Warum sich die öffentliche Meinung in den USA über Israel verändert

Die zerfallende Illusion

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten beginnt die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten – und im Westen insgesamt – Israels Kriege und Besatzung so zu sehen, wie sie wirklich sind: als systematische Akte der Ungerechtigkeit, angetrieben von Böswilligkeit und Straflosigkeit. Die sozialen Medien haben die gewohnte Weißwaschung des Mainstreams aufgehoben und die sorgfältig konstruierten Narrative entlarvt, die Israel als Opfer und die Palästinenser als gesichtslose Angreifer darstellten.

Anfangs wurde dieser Stimmungswandel in der Öffentlichkeit als vorübergehende Welle jugendlicher Online-Wut abgetan. Andere Vertreter der zionistischen Struktur ignorierten ihn völlig – gestützt auf eine Arroganz, die aus Jahrzehnten unangefochtener Kontrolle über die westlichen Medien gewachsen war. Sie glaubten, ihre Macht über die traditionelle Presse und die politischen Entscheidungsträger mache die öffentliche Meinung bedeutungslos; ihre „raffinierte“ Propaganda werde die Menschen immer wieder in die eigenen Reihen zurückführen. Was die israelischen Befürworter nicht erkannten: Diesmal hatte sich etwas Grundlegendes verändert. Menschen hatten direkten Zugang zu ungefilterten Bildern, Augenzeugenberichten und Stimmen aus Gaza – und keine Manipulation konnte das mehr auslöschen.

Neueste Umfragen bestätigen, wie tiefgreifend dieser Wandel ist. Harry Enten, leitender Datenanalyst bei CNN, verwies auf aktuelle Erhebungen von Quinnipiac und der New York Times: Während im Oktober 2023 die Wähler Israel noch mit +48 Punkten gegenüber den Palästinensern bevorzugten, liegt nun erstmals eine Sympathie für die Palästinenser mit +1 Punkt vorn. Enten bezeichnete dies als das „erste Mal“ seit Beginn der Umfragen in den 1980er-Jahren, dass Palästinenser in der US-amerikanischen Öffentlichkeit einen Vorsprung erzielen. Am deutlichsten zeigt sich diese Verschiebung unter den Demokraten: Sie wechselten in nur zwei Jahren von einer Unterstützung Israels um +26 Punkte zu einer Unterstützung der Palästinenser um +46 Punkte – ein Umschwung von 72 Punkten. Selbst unter Republikanern zeigen sich tiefe Generationenunterschiede: Wähler unter 50 Jahren unterstützen Israel deutlich weniger als ältere Generationen.

Was die Architekten der „gelenkten Zustimmung“ im zionistischen Establishment nicht begreifen, ist, dass dieser Wandel nicht vorübergehend ist. Es handelt sich um eine generationelle und moralische Neuausrichtung. Junge Amerikanerinnen und Amerikaner betrachten Israels Handeln ohne die Last der Schuldnarrative, die die westliche Politik nach dem Zweiten Weltkrieg prägten. Sie gehören einer globalen Generation an, die außerhalb der 17-Uhr-Nachrichten und des Kalten Kriegs sozialisiert wurde – einer Generation mit offenem Zugang zu Informationen, die sorgfältig kuratierte Botschaften der traditionellen Medien umgeht und stattdessen in Echtzeit authentische Videos sieht.

Indem Israel internationalen Journalistinnen und Journalisten den Zugang zum Gazastreifen verweigerte, befeuerte es ungewollt die Nachfrage nach alternativen Informationsquellen. Soziale Medien wurden zu einer entscheidenden, unabhängigen Ressource – einem großen Gleichmacher, der die von etablierten Netzwerken einst verschleierten Gräueltaten sichtbar machte. Millionen Menschen konnten Kriegsverbrechen aus der Perspektive der Opfer statt der Täter sehen. Das jahrzehntelang gepflegte Monopol der hergestellten Zustimmung, das Israel 77 Jahre lang vor Rechenschaft schützte, ist zerbrochen. Die rohen Bilder zerstörter Krankenhäuser, Nachbarschaften, Universitäten und hungernder Kinder haben das globale Bewusstsein tiefgreifend verändert. Sie zeigen, warum Israel gezielt lokale Journalistinnen und Journalisten tötet und die internationale Presse aus Gaza fernhält.

