnisbeziehungen und strategischer Planbarkeit beruhen. In dieser Hinsicht wird Bessents Zollpolitik zu einer vielschichtigen Transformationsstrategie, die über die Grenzen klassischer ökonomischer Theorien hinausgeht.
Die eigentliche strategische Maßnahme war jedoch nicht nur die Erhöhung der Zölle gegenüber China, sondern die gleichzeitig angekündigte 90-tägige Zollaussetzung. Diese Maßnahme richtete sich an alle Länder außerhalb Chinas. Doch diese Aussetzung war keine freundliche Geste, sondern eine klar definierte Probezeit. Bessent und sein Team sehen diese 90 Tage nicht als Einladung an globale Produzenten, sondern als Ultimatum. Länder, die in das neue System der USA integriert werden wollen, sollen innerhalb dieses Zeitraums ihre Position klar bestimmen. Andernfalls ist es unausweichlich, dass sie mit ähnlichen Maßnahmen wie China konfrontiert werden. In diesem Sinne kann das 90-tägige Zeitfenster nicht nur als wirtschaftliche, sondern auch als geopolitische Ausrichtungsphase verstanden werden.
Die Zölle von Scott Bessent sollte man sich nicht als Mauer, sondern – auch wenn sie aus Stahl bestehen – als Richtungsweiser vorstellen. Auch wenn die Zahlen auf den Schildern unterschiedliche Bedeutungen haben, ist die zentrale Botschaft eindeutig: Entweder man passt sich den Regeln Amerikas an, oder man bleibt außerhalb des Spiels.
Die eingeführten Zölle richten sich nicht nur gegen Endprodukte. Sie sind Teil eines komplexen Systems, das jede Stufe der Lieferkette und sogar die kleinsten Bestandteile der Produkte erfasst. Zum Beispiel wird nicht nur ein aus China importiertes Elektroauto verzollt, sondern auch jede seiner Komponenten: die Batteriezellen, die Mikrochips, ja sogar die Software-Update-Infrastruktur. Das zeigt deutlich: Bessent zielt nicht nur auf Wettbewerb, sondern auf Kontrolle. Das System funktioniert nicht mehr nach dem Prinzip „wer billiger ist, gewinnt“, sondern nach dem Grundsatz „wer sich anpasst, überlebt“.
In der amerikanischen Öffentlichkeit hat dieser Ansatz zweierlei Reaktionen ausgelöst. Befürworter des freien Marktes kritisieren Bessents Strategie als „Sprengstoff für das globale Handelssystem“. Doch in industriell geprägten Regionen, besonders in den Rust-Belt-Staaten im Mittleren Westen, werden diese Maßnahmen mit großer Zustimmung aufgenommen.
Diese Spaltung innerhalb der USA zeigt, wie tiefgreifend die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umstrukturierung ist, die Bessents Strategie mit sich bringt. Denn diese Politik verändert nicht nur das Außenhandelssystem, sondern auch den Binnenmarkt und die Produktionsstruktur der Vereinigten Staaten.
Bessent holt die Produktion ins Land zurück – auch auf die Gefahr hin, die Inflation zu fördern. Denn für einen strategischen Denker wie ihn haben kurzfristige Preiserhöhungen weniger Priorität als langfristige strategische Autonomie.
China galt in den letzten zwanzig Jahren als Lokomotive der globalen Produktion. Hinter nahezu jedem Produkt, das weltweit vermarktet wurde – von Technologie über Textilien bis hin zu Mikrochips und Teekannen – stand ein chinesischer Hersteller mit einem kostengünstigen Liefermodell. Doch wer dachte, dieses Modell würde ewig Bestand haben, wurde im ersten Quartal 2025 eines Besseren belehrt.
Scott Bessent zielte mit den von ihm als Finanzminister eingeführten Zöllen nicht nur auf Chinas Exportmacht, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette des globalen Kapitalismus der letzten zwanzig Jahre. Der Zollsatz von 125 % zählt zu den höchsten, die je verhängt wurden, und stellt zugleich einen symbolischen Bruch mit der bisherigen Ordnung dar.
Die USA definieren ihr wirtschaftliches Partnerschaftsmodell mit China inzwischen als eine nicht tragbare Belastung; sie wollen sich aus dieser Last sowohl aus strategischen als auch aus ideologischen Gründen befreien.
Der zunächst mit 34 % angekündigte Anstieg der Zölle wurde durch Chinas schnelle und scharfe Reaktionen eskaliert. Die Pekinger Regierung verhängte Gegenzölle auf bestimmte Hightech-Produkte aus den USA und schränkte den Zugang einiger amerikanischer Unternehmen zum chinesischen Markt ein. Diese Gegenmaßnahmen führten jedoch nicht zu einer Lockerung von Bessents Politik.
Im Gegenteil, diese Reaktionen lieferten Washington den Vorwand, den es suchte: China war nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ein aggressiver und unberechenbarer Akteur. Daher musste es nun nicht nur überwacht, sondern auch eingeschränkt werden.
Die Gelegenheit wurde genutzt und der Zollsatz wurde mit dieser Logik auf 125 % erhöht. Mit dieser Maßnahme kam der Produktfluss von China in die USA aus Kostengründen praktisch zum Erliegen.
Wie man sieht, ist Bessents Strategie nicht darauf beschränkt, China nur durch den Außenhandel unter Druck zu setzen. Er versucht vielmehr, ein viel tieferes und vielschichtigeres System der wirtschaftlichen Blockade aufzubauen.
