Über Vorurteile und methodische Fehler, die richtiges Denken behindern

Aufgrund unzureichender Bildung oder durch die von der jeweiligen Epoche geprägten falschen, aber starken Wahrnehmungen kann eine Person ebenso leicht in einen methodisch fehlerhaften Denkprozess geraten, wie sie aufgrund tief verwurzelter gesellschaftlicher Vorstellungen in bestimmten Bereichen Vorurteile entwickeln kann. Menschen nehmen die Welt aufgrund ihrer Vorurteile und kognitiven Verzerrungen in einer von der Realität abgekoppelten Weise wahr und greifen, anstatt sich der Wirklichkeit anzupassen, zu erzwungenen Methoden, um die Realität ihren eigenen Vorstellungen anzupassen. Solche Personen geraten in einen Zustand, der kleinen Kindern ähnelt, die versuchen, runde Legosteine durch dreieckige Öffnungen zu drücken und, nachdem sie keinen Erfolg haben, die Legosteine frustriert umherwerfen und das Spiel durcheinander bringen.

Eine Person, die sich nicht an die grundlegenden Prinzipien der Logik hält, kann gedanklich keine richtigen Schlussfolgerungen erreichen. Grundsätzlich ist für korrektes Denken die Einhaltung der folgenden vier Regeln der Logik erforderlich:

  • Satz des Widerspruchs (Prinzip der Nicht-Contradiction)

  • Satz der Identität

  • Satz vom ausgeschlossenen Dritten

  • Satz vom zureichenden Grund

Ein weiterer Faktor, der richtiges Denken behindert, ist die Neigung des Menschen zu dogmatischen Einstellungen. Mit dem Begriff „dogmatisch“ ist hier gemeint, dass eine Person davon ausgeht, es gebe in einer bestimmten Frage nur eine wahre Meinung und dass sie selbst im Besitz dieser Wahrheit sei, weshalb sie andere Ansichten ohne Diskussion als falsch zurückweist.

Ebenso gehört es zu den Denkfehlern, wenn jemand aus der Vielzahl vorhandener Informationen nur jene auswählt und hervorhebt, die seine eigenen Argumente unterstützen, um stets im Recht zu erscheinen. So bewertet etwa eine Person, die von der Richtigkeit des Marxismus fest überzeugt ist, den Hinweis auf „zahlreiche akademische Bücher und wissenschaftliche Artikel, die diese Ideologie kritisieren“, als ein „Spiel der Kapitalisten“, während sie den Hinweis, dass das Interesse am Marxismus zunehme, sofort mit „Ja, richtig! Die Revolution der Arbeiterklasse steht kurz bevor!“ kommentiert. Der Versuch, unter allen Umständen recht zu behalten, ist ein typisches Beispiel für diesen Denkfehler.

In Umfragen über Vorurteile findet man häufig folgende Beispiele:

  • Etwas Teures ist qualitativ besser als etwas Billiges. In sozialen Experimenten, in denen zwei identische Getränke einmal mit einem billigen, einmal mit einem teuren Etikett versehen wurden und die Testpersonen beide probieren sollten, wurde in der Mehrzahl der Fälle das vermeintlich teurere Getränk als hochwertiger bewertet.

  • Statistiken über Flugzeuge und Landfahrzeuge zeigen, dass Flugzeugunglücke einen deutlich geringeren Anteil ausmachen. Dennoch empfinden viele Menschen Flugreisen als viel gefährlicher und sind im Vergleich zu Autofahrten wesentlich angespannter – ein Vorurteil, das dem tatsächlichen Risiko widerspricht.

  • Viele Menschen geben ein Vorhaben nicht auf, obwohl sie viel Geld, Zeit und Mühe investiert und dennoch kein gewünschtes Ergebnis erzielt haben. Trotz eines negativen Ergebnisses dominiert die Annahme: „Diesmal wird es klappen!“ Ein ähnliches Beispiel findet sich beim ständig verlierenden Glücksspieler, der dennoch denkt: „Jetzt werde ich endlich gewinnen!“ – dies wird als Spielerfehlschluss bezeichnet.

  • Eines der häufigsten Beispiele für Vorurteile ist der Einfluss der Mehrheit. Menschen halten es häufig für sicherer, sich der Meinung der Mehrheit anzuschließen. Wenn „fast alle“ eine bestimmte Ansicht vertreten, wird dies als Hinweis auf deren Richtigkeit interpretiert.

  • Menschen neigen dazu, aus kleinen Informationsbruchstücken große Verallgemeinerungen abzuleiten und zu glauben, sie seien zu sicherem Wissen gelangt. Um ihre realitätsfernen Vorurteile zu bestätigen, greifen sie zu äußerst seltenen Ausnahmefällen. So wird etwa ein 100-jähriger Raucher als Beleg dafür angeführt, dass Rauchen keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit habe.

