Die offizielle Definition des Staates Israel auf seiner eigenen Website lautet: „Zionismus ist die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes.“ Diese Auffassung wird von allen jüdischen Israelis – einschließlich Anhängern von „Peace Now“ – ohne jede Gegenrede akzeptiert. Doch Juden sind keine Nation im klassischen Sinne. Wäre das der Fall, gäbe es nur einen Weg zur jüdischen Identität – die Staatsbürgerschaft Israels. Tatsächlich aber können Menschen in der Diaspora durch rabbinische Konversion über den Weg der religiösen Übertritts-Zeremonie jüdisch werden – eine Praxis, die immer häufiger angewandt wird. Anders als bei der Einbürgerung in Israel: wer israelischer Bürger wird, wird dadurch nicht automatisch Jude.
Zionisten behaupten, Israel habe als jüdischer Staat ein legitimes Existenzrecht. Doch Israel hat niemals von sich behauptet, einer von mehreren jüdischen Staaten zu sein. Das Grundgesetz (Basic Law), verabschiedet durch die Knesset 2018, definiert Israel ausdrücklich als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“. Daraus ergibt sich die Implikation, dass alle Juden – unabhängig von ihrem Wohnort – Israel eine unteilbare Loyalität schulden. Diese Loyalität ist in der Regel vorhanden – insbesondere unter älteren, wohlhabenden und einflussreichen Juden. In Frankreich etwa verweist CRIF, die Dachorganisation aller jüdischen Gemeinschaften, in ihrer Satzung darauf: „Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich erkennt Israel als privilegierten Ausdruck des jüdischen Daseins an.“ Die institutionelle jüdische Struktur in Frankreich – wie auch in anderen demokratischen Ländern – ist also durchaus damit zufrieden, Israels Führungsrolle als legitim anzuerkennen.
Zionisten behaupten, sie müssten die Legitimität Israels verteidigen. In der Praxis wird aber oft jede Handlung Israels verteidigt – unabhängig vom Inhalt. So erschien 1998 im offiziellen Gebetbuch der United Synagogue in Großbritannien ein neuer Text:
„Erinnere Dich an die Israel Defense Forces, unsere Schutztruppen im Heiligen Land. Schütze sie vor jeglichem Leid, segne ihre Handlungen mit Erfolg und Wohlstand.“
Mit „Handlungen“ war auch die Zerstörung des Gaza-Streifens und das töten unbewaffneter Zivilisten gemeint – alles im Namen dieser „Schutztruppen“.
Zionismus verschmutzt und korrumpiert so das Judentum. Die moralische Korruption Israels zeigt sich deutlich in der Popularität des Buches Torat Ha’Melech („Die Tora des Königs“), das 2009 veröffentlicht wurde. Verfasst von zwei rabbinischen Gelehrten in der besetzten Westbank, legitimiert das Werk bereits das Töten palästinensischer Kinder, die potenziell zu Terroristen heranwachsen könnten. Selbst die normalerweise pro-israelische Anti-Defamation League (ADL) veröffentlichte eine Presseerklärung, in der das Buch aufs Schärfste verurteilt wurde. Dennoch empfahl Rabbi Dov Lior, geistlicher Berater von Baruch Goldstein und Yigal Amir, das Werk mehrfach in seinen Predigten an israelische Soldaten.
Die Diaspora-Zionisten rechtfertigen systematisch die Menschenrechtsverletzungen Israels: „Israel betreibt keinen Völkermord“, behaupten sie. Aber was tun sie dann? Sie behaupten, die Verantwortung liege vollständig bei Hamas, selbst wenn Palästinenser unermessliches Leid erleiden. Dabei ignorieren sie die Worte des israelischen Präsidenten Isaac Herzog vom 13. Oktober 2021 „Dort gibt es eine ganze Nation, die verantwortlich ist… Wir werden ihnen das Rückgrat brechen.“
Genau das tun sie – nicht nur im Gaza-Streifen, sondern auch in der Westbank, wo Hamas kaum präsent ist.
Diese emotionale Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer widerspricht dem Judentum und speziell Exodus 23,9: „Unterdrücke keinen Fremden. Denn ihr wisst, wie dem Fremden zumute ist, weil ihr selbst Fremde im Land Ägypten gewesen seid.“
Leider ist dieses Verständnis heute weitgehend verloren gegangen. Zionismus hat die meisten Juden ihres moralischen und ethischen Erbes beraubt. Glücklicherweise versucht eine wachsende Minderheit – größtenteils junge Menschen –, dieses Erbe wieder selbst zu besitzen und zu pflegen.
*Frederic Seager ist kanadischer Historiker; sein jüngstes Buch heißt: The Zionist Illusion.
Quelle: https://www.counterpunch.org/2025/07/25/zionism-is-it-good-for-jews/