Eine neue Phase im Genozid an Gaza: Belagerung unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe

Israels humanitäres Hilfsprojekt stellt eine neue Phase in der Strategie dar, den Gazastreifen zu belagern und vollkommen unbewohnbar zu machen. Es ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie humanitäre Hilfe im Rahmen moderner Kriegs- und Besatzungsstrategien instrumentalisiert wird. Auch wenn das erklärte Ziel des Projekts scheinbar darin besteht, den Menschen in Gaza humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, liegt seine eigentliche Funktion darin, die Lebensfähigkeit Gazas weiter zu untergraben, die Bevölkerung zu vertreiben und die Zivilbevölkerung in einen Zustand permanenter Überlebenskämpfe zu zwingen. In diesem Zusammenhang ist das Projekt Teil eines Belagerungs-, Besatzungs- und ethnisch-reinigenden Systems, das sich hinter der Maske der Hilfe verbirgt.
Mai 29, 2025
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Der seit 600 Tagen andauernde Genozid Israels an der Bevölkerung Gazas wird nicht nur mit klassischen Kriegsführungsmethoden betrieben, sondern zunehmend durch eine Form systematischer Gewalt geprägt, bei der humanitäre Hilfe instrumentalisiert wird.

Die bewusste Verweigerung grundlegender Bedürfnisse der Palästinenserinnen in Gaza, die gezielte Steuerung und Verwaltung dieser Mangelsituation durch die israelische Besatzungsmacht sowie die Inszenierung eines „Hilfsnarrativs“ gegenüber der Weltöffentlichkeit bilden zentrale Elemente der neuen israelischen Belagerungsstrategie.

Das aktuellste und zugleich markanteste Beispiel für diese Strategie ist die im Mai 2025 angekündigte, von Israel kontrollierte und von den Vereinigten Staaten unterstützte „Stiftung für humanitäre Hilfe in Gaza“. Auch wenn sie offiziell als Hilfsorganisation vorgestellt wurde, zeigen die Maßnahmen vor Ort, dass es sich nicht um Hilfe im eigentlichen Sinne handelt – sondern um ein System der Kontrolle, der Gehorsamsforderung und der Bevölkerungspolitik.

Die über diese Stiftung verteilten Hilfsgüter haben sich zu einem Druckmittel Israels entwickelt, um die Bevölkerung Gazas gezielt in bestimmte Regionen zu lenken, sie zu vertreiben und letztlich die demografische Struktur neu zu formen.

Dieses Projekt verfolgt klar umrissene Ziele:
– die schrittweise Besetzung Gazas,
– die (freiwillige oder erzwungene) Vertreibung der Bevölkerung,
– die Erpressung der Palästinenser*innen durch „humanitäre Hilfe“,
– und die Ablenkung der internationalen Aufmerksamkeit vom laufenden Genozid.

Obwohl die Stiftung ihren Sitz in der Schweizer Stadt Genf hat und von den USA als unabhängige Organisation präsentiert wurde, hat ihr Exekutivdirektor aufgrund der Verstrickung in Israels genozidale Politik seinen Rücktritt erklärt.

Die Vereinten Nationen (UNO) haben dieses Projekt scharf kritisiert. Mit dieser sogenannten Hilfe macht Israel die humanitäre Versorgung selbst zu einem Bestandteil seiner Strategie ethnischer Säuberung.

Israels Interventionsmechanismus der neuen Generation

Israels langjährige Politik der Blockade und Belagerung des Gazastreifens hat sich bis zum Jahr 2025 in neue Formen gewandelt, bleibt jedoch im Kern bestehen. In diesem Kontext ist die sogenannte Stiftung für humanitäre Hilfe in Gaza entstanden – ein Instrument, das vordergründig humanitäre Hilfe leisten soll, in der Praxis jedoch Zivilistinnen unter Druck setzt, Lebensräume einschränkt und die Gesellschaft in Gaza noch verwundbarer macht.

Das öffentlich als „Hilfsoperation“ präsentierte Projekt ist in Wirklichkeit ein strategisches Instrument zur gezielten Umgestaltung der sozioökonomischen und demografischen Struktur Gazas. Das operative Modell der Stiftung offenbart, wie Israel humanitäre Hilfe in ein politisches Steuerungsinstrument umgewandelt hat.

