Kaja Kallas: Das Gesicht Europas – zwischen selbstsabotierender Haltung gegenüber China und selbstverleugnender Bewunderung für Amerika
Europa betreibt heute eine Diplomatie, die keine Ergebnisse liefert. Politiken werden nicht entworfen, um Interessen zu schützen, sondern um Tugend zu signalisieren oder eine verzweifelte transatlantische Loyalität zu demonstrieren.
Was dabei entsteht, ist keine Wirkung, sondern eine Illusion – gelenkt von theatralischen Posen, improvisierter Autorität und von Akteuren, die Rollen übernehmen, wie sie in keiner nationalen oder internationalen Vereinbarung vorgesehen sind. Diese Struktur spricht im Namen einer Union, die sie nicht befehligen kann, tritt Feinden gegenüber, die sie nicht abschrecken kann, und predigt Werte, die sie im Inneren selbst nicht umzusetzen vermag. Das Resultat ist eine Simulation von Geopolitik – ohne Fähigkeit zur Gestaltung.
Das offensichtlichste Beispiel dafür ist Kaja Kallas. In wenigen Monaten hat sie das ihr übertragene Amt als EU-Außenbeauftragte in sein Gegenteil verkehrt und die Union mit konfrontativen Positionen auf die globale Bühne geführt – Positionen, die jene Interessen untergraben, die sie eigentlich verteidigen sollte.
Während die USA Europa mit Strafzöllen belegen, sich regelmäßig über EU-Führungspersonen lustig machen oder Visaeinschränkungen gegen Beamte verhängen, die angeblich die Meinungsfreiheit unterdrücken, beugt sich Europa den Schikanen Washingtons – und lehnt gleichzeitig chinesische Kooperationsangebote ab.
Diese diplomatische Umkehrung ist so surreal, dass sie wie Satire wirkt – doch sie prägt in Echtzeit die europäische Außenpolitik.
Dies ist nicht der Fehler einer fehlgeleiteten Einzelperson. Es ist ein Spiegel des Systems, das sie ermöglicht hat. Kallas ist die kristallisierte Verkörperung Europas institutionellen Verfalls – Architektin und zugleich Produkt eines Gebildes, das Außenpolitik aus juristischen Leerstellen improvisieren und Erklärungen veröffentlichen kann, die weder von den Mitgliedstaaten gebilligt noch anerkannt werden.
In einem funktionierenden System wäre dies Performancekunst. Im heutigen Europa gilt es als Staatsführung.
Der Verfall begann lange vor ihrer Ernennung. Seit 2019 taumelt die Europäische Kommission ohne klare Strategie oder verfassungsmäßige Kompetenz durch das geopolitische Feld – eingeengt von einem präsidial geführten Verwaltungsstil, widersprüchlichen China-Positionen und einer pathologischen Abhängigkeit von den USA.
Das Resultat ist nicht bloß Unfähigkeit, sondern ein vollständiger institutioneller Rückzug. Diplomatie wird daraufhin neu aufgeführt – als avantgardistisches Theater: laut, selbstreferenziell und immun gegen Verantwortung.
Eine diplomatische Tragödie in fünf Akten
In den folgenden fünf Akten wird Europas Wandlung von einer außenpolitischen Macht zu einer Bühne geopolitischer Satire beleuchtet.
Akt I: Die Doktrin des „China-Durcheinanders“Der Auftakt erfolgte im Oktober 2024 bei der Sitzung zur Ernennung Kaja Kallas’ – ab diesem Moment begann das diplomatische Drama. Kallas bezeichnete China als „teilweise böswillig“ und wiederholte die Argumente Washingtons gegenüber Peking – ohne Beweise, ohne Nuancen.
Sie sperrte China in eine Grauzone zwischen Bedrohung und Wettbewerb, die allein durch das atlantische Bündnis kontrollierbar sei.
Doch als Trump zurückkehrte und der transatlantische Einklang über Nacht zerfiel, sprach Brüssel plötzlich in einem politischen Dialekt, den niemand mehr verstand – auch nicht die EU selbst.
Akt II: Die Demütigung von München
Die nächste Szene war unausweichlich. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 verspottete US-Vizepräsident JD Vance die Bedeutungslosigkeit Europas – mitten unter den europäischen Spitzenpolitikern.
Die Reaktion? Schweigen.
Kallas trat daraufhin mit verzweifeltem Pathos vor die Presse:
„Anscheinend versucht Amerika, einen Streit mit Europa vom Zaun zu brechen“, sagte sie, um dann anzufügen:
„Die freie Welt braucht eine neue Führung. Diese Herausforderung liegt bei uns Europäern.“
Ein Vorschlag, der unter dem Gewicht seiner eigenen Absurdität zusammenbrach – durchdrungen von Wunschdenken, Feigheit und diplomatischem Pflichtversagen.
München zeigte: Europa war zum Gast auf einer längst beendeten Party geworden – ohne zu merken, dass das Licht schon aus war.
Akt III: Die Beleidigung von Washington
Ende Februar 2025 reiste Kallas nach Washington, um die transatlantische Partnerschaft zu bekräftigen.
Stattdessen verweigerte Außenminister Marco Rubio demonstrativ ein Treffen – obwohl Kallas bereits in der Stadt war.
Ein diplomatischer Affront ohne Beispiel.
Was Brüssel noch immer für „Koordination“ hielt, war nun offensichtlich nur noch „Betteln“.
Die Demütigung war nicht persönlich, sondern didaktisch: Die USA hatten die Phase des Ignorierens hinter sich gelassen und waren dazu übergegangen, Europa seine Bedeutungslosigkeit aktiv beizubringen.
