He Lifeng: Chinas Geduldiger Adler

Lifeng ist längst nicht mehr nur ein Technokrat Chinas – er ist ein Großmeister auf dem globalen wirtschaftlichen Schachbrett, der kühl und mit Weitblick spielt. Seine Präsenz wird nicht nur Chinas Innenpolitik prägen, sondern auch maßgeblich den Kurs der Weltwirtschaft mitbestimmen. Auch wenn dieses Ausmaß seiner Wirkung heute noch nicht vollständig erkannt wird – oder in unserem Land China nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit verfolgt wird –, beeinflussen die Züge eines der möglichen künftigen Führer Chinas die Welt seit Langem auf tiefgreifende Weise.
Mai 20, 2025
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Gleich zu Beginn möchte ich eines klarstellen, damit aus meinem einleitenden Satz keine falschen Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf des Textes gezogen werden:
Auch wenn ich im Folgenden betone, dass in der aktuell vereinbarten 90-tägigen Phase zwischen China und den USA derzeit eindeutig die USA im Vorteil ist, sehe ich den Ausgang dieses geopolitischen Spiels auf lange Sicht ganz anders.

Ich gehöre zu denen, die – ganz im Sinne der berühmten Thukydides-Falle – überzeugt sind, dass der wirtschaftliche wie auch möglicherweise militärische Konflikt zwischen zwei aufstrebenden Großmächten, wann auch immer er enden mag, letztlich mit einem Sieg Chinas ausgehen wird. Ja, ich halte einen heißen Krieg zwischen beiden Mächten eines Tages für unausweichlich.

Der Punkt, an dem ich mich jedoch von jenen unterscheide, die glauben, China werde kurzfristig die globale Vorherrschaft erringen, ist mein düsterer Ausblick: Ich befürchte, dass der neue Hegemon den alten vermissen lassen wird – und dass die Welt in eine Krise stürzen könnte, wie wir sie zuletzt allenfalls zu Zeiten der Mongoleninvasionen erlebt haben.

Trotz allem muss man in Bezug auf den aktuellen Prozess festhalten: Die USA ist kein leichter Gegner. Sie verfügt nach wie vor über technologische und kulturelle Überlegenheit. Auch wenn China eines Tages die „stärkste“ Macht der Welt werden mag, ist es doch ein langer Weg, bis es wie die USA von der Mehrheit der Welt als Führungsmacht akzeptiert wird. Und genau hier liegt ein entscheidender Unterschied: Es ist etwas ganz anderes, die stärkste zu sein – oder die führende Nation der Welt.

Ja, die USA steckt in Schwierigkeiten – das stimmt.
Aber dieses Spiel wird auf dem asiatischen Rasen von tonnenschweren Elefanten gespielt. Ein Spiel in der eigenen Region, auf dem eigenen Kontinent, zu akzeptieren, ist äußerst schwierig. Auch wenn beide Weltkriege in Europa ausbrachen, litten am Ende die Asiaten am meisten. Und wie sie litten!

China – aufgrund seiner Rolle als „Fabrik der Welt“ existenziell abhängig von Energieimporten – importiert heute mit Angst und Zittern seine Energie durch die Straße von Malakka, die durch eine US-indisch dominierte Blockade gefährdet ist. Seit Jahren kämpft China deshalb in Pakistan, um sich dort einen eigenen Zugang zum Meer zu sichern – im Wettstreit mit den USA.

Ein solcher Zugang wäre ein magisches Tor für China zur ganzen Welt. Doch der Durchbruch will nicht gelingen. Seit dem Start der „Neuen Seidenstraße“ im Jahr 2012 und nach Investitionen in Höhe von 60 Milliarden Dollar gelang es China mit Mühe und Not, die Regierung des Nachbarlands Pakistan zu beeinflussen und sich vorerst der US-Einmischung zu entledigen. Doch nun wurde dieses mühsam befreite Land durch seinen endlosen Blutkonflikt mit Indien direkt wieder in den geopolitischen Ring gezerrt.