Systematische Denkfehler

Nach der klassischen Erkenntnistheorie, die von der Antike über das Christentum und die islamische Theologie bis hin zu Kant reicht, bedeutet etwas zu wissen, „dass sich die Vorstellung und das Abbild dieser Sache im Geist bildet“. Mit anderen Worten: Der menschliche Geist gleicht einem Spiegel, und je klarer dieser Spiegel ist, desto angemessener und wirklichkeitsgetreuer wird die im Geist entstehende Vorstellung des Gegenstands sein. Daher müssen die Flecken und Verunreinigungen auf diesem Spiegel entfernt werden. Vorurteile gehören zu einem Teil dieser Verunreinigungen. Im Folgenden soll auf solche Fehler eingegangen werden.

1 — Der Mensch ist ein Wesen, das sich selbst als Maß aller Dinge betrachtet und die gesamte Wirklichkeit ausschließlich nach seiner eigenen Wahrnehmungsweise beurteilt. So sagt Protagoras zwar: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, doch Platon widerspricht dieser Auffassung und erklärt: „Gott ist das Maß aller Dinge.“ In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Humanismus nicht einfach Menschenliebe bedeutet, sondern die Erhebung des Menschen zum Mittelpunkt von allem. Mit anderen Worten: Durch den Humanismus wurde die Herrschaft des Menschen auf Erden an die Stelle der göttlichen Herrschaft gesetzt.

Der menschliche Geist ist so beschaffen, dass er die Natur, die Ereignisse und sogar Gott gemäß seiner eigenen Wahrnehmungswelt bestimmt und ihn ausgehend von sich selbst beschreibt. Viele Menschen stellen sich Gott in ihren Gedanken als einen alten, weißbärtigen Weisen vor, der im Himmel sitzt, und neigen auf Grundlage der bildhaften Sprache der heiligen Schriften zum Anthropomorphismus. Um eine solche problematische Vorstellung zu verhindern, haben islamische Gelehrte als eines der göttlichen Attribute muhālefetün li’l-hawādis – also die völlige Unähnlichkeit zu allen geschaffenen Wesen – formuliert. Zwar enthält der Koran anthropomorphe Ausdrücke, doch liegt der Zweck darin, mittels für den Menschen verständlicher Gleichnisse die Wahrheit erkennbar zu machen. Man darf nicht vergessen, dass bildhafte Ausdrücke, die aus den Händen Wissender stammen, von Unwissenden leicht für wörtliche Aussagen gehalten werden können. Werden Dinge, die sich ihrem Wesen nach unterscheiden, aufgrund mangelnder Einsicht auf bloße Gradunterschiede reduziert, treten Probleme dieser Art auf.

2 — Jeder Mensch sieht und beurteilt die Welt mit seinem eigenen Blick und zweifelt daher nicht an der Richtigkeit seiner eigenen Wahrnehmungsweise. Aus dieser Perspektive erscheint alles so offensichtlich, und jeder ist von seinen eigenen Beweisen so überzeugt, dass kaum jemand bereit ist, andere Auffassungen überhaupt anzuhören. An dieser Stelle begegnet uns die Vorurteilsform, die als „Subjektivität der ersten Person“ bezeichnet wird.

Die allgemeinste Ursache der genannten Fehler besteht darin, dass sich jeder Mensch nicht bewusst ist, dass er die Welt aus seiner eigenen Höhle (seinem eigenen Geist) heraus betrachtet. Die Vielzahl der im Laufe der Menschheitsgeschichte entstandenen Schulen in Philosophie, Politik, Ökonomie und Religion zeigt diese Tatsache deutlich.

3 — Menschen verständigen sich miteinander über Sprache, und damit Kommunikation gelingen kann, müssen die verwendeten Wörter mit den bezeichneten Dingen oder Ereignissen inhaltlich übereinstimmen. In der Praxis ist diese Übereinstimmung jedoch häufig nicht gegeben, sodass eine korrekte Wissensübermittlung nicht zustande kommt.

Die Bedeutungen von Wörtern und Begriffen entstehen durch Übereinkunft; werden Begriffe ohne eine solche Übereinkunft verwendet, führt dies im Bereich des Denkens zu Chaos. Wenn im Türkischen Einigkeit darüber besteht, was das Wort masa (Tisch) bedeutet, ist für diese Personen klar, ob ein bestimmtes Objekt ein Tisch ist oder nicht. Werden hingegen Begriffe wie Laizismus, Nationalismus, Wissenschaft, Demokratie, oder Gedankenfreiheit mit unterschiedlichen Inhalten gebraucht, entstehen in den Köpfen der Menschen Vorurteile gegenüber anderen Auffassungen.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Sprache ist folgendes: Der menschliche Geist kann über etwas, wofür er keinen Begriff besitzt, nicht nachdenken. Mit anderen Worten: Wenn ein Ereignis, ein Gegenstand oder ein Gefühl nicht durch einen bestimmten Begriff ausgedrückt wird, erzeugt unser Geist darüber keine Gedanken. Dass wir beim Sprechen über ein bestimmtes Thema ins Stocken geraten, wenn uns ein Wort nicht einfällt, ist ein gutes Beispiel hierfür.

