Der jüngste Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu in Washington war keine gewöhnliche Reise.
Unter israelischen Analysten – abgesehen von einigen wenigen treuen Unterstützern – herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass Netanyahu nicht eingeladen wurde, sondern vielmehr vom US-Präsidenten Donald Trump einbestellt wurde.
Alle Hinweise deuten darauf hin, dass diese Einschätzung zutrifft. Netanyahu hat seine Reisen in die USA häufig als Gelegenheit genutzt, seine hervorgehobenen Beziehungen zu verschiedenen US-Regierungen zu präsentieren und sein Image als starker Mann Israels im Rahmen einer „Hasbara“-Kampagne (pro-israelische Öffentlichkeitsarbeit) zu festigen – stets begleitet vom großen Medienrummel in Israel.
Diesmal jedoch fehlte jegliche derartige Inszenierung. Netanyahu erfuhr von Trumps Einladung während eines offiziellen Besuchs in Ungarn. Dort wurde er vom ungarischen Präsidenten Viktor Orbán mit überschwänglichen diplomatischen Ehren empfangen – ein offenes Signal der Herausforderung gegenüber der internationalen Verurteilung Netanyahus als mutmaßlichem Kriegsverbrecher, der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gesucht wird. Orbáns Auftritt sollte Netanyahu als mehr darstellen als nur den isolierten Führer eines zunehmend geächteten Staates.
Der Höhepunkt von Netanyahus kurzem „Siegzug“ in Ungarn war Orbáns Ankündigung, dass sich Ungarn aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückzieht – ein Schritt, der äußerst beunruhigende Folgen haben könnte.
Netanyahu hätte den Washington-Besuch leicht dazu nutzen können, von seinem gescheiterten Krieg in Gaza und den inneren Unruhen in Israel abzulenken. Doch wie ein arabisches Sprichwort sagt: „Der Wind weht oft entgegen den Wünschen des Schiffs.“
Die Annahme, dass Netanyahu eher einberufen als eingeladen wurde, wird auch durch Berichte in den israelischen Medien gestützt, wonach er versuchte, den Besuch unter verschiedenen Vorwänden zu verschieben. Dies gelang ihm jedoch nicht – schließlich musste er zu dem von Washington vorgegebenen Termin in die US-Hauptstadt reisen.
Zunächst hieß es, es werde keine gemeinsame Pressekonferenz geben – was Netanyahu die Bühne genommen hätte, um seine unerschütterliche Unterstützung für die militärischen Aktionen Washingtons zu betonen und die „besondere Beziehung“ zwischen beiden Ländern herauszustellen.
Letztlich fand jedoch eine Pressekonferenz statt – geprägt vor allem von Trumps widersprüchlichen Aussagen und seiner typischen Rhetorik. Netanyahu hielt eine kurze Rede und bemühte sich, die selbstbewusste Körpersprache früherer Besuche in Washington zu imitieren, bei denen er sich mit gespreizten Beinen und geradem Rücken wie ein Kommandant präsentierte. Doch diesmal verriet ihn seine Körpersprache: Sein Blick schweifte nervös umher, insbesondere als Trump ankündigte, dass die USA bald direkte Gespräche mit dem Iran im Oman aufnehmen würden. Netanyahu wirkte angespannt und sichtlich überrascht.
Trump sprach zudem davon, dass der Krieg im Gazastreifen beendet werden müsse – doch es war die Iran-Ankündigung, die Netanyahu offenbar erschütterte. Er versuchte verzweifelt, seine Aussagen an Trumps Ton anzupassen, und verwies dabei auf die Abrüstung Libyens unter Muammar al-Gaddafi – ein Thema, das nie Teil eines offiziellen israelischen Regionalplans gewesen war.
