Möge der Mond in dir hell bleiben!

In unserem Dorf sagt man zu jemandem, der eine schöne Nachricht erhält – wie auch an vielen anderen Orten –: „Gözün aydın!“ (Wörtlich: Dein Auge sei hell!). Wer eine so schöne Nachricht erhält, dass sein Auge hell wird, erwidert darauf, um die Freude zu teilen und dem Gegenüber Ähnliches zu wünschen: „Ay aydın içinde kalasın!“ (Möge der Mond in dir hell bleiben!). Es ist großartig. In unserer türkischen Sprache wurde das Wort „aydın“, das Licht, Mondlicht und Helligkeit bedeutet, nach 1935 auch als Entsprechung für das arabische Wort „münevver“ (der Erleuchtete/Gebildete) verwendet. Das ist sehr passend. Wenn doch nur unsere Intellektuellen ebenso schön und unserem Volk würdig gewesen wären – so wie das Wort „aydın“ selbst …
Juni 2, 2025
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Über das Licht und unsere Intellektuellen

In unserem Dorf sagt man, wie vielerorts, zu jemandem, der eine schöne Nachricht erhält: „Gözün aydın!“ – „Dein Auge sei hell!“ Wer solch frohe Kunde erhält, dass sein Auge hell wird, erwidert mit dem Wunsch, diese Freude zu teilen und dem anderen Ähnliches zu wünschen: „Ay aydın içinde kalasın!“ – „Möge der Mond in dir hell bleiben!“ Welch wunderbare Redewendung!

Das türkische Wort aydın, das Licht, Mondlicht und Helligkeit bedeutet, wurde ab 1935 auch als Entsprechung für das arabische Wort münevver (der Erleuchtete, Gebildete) verwendet. Eine äußerst passende Bedeutungsübertragung. Doch wären nur unsere Aydınlar – unsere Intellektuellen – ebenso schön und unseres Volkes würdig wie das Wort selbst!

Seit geraumer Zeit antworte ich auf die Frage „Was ist das wichtigste Problem dieses Landes?“ ohne zu zögern mit: „Der Zustand unserer Intellektuellen.“ Die Probleme, über die wir ständig reden, erscheinen im Vergleich dazu winzig klein… Weder unsere moralischen Schwächen, noch unsere Neigung zu Prunk und Protz, noch unsere tief verwurzelte Gewaltkultur oder die Mängel, die unsere Demokratie schwächen – kein einziges davon reicht in Ernsthaftigkeit und Ausmaß an das Intellektuellenproblem heran.

Welchen Stein man auch hebt – darunter liegt das Problem der Intellektuellen verborgen. Bei welchem gesellschaftlichen Thema wir auch Schwierigkeiten haben, am Ende unserer Betrachtung könnten wir stets hinzufügen: „Wenn unsere Intellektuellen ihren Aufgaben gerecht geworden wären, befänden wir uns heute nicht in dieser Lage.“

Sehen wir uns nur einmal an, was jene sogenannten Intellektuellen, unsere Leser und Schreiber, am liebsten kritisieren, worüber sie lachen und Spott verbreiten. Sie führen die langsame Entwicklung des demokratischen Bewusstseins in unserem Volk, das Fehlen einer starken Zivilgesellschaft, unsere führerzentrierte Mentalität als Probleme an – doch erkennen nicht, dass sie selbst, wenn nicht allein, so doch maßgeblich dafür verantwortlich sind.

Ein Teil von ihnen zieht es vor, statt ihre eigene Verantwortung zu sehen, das Volk von oben herab zu betrachten, sich über jene Persönlichkeiten lustig zu machen, denen das Volk Hoffnung zuspricht, ihnen Charisma zuschreibt – und diese mit Etiketten wie „Diktator“ zu verunglimpfen. Sie behaupten, Wissen sei Macht, aber sie reden weder über das System der Bevormundung, noch erkennen sie, dass die eigentliche Unwissenheit von ihnen selbst ausgeht.

