Eine neue Phase in der Iran-Israel-Spannung: Auf dem Weg zum Krieg?

Nach den israelischen Angriffen auf den Iran wurden verschiedene Szenarien diskutiert. Eines davon ist das Szenario eines umfassenden regionalen Krieges. Auch wenn dieses Szenario enorme Zerstörung mit sich bringen würde, gilt seine Wahrscheinlichkeit als gering. Denn das zerstörerischste, jedoch am wenigsten bevorzugte Szenario wäre, dass ein direkter Krieg zwischen Iran und Israel in einen vielschichtigen regionalen Konflikt mündet. In einem solchen Fall könnten die Hisbollah, schiitische Milizen im Irak, die Huthi-Rebellen im Jemen und sogar mit dem Iran verbundene Gruppen in Afghanistan aktiv werden. Zudem könnten die bisher zur Zurückhaltung aufrufenden Golfstaaten – die am meisten unter der Eskalation im Nahen Osten leiden würden – in diesem Szenario nicht neutral bleiben, da sie mit der Gefahr konfrontiert wären, dass US-Stützpunkte auf ihrem Boden ins Visier geraten.
Juni 16, 2025
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Der am 13. Juni 2025 von der israelischen Luftwaffe initiierte und als „Steigender Löwe“ bezeichnete Luftangriff stellt nicht nur eine militärische Operation dar, sondern markiert den Höhepunkt einer vielschichtigen Strategie, die darauf abzielt, die geopolitische Landkarte des Nahen Ostens grundlegend neu zu gestalten. Mit diesen völkerrechtswidrigen Angriffen hat Israel gezielt Irans nukleare Infrastruktur sowie die militärischen Entscheidungszentren ins Visier genommen. Der Zeitpunkt des Angriffs ist dabei höchst symbolisch und fällt mit einer innenpolitischen Zäsur zusammen: Am selben Tag konnte die Koalitionsregierung von Premierminister Netanyahu in letzter Minute die Auflösung des Parlaments verhindern, nachdem die Streitfrage über die Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden fast zur Regierungskrise geführt hatte. Damit versuchte die Führung in Tel Aviv, die innenpolitische Fragilität durch außenpolitische Aggression zu kompensieren. Zugleich fällt die Operation zeitlich mit dem Auslaufen des 60-tägigen Ultimatums der USA an den Iran in Bezug auf das Atomabkommen zusammen. Nachdem die Aussicht auf ein Abkommen erloschen war, erscheint Israels Angriff als eine Art „präventiver Schlag“. Mit diesem völkerrechtlich äußerst umstrittenen Konzept der Präventivschläge versucht Tel Aviv, seine Aggression zu legitimieren, und argumentiert, dass Iran bei der Urananreicherung eine „irreversible Schwelle“ überschritten habe. Auch wenn Israel versucht, seine beispiellose Aggression mit solchen Aussagen zu rechtfertigen, machen die getroffenen Ziele und die gezielt ausgeschalteten Personen deutlich, dass es um weit mehr geht: Die Tötung von Irans Generalstabschef Mohammed Bagheri, dem Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden (IRGC) Generalmajor Hossein Salami sowie dem Kommandeur des Hauptquartiers Khatam al-Anbiya, General Gholam Ali Rashid, zeigt, dass das militärisch-strategische Herz des Regimes getroffen wurde. Der Tod von Brigadegeneral Amir Ali Hajizadeh, Kommandeur der Luft- und Raumfahrtkräfte der Revolutionsgarden, offenbart darüber hinaus, dass Irans Abschreckungskapazität im Bereich Drohnen und Raketen erheblich geschwächt wurde. Die gezielte Ausschaltung von Nuklearwissenschaftlern schließlich verweist auf den technischen Charakter des Angriffs und legt eine tiefgreifendere Agenda offen, die sich gegen das iranische Atomprogramm richtet.

