Die Politik der „Ägyptisierung“ Syriens: Golfkapital und Öffnung zum Westen

Der derzeit für Syrien entworfene Fahrplan weist in vielerlei Hinsicht bedeutende Parallelen zum ägyptischen Beispiel der 1970er-Jahre auf. Der durch Golf-Fonds ermöglichte wirtschaftliche Aufschwung sorgt kurzfristig für Stabilität, birgt jedoch langfristig das Risiko politischer Abhängigkeit sowie einer Einbindung in die Achse Westen–Israel. In diesem Zusammenhang ist es für die Türkiye von entscheidender Bedeutung, diesen Prozess mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und eine strategische Ausgleichsrolle zu übernehmen, um zu verhindern, dass Syrien – ähnlich wie Ägypten – zu einem passiven Akteur in der regionalen Ordnung degradiert wird. Dies ist sowohl im Interesse der nationalen Sicherheit der Türkiye als auch für die regionale Stabilität von zentraler Bedeutung.
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Die Politik der „Ägyptisierung“ Syriens: Golfkapital, Öffnung zum Westen und neue geopolitische Konstellationen

Im Rahmen des Golfbesuchs von Donald Trump rückte das Treffen mit dem syrischen Staatspräsidenten Ahmed Schara sowie die anschließende Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien als eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit. Syrien, das über viele Jahre hinweg mit Begriffen wie „Schurkenstaat“ oder „Achse des Bösen“ assoziiert wurde und sowohl direkten militärischen Drohungen als auch wirtschaftlichen Sanktionen der USA ausgesetzt war, erfährt durch dieses Treffen eine voraussichtlich tiefgreifende Imageveränderung im westlichen öffentlichen Diskurs.

Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, die möglichen Auswirkungen des Treffens zwischen Trump und Schara sowie die sich daran anschließenden politischen Kursänderungen auf die Zukunft Syriens zu analysieren. Die zentrale These lautet, dass Syrien in seinen Beziehungen zum Westen einen Weg einschlagen könnte, der dem Ägyptens in der Nach-Nasser-Ära ähnelt. Insbesondere wird die Annahme vertreten, dass eine syrische Variante der ägyptischen „Infitah“-Politik der 1970er-Jahre – einer wirtschaftlichen Öffnung und Liberalisierung – als Vorbild für den aktuellen Wandel dient.

Wie Ägypten sich durch die Infitah-Politik wirtschaftlich aus der Abhängigkeit von der Sowjetunion löste und sich zunehmend dem Westen annäherte, so steht auch Syrien heute möglicherweise vor einem vergleichbaren Transformationsprozess, durch den es in das westliche Lager überführt werden soll. Ägyptens wirtschaftlicher Öffnungskurs mündete letztlich im Camp-David-Abkommen. Analog dazu wird heute versucht, das wirtschaftlich angeschlagene Syrien durch die Unterstützung der Golfstaaten in eine israel-zentrierte regionale Sicherheitsarchitektur zu integrieren.

Von der Infitah bis Camp David: Ägyptens Integration in das westliche Bündnis

Die nach dem Ersten Weltkrieg unter der Führung der USA und mit Israel als Zentrum gestaltete Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens definierte jene Akteure, die das von Westen bestimmte regionale Status quo infrage stellten, zumeist als „radikale arabische Regime“. Viele dieser Regime suchten während des Kalten Krieges die Nähe zur Sowjetunion, um ein Gegengewicht zur westlich geprägten Sicherheitsordnung in der Region zu bilden. Eines der zentralen Ziele der US-amerikanischen Nahostpolitik bestand jedoch stets darin, diese radikalen Regime in die israelisch-zentrierte Sicherheitsstruktur zu integrieren. In diesem Zusammenhang markiert das Camp-David-Abkommen von 1979 zwischen dem ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat und Israel einen Wendepunkt.

