Prof. Dr. Erol Göka: In einer künstlichen Welt braucht es eine Rückkehr zur Intimität, zur Echtheit von Familie und Liebe

Leider verbreitet sich zunehmend ein Menschen- und Freiheitsverständnis, das sich nicht nur gegen die Familie, sondern auch gegen die Ehe und sogar gegen tiefe emotionale Bindungen richtet. Ich bin der Meinung, dass die Ursache hierfür im sogenannten „Globalismus“ liegt – einer Ideologie, die davon ausgeht, dass weder Staaten noch andere traditionelle Institutionen mehr gebraucht werden und dass die Welt nach den Interessen und Wünschen der Reichsten regiert werden sollte. Sie wollen die Nationalstaaten zerstören – und damit auch die Familie, auf der sie gründen –, um den Menschen vollkommen entblößt, völlig vereinzelt zurückzulassen.
Mai 6, 2025
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Interview mit Prof. Dr. Erol GÖKA
Interview: Derya KURTOĞLU

Sehr geehrter Herr Professor, vielen Dank, dass Sie unserem Interview zugestimmt haben. Ihr neues Buch „Über Familie und Liebe“, das im Jahr 2024 erschienen ist, sei Ihnen herzlich beglückwünscht. In unserem heutigen Gespräch möchten wir über die zentralen Themen Ihres Buches sprechen: Liebe, Familie, Jugend und gesellschaftlicher Wandel.

1. Herr Professor, es gibt eine weitverbreitete Meinung, dass zwischen den Begriffen „Liebe“ und „Familie“ eine scharfe Trennung besteht. Halten Sie diese Trennung für richtig? Können wir heute noch von einer gesellschaftlichen Realität namens Familie sprechen? Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Liebe und Familie beschreiben?

Vielen Dank. Sie haben recht – das moderne Konzept der „Liebesheirat“, einst ein zentrales Gedankengut der Moderne, ist mittlerweile stark zurückgegangen. Und nicht nur das: Auch die Verteidiger von Liebe und Familie sind besonders im Westen deutlich weniger geworden. Von dort aus breitet sich die Ablehnung gegenüber der Familie auf die ganze Welt aus. Die Menschen wollen heute keine Verantwortung mehr für andere übernehmen. Sie träumen davon, ein Solo-Leben zu führen und sich mit fast schon tagesabhängigen Beziehungen zufriedenzugeben.

Diejenigen, die für Ehe, für eine verantwortungsvolle und emotionale Beziehung oder für die Familie eintreten, werden immer seltener – und ihre Argumente finden insbesondere bei der Jugend kaum noch Anklang; sie gelten als leere Worte voller Rhetorik.

In einer solchen Welt müssen wir sorgfältig darüber nachdenken, wie und was wir verteidigen, und entsprechend entschlossene Schritte unternehmen. Mein Buch „Über Familie und Liebe“ habe ich genau mit diesem Gedanken verfasst. Es reicht nicht, die Familie nur mit leeren Phrasen wie „Die Familie ist die Grundlage der Gesellschaft“ zu verteidigen. Wenn wir die sich verändernden Rollen innerhalb der Familie, neue Vorstellungen von Kindheit und Kindererziehung sowie die völlig gewandelten Erwartungen der Jugendlichen und Älteren nicht richtig erkennen und analysieren, wird uns die Lawine, die aus dem Westen auf uns zurollt, unweigerlich überrollen.

In der Menschheitsgeschichte gab es viele Formen von Ehe und Familie – das müssen wir zunächst erkennen und auf dieser Grundlage sprechen. Trotz aller kulturellen Vielfalt sollten wir darüber nachdenken, warum die Menschen dennoch nicht aufhören zu heiraten und Familien zu gründen. Unsere Argumente sollten auf dieser Überlegung aufbauen, um den heutigen Gegnern von Ehe und Familie wirkungsvoll begegnen zu können. Andernfalls werden wir weder uns selbst noch unsere Kinder vor den Gefahren der neuen Welt, die auf uns zukommt, schützen können.

Wir glauben an ein Weltbild, dem zufolge der Mensch als Teil einer Familie in die Welt kommt und dass Beziehungen zwischen Mann und Frau im Rahmen von Halal und Haram entstehen und weitergeführt werden sollten. Doch leider gelingt es uns nicht, dieses Weltbild ausreichend gut zu verteidigen.

Wir müssen in der Lage sein, verständlich zu machen, in welches Chaos die Menschheit ohne die Intimität und Verantwortung der Familie stürzen würde. Ich persönlich glaube nicht, dass die Menschen dauerhaft auf diese Intimität und auf das Ideal der Fortpflanzung von Generationen – die Grundlage der Familie – verzichten werden.

Ein zentraler Anhaltspunkt dafür ist für mich die menschliche Existenzweise selbst: Sie bringt eine Form der Beziehung zwischen Männern und Frauen hervor, die nahezu eine Bindung voraussetzt und zur Liebe hinführt. Ja, ich denke, dass wir aufgrund unseres Gefühls für Liebe und Zuneigung ein auf familiäre Intimität ausgerichtetes Dasein haben.