Sie sprechen viel über die „militärisch-zivile intellektuelle Elite“, merken aber nicht, dass sie selbst die Legitimierer oligarchischer und diktatorischer Strukturen sind.

Ach, wären sie doch anders gewesen! Hätten sie doch den Mut gehabt, sich den Schwierigkeiten zu stellen, dem Volk ein Licht zu sein – selbst unter Mühen! Hätten sie statt sich gegen das Volk zu stellen, es verächtlich zu machen, den Weg mit ihm gemeinsam beschritten!

Die Wurzeln unseres Intellektuellenproblems sind vielfältig, es entstand nicht über Nacht. Seine Ursachen liegen sowohl in der historischen Psyche unseres Volkes als auch in seinem Unvermögen, eine Antwort auf die Herausforderung des Westens zu formulieren. (Meine ersten Ausführungen zu diesem Thema hatte ich unter dem Pseudonym Deniz Gürsel in den Ausgaben 28 und 29 der Zeitschrift Türkiye Günlüğü veröffentlicht. Später versuchte ich, diese Gedanken unter dem Titel „Der organische Intellektuelle des Volkes“ auf verschiedenen Plattformen weiterzutragen.)

Wer ist der Intellektuelle?

Wer ist dieser Aydın, was macht ihn so wichtig, so wertvoll, so unverzichtbar? Wenn wir den Begriff des Intellektuellen nicht richtig definieren, werden auch all unsere späteren Bewertungen fehlerhaft sein. Am knappsten lässt sich der Intellektuelle als jene Person beschreiben, die das, was man als „das höchste kollektive geistige Produkt der Gesellschaft“ bezeichnen kann, in sich trägt – in welcher Form auch immer.

In dieser Definition rücken zwei Aspekte in den Vordergrund: Gesellschaft und hohes geistiges Produkt. Lassen Sie uns das etwas näher betrachten:
Als Individuen besitzen wir alle ein Gedächtnis, das von starken emotionalen Bindungen an unsere Vergangenheit geprägt ist, sowie Erwartungen und Horizonte, die sich aus unserer Vergangenheit und Gegenwart auf unsere Zukunft beziehen. All diese Dinge werden in unserer individuellen geistigen Kapazität erlebt und wahrgenommen.

Jedem von uns ist eine gewisse geistige Fähigkeit von Gott gegeben – dem einen mehr, dem anderen weniger. Doch bei manchen ist diese Fähigkeit besonders ausgeprägt. Je mehr sich die geistig-intellektuelle Kapazität eines Menschen – seiner Natur nach – entwickelt, desto stärker, deutlicher und sichtbarer treten diese Eigenschaften hervor.

Derjenige, den wir „Aydın“ nennen, trägt diese Eigenschaften in starkem Maße in sich, doch entscheidend ist: Er setzt sie nicht nur für sich selbst ein, sondern auch im Namen der Gesellschaft, in der er lebt und zu der er sich zugehörig fühlt. Was einen Intellektuellen ausmacht, ist eben diese Schicksalsverbindung mit der Gesellschaft – die Fähigkeit, auch für sie zu denken.

Der Intellektuelle unterscheidet sich sowohl vom Denker, der das Denken zur Sinnsuche des Daseins betreibt, als auch vom Wissenschaftler, der versucht, die Gesetzmäßigkeiten materieller Beziehungen zu ergründen. Er steht dem Politiker näher; ob er nun aktiv in der Politik tätig ist oder nicht – der Intellektuelle tut mit theoretischem Denken, was der Politiker mit praktischem Verstand tut.

In seiner persönlichen Identität erinnert der Intellektuelle gewissermaßen an einen politischen Führer: Er ist sowohl er selbst als auch mehr als er selbst – indem er im Namen der Gesellschaft spricht und seine geistigen Fähigkeiten sowie seine Intuition für das Gemeinwohl einsetzt.

Der organische Intellektuelle und der organische Intellektuelle des Volkes

Der Intellektuelle ist das höchste kollektive geistige Produkt einer Gesellschaft. Doch weil seine Position in gewisser Weise vor der Gesellschaft liegt, sich teilweise von ihr absetzt, ist seine Verbindung zur Gesellschaft zugleich unerlässlich wie auch äußerst empfindlich. So empfindlich und zerbrechlich, dass wir häufig beobachten, wie viele Intellektuelle diesen Kontakt leicht verlieren.