Die Bedeutung des Angriffs

Die israelischen Luftangriffe auf den Iran offenbaren das Ausmaß, das Israels nachrichtendienstliche und operative Präsenz innerhalb des Iran mittlerweile erreicht hat. Die gezielten Tötungen von Mohsen Fakhrizadeh im Jahr 2020, Oberst Hassan Sayyad Khodaei im Jahr 2022 und Hamas-Führer Ismail Haniyeh bei einem Angriff in Teheran im Jahr 2024 belegen die strukturellen Schwächen innerhalb des iranischen Sicherheitsapparates sowie die tiefe Durchdringung Israels in das iranische Staatsgefüge. Im Gegensatz dazu verfügt der Iran über keine vergleichbare operative Kapazität innerhalb Israels. Stattdessen versucht Teheran, durch Stellvertreter wie die Hisbollah, die Huthi-Rebellen oder schiitische Milizen im Irak Druck von außen aufzubauen. Dieses asymmetrische Kräfteverhältnis beeinflusst nicht nur den operativen Erfolg auf dem Schlachtfeld, sondern auch den Kampf um Deutungshoheit und Legitimität. In der westlichen Öffentlichkeit wird Israel trotz des Völkermords in Gaza und völkerrechtswidriger Angriffe auf den Iran weiterhin als „bedrohtes Opfer“ wahrgenommen, während der Iran als „aggressives Regime mit nuklearen Ambitionen“ dargestellt wird. Die Wettläufe amerikanischer Senatoren um Solidaritätsbekundungen für Israel, die Betonung des „Rechts auf Selbstverteidigung“ durch europäische Politiker sowie die stille Unterstützung der NATO verstärken diese gezielte Wahrnehmungslenkung.

Die iranische Reaktion auf den Angriff fiel begrenzt aus und bestand im Wesentlichen aus Raketen- und Drohnenangriffen aus mehreren Städten. Diese Angriffe wurden größtenteils durch Israels Luftabwehrsysteme „Iron Dome“ und „David’s Sling“ neutralisiert. Einige Raketen und Drohnen durchbrachen zwar das Abwehrsystem und schlugen in Städten wie Tel Aviv und Bat Yam ein, verursachten dort auch Opfer und Schäden. Dabei wurde öffentlich, dass Israel militärische Ausrüstung und Luftabwehrsysteme innerhalb ziviler Wohngebiete stationiert hatte. Obwohl der Iran Verluste auf israelischer Seite verursacht hat, blieben seine Vergeltungsangriffe in ihrem Ausmaß hinter jenen Israels zurück – sie trafen weder die militärische Führungsebene noch nukleare Anlagen oder kritische Energieinfrastruktur. Die Gründe für Irans geringere Schlagkraft liegen in seiner unzureichenden Luftabwehr, der Schwächung seiner Stellvertreternetze sowie in der klaren Unterstützung des Westens für Israel. Strategische Partner wie Russland und China haben dem Iran in dieser Krise kaum nennenswerte Rückendeckung gewährt. Dies offenbart, dass in Irans außenpolitischem Bündnissystem eher ein isolierender Pragmatismus als echte Solidarität vorherrscht. Zudem haben Irans Stellvertreterstrukturen in jüngster Zeit schwere Rückschläge erlitten. Der Verlust von Führungspersönlichkeiten der Hisbollah im Herbst 2024, der Zusammenbruch des Assad-Regimes in Syrien sowie die Einschränkung schiitischer Milizen im Irak haben die strategische Tiefe von Irans „Widerstandsachse“ erheblich verringert. In diesem Kontext wirkt Teherans Strategie, Zeit zu gewinnen und regionale Allianzen neu auszurichten, sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch zunehmend fragil.

Die Folgen des israelischen Angriffs im Inneren Irans deuten auf eine neue Legitimationskrise für das Regime hin. Insbesondere in den sozialen Medien werden Sicherheitslücken, nachrichtendienstliche Versäumnisse und unzureichender Schutz der politischen und militärischen Elite scharf kritisiert – ein besorgniserregendes Signal für die gesellschaftliche Basis des Regimes. Der iranische Inlandsgeheimdienst stellt zunehmend die Möglichkeit von Informationslecks oder die Infiltration durch Agenten in den eigenen Reihen infrage, was wiederum innerfraktionelle Spannungen innerhalb des politischen Establishments verschärft. In Verbindung mit strukturellen Problemen wie der anhaltenden Wirtschaftskrise, westlichen Sanktionen, hoher Inflation und Jugendarbeitslosigkeit wird selbst angesichts externer Bedrohungen die Fähigkeit des Regimes, als „Schutzmacht“ des Landes zu fungieren, öffentlich infrage gestellt. Diese Entwicklung untergräbt gleichzeitig die innere Kohärenz des Systems und seine Fähigkeit, nach außen Widerstand zu leisten. Das Regime sieht sich somit mit einem doppelten Erosionsprozess konfrontiert – der sowohl seine innenpolitische Stabilität als auch seine außenpolitische Handlungsfähigkeit betrifft.

