Warum muss Gaza bluten?
“Kein Problem unserer Zeit hat so tiefe Wurzeln in der Vergangenheit.”
[Bericht der Royal Palestine Commission of Inquiry, 1937]
“Ja, das ist eine Herausforderung. Mal sehen, wie lange du durchhältst.”
[Amal Ahmed Albaz – Die Zeit vergeht]
Mir ist bewusst, dass der Titel zunächst provokativ oder sogar anklagend wirken könnte. Hieße er „Warum blutet Gaza?“, würde er vielleicht anders wahrgenommen. Doch ich sage bewusst „Warum muss Gaza bluten?“, denn dieser Titel enthält zugleich die Antwort auf die Frage „Warum blutet es?“.
Ja, für manche ist Gaza ein Ort, der bluten muss – und genau dieses Denken, diese Geisteshaltung soll der Titel beleuchten. Denn die eigentliche Frage, die sich darin verbirgt, lautet: „Warum werden in Gaza Tausende von Menschen vor den Augen der sogenannten zivilisierten Welt getötet? Warum lässt man das zu?“
Die Antwort ist klar: Man lässt es zu, weil Gaza ein Symbol ist. Wofür? Für genau jenen Teil der Welt, den der antikoloniale Denker Frantz Fanon als die Verdammten dieser Erde bezeichnete – den unterdrückten, beherrschten Teil der Menschheit. Und genau nach dem Prinzip einer Art Wippe beruht der Wohlstand der heutigen globalen Zentren der Macht darauf, dass eben diese Verdammten als entbehrlich gelten.
Für den Westen ist es eine Notwendigkeit – oder zumindest ein hinzunehmender „Kollateralschaden“ –, dass Störfaktoren wie Gaza entfernt werden. Denn der kapitalistische Wohlstand der westlichen Zivilisationen verlangt nach Stabilität, und Gaza steht für das Gegenteil: für Widerstand, Unruhe und ein nicht gezähmtes Anderes.
Hinzu kommt, dass die Menschen in Gaza weit entfernt vom Zentrum der Macht leben – in einer völlig anderen Kultur, die in den Augen des Westens nicht zur globalisierten Weltordnung passt.
Bevor wir jedoch eine soziologische Analyse darüber anstellen, warum Gaza bluten muss, lohnt es sich, einige wesentliche Aspekte des Phänomens Israel in den Blick zu nehmen.
Der Große Andere, der Kleine Andere
Zunächst möchte ich betonen, dass der Zionismus nicht als eine jüdische Ideologie geformt wurde, sondern dass er den Juden von jüdischen Intellektuellen eingepflanzt wurde. In ihrem Buch Bible and Sword verwendet Barbara Tuchman für die Gründung Israels den Begriff der “Restauration” und beschreibt die Motivation Großbritanniens dabei folgendermaßen:
„Die Wurzeln der britischen Rolle bei der Restauration Israels liegen in zwei Motiven – einem religiösen und einem politischen. Das eine ist die moralische Verpflichtung gegenüber den im Alten Testament genannten Völkern, das andere die imperiale Strategie, die den Besitz ihres Landes erforderte. Im Jahr 1917, während des Kriegs gegen die Türken, sah sich Großbritannien mit einer der heikelsten Eroberungen seiner gesamten imperialen Geschichte konfrontiert. Es hätte Palästina einnehmen können, ohne sich mit seinen alten Bewohnern auseinanderzusetzen. Stattdessen erklärte Großbritannien, noch bevor Allenby Jerusalem betrat, durch eine seltsame Geste, die als Balfour-Deklaration bekannt wurde, dass das Land für eine jüdische Wiederbesiedlung offen sei. Die Deklaration stellte eine freiwillige Verpflichtung eines Eroberers gegenüber einem staatenlosen Volk dar – ein völlig neues Modell im System der Schutzmächte. Auch wenn sie später von ihren eigenen Sponsoren verworfen wurde, führte sie zu einem beispiellosen historischen Ereignis: der Wiedererschaffung eines Staates nach über zweitausend Jahren staatlicher Abwesenheit.“
Sprache ist ein Spiegel des Denkens. Für die christliche Welt bedeutete Israel eine Art zweite Geburt der Bibel. Gerade deshalb erhielt es die Unterstützung von allen Seiten – von Stalins Sowjetrussland bis hin zu den USA. Dies zeigt, dass die Juden, trotz der Verfolgungen in der europäischen Geschichte, letztlich als ein Teil dieser Zivilisation betrachtet wurden – als das Volk des Alten Testaments und Erben der biblischen Tradition.