Zwar mögen manche einwenden: „China hat immerhin Russland an seiner Seite – das gleicht zumindest einige Bedingungen aus.“ Aber selbst dem ist nicht vorbehaltlos zuzustimmen.
Zwar haben die beiden Staatschefs insgesamt 40 Mal miteinander gesprochen, davon elf Mal unter vier Augen, und schicken sich gegenseitig zum Geburtstag Eiscreme – die Handelsbeziehungen haben 200 Milliarden Dollar überschritten. Doch eines ist sicher: Die Russen werden niemals bis zur letzten Minute echte Verbündete der Chinesen sein. Die Katze weiß am Ende immer, dass der Tiger sie fressen könnte.

Russland, durch den Ukraine-Krieg in seiner Schwäche entblößt, verfügt zwar über riesige, nahezu menschenleere Flächen und enorme Rohstoffreserven, die China in eine neue Ära katapultieren könnten – doch es fehlt ihm an Kraft, sie zu verteidigen. In diesem Zustand möchte Russland unter keinen Umständen in seiner eigenen Geografie allein mit China zurückbleiben. Sein Ziel inmitten dieses gewaltigen geopolitischen Kampfes ist es vielmehr, das altersschwache, von Fremden durchdrungene und machtlose Europa zu zerschlagen – oder zumindest Zeit zu gewinnen, um an allen Fronten gleichzeitig Kräfte zu sammeln.

Die Amerikaner wissen das natürlich. Und sie versuchen heute das, was sie schon einmal erfolgreich getan haben. Damals verhinderten sie mit den teuflischen Plänen eines Henry Kissinger ein Bündnis zwischen China und der Sowjetunion. Heute drehen sie das Spiel um – diesmal wollen sie Russland von China lösen. Doch das damalige Amerika war dem heutigen an Macht und Einfluss um ein Vielfaches überlegen. Ob das heute noch gelingt, ist fraglich. Trump jedenfalls versucht, was er kann.

Doch lassen wir an dieser Stelle die langen geopolitischen Rechenspiele hinter uns und richten den Fokus meines Textes nun auf die Köpfe hinter dem Krieg – auf die eigentlichen Strategen.

Wie Sie sich erinnern, hatte ich in einer unserer letzten Ausgaben bereits ausführlich über den gewieften ökonomischen General der USA in diesem globalen Krieg geschrieben: über Bessent – einen der wichtigsten Strippenzieher hinter Trumps Theaterinszenierung.

Heute möchte ich dagegen all jenen, deren Herz und Verstand eher auf der Seite Chinas stehen – oder die zumindest daran interessiert sind, in diesem weltgeschichtlichen Ringen der beiden Supermächte den strategischen Kopf hinter Chinas Zügen kennenzulernen –, die Figur auf der anderen Seite des Schachbretts vorstellen: den „geduldigen Adler“ HE LIFENG.

Fangen wir an.

Manche Menschen betreten die Bühne der Geschichte nicht plötzlich. Sie erscheinen erst nach Jahren unsichtbarer Arbeit, geduldiger Vorbereitung und strategischer Loyalität – genau dann, wenn das System eine solche Figur dringend benötigt. Die Geschichte von He Lifeng ist genau das Porträt eines solchen Profils.

Als er 2023 zum Vizepremier Chinas aufstieg, war er schon längst zu einer der zentralen Figuren nicht nur in der chinesischen Innenpolitik, sondern auch auf der globalen wirtschaftlichen Bühne geworden. Ihn lediglich als einen weiteren aufgestiegenen Technokraten zu betrachten, hieße, das große Ganze zu verkennen. Denn der Aufstieg von He Lifeng ist zugleich Ausdruck eines tiefergehenden Wandels: des chinesischen Versuchs, die Rolle des Staates in seiner wirtschaftlichen Entwicklung neu zu definieren.

Die Geschichte von He Lifeng, geboren 1955 in der Provinz Fujian, beginnt wie die vieler seiner Generation: im Schatten von Hunger, Entbehrung und gesellschaftlichem Umbruch. Doch sie entwickelt sich zu einer klassischen Technokratenbiografie – geprägt von Disziplin, akademischer Exzellenz und politischer Loyalität.

An der Xiamen-Universität absolvierte He Lifeng sein Studium in Finanzwissenschaften – vom Bachelor bis zur Promotion. Diese akademische Laufbahn verschaffte ihm Respekt innerhalb der Bürokratie der Kommunistischen Partei Chinas. Doch sein eigentlich entscheidender Moment kam in der Jugend – mit einer Begegnung, die seine politische Karriere nachhaltig prägen sollte: He lernte in Xiamen Xi Jinping kennen, der dort damals auf lokaler Ebene politische Verantwortung trug.