Nukleare Rhetorik

Ein zentrales Argument, das Israel zur Legitimierung seiner Angriffe gegen den Iran anführt, ist der Vorwurf, Teheran arbeite an der Entwicklung von Atomwaffen. Doch diese Behauptung ist sowohl historisch als auch technisch umstritten. Berichten US-amerikanischer Geheimdienste zufolge hat der Iran sein militärisches Atomprogramm bereits 2003 eingestellt. Der Iran ist nach wie vor Vertragsstaat des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) und gewährt der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Zugang zu seinen nuklearen Anlagen. Im Gegensatz dazu hat Israel weder den Besitz von Atomwaffen eingeräumt noch dementiert, ist dem NPT nie beigetreten und verweigert jegliche internationale Kontrolle seines Atomprogramms. Diese asymmetrische Lage offenbart nicht nur eine rechtliche Inkongruenz, sondern auch eine strukturell verankerte geopolitische Privilegienordnung. Während Israels Nukleararsenal weitgehend ignoriert wird, wird selbst Irans zivile Nuklearkapazität kriminalisiert. Dieser doppelte Standard untergräbt die Legitimität der globalen Nuklearordnung und entzieht dem Diskurs eines regelbasierten internationalen Systems zunehmend die Glaubwürdigkeit.

Zukünftige Szenarien

Nach den israelischen Angriffen auf den Iran werden derzeit verschiedene Szenarien diskutiert. Das erste Szenario ist ein umfassender regionaler Krieg – ein hoch destruktiver Verlauf, dessen Wahrscheinlichkeit jedoch als eher gering eingeschätzt wird. Es wäre das extremste und am wenigsten bevorzugte Szenario, in dem ein direkter Iran-Israel-Krieg in einen mehrfrontigen regionalen Konflikt eskalieren könnte. In einem solchen Fall könnten Akteure wie die Hisbollah, schiitische Milizen im Irak, die Huthi-Rebellen im Jemen oder sogar iranisch verbundene Gruppen in Afghanistan aktiv werden. Zudem könnten die bisher zurückhaltenden Golfstaaten, die besonders unter einer Eskalation im Nahen Osten leiden würden, durch das Risiko von Angriffen auf US-Militärbasen zur Parteinahme gezwungen werden. Sollten diese Staaten sich auf die Seite der USA stellen – von deren Militärbasen aus sie sicherheitspolitisch unterstützt werden – könnten sie selbst zu Zielen iranischer Vergeltungsschläge werden. Dieses Szenario stellt ein enormes Risiko für die Stabilität der Golfmonarchien dar, die es unbedingt vermeiden wollen. Ein solcher Krieg hätte nicht nur verheerende humanitäre Konsequenzen mit Millionen Betroffenen, sondern könnte auch zu heftigen Turbulenzen auf den Energiemärkten und zu einer globalen wirtschaftlichen Rezession führen. Dass große Mächte wie die USA und China ein solches Szenario aktiv zu verhindern suchen, reduziert jedoch dessen Wahrscheinlichkeit. Das zweite und deutlich wahrscheinlichere Szenario ist eine kontrollierte Eskalation ohne direkten Krieg – geprägt von verdeckter Kriegsführung, Cybersabotage und begrenzten Geheimdienstoperationen. Dieses Muster ist seit den 2010er-Jahren bereits bekannt, etwa durch Irans militärische Präsenz in Syrien und Israels gezielte Tötungen von Schlüsselpersonen. Allerdings produziert dieses Modell keine stabile Ordnung, sondern hält eine chronische Konfliktlage aufrecht, die durch unkontrollierbare Handlungen von Stellvertretern jederzeit in eine offene Konfrontation umschlagen kann. Diese fragile Balance birgt somit weiterhin ein hohes Eskalationspotenzial.