Wie in der Mainstream-Presse dargestellt, werden Hilfsgüter im Rahmen dieses Projekts ausschließlich in bestimmten „sicheren Zonen“ im Süden Gazas verteilt. Bewohner*innen des Nordens hingegen werden systematisch von der Hilfe ausgeschlossen. Dies ist nicht nur ein Versuch, die Kontrolle über die Hilfe zu zentralisieren, sondern zielt auch darauf ab, die Bevölkerung durch Verknappung zur Migration in den Süden zu zwingen – ein demografischer Reorganisationsversuch durch indirekten Zwang.

Die räumliche Begrenzung des Zugangs zu Hilfsgütern entspricht in Wirklichkeit einer physischen Vertreibung – durch das Mittel der „humanitären Hilfe“.

Die organisatorische Struktur des Projekts untersteht nicht zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern Akteuren, die direkt von Israel kontrolliert werden und außerhalb des Überwachungsrahmens internationaler Menschenrechtsinstitutionen agieren. Die Hilfszentren selbst sind mit hohen Zäunen umgeben, mit Überwachungskameras ausgestattet und stehen unter Kontrolle der israelischen Besatzungskräfte.

Beobachtungen zeigen, dass Zivilist*innen, die Hilfe erhalten wollen, stundenlang in der Sonne warten müssen, ihre biometrischen Daten abgegeben werden und sie mitunter Gewalt erfahren. Dies offenbart ein Machtverständnis, bei dem humanitäre Hilfe nicht als ein Recht, sondern als eine Gnade der Besatzungsmacht inszeniert wird.

Dieses neue Projekt Israels stellt eine verfeinerte Form der systematischen Kontrollmechanismen dar, die bereits in der Vergangenheit auf die palästinensische Gesellschaft angewendet wurden. Unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe zielt das Projekt darauf ab, die Bevölkerung in Gaza sowohl physisch als auch psychologisch zu disziplinieren.

In diesem Sinne verstößt es fundamental gegen die Grundprinzipien humanitärer Hilfe – nämlich Neutralität und Unabhängigkeit.

Die Instrumentalisierung humanitärer Hilfe

Dieses Projekt zeigt exemplarisch, dass Hilfe nicht nur ein Mittel der Solidarität ist – in bestimmten Händen und mit klaren politischen Zielen versehen, kann sie sich in ein Instrument der Kontrolle und Bestrafung verwandeln. Die von Israel in diesem Zusammenhang verfolgte Strategie lässt sich als eine Praxis der „Instrumentalisierung“ bzw. „Waffenisierung“ humanitärer Hilfe bezeichnen.

Die Koppelung von Hilfe an Bedingungen, die räumliche Einschränkung des Zugangs, die Erfassung der Empfängerinnen und die Normalisierung von Gewalt während der Verteilung sind klare Hinweise auf diese Entwicklung.

Die Geschehnisse an den Verteilungsstellen zeigen, dass dieses System in Wirklichkeit auf einer Art „geordnetem Chaos“ basiert. In einer Umgebung, in der Zivilist*innen gegeneinander ausgespielt werden, ein harter Wettbewerb um begrenzte Ressourcen herrscht und tödliche Konsequenzen durch Eingriffe von Sicherheitskräften auftreten, wird Hilfe nicht zur Quelle von Hoffnung, sondern zu einem Instrument von Angst und Unterwerfung.

Informationen aus den Mainstream-Medien belegen, dass Zivilist*innen durch Schüsse israelischer Besatzungskräfte an diesen Stellen ums Leben kamen – was verdeutlicht, dass die Inanspruchnahme von Hilfe mit einem realen Lebensrisiko verbunden ist.

Auch die Inhalte der Hilfspakete und ihre logistische Struktur sind Gegenstand berechtigter Kritik. Die Pakete bestehen größtenteils aus israelischen Produkten – ein Umstand, der den Eindruck erweckt, dass Israel die von ihm selbst verursachte Hungersnot in wirtschaftlichen Profit umwandelt. Die durch Israels Politik erzeugte Marktleere wird gezielt von israelischen Produkten gefüllt; die ausgehungerte Bevölkerung wird so unter dem Deckmantel der Hilfe in wirtschaftliche Abhängigkeit gedrängt. Dies stellt nicht nur eine ökonomische Ausbeutung dar, sondern zielt auch auf die systematische Zerstörung der Selbstversorgungsfähigkeit der palästinensischen Gesellschaft ab.

