Ist es möglich, unsere Gier zu überwinden?

Ehrgeiz und Gier – gut, wir wissen alle, was damit gemeint ist. Aber es gibt auch etwas, das man als „pathologischen Ehrgeiz und Besessenheit“ bezeichnen könnte: eine zwanghafte, obsessive Anstrengung, ein emsiges Streben wie eine Biene, die keinen Honig macht. Dieser Zustand beruht tatsächlich auf einer psychisch unausgewogenen Verfassung – dem ständigen Zweifel an den eigenen Handlungen, dem verzweifelten Versuch, nicht andere, sondern das eigene perfektionistische Gehirn zu überzeugen. Zwar ist dieser zweifelhafte Zustand nicht so weit verbreitet wie gewöhnlicher Ehrgeiz oder Habgier, doch es gibt nicht wenige Menschen, die darunter leiden. Es ist notwendig, rasch Maßnahmen zu ergreifen, um diese quälenden Zweifel zu überwinden und die Zeit auf sinnvollere Weise zu nutzen.
Juni 30, 2025
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Viele Kommentatoren betrachten die Begriffe „aus trockenem Lehm geformter Ton“ und „das Einhauchen Seines Geistes“, die im Koran in Sure 32, Verse 7–9 (as-Sadschda) über die Schöpfung des Menschen erwähnt werden, als grundlegende Schlüssel zur Beschreibung des Menschen. Auf der einen Seite steht ein Geschöpf, das „auf schönste Weise erschaffen“, mutig genug ist, das göttliche Treuhandamt zu tragen, das edelste unter allen Wesen, vor dem sich selbst die Engel verneigten und das als Statthalter auf Erden eingesetzt wurde. Auf der anderen Seite aber ist derselbe Mensch blutvergießend, verderbt, ungeduldig, habgierig, unersättlich, undankbar, schwach, geizig, streitsüchtig und voller übermäßiger Begierden – kurz: er kann der „niedrigste der Niedrigen“ (esfel-i sâfilîn) sein.

Diese gegensätzlichen Merkmale gleichzeitig in sich zu tragen, macht die menschliche Psyche zu einer Arena eines großen Kampfes, einer gewaltigen Prüfung.

Von der Logotherapie zur Spiritualität

Gibt es in der modernen Psychologie ähnliche Sichtweisen auf das menschliche Innenleben? Zwar zeigen sich bei der Kinderpsychologin und Psychoanalytikerin Melanie Klein – bekannt etwa durch ihr Werk „Neid und Dankbarkeit“ – gewisse Parallelen, doch besonders spürbar ist der Einfluss bei Viktor Frankl, der in unserem Land vor allem durch sein Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ (original: Man’s Search for Meaning) bekannt ist.

Frankl war der Begründer der Logotherapie, auch bekannt als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ – nach Freud und Adler. Seine zentrale These: Der Mensch ist gezwungen und verpflichtet, dem Leben einen Sinn zu geben. Wenn dieser Sinn fehlt, entsteht ein „existentielles Vakuum“, das zu psychischen Erkrankungen führen kann.

Frankl selbst überlebte die nationalsozialistischen Konzentrationslager; seine gesamte Familie – bis auf seine Schwester – wurde in Gaskammern ermordet. Auf Grundlage dieser extremen Erfahrungen entwickelte er die Logotherapie. Er beobachtete, dass Häftlinge, die trotz Alter oder Schwäche noch Zukunftspläne und eine innere Aufgabe empfanden, eine größere Überlebenschance hatten als junge, körperlich starke Männer, die jedoch keinen Lebenssinn mehr sahen – sie zerbrachen innerlich, nahmen sich das Leben oder starben unter den Bedingungen im Lager.

Für Frankl ist das größte psychologische Problem unserer Zeit der „Verlust des Sinns“ – die existenzielle Leere. Die menschliche Existenz gründet für ihn auf dem Streben nach Bedeutung; der Mensch will immer einen Sinn finden. Glück, so Frankl, ist nicht das direkte Ziel – es ist ein Nebenprodukt des Bemühens um Sinn.