Diese Umkehr in der öffentlichen Meinung erklärt, warum amerikanische Zionisten zunehmend aggressive Methoden einsetzen, um ihre Kontrolle über traditionelle und soziale Medien wiederzuerlangen. Je größer die öffentliche Sympathie für Palästina, desto intensiver versuchen Israel und seine Verbündeten, die Narrative zu steuern – indem sie Personen innerhalb der US-Medien mobilisieren, um „die Geschichte zu verändern“ und ihren Einfluss in den führenden Nachrichtenorganisationen wiederherzustellen.

So wurde 2025 ein neues Journalismus-Stipendium gegründet – finanziert von den Erben eines zionistischen Milliardärs, Jacki und Jeff Karsh, die sich selbst als Israel-Unterstützer bezeichnen. Das Programm soll die öffentliche Erzählung ausdrücklich „zugunsten Israels verändern“. Es wird als „das einzige Journalismus-Stipendium weltweit, das ausschließlich jüdischen Themen gewidmet ist“ beworben und umfasst israel-freundliche Mentorinnen und Mentoren wie Van Jones, Jodi Rudoren und Sharon Otterman von CNN und der New York Times. Hinter der Fassade von „Ehrlichkeit und Unabhängigkeit“ verbirgt sich eine breit angelegte Hasbara-Kampagne – der Versuch, israelische Propaganda als Journalismus neu zu verpacken.

Da die Realität Gazas über ungefilterte soziale Medien ein weltweites Publikum erreicht, verändert sich die öffentliche Meinung schneller, als jedes gesteuerte Narrativ sie einfangen kann. Keine Medienstrategie kann Kriegsverbrechen verbergen. Soziale Medien haben Israels trügerische moralische Fassade zum Einsturz gebracht. Kein Geld, kein Applaus im US-Kongress für Benjamin Netanjahu kann das, was Menschen gesehen, hinterfragt und zu akzeptieren aufgehört haben, ungeschehen machen: die Lügen, die eine Generation lang Besatzung und jüdische Apartheid aufrechterhielten.

Diese Erwachensbewegung beginnt, politische Schockwellen in Washington auszulösen. Der einst unantastbare parteiübergreifende Konsens zugunsten Israels zeigt – insbesondere in der Demokratischen Partei – nun sichtbare Risse. Noch vor zwei Jahren wäre es undenkbar gewesen, Textnachrichten von Kandidatinnen und Kandidaten zu erhalten, die sich verpflichten, keine AIPAC-Gelder (American Israel Public Affairs Committee) anzunehmen. Selbst in den Hallen des Kongresses, wo AIPAC einst jede Opposition zum Schweigen brachte, formiert sich nun ein stiller Aufstand. Abgeordnete, die sich früher scheuten, das Wort „Palästina“ überhaupt auszusprechen, verwenden es heute als Ausdruck moralischer Integrität. AIPAC und die israelische Politik zu hinterfragen, ist Teil des politischen Mainstreams geworden.

Letztlich spiegelt dieser Wandel in der generationsübergreifenden Spaltung den Niedergang einer Angst wider, die einst viele zum Schweigen brachte. Die Furcht, zu sprechen, Fördergelder zu verlieren oder als antisemitisch abgestempelt zu werden, schwindet. An ihre Stelle tritt ein Glaube junger Amerikanerinnen und Amerikaner, geprägt von Wahrheitssinn und moralischer Klarheit – eine Haltung, die die Gleichsetzung von Israel mit dem Judentum, die Mythen, die sie stützen, und das künstlich erzeugte Schuldgefühl zurückweist.

Die Frage lautet nun nicht mehr, ob sich die US-Politik gegenüber Israel verändern wird, sondern wann die Politik in Washington endlich die Ansichten der Öffentlichkeit widerspiegeln wird.

*Jamal Kanj ist Autor von „Children of Catastrophe: Journey from a Palestinian Refugee Camp to America“ und weiterer Bücher. Er schreibt regelmäßig über Themen der arabischen Welt in nationalen und internationalen Publikationen.

Quelle: https://www.counterpunch.org/2025/10/21/the-crumbling-illusion-why-american-public-opinion-on-israel-is-shifting/