In diesem Sinne hat Denis Guénon betont, dass sich die kulturellen Grenzen Europas in Abgrenzung zum Islam geformt haben. Europa definierte sich nicht über eine theologische Rivalität, sondern über einen theologischen Feind. Die europäische Identität entstand im Spiegelbild des Islams. Daher ist dieser historische Konflikt bis heute lebendig, und das Judentum fungiert als strategischer Verbündeter gegen den Islam – so wie es einst die europäische Einheit ermöglichte, trägt es heute zur Integration der Europäischen Union als ein christliches Bündnis bei.
Guénon formulierte dies prägnant: „Die Nation ist ein theologisches Konzept“, und weiter: „Europa definiert sich durch die Konfrontation mit dem Islam.“ In diesem Kontext nutzt Israel die Schwäche des Westens geschickt aus und schürt als „großer Täuscher“ den Kampf der Zivilisationen.
So erklärte Naftali Bennett, ehemaliger israelischer Premierminister und Berater Netanjahus, in einem BBC-Interview zu Beginn der Massaker, dass Israel an seiner Grenze gegen einen „IS-Staat“ kämpfe – und dass, wenn es diesen Kampf nicht führe, auch London ins Visier geraten könnte. Damit appellierte er direkt an das westliche Unterbewusstsein und erinnerte die europäische Zivilisation, die auf der Angst vor dem Islam aufgebaut ist, daran, wie essenziell Israel für ihre Sicherheit ist.
In der nächsten Analyse werde ich diese Dynamik noch tiefer beleuchten. Doch schon jetzt ist offensichtlich: Israel weiß, dass es der Vorposten des anglo-amerikanischen imperialen Einflusses im Nahen Osten ist. Es dient diesem System bedingungslos – und erhält im Gegenzug eine Art Unantastbarkeit. Der Westen wiederum erkennt, dass dieser Vorposten die industrielle Zivilisation aufrechterhält, die von den reichen, westlichen Industriestaaten errichtet wurde.
Joe Biden brachte dies unmissverständlich auf den Punkt: „Wenn es Israel nicht gäbe, müssten wir ein anderes Israel erfinden.“
Zurück zur Angst vor dem Islam und dem Konzept des „Kampfes der Zivilisationen“: Israel hat sich nach dem 11. September nicht nur die Islamophobie zunutze gemacht, sondern sie aktiv gefördert und finanziert – und sich so eine Lizenz zum Töten gesichert.
Das Gewissen flog zum kalten Verstand
Donald Trump erklärte in Anlehnung an die Aussage seines Schwiegersohns Jared Kushner, dass Gaza als Küstenstadt einen wirtschaftlichen Wert habe. Er schlug vor, dass das Gebiet aufgewertet werden könne und Hunderttausende Menschen „vorübergehend oder langfristig“ in Nachbarländer umgesiedelt werden sollten. Unter den möglichen Zielländern nannte er Jordanien und Ägypten, die bereits mehr als 2,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge beherbergen. An Bord der Air Force One sagte Trump gegenüber Reportern:
„Ich würde es vorziehen, Beziehungen zu einigen arabischen Ländern aufzubauen und vielleicht, als eine Art Neuanfang, einen Ort zu schaffen, an dem sie in Frieden leben können.“
Er fügte hinzu:
„Wir sprechen wahrscheinlich von anderthalb Millionen Menschen. Und wir säubern einfach alles und sagen: ‚Wisst ihr was? Es ist vorbei.“
Damit machte er deutlich, dass er die Umsiedlung der Palästinenser in arabische Länder (oder sogar nach Indonesien) als Lösung ansieht – eine Idee, die auch die israelische Regierung unter Netanjahu verfolgt. Finanzminister Bezalel Smotrich, einer der radikalsten Minister in Netanjahus Kabinett, begrüßte den Vorschlag ausdrücklich und erklärte, er könne dafür einen Plan ausarbeiten.