Er schlägt drei Wege vor, wie man diesem Streben nach Sinn nachkommen kann:

  1. Durch ein Werk oder eine Leistung

  2. Durch das Erleben von Beziehungen oder Erfahrungen

  3. Durch die Haltung, die man gegenüber unvermeidlichem Leid einnimmt

Das Glück, sagt Frankl, wird sich einstellen – als Folge des erfüllten Sinns.

Frankl trifft sehr zutreffende Beobachtungen über die Sinnorientierung des Menschen und die Unausweichlichkeit des Leidens im Leben. Doch seine Sicht auf psychische Erkrankungen wirkt stark reduktionistisch. Seine beinahe kultische Verehrung des „Sinns“ erscheint befremdlich. Statt vom „Sinn“ im Allgemeinen zu sprechen, wäre es angemessener, von einem Sinnzusammenhang zu sprechen, der dem Menschen selbst und seinen Mitmenschen zum Guten gereicht.

Denn das Hauptproblem unserer Zeit ist nicht bloß eine vermeintliche Sinnleere, in der einige unglückliche Seelen zu ertrinken drohen – vielmehr ist es der Fanatismus, also eine Übersteigerung des Sinns, die die Welt in Atem hält. Doch unsere eigentliche Thematik ist nicht dieser Aspekt, sondern die theologische Grundlage von Frankls Denkweise, die in seinem Buch „Der unbewusste Gott“ dargelegt wird – ein Werk, das in der akademischen Welt erstaunlicherweise kaum Beachtung findet.

Frankl kritisiert Freuds Konzept des Unbewussten scharf, weil es die spirituelle Dimension des Menschen völlig außer Acht lässt. In Freuds Verständnis ist das Unbewusste ein chaotischer, fast dämonischer Ort, beherrscht von Trieben wie Sexualität und Aggression – eine Sphäre, die sich dem Bewusstsein und den sozialen Regeln entgegenstellt.

Frankl hingegen hält diese Sichtweise für unzureichend, weil sie das Spirituelle ausklammert. Für ihn liegt in den Tiefen des Unbewussten jedes Menschen ein tief verankerter religiöser Sinn. Deshalb zeigen sich auch göttliche Impulse wie „Glaube, Hoffnung und Liebe“ im menschlichen Unbewussten – sie bilden die andere Hälfte unseres inneren Begehrens. Religion und Psychologie lassen sich daher nicht mit scharfen Linien voneinander trennen. Die menschliche Existenzstruktur erhebt sich wie eine Pyramide von unten nach oben: Biologie, Psychologie, Noologie (Lehre vom Sinn) und an der Spitze Theologie – jede Schicht schließt die darunterliegende mit ein.

Gerade weil unser Unbewusstes Inhalte birgt, die uns direkt mit dem Schöpfer und dem Jenseits verbinden, konnte die Religion über Jahrhunderte hinweg ihre Kraft entfalten und auf den Menschen einwirken. Der grundlegende innere Konflikt des Menschen verlief stets zwischen seiner dämonischen und seiner spirituellen Seite. Hätte die Psychologie neben destruktiven Trieben wie Sexualität und Aggression auch „Glauben, Hoffnung und Liebe“ als grundlegende menschliche Tendenzen anerkannt, hätte sie viel mehr zum menschlichen Wohl beitragen können.

Ich persönlich habe versucht, den von Viktor Frankl in unserer Fachwelt eröffneten sinnzentrierten Pfad in meinem Buch „Hat das Leben einen Sinn?“ (Kapı Verlag) weiterzuentwickeln, von Fehlern zu befreien, seine philosophischen Wurzeln offenzulegen und die Entsprechungen in der muslimischen Kultur aufzuzeigen. In meinem darauffolgenden Werk „Psychologie, Existenz, Spiritualität“ habe ich das Streben nach Sinn im Leben als eine Dimension des „Spirituellen“ beschrieben und versucht, menschliche Existenz und Psyche aus dieser Perspektive zu betrachten.