Verliert ein Intellektueller den Bezug zu seiner Gesellschaft – also seine organische Qualität –, verwandelt er sich entweder in einen zynischen Selbstverliebten, der sich nur noch um sich selbst kümmert, oder in einen Despoten, der die Gesellschaft beschimpft, weil sie nicht seinen Vorstellungen folgt. Entsprechend seiner Verbindung zur Gesellschaft können wir Intellektuelle in zwei Gruppen einteilen: diejenigen, die organisch mit ihr verbunden sind, und diejenigen, die es nicht sind.

Wie bekannt ist, stammt der Begriff des „organischen Intellektuellen“ vom italienischen marxistischen Denker Antonio Gramsci. Gramsci durchbricht an mehreren Stellen das klassische Gedankengebäude von Karl Marx, kehrt es teils um und gelangt so zu völlig neuen Erkenntnissen, die mit dem scholastischen Marxismus kaum noch Gemeinsamkeiten haben. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Intellektuellen entwirft er eine Theorie mit bemerkenswerter Erklärungskraft.

Zwar bleibt Gramsci im Kern Marxist, insofern er an die Vision einer klassenlosen Gesellschaft und an die letztendliche Aufhebung der Trennung zwischen Staat und Zivilgesellschaft glaubt – in diesem Punkt gibt es für uns keine theoretische Anschlussmöglichkeit. Doch was den Weg zur klassenlosen Gesellschaft betrifft, entwickelt Gramsci ein theoretisches Schema, das den Marxismus beinahe vollständig hinter sich lässt – und genau hier öffnet sich für uns ein bedeutungsvoller Anknüpfungspunkt.

Wie ebenfalls bekannt, entlehnt Karl Marx sein Verständnis der Zivilgesellschaft von Hegel. Bei Hegel ist die Zivilgesellschaft ein Raum der moralischen und physischen Zerrüttung, des Elends und der Selbstsucht – ein Bereich, der der Intervention einer transzendenten Instanz wie des Staates bedarf. Marx stellt dieses Verhältnis auf den Kopf, indem er der Zivilgesellschaft Vorrang vor dem Staat einräumt. So wird die Zivilgesellschaft bei ihm zum Schauplatz der materiellen Verhältnisse, die den übergeordneten Staat – als verdichteten Ausdruck gesellschaftlicher Macht – bedingen und formen. Aus dieser Sichtweise resultiert der klassische Marxismus, mit seinem Primat des Klassenkampfes und der leninistischen Vorstellung von Revolution und gewaltsamer Abschaffung des Staates.

Gramscis Ideen zu Zivilgesellschaft, Staat und Revolution jedoch lassen sich mit Marx’ Position kaum noch in Einklang bringen. Denn Gramsci entwickelt sein Zivilgesellschaftskonzept erneut aus Hegels Denken – diesmal jedoch aus einer anderen These: jener, dass die moralischen Grundlagen des Staates innerhalb der Zivilgesellschaft verankert seien.

Auf dieser Grundlage gelangt Gramsci zu der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft nicht zur ökonomischen Basis, sondern zur ideellen Überbau-Struktur gehört. Damit stellt er sich diametral gegen Marx. Und nicht nur das – er bricht das marxistische Theoriegebäude in seiner tragendsten Mitte: der Vorrang der materiellen Basis wird von Gramsci entschieden abgelehnt.

Nach Gramsci bedeutet der Übergang vom reinen ökonomischen Bereich – dem Bereich des Egoismus und der Gier – in den ethisch-politischen Bereich (also vom Unterbau zum Überbau) einen Wechsel vom Objektiven und Zwanghaften zum Subjektiven und Freien. Mit anderen Worten: Der Überbau ist ein Raum, der es erlaubt, sich dem erdrückenden, entmündigenden Einfluss der materiellen Basis zu entziehen und eine neue ethisch-politische Form zu schaffen. Er ist eine Quelle des Handlungsspielraums – und somit auch ein Bereich, der die materiellen Bedingungen nicht nur widerspiegelt, sondern sie aktiv verändern kann.

