Das Schweigen der Waffen, das Sprechen der Türkiye

Das heutige Projekt „Ein terrorfreies Türkei“ macht es erforderlich, dass sich das Land mit seinen eigenen inneren Verwerfungen auseinandersetzt. Dieses Thema betrifft nicht nur bewaffnete Strukturen in den Bergen, sondern auch politische Ängste in den Städten, innerparteiliche Spaltungen und die Aufarbeitung vergangener Ereignisse. Den Weg zur Lösung zu beschreiten, erfordert zugleich den Mut, bestehende Ängste zu überwinden. Ein „terrorfreies Türkei“ bedeutet nicht ausschließlich die Entwaffnung der PKK, sondern ebenso die Demokratisierung des Landes, den Wiederaufbau der Gesellschaft auf der Grundlage des Friedens sowie die Entwicklung einer neuen, von politischem Mut getragenen Sprache. Im Zusammenhang mit Lösungsprozessen wird häufig der Begriff der Aufarbeitung verwendet. Unsere vorrangige Auseinandersetzung muss mit den künstlich geschaffenen und aufgezwungenen Ängsten erfolgen. Es gilt, jene Widerstandspunkte zu identifizieren, die sich aus diesen Ängsten nähren oder sich hinter ihnen verbergen – und auch diesen entschlossen zu begegnen.
Mai 9, 2025
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Nach jahrzehntelangem Leid, Verlust und gesellschaftlicher Polarisierung befindet sich Türkiye erneut auf der Suche nach einer „waffenlosen Zukunft“. Das unter der Führung von Staat und Politik eingeleitete Projekt „Eine terrorfreie Türkiye“ erscheint auf den ersten Blick als ein Ziel, auf das sich alle einigen könnten. Dementsprechend war auch die Überzeugung weit verbreitet, dass der Prozess in geordneten Bahnen verlaufen werde. Für die Entscheidungsträger ist dabei klar, dass sich an dieser Haltung nichts geändert hat. Insbesondere die Positionen von Präsident Erdoğan und Devlet Bahçeli sind eindeutig. Dennoch ist zu beobachten, dass manche gelegentlich getätigten Äußerungen eine negative Wahrnehmung fördern. Auch das Scheitern des früheren Lösungsprozesses wirkt sich weiterhin nachteilig auf die aktuelle Stimmung aus.

Gleichwohl zeigt sich deutlich, dass der gegenwärtige Prozess einerseits darauf abzielt, die PKK zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, und andererseits eine Abrechnung mit jenen Akteuren zu vollziehen, die von der durch terroristische Organisationen geschaffenen chaotischen Atmosphäre profitieren. Es muss in Erinnerung gerufen werden, dass der laufende Prozess unter der ausdrücklichen Genehmigung, Zustimmung und Anweisung des Präsidenten durchgeführt wird – und jene, die versuchen, diesen zu stören, sollten sich der klaren Aussagen der Entscheidungsträger bewusst sein.

Politik an einem kritischen Wendepunkt

In einer Zeit, in der weltweit über potenzielle Risiken für das globale System diskutiert wird, haben die Regierungskoalition (Cumhur İttifakı) und die Regierung von Türkiye einen wichtigen politischen Schritt unternommen und eine entscheidende Willensbekundung für die Zukunft des Landes abgegeben. Dabei handelt es sich um das Ziel, die PKK zur vollständigen Entwaffnung zu bewegen, den zivilen politischen Raum zu erweitern und zu erklären, dass alle Themen und Probleme ausschließlich im Rahmen der Politik zu diskutieren und zu lösen sind. Warum diese Entscheidung notwendig, wichtig und besonders sensibel ist, wurde auch in den Erklärungen der maßgeblichen politischen Akteure betont. Eines der häufig wiederholten Schlüsselworte in allen Stellungnahmen ist: Entschlossenheit.

Um das Thema besser zu verstehen und den politischen Willen der Regierung in vollem Umfang zu erfassen, lohnt es sich, einige der offiziellen Aussagen zu zitieren. Präsident Erdoğan erklärte in seiner Neujahrsbotschaft am 31. Dezember:
„In der kommenden Zeit werden wir entschlossene Schritte unternehmen, um unsere Vision einer ‚terrorfreien Türkiye‘ und einer ‚terrorfreien Region‘ Wirklichkeit werden zu lassen.“

Bei einer Kundgebung in Trabzon am 5. Januar sagte er:
„Wir werden unser Ziel einer terrorfreien Türkiye gemeinsam und mit vereinten Kräften erreichen. Wir verfolgen eine äußerst detaillierte, in allen Schritten durchdachte Politik.“