Was als Bekanntschaft begann, wurde über die Jahre zu einer tiefen politischen Loyalität – eine Konstante, die in der chinesischen Politik mitunter bedeutsamer ist als reine fachliche Kompetenz. He Lifeng verstand früh, dass in Chinas Machtapparat Loyalität zur Führung ein entscheidender Karrierefaktor ist – und wich seither keinen Millimeter vom Kurs Xi Jinpings ab.

Diese Treue trug Früchte. 2017 wurde He an die Spitze der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) berufen – das faktische Herzstück der chinesischen Wirtschaftsplanung. Diese Kommission ist gewissermaßen die moderne Variante der zentralen Planwirtschaft: Sie koordiniert strategische Felder wie Energiepolitik, Infrastruktur, Industrieentwicklung und digitale Transformation.

Doch He war kein bloßer Verwalter dieser Position – er wurde zu einem der maßgeblichen Gestalter. Besonders das Megaprojekt „Belt and Road Initiative“ (BRI) – eines der zentralen globalen Visionen Xi Jinpings – wurde unter seiner Führung zu einer neuen wirtschaftlichen Weltarchitektur ausgebaut.

Diese Initiative ist weit mehr als ein Infrastrukturprogramm: Sie ist eine Neudefinition der globalen Handelsrouten, der finanziellen Netzwerke und der diplomatischen Einflusszonen Chinas. Und He Lifeng war einer der Hauptarchitekten hinter dieser Vision – der Mann, der die Finanzierungsmodelle entwarf, wirtschaftliche Machbarkeitsstudien koordinierte und an Verhandlungstischen mit dutzenden Ländern saß.

Ob die Karakorum-Autobahn in Pakistan, der Hafen von Hambantota in Sri Lanka, das Eisenbahnnetz in Kenia oder die Schnellzugstrecke in Ungarn – viele dieser Projekte wurden an Hes Schreibtisch geplant.
Eine außergewöhnliche, fast unheimlich spezifische Erfahrung.

Doch sein Einfluss beschränkte sich nicht auf internationale Projekte. He war auch maßgeblich an der Neuausrichtung der chinesischen Binnenwirtschaft nach 2010 beteiligt. In dieser Phase begann China, sein jahrzehntelang gültiges Wachstumsmodell – basierend auf billiger Arbeitskraft und exportgetriebener Industrie – zu hinterfragen.

He gehörte zu den Architekten einer neuen Strategie, in der die Stärkung des Binnenkonsums als Schlüssel für nachhaltiges Wachstum erkannt wurde. Eine Strategie, die tiefgreifende theoretische und praktische Umbrüche bedeutete – und zu einer der größten wirtschaftspolitischen Transformationen der jüngeren Geschichte führte.

An genau diesem Punkt trat He Lifeng in den Vordergrund. Er entwickelte gezielte Anreizprogramme zur Stärkung der Binnennachfrage sowie neue Unterstützungsmodelle für den privaten Sektor – und schrieb damit Chinas Wachstumsformel neu.

Doch all diese tiefgreifenden Transformationen geschahen nicht auf ruhigem Terrain. Ab 2018 führten die von den USA verhängten Strafzölle zum Beginn des Handelskriegs – ein Erdbeben für Chinas Wirtschaft. In dieser Phase stand Liu He als offizielles Gesicht der Verhandlungen im Rampenlicht. Doch hinter den Kulissen war es He Lifeng, der die technische Analyse betrieb: Er kalkulierte für jeden Wirtschaftssektor den strategischen Vorteil im Wettbewerb mit den USA.

Dass Liu He schließlich von Lifeng abgelöst wurde, war kein Zufall – es spiegelte einen grundsätzlichen Kurswechsel wider. China wollte nicht länger ein „um Zustimmung werbender“, sondern ein „entscheidender“ Akteur in der Weltwirtschaft sein. Und Lifengs staatszentrierter Ansatz passte perfekt in dieses neue Selbstverständnis. Es war die logische – und fast schon ideale – Besetzung.