Obwohl in Gramscis Denken die Überstruktur gegenüber der ökonomischen Basis eine bestimmende Stellung einnimmt, besteht sie in sich aus zwei Elementen – einem negativen und einem positiven. Das negative Element der Überstruktur ist der Staat, also der Bereich der direkten Herrschaft, des Zwangs und der Unterdrückung (politische Sphäre). Das positive Element ist die Zivilgesellschaft, als jener Bereich hegemonialer Beziehungen, die auf Konsens beruhen.

Während die Bourgeoisie ihre Vorherrschaft in der ökonomischen Basis und in der politischen Sphäre mehr oder weniger vollständig etablieren kann, ist es ihr nicht ohne Weiteres möglich, auch im zivilgesellschaftlichen Bereich eine politische, moralische und ideologische Hegemonie zu errichten. Um es mit Gramscis eigenen Begriffen zu sagen: Die Bourgeoisie strebt nach einer Hegemonie innerhalb der Zivilgesellschaft, durch die sie mithilfe von Ideologie auch jene Klassen, die nicht zu ihr gehören, auf ihre Seite ziehen und mit ihnen gemeinsam einen historischen Block bilden kann – um so ihre politische Herrschaft zu legitimieren. Doch dieses Ziel ist keineswegs leicht zu erreichen.

Denn die Zivilgesellschaft ist zwar der Raum, in dem die bürgerliche Ideologie ihre Legitimation entfalten kann, zugleich ist sie aber auch ein Freiheitsraum, in dem oppositionelle Kräfte – selbst unter staatlicher Repression – die Möglichkeit haben, neue Ideologien, neue historische Blöcke und somit auch eine neue Geschichte zu entwickeln.

Das Entscheidende ist, die hegemoniale Ideologie und den bestehenden historischen Block, auf denen die Macht der Bourgeoisie ruht, zu brechen und aus der Zivilgesellschaft heraus ein neues Weltverständnis sowie einen neuen historischen Block zu etablieren – auf diese Weise kann eine Verschmelzung von politischer und zivilgesellschaftlicher Sphäre entstehen, in der der Staat überflüssig wird.

Nach Gramsci sind es die organischen Intellektuellen, die als Träger und Verbreiter eines solchen neuen Weltverständnisses den Hauptmotor im hegemonialen Kampf innerhalb der Zivilgesellschaft darstellen. Ihnen stehen selbstverständlich die Intellektuellen der Bourgeoisie gegenüber – jene, die der bestehenden Ordnung verpflichtet sind und Wissen zu deren Erhalt produzieren.

Im Verlauf dieses Kampfes innerhalb der Zivilgesellschaft, je mehr sich ein neues Lebensmodell herausbildet und verbreitet, desto weiter wird die politische Gesellschaft (der Staat) zurückgedrängt – bis sie schließlich ihre politischen Funktionen schrittweise an die Zivilgesellschaft abtritt und in dieser aufgeht.

Parallel dazu – und im Einklang mit der Wirkung des neu entstandenen historischen Blocks – sind auch in der ökonomischen Basis unvermeidlich Umwandlungen zu erwarten, die in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft führen. Doch damit der Staat vollständig in einem solchen Prozess „aufgelöst“ werden kann, muss der hegemoniale Kampf einen globalen Maßstab erreichen und die staatliche Herrschaft weltweit überwinden.

Wir vertreten die Auffassung, dass zwischen Staat und Volk ein auf Konsens beruhendes, organisches Band bestehen muss. Um die charakteristischen Merkmale des Volkes in die Charakteristik des Staates überführen zu können, bedarf es – ähnlich wie in der oben skizzierten Theorie Gramscis – organischer Intellektueller. Diese, die wir als „die organischen Intellektuellen des Volkes“ bezeichnen, sind überall dort, wo es im Laufe der Geschichte einen Staat gegeben hat, stets präsent gewesen und haben die Verbindung zwischen Staat und Volk aufrechterhalten.