Interessierte Leser können gerne auf diese Arbeiten zurückgreifen – doch eigentlich haben wir diesen Text begonnen, um eine gedankliche Grundlage für die Überwindung der Habgier zu skizzieren, die das dominante liberale Paradigma unserer Zeit prägt. Wir wollten jenen widersprechen, die ihre ökonomischen Theorien auf das Bild eines Menschen gründen, dessen Naturzustand ausschließlich von Reichtum, Gier und Geltungsdrang geprägt sei. Lassen Sie uns von hier aus fortfahren.

Eifer und Beharrlichkeit sind keine Gier

Wann immer von Eifer und Beharrlichkeit die Rede ist, muss auch immer konkret benannt werden, worin wir beharrlich und ausdauernd sein sollen. Unser Wunsch ist es, in solchen Tätigkeiten beharrlich zu sein, die auf das Gute ausgerichtet sind, die mit guter Absicht begonnen wurden – also in heilsamen, segensreichen Handlungen. Andernfalls kehrt sich der Effekt ins Gegenteil und dient nicht unserem Wohl.

Heutzutage ist eines der am häufigsten missverstandenen und dadurch abgenutzten Konzepte der Begriff des „Erfolgs“… Wenn wir von Erfolg sprechen, müssten wir eigentlich immer den jeweiligen Kontext mitbedenken. Doch heute wird von „Erfolg“ gesprochen, ohne zu fragen, in welchem Zusammenhang, zu welchem Zweck oder um welchen Preis dieser Erfolg erreicht wurde. Es scheint, als würde nur noch gelten: „Hauptsache erfolgreich – egal wie!“ Dabei ist die Definition von Erfolg stets kontextabhängig und individuell verschieden. Für uns Muslime sollte der wahre Maßstab für Erfolg darin liegen, gut zu sein, das Schlechte zu meiden und andere vom Schlechten abzuhalten.

Dies ist das Kriterium, nach dem wir alle unsere Taten messen sollten. Deshalb sollten wir das Gutsein, das Fernhalten vom Bösen, das Streben nach der Vermehrung des Guten und das Aktivieren der uns von unserem Schöpfer gegebenen Fähigkeiten für diesen Zweck als den wahren „Erfolg“ betrachten – und auch so benennen. Prüfungen bestehen, Abschlüsse erwerben, Karriere machen, Geld und Besitz anhäufen – all das kann nur dann als Erfolg gelten, wenn es diesem höheren Ziel dient. Andernfalls betrachten wir solche weltlichen Errungenschaften als nutzlos – und sollten das auch tun.

Eifer und Beharrlichkeit, die das Gute nicht fördern und das Böse nicht mindern, sind nicht nur nutzlos, sondern können der seelischen Reife sogar schaden. Deshalb machen wir im Alltagsgebrauch intuitiv eine Unterscheidung: Die Begriffe „Eifer“ und „Beharrlichkeit“ verwenden wir im positiven Sinn, so als wären sie dem Guten inhärent. Für negative, unerwünschte Anstrengung und Hartnäckigkeit hingegen verwenden wir andere Wörter wie „Gier“ und „Habgier“.

Gier und Habgier – klar, wir wissen, was damit gemeint ist. Aber es gibt auch eine obsessive, zwanghafte Form des Ehrgeizes, die man vielleicht als „pathologischen Ehrgeiz“ bezeichnen könnte – ein eifriger Aktionismus wie bei einer Biene, die keinen Honig produziert. Dieser Zustand geht oft mit einer psychischen Problematik einher: Die betroffene Person ist nie sicher, ob sie genug getan hat, versucht nicht andere, sondern ihren eigenen perfektionistischen Geist zu überzeugen.