Eine weitere markante Entwicklung dieser Jahre war die Schaffung eines stärker zentralisierten und disziplinierteren Finanzsystems. He Lifeng wurde zum Leiter einer neu geschaffenen „Super-Finanzaufsicht“ ernannt, welche die Koordination zwischen Zentralbank, Bankenaufsicht und Börsenaufsicht übernahm. Das war nicht nur eine tiefgreifende Reform im Innern – sondern auch ein Signal an die Welt: Chinas finanzielle Stabilität würde nicht mehr von individuellen Entscheidungen, sondern von zentraler Ordnung abhängen.

In einem Land dieser Größenordnung und wirtschaftlichen Komplexität hatte kein anderer Wirtschaftspolitiker zuvor je ein derartiges Maß an Macht in seinen Händen gehalten. Wer auch immer einem Vergleich standhalten möchte – kann es sich gleich sparen. Es gibt kein Äquivalent. Punkt.

Am Ende dieses Aufstiegs stand 2023 die Ernennung zum stellvertretenden Premierminister im Staatsrat – ein Schritt, der Lifeng endgültig zu einem der zentralen Gesichter Chinas auf der weltpolitischen Bühne machte. Aus einem nüchternen Technokraten war ein strategischer Diplomat geworden. Und diese Metamorphose erreichte einen symbolischen Höhepunkt mit einem historischen Treffen vor wenigen Tagen in Genf.

Das Treffen, das kürzlich in Genf stattfand und für Aufsehen sorgte, eröffnete ein neues Kapitel im globalen Machtpoker der Ökonomie.

Bessent und Lifeng legten im Frühjahr 2025 womöglich die ersten Bausteine für ein neues, über Jahre wirkendes Gleichgewicht. Im Zentrum der Gespräche stand nicht einfach nur „Runde zwei“ des Handelskriegs – es ging um eine grundlegend neu definierte Auseinandersetzung. Nicht mehr Zölle, Handelsdefizite oder Währungsmanipulationen standen im Mittelpunkt, sondern die Frage: Wie wird das globale Lieferkettennetz künftig aussehen?

Ein kurzer Rückblick sei erlaubt: Im Jahr 2024 hatte sich das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China nochmals dramatisch vergrößert – auf 295 Milliarden US-Dollar. Ein Negativrekord, der selbst die schlimmsten Jahre unter Trump übertraf. Als Bessent das Amt des Finanzministers übernahm, legte er diese Zahl auf den Tisch und fasste das Problem in einem Satz zusammen:
„Das ist nicht tragbar.“

Bessents Ansatz unterscheidet sich deutlich von der aggressiveren und isolationistischeren Linie Peter Navarros. Sein Plan besteht nicht darin, China vollständig auszuschließen, sondern es durch stärkere wirtschaftliche Verflechtung kontrollierbarer zu machen. Aus diesem Grund rückten beim Genfer Treffen drei zentrale Themen in den Vordergrund:

  1. Die 90-tägige Aussetzung von US-Zöllen gegenüber Drittländern,

  2. die Begrenzung chinesischer Exportsubventionen

  3. sowie eine größere Transparenz in der chinesischen Währungspolitik.

He Lifengs Position war hingegen eindeutig: China wird seine wirtschaftliche Expansion nicht stoppen, ist jedoch bereit, Konfliktfelder zu minimieren. Das sichtbarste Zugeständnis in den Verhandlungen war daher Chinas Bereitschaft, in bestimmten strategischen Sektoren die Subventionsquoten zu senken.

Das ist aus Sicht der USA ein kurzfristiger Erfolg. Doch auch He Lifeng konnte an anderer Stelle punkten: Beim Export von Hochtechnologie und seltenen Erden gab es keinerlei Zugeständnisse. Die USA konnten Chinas monopolartige Stellung in diesen Bereichen nicht antasten.

Darüber hinaus wurde eine mündliche Einigung über die Lockerung einiger Beschränkungen beim Import hochentwickelter Maschinen aus den USA nach China erzielt – ein weiterer Pluspunkt für Peking. Doch auch hier zog Bessent klare Linien: Die Exportbeschränkungen für Halbleitertechnologien bleiben aus sicherheitspolitischen Gründen bestehen.