Indem die geistigen Horizonte, die durch diese Intellektuellen mit organischen Verbindungen zum Volk eröffnet werden, auch bei den staatlichen Eliten Resonanz finden, werden die künstlichen Barrieren zwischen Volk und Staat aufgehoben – und an deren Stelle tritt ein feiner Schleier, der die Distanz überbrückt und die Grenze unsichtbar macht. Andernfalls ist der Staat nicht in der Lage, seine Legitimität im zivilgesellschaftlichen Raum aufrechtzuerhalten, und kann auf Dauer weder das Gewaltmonopol noch das Steuererhebungsrecht behaupten – wodurch letztlich seine gesellschaftliche Grundlage und Existenz gefährdet wäre.

Wenn wir nun den historischen Aspekt einen Moment lang ausklammern und uns ausschließlich auf unsere heutige Gesellschaft konzentrieren, lässt sich Folgendes sagen: Die organischen Intellektuellen unseres Volkes sind jene, die – unter Berücksichtigung der Wissensproduktion und der Funktionsweise von Wissen in der modernen Welt – im Namen des Volkes dessen Weltanschauung auf höchstem intellektuellen und politischen Niveau artikulieren und dadurch eine Orientierung für das staatliche Handeln bieten.

Dabei mag es scheinen, als ob wir mit dieser Definition einzelne Personen meinen – doch tatsächlich beziehen wir uns mit der Kategorie „organische Intellektuelle des Volkes“ nicht auf konkrete Individuen, sondern vielmehr auf Denkformen, auf geistige Strukturen und deren Träger. Die organischen Intellektuellen des Volkes sind letztlich keine klar abgrenzbare Gruppe einzelner Denker; vielmehr besteht ihr organischer Charakter in jenen Anteilen des intellektuellen Bewusstseins, die mit der im Volk konkret gewordenen Tradition in Einklang stehen.

Das Verhältnis des Intellektuellen zur Macht und zur Politik

An diesem Punkt gilt es, die zuvor skizzierte Definition des Intellektuellen weiter zu präzisieren, insbesondere in Hinblick auf sein Verhältnis zum Staat und zur Macht. Der Intellektuelle ist jemand, der seine geistige Tätigkeit im Interesse des Gemeinwohls und der Freiheit des Individuums (einschließlich seiner eigenen) entfaltet. Er ist weder ein bloßer Chronist der Ereignisse noch ein Ideologe, der seinen Lebensunterhalt als Staatsbeamter verdient.

Ein Intellektueller muss stets eine kritische Distanz zur Macht wahren – andernfalls unterscheidet er sich in keiner Weise mehr von einem Hofhistoriker oder einem ideologischen Funktionär, der bemüht ist, jegliches Handeln der Macht zu legitimieren. Besonders problematisch wird es, wenn der Intellektuelle selbst von der Macht profitiert, also seinen Lebensunterhalt und persönliche Vorteile aus seiner Nähe zur Macht bezieht – in diesem Fall verliert sein Denken in hohem Maße an Gültigkeit und Glaubwürdigkeit.

Die Beziehung des Intellektuellen zur politischen Macht sollte, um es mit Kant zu sagen, einem „Gruß aus der Ferne“ gleichen – ihre Wege sollten sich nie gänzlich überschneiden. Der Intellektuelle muss in einem freien Umfeld angstfrei seine Gedanken äußern können; die politische Macht hingegen sollte sich bemühen, jene Gedanken umzusetzen, die der Intellektuelle als wertvoll erachtet. Andernfalls wird die Macht die Urteilskraft des Verstandes korrumpieren, während der Intellektuelle, der einmal die Süße der Macht gekostet hat, dazu neigen könnte, sein früheres Leben als unbedeutend zu empfinden und alles der Begierde nach weiterer Macht zu opfern.