Das als „Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel“ bekannte Camp-David-Abkommen war nicht nur eine diplomatische Einigung, sondern stellte zugleich den Beginn eines Prozesses dar, in dem Ägypten – einer der Schlüsselakteure der Region – in den westlichen Machtblock integriert, ja gewissermaßen vom Westen „übernommen“ wurde. Als ein Land, das jahrzehntelang Kriege gegen Israel geführt und trotz erheblicher Verluste seine Widerstandshaltung aufrechterhalten hatte, trat Ägypten mit Camp David freiwillig von dieser Position zurück. Im Hintergrund dieses Wandels spielte die unter Sadat eingeleitete „Infitah“-Politik – also die Öffnung der Wirtschaft – eine zentrale Rolle. Ziel dieser Politik war es, Ägypten wirtschaftlich zu liberalisieren und in westliche Märkte zu integrieren, doch führte sie langfristig zu einer doppelten Umklammerung des Landes: Auf der einen Seite stand der sicherheitspolitisch und diplomatisch dominierende Block aus den USA und Israel, auf der anderen Seite die Golfstaaten, die durch ihre Ölgelder wachsende wirtschaftliche und politische Einflusszonen aufbauten.

So wurde Ägypten zu einem fragilen Akteur, der sich sowohl nach den strategischen Interessen des Westens als auch den regionalen Machtkonstellationen richten musste. Die direkte militärische Konfrontation mit Israel in den Jahren 1948, 1956, 1967 und zuletzt 1973 hatte das Land zwar schwer erschöpft, aber nicht zur politischen Kapitulation geführt. Doch die Anfang der 1970er-Jahre eingeleitete Infitah-Politik war der Beginn eines tiefgreifenden Wandels, der unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Liberalisierung Ägyptens geopolitische Ausrichtung dauerhaft veränderte.

Dieser Prozess bedeutete nicht nur eine ökonomische Öffnung, sondern auch eine fundamentale Neuausrichtung der ägyptischen Außenpolitik. Letztlich wurde Ägypten politisch und wirtschaftlich Schritt für Schritt vom Bündnis USA–Israel sowie den wirtschaftlich aufstrebenden Golfstaaten vereinnahmt. Die Hauptmotivation Sadats, sich für die Infitah zu entscheiden, war es, die verheerenden Auswirkungen der jahrzehntelangen arabisch-israelischen Kriege durch eine politische Strategie zu überwinden und Ägypten als stabilen und investitionsfreundlichen Akteur auf der internationalen Bühne neu zu positionieren. Doch hinter der Fassade einer wirtschaftlichen Öffnung verbarg sich eine strukturelle Transformation, die Ägypten in das westliche Lager überführte.

Im Verlauf der Infitah zog sich Ägypten schrittweise aus seiner antiwestlichen und antiisraelischen Haltung zurück und passte sich der israelisch-zentrierten regionalen Sicherheitsordnung an. Die Rolle des Golfkapitals war dabei entscheidend. Die konservativen Golfstaaten, die während des sogenannten „arabischen Kalten Krieges“ in einem ideologischen und politischen Konflikt mit dem revisionistischen Ägypten standen, nutzten die durch die Kriege geschwächte Lage Kairos, um das Land unter dem Vorwand wirtschaftlicher Liberalisierung und in Zusammenarbeit mit dem Westen unter Kontrolle zu bringen. Am Ende dieser Entwicklung war Ägypten nicht nur für die USA und Israel keine Bedrohung mehr, sondern stellte auch für die Golfstaaten keinen ideologischen oder militärischen Gegner mehr dar.

Mit der Einführung der Infitah-Politik vollzog Ägypten einen klaren Bruch mit dem sozialistischen Wirtschaftsmodell und wandte sich einer marktwirtschaftlich orientierten Ordnung zu. Dieser tiefgreifende Wandel führte zu einem bedeutenden Zustrom ausländischer Investitionen. Besonders nach der Ölkrise von 1973, als die Einnahmen der Golfstaaten sprunghaft anstiegen, richteten sich deren Petrodollar vermehrt auf Ägypten – mit dem doppelten Ziel, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und zugleich politischen Einfluss in Kairo zu gewinnen. In der Folgezeit gerieten viele der wichtigsten Finanz-, Infrastruktur- und Kommunikationsinstitutionen Ägyptens schrittweise unter die Kontrolle von Investoren aus den Golfstaaten. Diese Form der ökonomischen Umklammerung mündete letztlich in die Bereitschaft Präsident Sadats, 1979 ein Normalisierungsabkommen mit Israel zu unterzeichnen.