Dieses Gleichgewicht ermöglicht es beiden Seiten, ihren jeweiligen Bevölkerungen einen „Sieg“ zu präsentieren – doch in Wahrheit steckt dahinter ein wesentlich tiefergehender strategischer Machtkampf.

Und genau hier tritt He Lifengs Strategie erneut auf den Plan. Er steht für langfristige Planung und geduldige wirtschaftliche Expansion. Und das ist auch der entscheidende Unterschied zu Bessent. Chinas Projekte in Afrika, Zentralasien oder Osteuropa sind Paradebeispiele: Sie zielen nie auf kurzfristige Gewinne ab, sondern sind als jahrzehntelange Umfassungsstrategien angelegt – mit beachtlichem Erfolg.

Bessent hingegen agiert wie ein hochkarätiger Investmentbanker: Er setzt auf schnelle Manöver, hochfrequente Eingriffe und gezielten finanziellen Druck – mit der Fähigkeit, gezielt Instabilität zu erzeugen, wenn es seinen Plänen dient.

Dieser Unterschied spiegelt letztlich auch den ökonomischen Charakter beider Länder wider: Die USA stehen für ein System, das Kapital schnell rotieren lässt und auf das Management von Krisen spezialisiert ist. China hingegen erkennt Krisen frühzeitig und versucht, sie durch strukturelle Maßnahmen präventiv zu dämpfen.

Nach dem Treffen in Genf präsentierten sich beide Länder erwartungsgemäß unterschiedlich: Die US-Medien feierten Chinas Zugeständnisse als Erfolgsgeschichte. Die chinesische Presse hingegen sprach diplomatisch von „gegenseitigem Verständnis“ und „Zusammenarbeit in einer multipolaren Welt“.

Und doch war all dies nicht nur Ausdruck des chinesischen politischen Systems, sondern auch das stille, aber tiefgreifende diplomatische Wirken eines Mannes, der sich daran gewöhnt hat, in genau diesem Klima große Kriege zu gewinnen: He Lifeng.

Was He Lifengs heutige Rolle so besonders macht, ist seine gleichzeitige Steuerung zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme – innerhalb und außerhalb Chinas. Im Inland stärkt er eine auf Binnenkonsum und Digitalisierung ausgerichtete Struktur, im Ausland hingegen spinnt er ein weitreichendes Netzwerk aus Energie-, Infrastruktur- und Produktionsinvestitionen, das die globalen Märkte enger an China bindet.

Der wichtigste Knotenpunkt dieses Netzwerks ist die unter dem Dach der „Belt and Road“-Initiative aufgebaute Finanzarchitektur: die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank, Projekte zur Einführung des digitalen Yuan sowie eine Vielzahl bilateraler Swap-Abkommen.

He Lifengs Einfluss in der Wirtschaft sollte daher nicht nur in Zahlen gemessen werden – sondern in den Systemen, die er etabliert. Er gehört zu jener seltenen Gruppe von Gestaltern, die China nicht nur zu einem ökonomischen Giganten, sondern auch zu einem Exporteur institutioneller Modelle gemacht haben.

In jedem Abkommen, in jedem diplomatischen Protokoll, ja selbst zwischen den Zeilen, lässt sich seine Handschrift erkennen. Bessent hat das in Genf sehr deutlich gespürt. Zwar konnte er China in manchen Punkten zu Zugeständnissen bewegen, doch das strategische Fundament, das He Lifeng geschaffen hat, lässt sich nicht so einfach verschieben.

Was kommt als Nächstes? Die USA werden ihre kurzfristigen Gewinne schnell zu Kapital machen wollen – das war schließlich von Anfang an das Ziel. Und deshalb sitzt auch Bessent an der Kommandobrücke – ein Mann, der weiß, wie man mit einer Wette gegen Zentralbanken ein Vermögen macht.

China hingegen wird diesen Moment nicht als Phase der Entspannung sehen, sondern als Chance zur strategischen Neuverortung. Insbesondere durch die Vertiefung der Beziehungen zu Südostasien und dem Nahen Osten will man die Abhängigkeit von den USA weiter reduzieren.