Deshalb wollte ich in meinem Buch auch das Thema Liebe aufgreifen, um mit meinen Leser:innen über die aktuelle Krise der Familie zu diskutieren. Auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, bin ich überzeugt: Liebe und Familie bedingen einander, sie sind aufeinander angewiesen und rufen sich gegenseitig beständig hervor.

2. In den letzten Jahren wird die Stimme der Familiengegner:innen immer lauter. Wie beurteilen Sie die Gründe für diese Gegnerschaft? Läuten tatsächlich die Alarmglocken für die Zukunft der Institution Familie? Verlieren wir sie?

Leider breitet sich ein Menschen- und Freiheitsverständnis aus, das sich nicht nur gegen die Familie, sondern auch gegen die Ehe und sogar gegen intensive emotionale Bindungen richtet.

Ich denke, die Wurzel dieses Problems liegt im „Globalismus“ – in der Vorstellung, dass keine traditionellen Institutionen, einschließlich der Nationalstaaten, mehr gebraucht werden und dass die Welt allein im Sinne der reichsten Eliten gesteuert werden soll.

Diese Ideologie zielt darauf ab, die Nationalstaaten – und somit auch die Familie als ihr Fundament – zu zerstören und den Menschen völlig entblößt und vereinzelt zurückzulassen.

Sie können es auch Kapitalismus, Individualismus oder Egoismus nennen; oder Sie tauchen tief in die menschliche Psyche ein und beginnen mit dem Narzissmus – all das führt letztlich zum selben Ergebnis.

Die Alarmglocken für die Familie läuten schon seit Jahren. Inzwischen ist auch die Ehe betroffen, ebenso wie die Verantwortung, Partner:in oder Elternteil zu sein.

Kaum jemand denkt heute noch daran, Kinder zu bekommen – es wird bereits darüber gesprochen, wann das letzte Kind geboren werden könnte. Ohne das Ideal der Generationen gibt es auch keine Familie.

Aber es besteht kein Grund zur Panik. Ich glaube, dass sowohl die Familie als auch die Liebe zu den grundlegenden Eigenschaften des Menschseins gehören. Solange der Mensch existiert, wird es auch die Suche nach Liebe und Familie geben.

3. Wenn wir die Generation der App-Nutzer im Speziellen und die Jugend im Allgemeinen betrachten, wie beeinflusst die Beziehung zur Technologie die Kommunikation innerhalb der Familie?

Schrecklich!… Obwohl ich versuche, den Widerstand gegen die Familie mit dem Globalismus zu erklären, müssen wir auch berücksichtigen, wohin die reichsten Menschen, die an der Spitze der Produktionskette stehen, die Technologie führen und in welchen Bereichen sie uns dazu zwingen, diese zu nutzen.

Wie Sie wissen, bezeichne ich die Welt, in der wir leben, als „technomediatische Welt“. In dieser Welt werden immer mehr virtuelle und künstliche Elemente zu allem beherrschend. Das Verständnis des wahren Menschen und des echten Lebens verschwindet. All dies geschieht leider durch die digitalen Technologien, die wir, die wir von ihnen begeistert sind und glauben, dass sie unser Leben erleichtern, ungeduldig erwarten.

So sehr, dass wir den jungen Menschen, die in diese Welt hineingeboren werden, Namen wie „App-Generation“ geben, um den Unterschied zwischen uns und ihnen zu verdeutlichen. Da die Jugendlichen nicht mehr sich selbst, sondern eher den Apps auf ihren intelligenten Geräten vertrauen, bezeichnen wir sie als die „App-Generation“. Familie und Liebe sind authentisch, wahrhaftig und menschlich, während die App-Generation in den technomediatischen Geräten gefangen ist, die künstlich, virtuell und von Natur aus fremd für den Menschen sind und völlig neue und seltsame Eigenschaften erschaffen.

Sie fragten nach der Kommunikation innerhalb der Familie, aber ich sage, dass nicht nur die Kommunikation innerhalb der Familie, sondern alle traditionellen Kommunikationswege belagert werden. Die Diskussion über die Krise der Familie muss von hier ausgehend geführt werden. Wenn sich in der Familie alle Rollen so stark verändern, ist es nicht wirklich angebracht, die traditionellen Perspektiven zu übernehmen und diese mit der alten Sichtweise zu bewerten.

4. Werte Professor, die Unterstützung der Familie hat großen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Besonders in der Pubertät, wie können Eltern ihre Kinder besser unterstützen?

Es ist sehr schwierig, mit den Problemen umzugehen, in die die Welt zunehmend hineingezogen wird, ohne deren Ursachen zu kennen und ohne Maßnahmen oder Strategien als Menschheit und als Staat zu entwickeln. Arme Familien, Eltern und Jugendliche wissen nicht, was sie tun sollen, und kämpfen in einem Zustand der Entfremdung voneinander; in einer solchen Welt können sie allein nicht viel ausrichten!