Akt IV: Die Illusion von Einheit in Singapur
Auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur erklärte Kallas:
„Wer sich um China sorgt, muss sich auch um Russland sorgen.“
Damit malte sie das Bild eines vereinten Gegners – China und Russland als eine gemeinsame, epochale Bedrohung.
Peking beschuldigte sie mit moralischer Entrüstung, die russische Kriegsmaschinerie zu unterstützen – gleichzeitig blendete sie jedoch Europas eigene Mitverantwortung systematisch aus.
Wie EU-Energiekommissar Dan Jørgensen kürzlich einräumte, haben die EU-Staaten seit Beginn des Ukrainekriegs russische fossile Brennstoffe in einem Umfang importiert, der dem Wert von 2.400 F-35-Kampfjets entspricht.
Wenn jemand Putins Kriegskasse gefüllt hat, dann offenbar Europa selbst.
Doch statt sich dieser unbequemen Rechnung zu stellen, richtet sich die Anklage – mit dem Selbstbewusstsein dessen, der nie seine eigenen Quittungen geprüft hat – nach außen.
Akt V: Ignorierte Realitäten und selektive Empörung
Die von Kallas beschworene monolithische Einheit zwischen China und Russland ist in Wirklichkeit von Spannungen durchzogen:
Moskau ärgert sich über Pekings mangelnde Bereitschaft, nicht-energetische Güter zu importieren, und fürchtet die Überflutung seines Markts durch chinesische Produkte.
Peking wiederum lehnt regelmäßig Russlands nukleare Drohungen ab.
Doch diese Komplexität stört die Inszenierung. Um das Narrativ aufrechtzuerhalten, muss Kallas sowohl Widersprüche unter Gegnern als auch Versäumnisse unter Partnern konsequent ausblenden.
Denn: Fakten dürfen keine gute Schlagzeile verderben.
Noch gravierender ist, dass Brüssel sich auf Chinas Rolle im Russlandkrieg fixiert, während die enge militärische und wirtschaftliche Verbindung zwischen Moskau und Neu-Delhi kaum thematisiert wird.
Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gingen im Zeitraum 2020–2024 ganze 38 % der russischen Rüstungsexporte nach Indien – kein anderer Staat kaufte mehr.
Diese Exporte umfassen sowohl Systeme, die an anderer Stelle als destabilisierend gelten würden, als auch Lieferungen, die dazu beitragen, die Wirkung der gegen Russland verhängten wirtschaftlichen Isolation zu mildern. Während all dies geschah, entsandte die Europäische Kommission im vergangenen Februar mit 21 Kommissaren ihre bisher größte diplomatische Delegation nach Neu-Delhi – vermied es dabei jedoch ausdrücklich, auf Indiens wachsende Beziehungen zu Moskau oder auf die prekäre Lage der Menschenrechte vor Ort einzugehen.
All das wird schlicht ignoriert, weil es nicht zum Narrativ Brüssels passt. Indien zu hinterfragen würde die indo-pazifischen Fantasien der EU verkomplizieren; Indien zu konfrontieren würde die Widersprüchlichkeit einer Strategie offenlegen, die China als Bedrohung und Indien – trotz ähnlichen Verhaltens gegenüber Russland – als Partner einstuft. Das Problem liegt also nicht im Ausmaß des Drucks, sondern in der selektiven Wahrnehmung.
Akt V: „Tiroler Theater“ markiert den logischen Endpunkt – den finalen Akt voller opernhafter Absurdität. Die EU veranstaltet gemeinsam mit Chinas Außenminister Wang Yi eine Show zum Thema „mehrsprachige Bildung“ in Tirol. Laut Finbarr Bermingham von der South China Morning Post ist das Ziel, Europas angebliche Toleranz gegenüber Sprachen den vermeintlich „repressiven“ Sprachpolitiken Chinas in Tibet und Xinjiang gegenüberzustellen.
In diesem surrealen Stück spielt Kaja Kallas die Hauptrolle; gleichzeitig drängt Spaniens Premierminister Sánchez darauf, Katalanisch, Baskisch und Galicisch zu offiziellen EU-Sprachen zu machen – obwohl alle Beteiligten fließend Spanisch sprechen. Dieser Schritt hat nichts mit Sprachrechten zu tun, sondern dient dazu, Sánchez’ Macht durch einen Deal mit einem flüchtigen Separatistenführer zu sichern – obwohl Spaniens eigene Verfassung diese Sprachen nicht als Amtssprachen anerkennt.
Die Parallele ist offensichtlich: Was Sánchez innerhalb der EU betreibt, betreibt Kallas außerhalb – sie politisieren Institutionen nicht im Dienste europäischer Interessen, sondern zur Festigung ihres persönlichen Einflusses. Die Logik ist dieselbe, der Maßstab ist ein anderer.
Der Russland-Ukraine-Krieg hat diese Parallele offengelegt und das theatrale Vakuum im Kern der europäischen Diplomatie entblößt. Kallas hätte die Gelegenheit gehabt, durch die Unterstützung eines glaubwürdigen Friedensprozesses eine ernstzunehmende Stimme zu werden. Stattdessen machte Trump den ersten Schritt. Ihre konfliktreiche Haltung entspringt weniger ihrer aktuellen Verantwortung als vielmehr Estlands historischer Traumatisierung – was ihre Unfähigkeit unterstreicht, Europa als Ganzes zu vertreten.
Sánchez ist da nicht anders. Seit Beginn des Krieges hat Spanien 6,9 Milliarden Euro für russische Energie ausgegeben – fast das Siebenfache der 1 Milliarde Euro, die als Militärhilfe an die Ukraine zugesagt wurde. Dennoch hielt dies den spanischen Premierminister nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für Fotos zu posieren. Nach der eigenen Logik Brüssels bedeutet das: Für jeden Euro, den Spanien an Kiews Widerstand sendet, fließen sieben Euro an den Aggressor.