Die jüngsten Gespräche Lifengs mit Golfstaaten, Russland und afrikanischen Partnern waren bereits deutliche Vorboten dieser Strategie – doch Washington war nicht untätig: Die USA haben den Golfstaaten frühzeitig einen Riegel vorgeschoben und sich mit ihnen erneut eng verbunden. Viele arabische Länder, die zuletzt Annäherung an China suchten, haben sich angesichts der jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten notgedrungen wieder den USA und Trump zugewandt.

Auch wenn sich das Pendel künftig mehrfach drehen kann, steht China momentan vor einer schwierigen Etappe.

Ein historischer Vergleich zeigt: Es gibt strukturelle Parallelen zwischen dem heutigen Wirtschaftskonflikt mit China und dem Handelskrieg der 1980er-Jahre zwischen den USA und Japan.

Damals übte Washington über das sogenannte „Plaza-Abkommen“ massiven Druck auf Japans Währungspolitik aus. Heute richtet sich der Druck gegen China – allerdings nicht nur über den Wechselkurs, sondern zusätzlich über Technologiebeschränkungen, Energiezugang und die Fragmentierung globaler Lieferketten.

Doch anders als das stark exportabhängige Japan ist China kein außenpolitisch wehrloser Akteur – es zeigt Widerstandsfähigkeit auf allen Ebenen. Im Zentrum dieser Resilienz steht ein Modell, das auf langfristiger Planung, staatlicher Steuerung und strategischer Geduld basiert.

Und einer der prägendsten Vertreter dieses Modells ist zweifellos: He Lifeng.

Doch trotz all dem hat es die USA geschafft, sich zumindest vorübergehend einen psychologischen Vorteil zu verschaffen – wenn auch nicht durch eine nachhaltige Lösung des Handelsdefizits, sondern durch eine strategisch platzierte Machtdemonstration: Unter dem Vorwand der Fenetyllin-Problematik wurden vor den Augen der Weltöffentlichkeit neue Strafzölle gegen China verhängt – 20 % höher als zuvor. Das allein verschiebt zwar nicht das wirtschaftliche Gleichgewicht, doch es reicht, um den Eindruck von Dominanz zu erzeugen. Genau wie eingangs dieser Analyse erwähnt – die USA haben vorerst den Vorteil auf ihrer Seite.

Fazit:
He Lifeng ist längst nicht mehr nur ein chinesischer Technokrat. Er ist ein Großmeister auf dem globalen wirtschaftlichen Schachbrett, der mit kühler Hand und Weitblick agiert. Seine Rolle reicht weit über die Innenpolitik Chinas hinaus – er ist dabei, den Kurs der Weltwirtschaft entscheidend mitzubestimmen.

Auch wenn diese Wirkung heute noch nicht überall vollständig erkannt wird – oder in Ländern wie unserem China nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgt wird – steht fest: Die Züge dieses potenziellen künftigen chinesischen Spitzenführers beeinflussen die Welt schon seit Langem und mit wachsender Tiefe.

Die Tatsache, dass sich zwei solche Akteure wie He Lifeng und Bessent in Genf an einem Tisch gegenüber saßen, um über die Zukunft der Weltwirtschaft zu verhandeln, zeigt, wie nahe wir einer Eskalation kommen könnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Konfrontation eines Tages vom Konferenztisch auf ein reales Schlachtfeld übergeht, steigt stetig.

Und wenn dieser Tag kommt, bin ich sicher:
Der „Geduldige Adler“ wird dann auf einem noch mächtigeren Stuhl sitzen.

R. Levent Işık

R. Levent Işık wurde 1988 in Istanbul geboren.
Nach dem Abschluss seines Studiums in Öffentlicher Verwaltung und Politikwissenschaft an der Fakultät für Wirtschaft und Verwaltungswissenschaften der Gazi Universität im Jahr 2011 setzte er seine Studien im Bereich Wirtschaft und Verwaltung an der Celal Bayar Universität in Manisa fort und schloss sein Masterstudium ab.
Von 2011 bis 2021 arbeitete er als Bankprüfer und setzt seine Karriere seit 2021 als Filialleiter fort.
Er veröffentlicht Wirtschaft- und Geschichtsartikel in nationalen Zeitungen wie „Diriliş Postası“ und „Milat“ sowie in der Zeitschrift „Z Raporu“.
E-Mail: [email protected]

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