Nach der Kabinettssitzung am 7. Januar 2025 bekräftigte er seine Entschlossenheit mit folgenden Worten:
„Das Ziel einer terrorfreien Türkiye ist eines unserer wichtigsten Anliegen in naher Zukunft. Selbstverständlich wünschen wir uns, dass dies in Ruhe und Besonnenheit geschieht. Sollte dieser Weg jedoch blockiert oder sabotiert werden, dann wird unser Staat nicht zögern, seine eiserne Faust im Samthandschuh einzusetzen.“

Auf dem Rückflug von seinem Italien-Besuch antwortete Präsident Erdoğan auf eine Frage von Journalisten zum Thema:
„Die diesbezüglichen Arbeiten werden vom türkischen Geheimdienst (Millî İstihbarat Teşkilâtı) geführt, unter der Leitung von Herrn İbrahim Kalın. Als Regierungskoalition haben wir eine starke und entschlossene Haltung gezeigt, um den Terror vollständig zu beseitigen und den Beginn einer neuen Ära zu ermöglichen. Auch die Terrororganisation muss nun erkennen, dass sie sich in einer Sackgasse befindet, und auf die an sie gerichteten Appelle reagieren. Unsere größte Motivation in diesem Prozess ist es, unseren Kindern ein Land ohne Terror zu hinterlassen. Wir halten an dieser Motivation fest. Wir arbeiten für eine Türkiye, in der die zivile Politik gestärkt, der gesellschaftliche Frieden verankert und unsere Ressourcen auf Zukunft, Technologie und Entwicklung ausgerichtet sind.

Freund wie Feind werden erkennen, dass in Türkiye kein Platz mehr für Spaltung ist – und dass keine Macht den gemeinsamen Willen unseres Volkes bezwingen kann. Ich habe es bereits gesagt: Eine terrorfreie Türkiye ist kein Tauschgeschäft, sondern ein Klima der Brüderlichkeit. Es ist der lang ersehnte Wunsch unseres Volkes, der seit Jahrzehnten besteht.“

Entschlossene Stimmen in einem kritischen Prozess

Eine der konkreten Aussagen des Präsidenten zu diesem Thema wurde am 8. Mai während eines Treffens mit Abgeordneten gemacht. Medienberichten zufolge äußerte Präsident Erdoğan:
„Wir haben alle Hindernisse überwunden. In Kürze erwarten wir positive Nachrichten darüber, dass die PKK die Waffen niederlegen und sich selbst auflösen wird. Danach wird ein neuer Prozess beginnen, eine neue Ära für uns alle.“

In derselben Ansprache sagte er auch:
„Die Politik wird eine große Rolle spielen. Wir müssen diesen Prozess richtig führen. Es kann sein, dass manche versuchen, daraus politischen Nutzen zu ziehen. Seid darauf vorbereitet. Uns erwartet kein einfacher Weg, aber ich vertraue euch in dieser Sache.“

Diese jüngste Erklärung ist aus mehreren Gründen bedeutsam: Erstens, weil sie unterstreicht, dass im neuen Prozess alle Verantwortung tragen. Zweitens, weil sie darauf hinweist, dass der Politik eine zentrale Rolle zufallen wird. Drittens, weil sie den Fokus auf eine verantwortungsvolle und strategische Steuerung des Prozesses legt. Es wird somit betont, dass insbesondere Abgeordnete und Minister bei der politischen Steuerung der neuen Phase eine zentrale Verantwortung tragen.

Die ersten Impulse für den Beginn des Prozesses kamen von Devlet Bahçeli. Die erste entsprechende Erklärung wurde auf der MHP-Fraktionssitzung am 5. Oktober 2024 abgegeben. Bahçeli forderte Abdullah Öcalan, der sich im Gefängnis auf İmralı befindet, dazu auf, einseitig das Ende des Terrors und die Auflösung der Organisation zu erklären. Dabei erinnerte er an Öcalans Aussage aus dem Jahr 1999 bei seiner Überstellung in die Türkiye: „Wenn ich in die Türkiye zurückkehre, werde ich dienen“, und betonte, dass die PKK die Waffen niederlegen und sich ergeben müsse.

In einer weiteren Erklärung schlug Bahçeli vor, dass Öcalan – im Falle einer Aufhebung seiner Isolationshaft – eine Rede auf der Fraktionssitzung der DEM-Partei im Parlament halten solle, in der er ausrufe: „Der Terror ist vollständig beendet, die Organisation ist aufgelöst.“ Bahçeli betonte, dass in einem solchen Fall gesetzliche Regelungen im Rahmen des „Rechts auf Hoffnung“ möglich seien. Diese Aussagen brachten das Thema auf die höchste politische Ebene und schufen eine Grundlage für einen reibungsloseren Fortgang des Prozesses.