Menschen neigen häufig dazu, von Wörtern und Begriffen ausgehend die Dinge oder Ereignisse unmittelbar zu verstehen. Dabei müsste der Prozess genau umgekehrt verlaufen, nämlich von den Dingen ausgehend hin zu den Begriffen. Denn zwischen dem Wort masa (Tisch) und dem „wirklichen Tisch“ besteht keinerlei notwendiger Zusammenhang; folglich können wir vom Wort masa ausgehend den realen Tisch nicht begreifen. Wäre dies möglich, würde jemand, der kein Deutsch kann, beim Hören des Wortes der Tisch sofort verstehen, dass es sich um einen Tisch handelt!

4 — Um die Richtigkeit ihrer eigenen Ansichten zu beweisen, beziehen sich Menschen häufig auf die Auffassungen bestimmter Autoritäten. Wenn eine Ansicht in Form und Inhalt zutreffend ist, ist es völlig normal, sie durch Hinweise auf Autoritäten zu stützen. Ist eine Ansicht jedoch falsch und wird sie dennoch von einigen Autoritäten vertreten, liegt ein Problem vor. In solchen Fällen wird es äußerst schwierig, eine falsche Vorstellung zu korrigieren oder eine neue Perspektive zu entwickeln.

Je mehr Autoritätsträger es in einer Gesellschaft gibt, desto schwieriger wird die Entwicklung des Denkens, denn Autoritäten erlauben im Allgemeinen nicht, dass man sich außerhalb ihrer Denkrahmen bewegt. So entsteht in der Gesellschaft mit der Zeit das Vorurteil, dass es falsch sei, über die von Autoritäten gezogenen Grenzen hinauszugehen. Tatsächlich äußern viele weise oder einflussreiche Personen ihre Gedanken nicht, um das Denken der Menschen einzuengen oder zu blockieren, sondern um ihnen neue Wege zu eröffnen. Doch einige engstirnige Individuen verwandeln diese Gedanken in unveränderliche und starre Muster.

SCHLUSS

Da es für den Menschen äußerst schwierig ist, sich von den Werten der Gesellschaft, in der er geboren und aufgewachsen ist, von den Bildungsprozessen, die er durchlaufen hat, von traditionellen Praktiken sowie von bestimmten abergläubischen Vorstellungen zu lösen, ist der Denkakt zumeist von Unzulänglichkeit und Widersprüchlichkeit geprägt. Die Annahme, dass die durch die Sinnesorgane aus der Außenwelt aufgenommenen Informationen beim Eintreffen im Geist bereits richtige Erkenntnis ermöglichen, ist eine höchst irreführende Auffassung. Die Behauptung, unser Geist gebe die Wirklichkeit so wieder, wie sie ist – gleich dem Abbild eines Gegenstandes in einem planen Spiegel –, entspringt einer falschen Erkenntnistheorie und einem über Jahrhunderte dominierenden fehlerhaften methodischen Verständnis.

Der menschliche Geist kann nicht mit einem planen Spiegel verglichen werden, der die äußere Realität (die Welt der Noumena) unverändert reflektiert. Vielmehr gleicht er jenen konkaven oder konvexen Spiegeln auf Jahrmärkten, welche die Bilder verzerren. Daher ist das in unserem Geist entstehende Bild bzw. Wissen stets eine in gewissem Maße deformierte Form der Wirklichkeit.

Dieser Zustand lässt sich mit dem Phänomen vergleichen, dass weißes Sonnenlicht in einem Prisma gebrochen und in Farben aufgespalten wird. Nachdem das weiße Licht das Prisma durchlaufen hat, erfährt es eine Brechung entsprechend seiner Wellenlängen und zerlegt sich in die bekannten sieben Farben. Genau so verhält sich die Beziehung zwischen dem menschlichen Geist und der Seinswirklichkeit: Die Realität der Außenwelt verändert sich, sobald sie den Geist (das Prisma) erreicht, und durchläuft dabei eine Art Filter. Dass es zu einem einzigen Thema unzählige wissenschaftliche Theorien gibt oder dass Menschen in sozialen, politischen und ökonomischen Fragen unterschiedliche Ansichten vertreten, ist darauf zurückzuführen.

Unter dieser Perspektive gelangt man zu dem Ergebnis, dass niemand allein das Recht besitzt, die Wahrheit vollständig zu besitzen oder die Wirklichkeit zweifelsfrei zu bestimmen. Daher sollte dieser Grundsatz beim Festhalten an Ideen, Ideologien, Glaubenssystemen oder Führungsfiguren stets berücksichtigt werden. Aus der Sicht gläubiger Menschen kann zudem leicht gesagt werden, dass außer Gott und den Propheten niemand eine verbindliche oder bestimmende Autorität und keinen derartigen Vorzug besitzt.