Die wirtschaftlichen Verwundbarkeiten Ägyptens spielten dabei eine entscheidende Rolle auf dem Weg zum Frieden mit Israel. Laut einer weithin akzeptierten Interpretation waren es vor allem die großzügigen Investitionen aus dem Golf, die Ägypten dazu bewegten, sich der westlichen Ordnung anzunähern und die von Israel dominierte regionale Struktur zu akzeptieren. Damit wandelte sich Ägypten – einst ein revolutionäres, panarabisches Kraftzentrum – zu einem Akteur, der sich der von den USA und Israel geformten regionalen Statik unterordnete und wirtschaftlich zunehmend von den USA sowie den Golfstaaten abhängig wurde.

Schlussendlich hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Rückzug Großbritanniens aus dem Nahen Osten, die USA als führende Macht der Region etabliert. Ziel war der Aufbau einer von den USA geführten und auf Israel zentrierten Sicherheitsarchitektur. Ägypten war von Beginn an als Eckpfeiler dieses Systems vorgesehen, widersetzte sich jedoch dieser Rolle zunächst vehement – was dazu führte, dass das Land über ein Vierteljahrhundert hinweg wiederholt militärischen Angriffen durch das vom Westen unterstützte Israel ausgesetzt war. Erst durch die in den 1970er Jahren einsetzende Infitah-Politik, die als Antwort auf die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten eingeführt wurde, wurde Ägypten unter dem Vorwand wirtschaftlicher Öffnung schrittweise in diese Sicherheitsarchitektur eingebunden. Letztlich wurde das Land zu einem integralen Bestandteil der US-geführten Regionalstrategie.

Ein ägyptisches Modell für Syrien?

Im Zuge des Arabischen Frühlings und des rund vierzehn Jahre andauernden Bürgerkriegs hat Syrien eine beispiellose Zerstörung erlebt. Die kritische Infrastruktur brach weitgehend zusammen, die militärische und industrielle Leistungsfähigkeit wurde stark geschwächt, und ein Großteil der qualifizierten Bevölkerung verließ das Land. Israel nutzte das Machtvakuum nach der Revolution vom 8. Dezember, um seine Besatzungsgebiete auszudehnen und verstärkte Angriffe auf Syriens militärische sowie zivile Infrastruktur durchzuführen, wodurch das verbliebene Potenzial des Landes weiter geschwächt wurde. Gleichzeitig bemühte sich Israel, seine Interventionen durch die angebliche Schutzverantwortung gegenüber kurdischen und drusischen Minderheiten international zu legitimieren.

Obwohl das neue syrische Führungsteam unter Ahmed Scharaa nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes militärisch einen Sieg erringen konnte, sieht es sich nun mit einer Vielzahl komplexer Herausforderungen konfrontiert. Zu den drängendsten gehören der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, die Rückkehr der geflüchteten Bevölkerung, das Eindämmen israelischer Aggressionen und – vielleicht am wichtigsten – die internationale Anerkennung der neuen Regierung. Die Realisierung all dieser Ziele erfordert allerdings externe Finanzmittel in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar. Ohne solche Investitionen droht dem Land eine Rückkehr in einen Zyklus aus Instabilität und erneutem Bürgerkrieg.