Bereits im Oktober 2023, kurz nach Beginn der Zerstörungskampagne in Gaza, forderte Israel die Vertreibung der Palästinenser auf den Sinai in Ägypten. Doch dies war nicht etwa eine neue Strategie – die Zionisten hatten von Anfang an das Ziel, das Land von Palästinensern zu „säubern“. Das heißt: Der eigentliche Plan bestand stets darin, die einheimische Bevölkerung zu vertreiben. Nach dem 7. Oktober scheint die israelische Führung überzeugt, dass dieser Plan nun endlich umsetzbar ist.
Für Netanjahu und andere extremistische Politiker gibt es kein palästinensisches Volk. Sie betrachten die Palästinenser lediglich als „Araber“, die nicht auf dem Territorium des „antiken israelischen Reiches“ leben dürften. In ihren Augen gehört dieses Land allein ihnen. Deshalb war die „Entpalästinisierung“ Palästinas bereits auf der Tagesordnung, noch bevor der Staat Israel – dieser toxische Fremdkörper im Nahen Osten – überhaupt gegründet wurde.
Der Zionismus, diese zutiefst faschistische Ideologie, erklärte das Gebiet von Anfang an als „menschenleeres Land“. Nach dieser Logik wurde Palästina als „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ beansprucht. Heute setzt die Netanjahu-Regierung – die radikalste in der Geschichte Israels – diesen Plan systematisch um. Lange vor dem 7. Oktober entwarf sie bereits Strategien zur Zwangsumsiedlung der Bewohner Gazas, um das gesamte Gebiet annektieren zu können.
Für Israels Führung haben die Menschen in Gaza, ja die Palästinenser insgesamt, keinen „menschlichen“ Status. So bezeichnete der ehemalige israelische Verteidigungsminister die Bevölkerung Gazas nach dem 7. Oktober offen als „Tiere“. Doch angesichts der westlichen Perspektive muss man sagen: Selbst diese Bezeichnung stellt noch eine Form der Anerkennung dar.
Die Einstellung des Westens gegenüber den Palästinensern spiegelt sich auch in der Musik wider. In dem Lied Tel Qadeya (Bu Bir Dava) der Band Craoke heißt es:
„Sie schützen die Meeresschildkröten, doch sie töten menschenähnliche Tiere. Denn das ist eine andere Sache.“
Tatsächlich sieht der Westen die Palästinenser nicht als Menschen. Oder genauer: Der kalte, instrumentelle Verstand stellt die eigenen Interessen über moralische Werte. Begriffe wie „Gewissen“ sind für dieses Denken bedeutungslos.
Um dies zu erklären, müssen wir zwei Konzepte heranziehen: emotionale Entfremdung und Adäquation.
Susan Sontag beschreibt in Das Leiden anderer betrachten, wie die ständige mediale Berichterstattung eine Abstumpfung gegenüber dem Leid der anderen bewirkt. Es ist eine Katastrophe, wenn man beim Abendessen eine Mutter in Gaza dabei beobachtet, wie sie verzweifelt durch die Trümmer irrt. Doch durch die mediale Dauerbeschallung – gefiltert durch Medienkonzerne wie Rupert Murdochs Imperium – wird Krieg, Blut und Tränen zunehmend zu einem bloßen Spektakel.
Selbst wenn dieselben Gefühle immer wieder angesprochen werden, nutzt sich ihre Wirkung ab. Das führt dazu, dass die Menschen irgendwann nicht mehr reagieren. Genau darin liegt die Strategie: Das Publikum wird so lange mit Bildern des Schreckens konfrontiert, bis es abstumpft und das Leiden der Palästinenser nur noch als eine von vielen Krisen wahrnimmt – als eine weitere „Nachricht“, die kaum mehr als ein Achselzucken hervorruft.