Zwar ist dieser Zustand nicht so verbreitet wie Gier und Habgier, kommt aber dennoch bei einer nennenswerten Zahl von Menschen vor. Er verlangt danach, möglichst rasch durch hilfreiche Maßnahmen überwunden zu werden – Maßnahmen, die dabei helfen, Zweifel zu verringern und die eigene Zeit sinnvoller zu nutzen.

Wenn wir von einem solchen zwanghaften Eifer sprechen, drängt sich die Frage auf: Warum neigt unsere Psyche zu solchen nutzlosen Umwegen? Die Antwort ist schwierig – viele psychologische Theorien sind gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Antworten auf genau diese Frage entstanden. Wir wollen uns aber nicht in diesen Tiefen verlieren, sondern unsere Aussagen auf die Bereiche beschränken, die wir verstehen und für nützlich halten.

Die psychologischen Reaktionen, die wir auf die Schwierigkeiten und Belastungen des Lebens zeigen, nennt man „Coping-Strategien“ (Bewältigungsstrategien). Forscher unterscheiden dabei zwei Grundtypen: aktive und vermeidende Strategien, sowie problemorientierte und emotionsorientierte Bewältigung. Wenn jemand sich bemüht, eine angstauslösende Situation zu ändern – z. B. durch intensiveres Lernen gegen Prüfungsangst – spricht man von aktiver Bewältigung. Wer hingegen so tut, als gäbe es die belastende Situation nicht, verwendet eine vermeidende Strategie.

Zahlreiche Studien zeigen, dass aktive Bewältigungsstrategien in nahezu allen Lebenslagen wirksamer sind als vermeidende. Problemorientierte Strategien richten sich direkt auf die Beseitigung des Problems – z. B. bei finanziellen Schwierigkeiten durch die Suche nach neuen Einkommensquellen. Emotionsorientierte Strategien hingegen versuchen, die seelischen Auswirkungen des Problems zu lindern, etwa durch positive Gedankenspiele oder Perspektivwechsel.

Die Forschung zeigt: Wenn ein Problem lösbar ist, ist die problemorientierte Strategie am hilfreichsten. Doch in Situationen wie Tod oder Krieg – in denen eine Veränderung objektiv nicht möglich ist – erweisen sich emotionsorientierte Strategien als wirksamer.

Es reicht also nicht, sich nur mit Entschlossenheit auf den Weg zu machen.
Worauf und wie wir entschlossen sind, ist ebenso entscheidend. Unsere Leserinnen und Leser wissen es: Als Lebensprinzip formulieren wir das, was der verehrte Mehmet Akif als „Entschlossenheit und Gottvertrauen“ bezeichnet hat, in der Form von „Kampf und Hingabe“. Meiner Ansicht nach bildet die gleichzeitige Präsenz dieser beiden – also der dialektische Zusammenhang von Kampf und Hingabe – genau das, was im Koran immer wieder als „Sabr“ (Geduld/Ausdauer) erwähnt wird.

Erst wenn Eifer und Beharrlichkeit mit Sabr zusammengedacht werden, finden sie ihren rechten Platz.

Prof. Dr. Erol Göka

Prof. Dr. Erol Göka wurde 1959 in Denizli geboren. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. 1992 wurde er zum Dozenten für Psychiatrie ernannt, und 1998 übernahm er die Leitung der Psychiatrischen Klinik des Ankara Numune Ausbildungs- und Forschungskrankenhauses. Derzeit ist er für die Ausbildung und Verwaltung der Psychiatrischen Klinik der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität der Stadt Ankara verantwortlich. Er ist Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift Türkiye Günlüğü sowie vieler anderer wissenschaftlicher Zeitschriften aus den Bereichen Medizin und Geisteswissenschaften. Mit seinem Buch Türk Grup Davranışı (Türkisches Gruppenverhalten) wurde Erol Göka 2006 mit dem „Denker des Jahres“-Preis der Türkischen Schriftstellervereinigung ausgezeichnet, und 2008 erhielt er den „Ziya Gökalp Wissenschafts- und Förderpreis“ der Türkischen Gesellschaft.

Website: erolgoka.net
E-Mail: [email protected]

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