Keine Sorge, ich werde Ihre Frage beantworten, aber ich möchte betonen, dass diese bittere Realität ebenfalls gesehen werden muss. Schon seit Jahren geben unsere Experten im Internet und in den sozialen Medien Ratschläge zu den Themen Kinder und intelligente Geräte sowie Online-Sucht. Ich hoffe, dass diese Ratschläge hilfreich sind. Zusätzlich zu den seit Jahren gegebenen Empfehlungen möchte ich Folgendes hinzufügen:

Die Grundlage der Macht in der technomediatischen Welt, mit der wir zu kämpfen haben, ist Virtualität und Künstlichkeit. Wir müssen daher das Wahre und Authentische dem Künstlichen und Virtuellen entgegensetzen. Das Wahre und Authentische sind die gute und qualitativ hochwertige Zeit, die gemeinsam verbracht wird, Freundschaft, Kameradschaft, Liebe. Verantwortung und Moral. Man kann diesen jungen Menschen nicht einfach predigen, dass sie all das tun sollen; man kann nicht erwarten, dass sie immer wie Roboter euren Befehlen folgen. Hoffentlich werden wir eines Tages die Jugend ausführlicher besprechen. Aber lasst uns niemals vergessen: Die Jugendzeit ist, entgegen der landläufigen Meinung, die schwierigste und herausforderndste Zeit des Lebens. Wir müssen unseren Jugendlichen zur Seite stehen, uns bemühen, sie nicht ständig zu kritisieren, und immer bereit sein, ihnen zu helfen und das auch zu zeigen. Ein weiterer Punkt, den wir nicht vergessen sollten, ist, dass Jugendliche in dieser Lebensphase in Wirklichkeit sehr moralisch streng sind. Sie erwarten von ihren Eltern und der erwachsenen Gesellschaft, dass ihre Worte und Taten übereinstimmen. Da dies jedoch oft nicht der Fall ist, da Erwachsene häufig nicht das tun, was sie predigen, glauben die Jugendlichen nicht an das, was sie hören. Wir müssen ihnen nicht nur mit guten Beispielen begegnen, sondern als Menschen, deren Worte und Taten in Einklang sind.

5. Warum ist es so wichtig, für junge Menschen ein gutes Vorbild zu sein? Welche Rolle sollten Familien in diesem Zusammenhang übernehmen?

Ich habe versucht zu erklären, dass junge Menschen mehr auf Taten als auf Worte achten. Was immer du ihnen empfiehlst, du musst selbst so sein. Wenn deine Worte und Taten nicht im Einklang stehen, wird der junge Mensch sich gegen dich stellen und das Gegenteil von dem tun, was du sagst, egal wie richtig du es auch aussprichst. Wenn du möchtest, dass sie fleißig sind, musst du fleißig sein. Wenn du nicht willst, dass sie viel Zeit mit smarten Geräten verbringen, solltest du nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher verbringen. Du musst ihnen zeigen, dass das echte Leben und die Zeit, die man als Familie miteinander verbringt, angenehm und unterhaltsam ist, indem du es mit deinem eigenen Leben vorlebst. Du solltest ihre gesunden Freundschaften unterstützen.

6. Abschließend, was würden Sie aus der Perspektive der Jugendlichen über die Familie und das Konzept der Familie in der Gegenwart und Zukunft sagen? Welche Rolle sollten Jugendliche in der Zukunft der Familie übernehmen?

Das ist eine sehr gute Frage, aber ich denke, wenn wir alles, was ich bisher gesagt habe, als Ganzes betrachten, wird ersichtlich, dass ich darauf bereits geantwortet habe. Unsere Jugendlichen sind viel klüger und dynamischer als wir, und sie haben keinen Sinn für leere Worte. Wir müssen ihnen beweisen, dass die Familie eine wertvolle und schützenswerte Institution ist, indem wir unsere Gedanken und unsere Vorbilder mit solidem Beweis unterlegen und, noch wichtiger, es mit unserem eigenen Leben zeigen. Was kannst du einem Kind oder Jugendlichen erzählen, das in einem Zuhause aufwächst, in dem es ständig Streit und Lärm gibt, in dem Respekt gegenüber Älteren und Verwandten nicht gezeigt wird, besonders in einer Welt, die von familienfeindlichen Ideen durchzogen ist…?

Ich möchte mich herzlich bei Prof. Dr. Erol Göka für diese wertvollen Informationen bedanken. Seine tiefgreifende Analyse der Jugend- und Familienbeziehungen wird einen großen Beitrag für die Leser leisten. Es war uns eine Ehre, die Ansichten eines so geschätzten Akademikers zu teilen.

Quelle: Kahramanmaraş Direktion für Familie und Soziale Dienste und die Gemeinde Kahramanmaraş, gemeinsam herausgegebenes „Familienbulletin für das Jahr 2025“.