Indirekte Warnungen wurden an amerikanische Unternehmen ausgesprochen, keine neuen Investitionen in China zu tätigen, während bestehende Investitionen schrittweise in andere Länder verlagert wurden, unterstützt durch Eximbank-Finanzierungen. Zudem wurden neue Vorschriften zur Begrenzung des Technologietransfers nach China vorbereitet. Lizenzverfahren für fortschrittliche Chip-Technologien, Künstliche Intelligenz-Infrastrukturen und Batteriefertigung wurden für China verschärft.
Es muss klar verstanden werden, um das Gesamtbild in seiner reinsten Form zu sehen: Jede dieser Maßnahmen greift nicht nur in Chinas aktuelle Produktionskapazität ein, sondern auch in seine zukünftige technologische Unabhängigkeit!
Diese ernsthaften Vorbereitungen müssen als offizielle Erklärung angesehen werden, dass China von den USA schon lange nicht nur als Produzent, sondern auch als Systemarchitekt betrachtet wird.
Das bedeutet, dass Chinas Belt-and-Road-Initiative, seine Führung innerhalb der BRICS und die alternativen Währungssysteme, die es über den digitalen Yuan aufzubauen versucht, von Washington nicht nur als wirtschaftliche Konkurrenz, sondern als Bedrohung für die globale Ordnung wahrgenommen werden.
Daher ist der angewendete Zollsatz von 125 % keine einfache Steuerregelung, sondern eine direkte Belagerungsmaßnahme gegen Chinas Fähigkeit, Systeme zu gestalten. Bessent will China nicht nur aus dem Markt, sondern auch aus dem Aufbau einer neuen globalen Ordnung ausschließen. Dies ist ein sehr großer Schritt, doch aufgrund der Hitze der Ereignisse haben viele Beteiligte das Risikopotenzial dieses Themas noch nicht vollständig verstanden.
An diesem Punkt beginnt sich auch die Bedeutung der Zölle zu ändern. Diese Zölle sind nicht mit denen aus Trumps erster Amtszeit vergleichbar. Denn Zölle sind nun nicht mehr nur eine technische Maßnahme zur Erhöhung der Produktkosten; sie sind ein Symbol, ein Status, der die Position eines Landes im globalen System bestimmt.
Für Scott Bessent stellt die Zollrate von 125 % nicht nur ein Mittel dar, den Import zu stoppen, sondern auch eine Aussage darüber, welchen Platz China in Zukunft einnehmen soll. Bessent will nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft neu gestalten – als Architekt einer neuen Ordnung. In seinem Kopf formt sich die Neue Ordnung nicht nur über Kapitalflüsse, sondern im Rahmen von Loyalität, Anpassung und strategischer Ausrichtung.
Auch im amerikanischen Binnenmarkt beginnt diese neue Strategie tiefgreifende Auswirkungen zu zeigen. Trotz Inflationsrisiken wird der Wiederaufbau der heimischen Produktion zur langfristigen Staatsdoktrin. Halbleiterfabriken, Batterieproduktionsanlagen und Verarbeitungszentren für seltene Erden entstehen erneut in den Städten des Mittleren Westens und werden durch staatliche Anreize gefördert. Es geht längst nicht mehr nur um die Frage „Wie viel produzieren wir?“, sondern vielmehr um „Mit wem und wogegen produzieren wir?“ – eine Entwicklung, die einen tiefgreifenden Bruch im amerikanischen Kapitalismus markieren könnte.
Gleichzeitig werden Zölle zum zentralen Instrument geoökonomischer Abschreckung. Indirekte Zollandrohungen, Technologiebeschränkungen und Investitionsauflagen gegenüber Ländern, die ihre Beziehungen zu China vertiefen, dienen als klarer strategischer Druckmechanismus. Länder wie die Türkei, die eine „Politik der Balance“ verfolgen, geraten in diesem neuen System zunehmend unter Druck. Denn in Bessents System gibt es keine Grauzonen: Entweder man ist Teil des Systems oder draußen. Entweder man passt sich an – oder man wird ausgeschlossen.
Für die Türkei bedeutet dieses neue System mehr als kurzfristige Entscheidungen – es ist eine historische Weggabelung. Ankara, das sowohl an einer Integration mit dem entfremdeten Westen festhalten als auch die wachsenden Wirtschaftsbeziehungen mit China bewahren will, wird nun auf ein Spielfeld gezogen, auf dem es unmöglich ist, beide Seiten zufriedenzustellen. Bessents Zollpolitik richtet sich nicht nur gegen China, sondern auch gegen dessen Partner. Die türkische Produktionsstruktur ist ebenso abhängig von den westlichen Märkten wie vom asiatischen Zulieferfluss. Wenn dieses Gleichgewicht zerbricht, wird es entweder zu einer Neuorientierung hin zu EU- und USA-zentrierten Märkten kommen oder zu einer neuen, asienbasierten Strategie. Beide Optionen sind kostenintensiv – und ihre möglichen Erträge liegen in der fernen Zukunft.
Kurzum: Scott Bessent ist nicht einfach nur ein Finanzminister – er ist ein Stratege, der versucht, die neue Weltordnung des 21. Jahrhunderts zu gestalten. Er nutzt Zölle nicht nur als Steuern, sondern als konstituierende Prinzipien – und unterzieht die Länder, denen er Wohlstand verschafft, einem Loyalitätstest.
Diese Strategie, die mit der Einkreisung Chinas begann, stellt nun die ganze Welt vor dieselbe Frage:
„Wie viel Anpassung seid ihr bereit zu leisten, um Teil des Systems zu bleiben?“
Leider wird eine der schwierigsten Antworten auf diese Frage in den kommenden Monaten von der Türkei gegeben werden müssen… Eine schwere Prüfung.