Diese Strategie richtet sich nicht nur gegen die Bevölkerung Gazas, sondern auch gegen die bestehenden humanitären Hilfsstrukturen. Internationale Organisationen – insbesondere UN-Organe wie UNRWA – wurden durch Israel und die USA delegitimiert, ihrer finanziellen Mittel beraubt und in ihrer Arbeit behindert. Das Hilfsprojekt fungiert in diesem Kontext als eine alternative Struktur, die bestehende Organisationen umgeht und Hilfe direkt über von Israel kontrollierte Kanäle leitet. Damit wird humanitäre Hilfe nicht mehr von unabhängigen Institutionen, sondern innerhalb eines von den israelischen Besatzungskräften kontrollierten Netzwerks organisiert.

Die durch dieses Projekt geschaffene „Hilfsarchitektur“ ist letztlich ein sozio-politisches Steuerungsinstrument. Ziel ist es nicht nur, die individuellen Überlebensbedingungen zu beschneiden, sondern auch kollektive Handlungsräume aufzulösen, zivilgesellschaftliche Strukturen zu schwächen und die Gesellschaft in Gaza in einen hilfsabhängigen, passiven und orientierungslosen Zustand zu versetzen.

Diese Strategie unterscheidet sich grundlegend von klassischen militärischen Operationen: Sie zielt darauf ab, den zivilen Raum zu zerschlagen und so die gesellschaftliche Grundlage des Widerstands zu zerstören.

Fazit: Das israelische „humanitäre Hilfsprojekt“ stellt ein neues Stadium in der Strategie dar, den Gazastreifen zu belagern und ihn gänzlich unbewohnbar zu machen. Es ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie humanitäre Hilfe in modernen Kriegs- und Besatzungsstrategien instrumentalisiert wird. Obwohl das erklärte Ziel angeblich darin besteht, „den Menschen in Gaza zu helfen“, liegt die tatsächliche Funktion dieses Projekts darin, Gaza unbewohnbar zu machen, die Bevölkerung zu vertreiben und die Zivilbevölkerung in einem permanenten Überlebenskampf gefangen zu halten.

In diesem Zusammenhang ist das Projekt nichts anderes als ein Bestandteil eines unter dem Deckmantel der Hilfe operierenden Belagerungs-, Besatzungs- und ethnischen Säuberungssystems. Die Tatsache, dass Hilfe nicht mehr als Recht, sondern als Kontrollinstrument eingesetzt wird, wirft nicht nur moralische, sondern auch gravierende rechtliche Fragen auf. Praktiken wie kollektive Bestrafung, erzwungene Vertreibung und systematische Aushungerung verstoßen eindeutig gegen die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts.

Das weitgehende Schweigen und die Wirkungslosigkeit der internationalen Gemeinschaft in diesem Prozess eröffnen Israel den Raum, diese Strategie immer rücksichtsloser umzusetzen. Zudem verfolgt das Projekt nicht nur das Ziel, die aktuelle Belagerung aufrechtzuerhalten, sondern auch die Zukunft Gazas im Sinne einer politischen Umgestaltung zu beeinflussen. Dabei ist nicht nur der Inhalt der Hilfe, sondern auch ihre Verteilungsweise politisiert worden.

Der Hunger, die Armut und die Zerstörung in Gaza sind somit nicht das Ergebnis von Naturkatastrophen, sondern Ausdruck eines politisch bewusst gesteuerten Projekts, das auf Entscheidungen Israels basiert.

Dr. Mehmet Rakipoğlu

Dr. Mehmet Rakipoğlu schloss 2016 sein Studium im Bereich Internationale Beziehungen an der Sakarya Universität ab. Seine Dissertation mit dem Titel „Verteidigungsstrategie in der Außenpolitik: Die Beziehungen Saudi-Arabiens zu den USA, China und Russland nach dem Kalten Krieg“ wurde erfolgreich abgeschlossen. Rakipoğlu arbeitete als Direktor für Türkei-Studien am Mokha Center for Strategic Studies und ist derzeit Dozent an der Abteilung für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Mardin Artuklu Universität.

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