Adäquation: Die Kälte des Verstands
Adäquation bezeichnet eine Form der emotionalen Entfremdung. In bestimmten Berufen – etwa bei Ärzten, Sanitätern oder Richtern – ist diese Distanz notwendig. Ein Arzt muss gegenüber seinem Patienten eine professionelle Distanz wahren, damit er rationale Entscheidungen treffen kann. Ebenso darf ein Richter sich nicht von den Gefühlen eines Angeklagten beeinflussen lassen, da Tränen als strategisches Mittel zur Manipulation dienen könnten.
Doch wenn diese Entfremdung auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet wird, wird sie zur Grundlage für Grausamkeit. Dann kann jemand wie Trump ganz kühl sagen: „Wenn hier Geld zu machen ist, dann lasst sie uns vertreiben.“ Oder man kann im selben Atemzug verkünden, dass den Menschen in Gaza geholfen werden müsse, während man gleichzeitig Israel bis an die Zähne mit Waffen beliefert. Genau das sind Beispiele für eine instrumentelle Rationalität, die jegliches Gewissen erstickt.
In diesem gefühllosen Klima erscheint Trump als die Verkörperung des Narzissmus – ein Spieler, der die Welt als Kasino betrachtet und seine Gedanken ungefiltert ausspricht. In seinem kapitalistischen Kalkül ist Gaza eine Ruinenlandschaft, und die Palästinenser haben weder die Mittel noch die Erlaubnis, diese Ruinen zu beseitigen und neue Gebäude zu errichten. Trump betrachtet sie als einen „unnützen“ Bevölkerungsüberschuss, der diesen Ort besetzt hält. Da Israel und die Palästinenser sich ohnehin hassen, soll Gaza stattdessen „seinem wahren Zweck“ zugeführt werden: als Wirtschaftszone für Investoren und Produzenten von Wert.
Israel wiederum dient als „Flugzeugträger“ der USA und Europas – als Wächter des Westens, der den kontinuierlichen Fluss von Rohstoffen aus der Region sicherstellt. So bleibt Israel der verlängerte Arm der westlichen Zivilisation in der arabischen Welt. In diesem Weltbild sind Israelis Menschen, während die Menschen in Gaza als „Fleck“ gesehen werden – ein Schmutz, den Israel als „Fleckenentferner“ beseitigt.
Diese kalte Berechnung ist der Inbegriff des modernen Rationalismus – des „Rasyo“-Denkens, das auf Quantifizierung und Nutzenmaximierung basiert. Genau an diesem Punkt treffen sich zwei scheinbar gegensätzliche Kräfte: der ehemalige Casino-Mogul und Bauinvestor Donald Trump und das hyper-säkular-messianische, faschistisch-zionistische Regime Israels. Beide verkörpern die Ideologie der Herrschaft durch ökonomische und militärische Kontrolle.
Israel ist eine Abrissmaschine, ein Bulldozer der Zerstörung – aber einer, der unter dem Schutz der westlichen Mächte operiert. Alle technologischen Mittel, die es für seine Mission benötigt, werden ihm bereitgestellt oder von ihm selbst entwickelt.
Im Gegensatz dazu verfügen die Palästinenser nicht über die wirtschaftlichen Voraussetzungen, um für die globalisierte Welt nützlich zu sein. Sie besitzen keine Infrastruktur, um den „Wohlstandsinseln“ im globalen Norden Energie oder Ressourcen zu liefern. Sie haben keine Pipeline-Knotenpunkte oder Versorgungsstationen, um den Energiefluss aufrechtzuerhalten. Sie haben lediglich Land – strategisch wertvolles Land, das sich für Tourismus, Verkehrswege und die Erschließung von Erdgas eignet.
Ihr größtes „Verbrechen“ ist jedoch ihre Armut.
Das ist der Kern des Problems: Die Palästinenser sind wirtschaftlich unbrauchbar. Und schlimmer noch: Sie sind nicht weiß. Sie gehören nicht zur westlichen Kultur, deren Fundamente in der jüdisch-christlichen Tradition der hebräischen Bibel verankert sind. Sie werden als Fremde betrachtet – als Angehörige einer Welt, die angeblich nicht zur modernen Zivilisation passt.