Das dritte Szenario – und jenes, das Israel seit dem 7. Oktober 2023 aktiv vorantreibt – besteht in einer direkten militärischen Beteiligung der Vereinigten Staaten am Konflikt. In dieser Phase könnte Washington seine Verteidigungssysteme in der Golfregion verstärken, seine militärische Präsenz im östlichen Mittelmeer und im Golf von Oman ausbauen und die Unterstützung Israels in Form von Munition, Geheimdienstinformationen und logistischen Kapazitäten intensivieren. Mit der Zeit könnte diese Unterstützung in gezielte Luftschläge oder technische Angriffe auf Ziele innerhalb Irans übergehen. Ein solches Szenario hätte weitreichende geopolitische Konsequenzen – nicht nur auf regionaler, sondern auch auf globaler Ebene. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und dem Iran würde Russland und China zwingen, ihre strategischen Interessen im Nahen Osten neu zu bewerten. Europa wiederum sähe sich gezwungen, seine Energiepolitik und Sicherheitsstrategie grundlegend zu überarbeiten. Trotz dieser potenziellen Dynamik erscheint das zweite Szenario – eine kontrollierte Eskalation unterhalb der Kriegsschwelle – unter den aktuellen Bedingungen nach wie vor als das wahrscheinlichste. Sobald das Eskalationsklima, das durch Israels Erstschlag und Irans begrenzte Vergeltung entstanden ist, einen Sättigungspunkt erreicht hat, könnten Vermittlungsakteure wie Katar oder Oman eine Phase kalkulierter Deeskalation einleiten.

Fazit

Der israelische Luftschlag vom 13. Juni 2025 markiert eine neue Phase des Konflikts, in der Israel das Stadium der Stellvertreterkriege hinter sich gelassen und sich direkt gegen das Machtzentrum des iranischen Regimes gewandt hat. Tel Aviv verfolgt mit dieser Offensive mehrere Ziele zugleich: die Überwindung innenpolitischer Krisen, das Ablenken von den Kriegsverbrechen im Gazastreifen und die demonstrative Etablierung regionaler militärischer Dominanz. Die uneingeschränkte militärische, diplomatische und rhetorische Unterstützung des Westens war dabei der entscheidende Faktor, der diesen Angriff erst ermöglicht hat. Auf der Gegenseite steht der Iran in einem strategischen Dilemma: Die Unfähigkeit, Israel eine gleichwertige Antwort zu geben, kombiniert mit inneren Sicherheitsmängeln und einer wachsenden Legitimationskrise, schwächt seine Position erheblich. Die bisher verfolgte Strategie der „zeitlich gestreckten Reaktion“ verliert angesichts der sich verändernden Lage auf dem Schlachtfeld und der schwindenden gesellschaftlichen Rückendeckung zunehmend an Wirksamkeit. Die Spielregeln asymmetrischer Kriegsführung scheinen sich inzwischen gegen den Iran zu wenden. Gelingt es Teheran nicht, diesen Trend umzukehren, könnte sich im Nahen Osten eine neue Ordnung etablieren – eine Ordnung, in der Israel de facto über unbegrenzte Handlungsfreiheit verfügt, während der Iran international zunehmend isoliert wird.

Dr. Mehmet Rakipoğlu

Dr. Mehmet Rakipoğlu schloss 2016 sein Studium im Bereich Internationale Beziehungen an der Sakarya Universität ab. Seine Dissertation mit dem Titel „Verteidigungsstrategie in der Außenpolitik: Die Beziehungen Saudi-Arabiens zu den USA, China und Russland nach dem Kalten Krieg“ wurde erfolgreich abgeschlossen. Rakipoğlu arbeitete als Direktor für Türkei-Studien am Mokha Center for Strategic Studies und ist derzeit Dozent an der Abteilung für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Mardin Artuklu Universität.

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