Die Eröffnung des Zengezur-Korridors, einer Transitroute, die durch die iranische Grenze Armeniens verläuft, die territoriale Integrität Aserbaidschans sichern und die Türkei direkt mit dem turkischen Raum verbinden soll, ist mit dem von Aserbaidschans Präsident Alijew, Armeniens Premierminister Paschinjan und US-Präsident Trump unterzeichneten Memorandum in eine neue Phase eingetreten. Das Dokument, das die Öffnung des armenischen Abschnitts des Korridors unter der Kontrolle von US-Söldnern vorsieht, markiert zweifellos sowohl einen Wendepunkt in der Kaukasus-Geopolitik als auch einen wichtigen Schritt der USA, um ihre Vorherrschaft gegenüber innerasiatischen Mächten in der eurasischen Geopolitik zu sichern. Die Eröffnung des Korridors ist daher von einer Bedeutung, die eine Bewertung der geopolitischen Agenden der beteiligten Akteure – vor allem der Türkei und Aserbaidschans, aber auch der USA, Russlands, Irans, Chinas und Israels – erfordert.
Der Kaukasus, in dem sich der Zengezur-Korridor befindet, stellt aus geopolitischer Sicht eine Art „Landenge“ dar. Wie bekannt, bezeichnet man als Meerengen Wasserstraßen, die an verengten Stellen von Landmassen entstehen. Landengen hingegen sind die schmalen Landstücke und Durchgangsrouten, die zwischen wichtigen Meeresbecken liegen und deren Verbindung ermöglichen. Der Kaukasus, gelegen zwischen dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer und durchzogen von steilen Gebirgspässen, ist aus dieser Perspektive eine solche Landenge. Sein nördliches Ende ist die auf dem Asowschen Meer gelegene Halbinsel Taman; im Süden liegt das Kaspische Meer; im Osten wiederum das Kaspische Meer und im Westen das Schwarze Meer (einschließlich Artvin und Rize) sowie das Gebirgsmassiv zwischen dem Erzurum–Kars-Plateau und Erzincan. Der Kaukasus bildet damit durch seine Gebirgsketten und Pässe einen natürlichen Übergangskorridor zwischen dem Schwarzen Meer im Norden, Anatolien westlich des Euphrats und Mesopotamien südlich des Euphrats.
Geopolitisch ist er somit, ähnlich wie Anatolien, das zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer liegt, Teil einer geografischen Barriere und kulturellen Grenzzone zwischen Europa – das nicht als eigenständiger Kontinent, sondern als Halbinsel Asiens zu sehen ist – und dem asiatischen Kernland. Deshalb sahen sich große Mächte, die sich in der Geschichte nach Norden, Süden, Osten oder Westen bewegten, gezwungen, je nach Richtung entweder Anatolien oder den Kaukasus zu kontrollieren. Von den westwärts ziehenden Skythen, den Perser–Griechen- und Rom–Persien-Kriegen, dem Vordringen der Türken nach Anatolien, den russischen Vorstößen in Richtung „warmer Meere“ bis hin zu den Osmanisch–Safawidischen Kriegen – all diese Ereignisse spielten sich in diesem geopolitischen Rahmen ab. Diese geostrategische Bedeutung führte historisch zu den Verträgen von Türkmençay und Gülistan, in deren Folge Russland den Kaukasus nördlich und südlich des Aras-Flusses sowie Aserbaidschan von Persien abtrennte und die sowjetisch-türkische Grenze durch diese Region gezogen wurde. Iran und Armenien wurden – aus britisch-russischer Perspektive – geradezu als eine Mauer zwischen Turkestan und Anatolien geschaffen. Nach der Einnahme von Bergkarabach, das die beherrschenden Gebirgspässe zwischen Nord- und Südkaukasus kontrolliert, bedeutet die Eröffnung des Zengezur-Korridors daher, dass in diese Mauer eine große, schwer umkehrbare Bresche geschlagen wird.
Die von den USA bzw. den angelsächsischen Mächten vertretene Seemacht-Geopolitik hatte seit dem Ende des Kalten Krieges eine zentrale Strategie: den Aufstieg von Landmächten in Eurasien zu verhindern und deren Bündnisse zu unterbinden. Als China in vielen Bereichen die USA einholte und mit der Belt-and-Road-Initiative begann, sich sichere Land- und Seewege weltweit zu schaffen, wurde diese Strategie durch einen weiteren Ansatz ergänzt: die Auslösung bewaffneter Konflikte entlang dieser Transportkorridore, um sie unbrauchbar zu machen, und die Stationierung von US-Truppen. Russlands Invasion in die Ukraine war ein bedeutendes Beispiel für die gleichzeitige Umsetzung dieser beiden Strategien. Mit dem Angriff auf die Ukraine zerstörten die USA bzw. die angelsächsischen Mächte nicht nur das sich rasch entwickelnde Bündnis zwischen China, Russland und Deutschland – ganz im Sinne von Brzezinskis Strategie, innereurasische Allianzen zu verhindern –, sondern blockierten auch Chinas Landweg über Russland nach Hamburg und zur Ostsee. Zudem wurde Deutschland, das sich seit Gerhard Schröder und Angela Merkel Schritt für Schritt durch günstige Energieimporte aus Russland und den Handel mit Russland und China von den USA unabhängig gemacht hatte, wieder in Abhängigkeit von den USA gebracht. Beispiele für diese neue Form des Kolonialismus sind der Erwerb der Nutzungsrechte an wertvollen Minen in der Ukraine und die Stationierung privater Militärfirmen zum Schutz dieser Ressourcen – zentrale Elemente der oben beschriebenen Strategie.