Deshalb fallen sie nicht in die Kategorie von Lebewesen, deren Leben betrauert oder geschützt werden müsste. Sie sind nicht einmal so wertvoll wie die Haustiere oder Besitztümer der Reichen.
Mehr noch: Sie sind nicht Teil des Nordens, sondern des globalen Südens – jener Welt, die nicht als gleichwertiger Partner, sondern als bloßer Lieferant von Rohstoffen und Arbeitskräften dient. In den Augen der westlichen Elite sind sie nichts weiter als „verbrauchbare“, austauschbare Menschen – Arbeitskräfte, die wie billige Werkzeuge eingesetzt und entsorgt werden können.
Gegen diese erbarmungslose Maschinerie zu rebellieren, ist ein legitimes Recht. Doch die Rebellen schaffen es nicht, genug Zerstörung zu verursachen, um die kalten Herzen der Mächtigen wirklich in Schrecken zu versetzen.
Die kleine Apokalypse hat bereits stattgefunden.
Der Dajjal – das Böse in seiner technologisch vollendeten Form – ist längst da.
Was fehlt, ist der Mahdi.
Denn nur durch ihn kann sich das Gegenteil dieser grausamen Welt verwirklichen: eine Welt, die auf Gerechtigkeit basiert.
Möge seine Ankunft bald geschehen.
Gaza ist nicht nur Gaza – das dürfen wir nicht vergessen. Gaza ist der neue Schwarze. Gaza ist Afrika. Gaza sind die Nickel- und Coltan-Minen. Gaza ist der globale Kapitalismus. Gaza ist die hierarchische Spaltung der Welt. Gaza ist die Vermögensungleichheit. Gaza ist die unaufhaltsame Maschine der Ausbeutung, der Zerstörung und des Todes.
Wenn wir die Nekropolitik von Gaza analysieren, dann blicken wir in den Spiegel der globalen Ordnung. Wer diesen Zusammenhang nicht erkennt, wer nicht das gesamte System infrage stellt und wer die Komplizenschaft der postkolonialen Eliten des Globalen Südens ignoriert, bleibt mit seinen Worten auf halbem Weg stehen.
Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro, der heute als eine der lautesten Stimmen der ehemaligen Blockfreien Staaten auftritt, formulierte auf Elon Musks X genau diesen Gedanken. Er zeigte auf, warum die Menschen in Gaza weiterhin bluten werden – und warum sich die Geschichte wiederholt.
Petro warnte davor, dass der Kapitalismus den Faschismus zurückbringt. Er sagte, dass die neokolonialen Eliten des Westens die Völker des Globalen Südens – genau wie die Kinder in Gaza – als „Einwegmenschen“ behandeln.
Seine Worte sind ein Warnruf:
„Der konsumistische Barbarismus, der auf dem Tod anderer basiert, führt uns zum beispiellosen Aufstieg des Faschismus und damit zum Tod von Demokratie und Freiheit. Dies ist Barbarismus – oder, wie ich es nenne, ein globales 1933.“
„1933 war das Jahr, in dem Hitler an die Macht kam. Was wir in Palästina sehen, wird auch das Schicksal aller Völker des Globalen Südens sein.“
„Der Westen verteidigt seinen Lebensstandard, der auf exzessivem Konsum und der Zerstörung des Klimas basiert. Und er tut dies, obwohl er genau weiß, dass dies nicht nur das palästinensische Volk betrifft, sondern auch massive Migrationsströme vom Süden in den Norden auslösen wird.“
„Und um dies zu verhindern, ist er bereit, den Tod als Waffe einzusetzen.“
„Deshalb gibt es massive Anti-Migrationsmaßnahmen. Deshalb gibt es Internierungslager für Geflüchtete. Deshalb sterben Tausende auf See. Deshalb existiert der Tapón del Darién – jener Dschungel, durch den so viele Migranten aus Kolumbien nach Panama fliehen. Deshalb werden wirtschaftliche Blockaden gegen rebellische Staaten verhängt.“
„Die westliche Rechte sieht die Lösung der Klimakrise als eine ‚Endlösung‘. Sie träumt erneut von Hitler und von Eroberungen. Die reichen und ‚arischen‘ Völker des Westens – und mit ihnen viele lateinamerikanische Oligarchen – sehen keine andere Zukunft als ihre Einkaufszentren in Florida oder Madrid.“
Warum gibt es keine globale Intifada?