Vor diesem Hintergrund rückt die finanzielle Unterstützung durch die Golfstaaten als realistischste Option für den Wiederaufbau Syriens in den Vordergrund. Angesichts der wirtschaftlichen Verwüstung nach dem Krieg scheint eine Hinwendung zur Golfkapital nahezu unausweichlich. In diesem Zusammenhang bietet das Beispiel Ägyptens in den 1970er-Jahren einen aufschlussreichen historischen Vergleich: Nach der Abkehr von Nassers säkularer und sowjetfreundlicher Linie setzte Anwar al-Sadat mit der „Infitah“-Politik auf wirtschaftliche Öffnung und förderte den Zufluss ausländischen Kapitals. Die Golfstaaten – damals reich an Petrodollars infolge der Ölkrise von 1973 – investierten massiv in Ägypten und leiteten damit nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen politischen Wandel ein. In der Folge wurde Ägypten mit dem Camp-David-Abkommen das erste arabische Land, das Frieden mit Israel schloss, und nahm eine neue geopolitische Rolle ein.

Es mehren sich die Anzeichen, dass heute ähnliche Dynamiken auch in Syrien wirksam werden. Die diplomatischen Kontakte zwischen der Trump-Administration und der Regierung in Damaskus im Rahmen eines Golfbesuchs, die unter der Schirmherrschaft des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman stattfanden, sowie die anschließende Aufhebung der US-Sanktionen gegen Syrien, deuten auf einen neuen Abschnitt in der syrischen Politik hin. Mit dem Wegfall der Sanktionen ist zu erwarten, dass Golfkapital nach Syrien fließen wird – was kurzfristig wirtschaftliche Entlastung verspricht, langfristig jedoch eine politische Transformation nach sich ziehen könnte.

Der Zufluss von Golfinvestitionen wird nicht nur wirtschaftliche Impulse bringen, sondern auch die Integration Syriens in westlich dominierte Wirtschaftsbeziehungen beschleunigen. Damit einhergehend dürfte sich Damaskus zunehmend gezwungen sehen, sich an eine israelisch zentrierte Sicherheitsarchitektur der Region anzupassen. Wie im Fall Ägyptens könnten wirtschaftliche Liberalisierungsprozesse den Weg für tiefgreifende politische und geopolitische Veränderungen ebnen. Dies würde bedeuten, dass Syrien sich schrittweise von seiner Rolle als „radikale arabische Republik“ verabschiedet und sich einem westlich orientierten, post-antiisraelischen Regime annähert.

Mit dem schwindenden Einfluss Irans in der Region wird erwartet, dass Türkiye künftig eine aktivere Rolle beim Wiederaufbau Syriens übernimmt. Doch birgt diese Rolle das Risiko, dass Ankara zu einem Akteur wird, der faktisch zur Integration Syriens in den Westen und zur Eingliederung in eine israelisch-zentrierte Sicherheitsordnung beiträgt. Eine solche Entwicklung könnte nicht nur die traditionelle Haltung der Türkiye zur Palästina-Frage untergraben, sondern auch ihre Fähigkeit, in regionalen Fragen unabhängig zu agieren, deutlich einschränken. Die lobenden Worte der Trump-Administration gegenüber Präsident Erdoğan sind in diesem Zusammenhang als Signal zu werten, dass von der Türkiye im Rahmen der „Ägyptisierung Syriens“-Strategie eine bestimmte Rolle erwartet wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der gegenwärtig für Syrien skizzierte Fahrplan bemerkenswerte Parallelen zum ägyptischen Modell der 1970er-Jahre aufweist. Die von den Golfstaaten bereitgestellten Finanzmittel sorgen zwar kurzfristig für wirtschaftliche Entlastung und Stabilität, bringen jedoch langfristig das Risiko politischer Abhängigkeit und einer Einbindung in die West-Israel-Achse mit sich. In diesem Zusammenhang ist es für die Türkiye von zentraler Bedeutung, diesen Prozess mit strategischer Weitsicht zu steuern und sich als ausgleichendes Gegengewicht zu positionieren – mit dem Ziel zu verhindern, dass Syrien, wie einst Ägypten, zu einem passiven Akteur in der regionalen Ordnung degradiert wird. Dies ist nicht nur für die Wahrung der nationalen Interessen der Türkiye, sondern auch für die langfristige Stabilität der Region von entscheidender Bedeutung.