Die jüngsten Entwicklungen rund um den Zengezur-Korridor sind im Grunde genommen nichts anderes als eine Neuauflage des in der Ukraine angewandten „Handbuchs“. Das Abkommen bedeutet vor allem, dass die USA – nach der Blockade des Ukraine-Korridors – sich über private Militärfirmen an der einzigen verbliebenen Landverbindung zwischen China und Europa, der historischen Seidenstraße, festsetzen. Zusammen mit der bereits bestehenden militärischen Präsenz in Georgien errichten die USA damit eine ernsthafte militärische Kontrolle über die Landenge des Kaukasus. Dies zielt nicht nur auf China, sondern auch auf die drei traditionellen Regionalmächte Türkei, Russland und Iran, die seit jeher um die Vorherrschaft in dieser Region ringen, und soll deren Einfluss ausbalancieren.
Das Abkommen hat darüber hinaus mehrere weitreichende Konsequenzen. Zunächst markiert der Prozess, den die USA vorantreiben, den Beginn der vollständigen Zurückdrängung Russlands aus dem Südkaukasus. Denn obwohl das Abkommen auf dem Papier lediglich die Öffnung einer logistischen Route vorsieht, bedeutet es politisch, dass Armenien – bislang ein russischer Satellitenstaat – seine Territorialkonflikte mit den Türken beendet und sich unter US- und französischem Schutz in das westliche Lager integriert. Damit beginnt eine neue Ära, in der Armenien politisch und wirtschaftlich eng mit den USA, Frankreich, der Türkei, Aserbaidschan, Georgien, Iran und Indien verflochten ist.
Zweitens markiert es für Aserbaidschan das faktische Ende eines historischen Prozesses: vom militärischen Eingreifen der Kaukasisch-Islamischen Armee 1918, über die Eingliederung in die Transkaukasische SFSR unter sowjetischer Führung 1922, bis hin zur heutigen faktischen Unabhängigkeit. Obwohl Aserbaidschan historisch Nachfolgerstaat der Seldschuken, Aq Qoyunlu und Safawiden ist, beruhen seine heutigen Grenzen nicht auf einer eigenständigen historischen Grundlage, sondern auf der Teilung des historischen Aserbaidschans durch die Verträge von Gülistan und Türkmençay. Der Karabach-Krieg war daher im wahrsten Sinne ein Befreiungskrieg. Sein Sieg ebnete den Weg zu faktischer Unabhängigkeit – sowohl für Aserbaidschan als auch für Armenien, die heute gemeinsam ihre Unabhängigkeit von Russland festigen. Aserbaidschans zunehmende Spannungen mit Russland und der eingeleitete Prozess zum Austritt aus der GUS sind direkte Konsequenzen. Absehbar ist, dass auch Armenien – nach der Normalisierung der Beziehungen mit der Türkei und der Grenzöffnung – die GUS verlassen wird. Damit verliert Russland Schritt für Schritt seine Dominanz über Aserbaidschan, Armenien und Georgien – und damit seine strategische Kontrolle über den gesamten Südkaukasus. Dies wird letztlich als historische Niederlage Russlands gewertet werden, zumal die Invasion der Ukraine, die als strategischer Versuch zur Wiederherstellung der Sowjetunion gedacht war, gescheitert ist.
Auch für die Türkei hat die US-Dominanz über den Zengezur-Korridor tiefgreifende Folgen. Erstens löst das Abkommen eines der ältesten geopolitischen Probleme der Türkei, nämlich die Verbindung nach Turkestan, die seit dem Aufstieg Russlands und Irans (Safawiden) unterbrochen war. Einer der zentralen Gründe für den Niedergang des Osmanischen Reiches war eben dieser Verlust der Verbindung nach Zentralasien. Armenien und Iran wurden nach dem Ersten Weltkrieg von Russland und Großbritannien bewusst als Pufferstaaten konzipiert, um diese Verbindung zu blockieren. Mit dem neuen Abkommen überwindet die Türkei dieses historische Handicap.
Zweitens schafft es eine Grundlage, die jahrzehntelange Feindschaft zwischen Türkei und Armenien in pragmatische diplomatische Beziehungen umzuwandeln, was eine Entlastung der türkischen Außenpolitik bedeutet. Darüber hinaus stärkt es die Bemühungen der Türkei, sich als logistisches Drehkreuz und Energiezentrum zu etablieren und ihre regionale wie globale Machtposition auszubauen. Es zwingt Russland und Iran zu einer gemäßigteren Politik gegenüber der Türkei.
Das größte Risiko für die Türkei liegt darin, dass die Route von US-Söldnern kontrolliert wird. Verglichen mit dem ursprünglichen Plan, der die Kontrolle durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB vorsah, ist dies jedoch weniger ein Risikoanstieg als vielmehr eine Verschiebung des Machtgleichgewichts. Der diplomatische Handlungsspielraum und Einfluss, den eine Normalisierung mit Armenien der Türkei verschafft, wiegt die bestehenden Risiken klar auf.
Die eigentliche strategische Gefahr liegt jedoch in der geopolitischen Ausrichtung Israels. Israels Politik, im Rahmen der „Groß-Israel“-Idee die Grenzen des Nahen Ostens neu zu ziehen, wurde von führenden Vertretern selbst offen ausgesprochen und wird mit einer Politik des grenzenlosen Krieges verfolgt. Weniger beachtet wird Israels Strategie, über Zypern und die Ägäis den östlichen Mittelmeerraum – das geographische Herz der Geschichte – zu kontrollieren und von dort über Suez, Palästina, Jordanien, Ostsyrien, Nordirak, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine und Polen eine Verbindung zum Kaspischen Raum und zur Ostsee zu schaffen. Damit strebt der aus Mittel- und Osteuropa stammende Zionismus einen eigenen „Lebensraum“ im Sinne Spykmanscher Rimland-Theorie an.