Die Frage, die sich hier aufdrängt, lautet: Warum gibt es keine globale Intifada?
Warum rebelliert die Welt nicht gegen dieses System?
Mein Antwort darauf ist die, die mir Zygmunt Bauman, der Soziologe, den ich so sehr bewundere, einst gegeben hat:
„Während die Reichen globalisiert werden, bleiben die Armen isoliert.“
Die Intifada kann sich nicht weltweit ausbreiten, weil die Armen von der Globalisierung ausgeschlossen sind. Ihre Netzwerke sind zerschlagen, ihre Stimmen werden erstickt, ihre Mobilität wird blockiert, ihre Märkte werden kontrolliert.
Wir leben in einer Welt, in der nur Kapital, Waren und Technologien frei fließen dürfen – nicht aber die Menschen, die sie produzieren.
Das letzte Wort gehört der Poesie
Meine Worte erscheinen mir banal, verglichen mit dem Mut und der Wut des Widerstands. Deshalb schließe ich mit einem Vers der palästinensischen Dichterin Amal Ahmed Albaz, aus ihrem Gedicht Die Zeit vergeht.
Möge die Welt voller Gerechtigkeitskämpfer so fühlen, wie sie fühlt:
„Ein Embryo, der auf diesem Land geboren wird, wird geboren, um zu widerstehen.
Er wird geboren, um sich zu wehren.
Er wird geboren, um für sein Recht auf Existenz zu kämpfen.
Widerstand ist unser Brot.“
Quellen
[1] Barbara W. Tuchman, England and Palestine from the Bronze Age to Balfour, Ballantine Books, New York, 1984, S. 13
[2] Denis Guénon, Hypothèses sur l’Europe, S. 58; Gil Anidjar, Düşmanın Tarihi – Yahudi, Arap, übersetzt von Timuçin Binder, Ayrıntı Yayınları, Istanbul, 2012, S. 24
[3] Ebd., S. 25
[4] https://news.sky.com/video/were-fighting-nazis-former-israeli-prime-minister-defends-cutting-off-energy-to-gaza-strip-12983288
[5] Liedtext:
Weißer Engel, wie kannst du sein.
Dein Gewissen ist nur halb.
Du gibst dich als Verfechter der Freiheit aus,
Doch du vernichtest Befreiungsbewegungen.
Du verteilst Mitgefühl und Barmherzigkeit
Nach der Nationalität der Opfer.
Denn das ist ein anderer Fall. Das ist ein anderer Fall.
Du umarmst alle Bäume,
Doch du zeigst Kohle als Diamanten.
Die Armee, die Schulen bombardiert, ignorierst du,
Und wenn du erwischt wirst, sagst du: „Beide Seiten sind Opfer.“
Sie töten –
Denn das ist ein anderer Fall. Das ist ein anderer Fall.
Wie soll ich an diese Welt glauben,
Wenn sie von Menschlichkeit spricht,
Während eine Mutter in den Trümmern weint,
Ihr hungerndes Kind im Bombenhagel?
Der Mörder wird mit seinem Opfer gleichgesetzt,
Und man nennt es Ehre, Gerechtigkeit, Neutralität.
Denn das ist ein anderer Fall. Das ist ein anderer Fall.
Wie kann ich ruhig schlafen?
Wie kann ich in Frieden ruhen?
Wie kann ich meine Ohren verschließen?Während eine Familie unter den Trümmern begraben liegt,
Und es verboten ist, sie zu retten –
Als wäre das Land, in das sie gefallen sind,
Nicht Teil dieser Erde.
Denn das ist ein anderer Fall. Das ist ein anderer Fall.
[6] Der islamische Glaube ist fern von dieser erbarmungslosen, kalten Rationalität, die die sogenannte moderne Welt prägt. Daher steht die Glaubenswelt der Gazaner in völligem Widerspruch zur gültigen Werteordnung des Westens.