Ein weiterer wichtiger Akteur in diesem Zusammenhang ist Außenminister Hakan Fidan. Fidan verwies auf den Aufruf von Abdullah Öcalan, dem Gründer der PKK, zur Auflösung der Organisation, und betonte:
„Die Organisation muss diesem Aufruf folgen und den Prozess der Selbstauflösung einleiten. Dies ist eine historische Gelegenheit, und die Organisation muss diese Chance nutzen.“

In derselben Erklärung sagte Fidan außerdem:
„Die Entwaffnung der PKK ist nicht nur für Türkiye von Bedeutung, sondern stellt auch eine große Chance für Länder wie Syrien, Irak und Iran sowie die dort lebenden Bevölkerungen dar. Dieser Schritt würde zur regionalen Stabilität und zum Frieden beitragen.“

In einer anderen Erklärung betonte er:
„Die Organisation muss nun Folgendes verstehen: Ob Irak, Syrien oder Türkiye – wir sind bereit, jede gewaltfreie Haltung zu akzeptieren. Aber solange eine bewaffnete terroristische Bedrohung besteht, kann niemand dies zulassen. Mein Glaube und mein Wunsch ist, dass dieser Schritt unternommen wird.“

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Entwaffnung und Auflösung der PKK wäre nicht nur ein bedeutender Schritt für Türkiye, sondern auch für den Frieden und die Stabilität der gesamten Region. Trotz all dieser klaren Erklärungen bleibt jedoch eine wichtige Frage offen: Gibt es Widerstand gegen diesen Prozess?

Gibt es Widerstand?

In einem Prozess, der in dieser Deutlichkeit vom Präsidenten – als Staatsoberhaupt – unterstützt wird, ist ein offener Widerspruch oder Widerstand innerhalb der Partei, im Ministerrat oder in der Bürokratie kaum denkbar. Dennoch gibt es Einschätzungen, wonach gewisse Haltungen als „Verzögerungstaktiken“ zu bewerten sind. Man darf nicht vergessen: Ob offener Widerstand oder bewusstes Zögern – das Ergebnis bleibt dasselbe: eine Sabotage des Prozesses. Niemand hat das Recht dazu.

Deshalb ist es unerlässlich, den Verlauf des Prozesses mit höchster Sensibilität zu beobachten und alle notwendigen Schritte konsequent umzusetzen. Es ist nicht angemessen, sich mit Verweis auf vergangene Erfahrungen in eine zögerliche Position zu begeben. Zwischen jenen, die in der Vergangenheit durch künstlich geschaffene Ängste Lösungsperspektiven sabotierten, und dem Kurs, den der Präsident heute vorgibt, besteht ein fundamentaler Unterschied. Insbesondere die Sicherheits- und Justizbürokratie ist gefordert, sich aktiv auf die von der Regierung vorgezeichnete Linie des Prozesses auszurichten und sich jeglicher destruktiven Rhetorik oder Haltung zu enthalten.

Zwei weitere Punkte verdienen besondere Beachtung:
Erstens ist das laufende Projekt ein Produkt der politischen Allianz, die nach 2016 in Türkiye entstanden ist. Insofern sollte man aufmerksam verfolgen, welche Konsequenzen mögliche negative Entwicklungen für diese Allianz haben könnten.
Zweitens müssen die Positionen internationaler Akteure in diesem Prozess mit besonderer Sorgfalt beobachtet werden. In der Vergangenheit hatten direkte oder indirekte Kontakte mancher ausländischer Staaten mit der Organisation den Prozess erheblich behindert. Daher sind die auf diplomatischer Ebene zu ergreifenden Maßnahmen in der neuen Phase von entscheidender Bedeutung für die Nachhaltigkeit der Lösung.

Es ist bekannt, dass das Lösen innenpolitischer Probleme in Türkiye nicht selten mit Begriffen wie „Verrat“, „Schwäche“ oder „Falle“ stigmatisiert wird. Doch Regieren bedeutet, in Angelegenheiten, die dem Wohle des Volkes dienen, standhaft zu bleiben. Solche psychologischen Schwellenwerte werden dann problematisch, wenn sie nicht die Öffentlichkeit, sondern die Entscheidungsträger selbst beeinflussen. Wir wissen alle sehr genau, dass Prozesse wie die Niederlegung der Waffen und die Selbstauflösung der Organisation nicht ohne Risiko verlaufen werden.

Gerade deshalb ist das Entscheidende – und Mut erfordernde – nicht nur den Prozess einzuleiten, sondern ihn konsequent weiterzuführen und trotz möglicher Widerstände die Entschlossenheit aufrechtzuerhalten.

Was sagt die Gesellschaft?