Doch an dieser Stelle ist ein Innehalten geboten: Ja, in der Beziehung zwischen Intellektuellem und Macht ist kritische Distanz unabdingbar – doch mit der Moderne hat sich das Thema erweitert und ist zu einer grundsätzlichen Fragestellung über das Verhältnis von Intellektuellen zur Politik geworden. Politik ist in modernen Demokratien eine menschliche Praxis, die niemanden – schon gar nicht Intellektuelle – gleichgültig lassen darf; sie ist der Ausdruck des Ringens um die Verteidigung der eigenen Existenz, der Gesellschaft und der Wertvorstellungen. In diesem Sinne ist jeder Intellektuelle gewissermaßen zur Politik verpflichtet.

Sich mit Politik zu beschäftigen, ist im Begriff des Intellektuellen bereits impliziert. Was den Intellektuellen vom bloß gebildeten Bürger oder vom unbeteiligten Wissenschaftler unterscheidet, ist genau diese politische Verantwortung. Der Intellektuelle leidet an den Problemen der Gesellschaft – ja, mehr noch: Er erkennt sogar Missstände, die der Gesellschaft selbst noch nicht bewusst geworden sind, und bemüht sich, sie darauf aufmerksam zu machen. In diesem Sinne ist der Intellektuelle ein überparteilicher, „meta-politischer“ Akteur.

Die zentrale Frage lautet daher: „Welche Haltung soll ein Intellektueller einnehmen, wenn das politische Programm, das er unterstützt, tatsächlich zur Macht gelangt?“ Die Antwort darauf muss lauten: „Auch wenn seine Gedanken an die Macht gelangen, soll der Intellektuelle weiterhin an deren praktischer Umsetzung arbeiten – jedoch mit kritischer Distanz zur Macht und unter kontinuierlicher Ausübung intellektueller Kritik. Niemals darf er in ein persönliches Interessensverhältnis zur Macht treten oder zum bezahlten Funktionär derselben werden.“

Einigen mag die politische Funktion, die wir dem Intellektuellen im Zusammenhang mit dem Begriff des „organischen Intellektuellen des Volkes“ zuschreiben, befremdlich erscheinen. Unserer Ansicht nach liegt diesem Befremden vor allem die Gewöhnung an ein bis heute vorherrschendes Intellektuellenbild zugrunde – nämlich an jenes des vom Volk entfremdeten, losgelösten Intellektuellen. In der Tat ist es genau diese Entfremdung, die, wie bereits erwähnt, die Intellektuellenfrage zu einem unserer zentralen Probleme macht.

Ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen, lässt sich sagen, dass der Bruch des türkischen Intellektuellen mit seinem Volk eine der Folgen unserer Unterwerfung unter die Herausforderung des Westens ist – ein Prozess, der vor rund dreihundert Jahren begann. Aus diesem Grund hat sich bei uns die Vorstellung verfestigt, es sei „natürlich“, dass der Intellektuelle seinen Erkenntnisdrang fernab der Bedürfnisse und Anliegen des Volkes entfaltet. Ebenso herrscht die Überzeugung, dass die eigentliche Aufgabe des Intellektuellen darin bestehe, zur Bildung der offiziellen Ideologie beizutragen – wobei seine Beziehung zum Volk lediglich durch dominante Diskurse vermittelt werde. Die hegemoniale intellektuelle Agenda enthält bereits implizite Anweisungen darüber, was ein Intellektueller zu tun hat: Er soll das Volk herabwürdigen, indem er sich – als erste Bedingung intellektueller Existenz – von der „Klebrigkeit“ des Alltäglichen, vom „Elend“ der Gedanken und Lebensformen der gewöhnlichen Menschen distanziert.

Doch genau dies beschreibt jenen Zustand, den wir als Bruch mit dem Volk und als Verlust der organischen Bindung bezeichnen.