Israel hatte stets auf eine militärische Intervention der USA gegen den Iran gedrängt – obwohl eine solche Aktion die gesamte Region destabilisieren und die USA mit nahezu völliger Sicherheit in einen noch langwierigeren und zerstörerischeren Konflikt stürzen würde als der Irakkrieg von 2003.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass sich die USA von Israels regionalen Zielen – die auf dauerhaftem Krieg, Gebietserweiterung und geopolitischer Vorherrschaft basieren – entfernen, ist die Tatsache, dass zentrale politische und intellektuelle Figuren unter Trump die Sinnlosigkeit solcher Konflikte zunehmend anerkennen.
In durchgesickerten Nachrichten auf der verschlüsselten Plattform Signal äußerte JD Vance, dass eine Eskalation des Kriegs im Jemen nicht den Vereinigten Staaten nütze, sondern vielmehr Europa, das sich wirtschaftlich von den USA entkoppelt (decoupling) und möglicherweise in einen Handelskrieg abgleitet.
Der Krieg im Jemen wird – ebenso wie ein möglicher Konflikt mit dem Iran – weithin als im Interesse Israels geführt wahrgenommen. Prominente Kommentatoren wie Tucker Carlson bringen die wachsende Enttäuschung unter konservativen Intellektuellen in den USA zum Ausdruck. Carlson twitterte: „Jeder, der einen Konflikt mit dem Iran befürwortet, ist kein Verbündeter der USA, sondern ein Feind.“
Inwieweit Trump bereit ist, Netanyahus Politik offen herauszufordern, bleibt unklar. Seine widersprüchlichen Aussagen – etwa einerseits die Beendigung des Krieges in Gaza zu fordern, andererseits aber die Vertreibung der Palästinenser zu unterstützen – verstärken diese Unsicherheit zusätzlich.
Neueste Berichte deuten jedoch darauf hin, dass die USA entschlossen sind, den Krieg in Gaza zu beenden, und dies als Teil einer umfassenderen Strategie betrachten, die auch den Jemen, den Libanon und den Iran umfasst. Diese Strategie steht im Einklang mit Washingtons Bemühungen, die Region zu stabilisieren, während es sich auf eine neue Phase des Wettbewerbs mit China vorbereitet – und erfordert umfassende wirtschaftliche, politische und militärische Vorkehrungen.
Sollte es Trump gelingen, was anderen bislang nicht gelungen ist – wird Netanyahu dann schließlich dem amerikanischen Druck nachgeben?
Im Jahr 2015 sprach Netanyahu vor beiden Kammern des Kongresses und demonstrierte den einzigartigen Einfluss Israels auf die US-amerikanische Außen- und Innenpolitik. Trotz einiger geringfügiger Proteste wurde er von Republikanern und Demokraten gleichermaßen mit begeistertem Applaus empfangen – selbst als er den damaligen Präsidenten Barack Obama kritisierte, der der Rede fernblieb und von seiner eigenen politischen Klasse isoliert schien.
Doch wenn Netanyahu glaubt, diesen Moment noch einmal erleben zu können, irrt er sich. Diese Zeiten sind vorbei. Als populistischer Führer muss Trump im Kongress kein politisches Gleichgewicht mehr wahren. Nun, in seiner zweiten und letzten Amtszeit, könnte er theoretisch die tief verwurzelte Abhängigkeit der USA von Israels Zustimmung und der aggressiven Lobby in Washington aufgeben.
Zudem ist Netanyahus politisches Ansehen geschwächt. Er gilt zunehmend als gescheiterter politischer Führer und militärischer Stratege – unfähig, entscheidende Siege zu erringen oder seinen Gegnern politische Zugeständnisse abzuringen. Er erscheint als führungsloser Anführer ohne klaren Plan, dessen Legitimität ernsthaft infrage gestellt wird.
Letztlich hängt das Ergebnis davon ab, wie bereit Trump ist, Netanyahu die Stirn zu bieten. Falls er es tut und den Druck aufrechterhält, könnte sich Netanyahu in der wenig beneidenswerten Position wiederfinden, eine der wenigen historischen Ausnahmen zu verkörpern – in denen die USA die Bedingungen diktieren und Israel gezwungen ist, zuzuhören. Die Zeit wird es zeigen.