Ein großer Teil der Gesellschaft in Türkiye wünscht sich keinen Konflikt mehr, sondern Frieden und Stabilität. Öffentliche Meinungsumfragen zeigen, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den Wunsch äußert, dass die PKK die Waffen niederlegt und diese Frage von der Gewalt befreit gelöst wird.

Beispielsweise ergab eine Umfrage von PanoramaTR im April, dass 51 % der Befragten den Entwaffnungsprozess der PKK unterstützen, während 37 % angaben, diesen Prozess nicht zu befürworten. Es ist davon auszugehen, dass die gesellschaftliche Unterstützung noch deutlich steigen wird, wenn mit der Entwaffnung parallel Schritte zur Demokratisierung, zum gesellschaftlichen Frieden und zur wirtschaftlichen Entwicklung unternommen werden.

Daher gilt: Auch wenn ein auf das Thema Entwaffnung zentrierter Ansatz kurzfristige Erfolge bringen mag, ist für langfristige Ergebnisse eine demokratische Transformation unabdingbar. Es ist wichtig, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, auf den sich die Mehrheit der Bevölkerung stützen kann.

Auf der anderen Seite zeigt sich bei den Oppositionsparteien keine eindeutige Positionierung. Innerhalb der CHP etwa führen phasenweise aufkommende nationalistische Reflexe dazu, dass eine mutige Sprache und eine entschlossene politische Haltung in Bezug auf eine Lösung blockiert werden.

Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die Opposition Initiative ergreift, um eine Linie zu verfolgen, die den Lösungsvorschlag der Gesellschaft und der zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt und aktiv begleitet.

Konfrontation als Voraussetzung für die Lösung

Das heutige Projekt „Eine terrorfreie Türkiye“ zwingt Türkiye zugleich dazu, sich mit den eigenen inneren Bruchlinien auseinanderzusetzen. Dieses Thema betrifft nicht nur bewaffnete Strukturen in den Bergen, sondern ebenso die politischen Ängste in den Städten, innere Spaltungen in den Parteien und offene Rechnungen mit der Vergangenheit.

Den Mut aufzubringen, eine Lösung anzustreben, bedeutet zugleich, die Ängste zu überwinden. „Eine terrorfreie Türkiye“ ist nicht nur die Entwaffnung der PKK, sondern auch ein Prozess der Demokratisierung des Landes, der Wiederaufbau gesellschaftlichen Friedens und der Schaffung einer neuen politischen Sprache durch mutige Schritte.

Im Zusammenhang mit Lösungen fällt häufig der Begriff der „Konfrontation“. Doch unsere vorrangige Konfrontation muss mit den aufgezwungenen und künstlich erzeugten Ängsten erfolgen. Es gilt, die Punkte des Widerstands zu erkennen, die sich von diesen Ängsten nähren oder sich hinter ihnen verstecken – und auch mit ihnen ehrlich abzurechnen.

Trotz aller negativen Bewertungen wächst die Hoffnung auf die Zukunft, je mehr man die Erklärungen von Präsident Erdoğan und Devlet Bahçeli liest. Denn diejenigen, die den Wunsch nach einer Entwaffnung der PKK äußern, wissen genau, was sie wollen.

Auf der Agenda dieser beiden führenden Politiker stehen zahlreiche zentrale Punkte: die Demokratisierung des Landes, die Überwindung der negativen Folgen des Terrors, die Beseitigung der unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung geschaffenen „Grauzonen“, Rechenschaftspflicht, gleichberechtigte Staatsbürgerschaft, regionaler Frieden und wirtschaftliche Entwicklung.

Doch was steht auf der Agenda jener, die gegen eine Entwaffnung der PKK sind? Was genau wollen diese Personen? Es gibt keine konkreten und stichhaltigen Argumente für ihren Widerspruch.

Gerade deshalb ist es wichtig, diesen Unterschied aufzuzeigen. Ja – unsere Aufgabe ist es, hinter den Entscheidungsträgern zu stehen, die diesen bedeutungsvollen Prozess der Entwaffnung im Interesse der Zukunft des Landes eingeleitet haben. Unsere Haltung muss sich nicht an Ängsten, sondern an Mut und dem Wohl der Türkiye orientieren.

Adnan Boynukara

Zwischen 1987 und 2009 arbeitete er als Ingenieur und Manager in verschiedenen Institutionen. Von 2009 bis 2015 war er als Hochberatender bei dem Ministerium für Justiz tätig. In der 25. und 26. Legislaturperiode war er als Abgeordneter der Provinz Adıyaman im türkischen Parlament (TBMM) tätig. Er hat Arbeiten in den Bereichen öffentliche Verwaltung, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Konfliktlösung und Friedensprozesse durchgeführt.

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