Der wahre „organische Intellektuelle des Volkes“, den wir im Blick haben, hat mit solchen Haltungen und Vorstellungen nichts zu tun – außer in dem Maße, in dem er sie intellektuell problematisiert und analysiert. Er ist sich seiner Herkunft aus dem kulturell-historischen Zusammenhang, der seinen geistigen Horizont prägt, bewusst – er begreift sich als Teil des Volkes. Für ihn ist Wissen kein Werkzeug der Macht, sondern ein Licht, das das Dasein erhellt. Er erkennt, dass es unmöglich ist, sich selbst zu verstehen, ohne die Tradition zu verstehen, in der man lebt – und dass die kreative Erneuerung dieser Tradition eine existenzielle Aufgabe darstellt.

Die Parteinahme des organischen Intellektuellen für die Tradition ist nicht ideologischer, sondern ontologischer Natur – denn die Tradition ist für ihn der Mutterschoß, in dem sich sein Weltverständnis herausgebildet hat. Diese Parteinahme schließt weder den Dialog mit anderen Traditionen aus noch setzt sie deren Ablehnung voraus. Im Gegenteil: Der organische Intellektuelle strebt danach, durch dialogische Begegnung mit anderen Weltdeutungen den Horizont der eigenen Tradition zu erweitern – deshalb wahrt er stets eine gewisse kritische Distanz zu ihr.

Gerade aufgrund dieser Eigenschaften ist der organische Intellektuelle des Volkes in tiefstem Sinne ein politischer Akteur – denn sein Streben nach Erkenntnis zielt letztlich auf das Streben nach einer besseren Welt. Seine intellektuelle Tätigkeit ist nicht bloß Theorie, sondern ein existenziell-politisches Engagement.

Der Intellektuelle ist der höchste und zugleich individuellste Ausdruck eines kollektiven Geistes. In diesem Sinne ist es zwar möglich, dass er vorübergehend zum organischen Intellektuellen einer bestimmten Klasse wird – doch entscheidend ist seine Position als „organischer Intellektueller des Volkes“. Denn Letzterer bemüht sich darum, die historischen und kulturellen Bedingungen zu verstehen, aus denen heraus sein eigenes Dasein als Gruppenwesen hervorgegangen ist – und somit auch die Welt, in der er lebt, zu verstehen und zu verändern.

Der Intellektuelle und die Spiritualität

In der alten Türkei unterdrückte die offizielle Ideologie alle Identitäten außerhalb des von ihr angestrebten Menschenbildes. Sie forderte, dass sich jeder ausschließlich mit seinem Beruf beschäftige, und suggerierte, dass Intellektuelle und Wissenschaftler sich weder mit Politik noch mit Spiritualität befassen dürften. Wie bereits oben angesprochen, waren wir vertraut mit einem Bild des Intellektuellen, das ihn als vom Volk und seiner Tradition entfremdet darstellte. Unter den oft bedrohlich wirkenden Einflüssen dieser Suggestionen wuchsen wir auf: Unsere politischen Präferenzen durften wir nur in Form einer „Stimme“ an der Wahlurne zeigen, und unsere spirituelle Haltung konnten wir – wie etwa İsmet İnönü – lediglich im Verborgenen, von niemandem gesehen, leben.

Doch wie es ein Ausdruck von Unkenntnis gegenüber der Demokratie ist, zu behaupten, Politik sei ausschließlich Sache der Eliten oder derer, die ihre eigenen Interessen über alles stellen, so ist es auch ein Zeichen des Unverständnisses gegenüber dem Menschsein und der Religion, Spiritualität auf ein „geheimes Band zwischen Mensch und Gott“ zu reduzieren. Deshalb muss ich zum Abschluss auf ein besonders türkeispezifisches Erfordernis eingehen: die Beziehung des Intellektuellen zur Spiritualität.

Ein Verständnis von Religion, das aus allen Lebensbereichen verdrängt und auf ein innerliches Geheimnis zwischen Mensch und Gott reduziert wurde, war eines der charakteristischen Merkmale der alten Türkei. Zwar wird gelegentlich behauptet, dass Ähnliches in einer bestimmten Phase auch in Frankreich vorgekommen sei, doch weder dies noch die positivistischen Religionsvorstellungen der Aufklärung lassen sich mit dem vergleichen, was bei uns eher wie eine Art psychologischer Defekt anmutete als wie Religion im eigentlichen Sinne. In allen großen Traditionen umfasst das religiöse Verständnis von Natur aus das gesamte Leben – ja selbst den Tod und das Jenseits.

Jeder Mensch wird in eine Muttersprache und in eine Tradition hineingeboren. Sich von ihnen befreien zu wollen, ist ein vergebliches Unterfangen. Der Intellektuelle kann der Menschheit umso besser dienen, je besser er das menschliche und spirituelle Erbe seiner Herkunftstradition versteht – nicht indem er es ablehnt.

Der organische Intellektuelle des Volkes steht auf der Seite seiner eigenen Tradition, aber seine Parteinahme bedeutet nicht, dass er anderen Traditionen feindlich gesinnt ist. Im Gegenteil: Er strebt danach, durch einen dialogischen Kontakt mit anderen Traditionen seinen eigenen Horizont zu erweitern und zu vertiefen. So wie der Intellektuelle Teil des politischen Lebens ist, ist er auch in den spirituellen Ozean seiner Tradition eingebettet. Aber ebenso wie zur Politik wahrt er auch zur Tradition eine kritische Distanz. Diese Distanz erhebt den Intellektuellen nicht über andere, sondern macht ihn zu einem verantwortungsvollen Wegweiser. Seine Verantwortung besteht in dem Bemühen um ein besseres Verstehen – für eine bessere Welt.

Zwei der renommiertesten Soziologen unserer Zeit, Zygmunt Bauman und David Lyon, veröffentlichten ein Gesprächsbuch mit dem Titel Liquid Surveillance. Lyon, der Bauman stets für seine theologischen Resonanzen lobte, sagte über ihn: „Wenn ich deine Werke lese, finde ich mich wieder, wie ich ohne Entschuldigung und ohne Bedauern durch die christliche Tradition wandere… In deinen Schriften gibt es Elemente, die an das Rashimo-Prinzip der Kabbala erinnern – Dinge, die das Gewissen entflammen und anregen, die uns in neue Richtungen führen, eine Klugheit und Klarheit aufweisen, die an die Heiligen Schriften erinnern… Als Gläubiger kann ich nur hinzufügen, dass das Neue Testament uns auffordert, so zu leben, als sei der Shalom der Zukunft – Frieden und Harmonie – bereits eingetreten.“

Bauman, erfreut über diese Worte, erwidert: „Du betonst das Leben im Jetzt, als ob der zukünftige Shalom schon eingetreten wäre… Dieses Gebot, wie die anderen Gebote des Alten und Neuen Testaments, war an Heilige gerichtet… Doch leider können wir nicht alle Heilige sein. Und doch – gäbe es keine Heiligen, könnten wir auch keine Menschen sein… Sie zeigen uns den Weg, sie sind der Weg selbst.“

Warum sollten nicht auch muslimische Intellektuelle – heute oder eines Tages – solche Worte mit noch größerer Kohärenz und Tiefe formulieren können?

Prof. Dr. Erol Göka

Prof. Dr. Erol Göka wurde 1959 in Denizli geboren. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. 1992 wurde er zum Dozenten für Psychiatrie ernannt, und 1998 übernahm er die Leitung der Psychiatrischen Klinik des Ankara Numune Ausbildungs- und Forschungskrankenhauses. Derzeit ist er für die Ausbildung und Verwaltung der Psychiatrischen Klinik der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität der Stadt Ankara verantwortlich. Er ist Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift Türkiye Günlüğü sowie vieler anderer wissenschaftlicher Zeitschriften aus den Bereichen Medizin und Geisteswissenschaften. Mit seinem Buch Türk Grup Davranışı (Türkisches Gruppenverhalten) wurde Erol Göka 2006 mit dem „Denker des Jahres“-Preis der Türkischen Schriftstellervereinigung ausgezeichnet, und 2008 erhielt er den „Ziya Gökalp Wissenschafts- und Förderpreis“ der Türkischen Gesellschaft.

Website: erolgoka.net
E-Mail: [email protected]

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