Regionale Zersplitterung ebnet den Weg für israelische Aggression

Während die internationale Öffentlichkeit durch humanitäre Initiativen wie das „Madleen“-Schiff und den „Konvoi des Gewissens“ auf die Beendigung des von Israel in Gaza verübten Völkermords fokussiert ist, hat Israel die Eskalationsstufe erhöht und einen intensiven Angriff auf den Iran durchgeführt.

Dass dabei hochrangige Persönlichkeiten des iranischen Verteidigungsministeriums sowie kritische Infrastrukturen ins Visier genommen wurden, zeigt, dass Israel sich von verdeckten Operationen entfernt und sich auf eine offene und hochintensive militärische Konfrontation zubewegt. Die Antwort des Iran in Form ballistischer Raketenangriffe auf Tel Aviv weist darauf hin, dass das Risiko eines direkten Konflikts zwischen beiden Ländern in eine neue Phase eingetreten ist – und dass in Zukunft mit weiteren wechselseitigen Aktionen zu rechnen ist.

Ziel dieses Textes ist es, den jüngsten israelischen Angriff auf den Iran zu analysieren. In dem Beitrag wird die These vertreten, dass die in den letzten Jahren zunehmende regionale Zersplitterung im Nahen Osten den revisionistischen Politiken Israels Vorschub leistet. Die wachsenden Spannungen zwischen den Staaten der Region sowie die auf gesellschaftlicher Ebene zunehmende ethnische und konfessionelle Spaltung untergraben die regionale Solidarität und schwächen den Widerstand, der sich eigentlich gegen den israelischen Revisionismus formieren müsste.

Israels Politik zur Umkehrung der Machtasymmetrie im Schatten der sich vertiefenden regionalen Rivalität

Der strukturell bereits fragmentierte Nahe Osten ist seit dem Beginn des Arabischen Frühlings in einen Prozess zunehmend tieferer Zersplitterung eingetreten. In diesem Kontext haben sich drei Hauptpole herausgebildet: das revisionistische Lager unter der Führung des Iran, das reformistische Lager, das durch die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Katar geprägt ist, sowie das status quo-orientierte Lager unter der Führung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Der intensive Wettbewerb dieser Akteure um geopolitischen Einfluss während der durch den Arabischen Frühling ausgelösten Erschütterungen hat den Boden für eine anhaltende Instabilität in der gesamten Region bereitet. Die zunehmende geopolitische Rivalität und Feindseligkeit zwischen den Staaten hat sich zudem auf ethnisch-konfessionelle Ebenen verlagert und Zwietracht zwischen den Völkern der Region gesät.

Während dieser Phase wachsender Instabilität, die nach dem Arabischen Frühling weite Teile des Nahen Ostens erfasste und viele regionale Akteure zu revisionistischen Strategien ermutigte, verfolgte Israel bemerkenswerterweise eine zurückhaltendere, langfristig ausgelegte strategische Linie. Anstatt sich zwischen 2010 und 2020 direkt an den turbulenten Umbrüchen der Region zu beteiligen, konzentrierte sich Israel auf den Ausbau seiner militärisch-industriellen Kapazitäten und die Festigung seiner sicherheitspolitischen Architektur.

Diese Strategie ermöglichte es Israel, in einer Phase, in der viele Staaten durch innere Unruhen und geopolitische Machtkämpfe geschwächt wurden, bestehende Machtasymmetrien zu seinen Gunsten weiter auszubauen. Obwohl Israels Vermeidung direkter militärischer Interventionen auf den ersten Blick als ein stabilitätsorientierter Kurs erscheinen mag, lässt sich argumentieren, dass diese Zurückhaltung indirekt zur Verfestigung der regionalen Fragmentierung und der entstehenden Machtvakuums beigetragen hat.

Dies zeigt, dass Israel nicht etwa ein passiver Zuschauer, sondern ein indirekt lenkender Akteur in der Neugestaltung der regionalen Ordnung war – ganz im Sinne seiner langfristigen strategischen Interessen.

Eine Phase vorübergehender Normalisierung im Nahen Osten

Ab Anfang der 2020er Jahre war im Nahen Osten eine bemerkenswerte Dynamik in Bezug auf die Natur der regionalen Ordnung zu beobachten. Ein Schlüsselmoment war der 41. Gipfel des Golf-Kooperationsrates (GCC) im Jahr 2021 in Al-Ula, bei dem die langjährige Krise zwischen Katar und der Achse Vereinigte Arabische Emirate–Saudi-Arabien offiziell beigelegt wurde. Diese Einigung weckte starke Hoffnungen auf ein mögliches Ende der chronischen Fragmentierung in der Region. Im Anschluss daran kam es mit chinesischer Vermittlung in Peking zu diplomatischen Kontakten zwischen Iran und Saudi-Arabien, die in eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen mündeten. Parallel dazu setzte auch zwischen der Türkei, den Golfstaaten und Ägypten ein umfassender Normalisierungsprozess ein. Besonders bemerkenswert war zudem die schrittweise Annäherung zwischen Ägypten und Iran, deren diplomatische Beziehungen seit den 1980er Jahren unterbrochen waren.

Die kumulative Wirkung dieser Entwicklungen führte in den zwei Jahren vor den Hamas-Angriffen vom 7. Oktober 2023 zu einer vergleichsweise stabilen regionalen Atmosphäre: Die Staaten des Nahen Ostens zeigten verstärkt die Tendenz, bilaterale Spannungen auf diplomatischem Wege zu lösen, der Ton der Rivalität milderte sich, und die Intensität offener Feindschaften nahm ab.

Eines der auffälligsten Ergebnisse dieser diplomatischen Normalisierungsinitiativen zwischen 2021 und 2023 war die schrittweise Abschwächung der lang anhaltenden regionalen Fragmentierung – und in deren Folge die zunehmende Isolation Israels in der regionalen Arena. Die Bemühungen zentraler Akteure wie der Türkei, Saudi-Arabiens, Irans, Katars, der VAE und Ägyptens, bilaterale Spannungen zu deeskalieren, führten nicht nur zur Reduzierung innerregionaler Konflikte, sondern machten diese auch besser handhabbar.

Dieses neue Klima der Kooperation schränkte Israels Fähigkeit ein, traditionelle Feindbilder und Bedrohungsnarrative in der Region zu instrumentalisieren. Dadurch wurden die von Israel im Zusammenhang mit der Palästina-Frage verfolgten, destabilisierenden Strategien sichtbarer und förderten das Bewusstsein dafür, dass Israel zunehmend selbst als reale Bedrohung für die regionale Sicherheit wahrgenommen werden könnte.

In diesem Sinne lässt sich sagen, dass die Entspannungstendenzen zwischen den regionalen Akteuren einen strukturellen Wandel einleiteten, der Israels strategische Isolation weiter vertiefte.

Doch die Entwicklungen nach dem 7. Oktober 2023 markierten den Beginn einer neuen Phase, die die zwischen 2021 und 2023 entstandene Atmosphäre regionaler Normalisierung und Annäherung unterbrach.

Im Anschluss an die Angriffe intensivierte Israel seine militärischen Operationen nicht nur im Gazastreifen, sondern auch in weiteren Teilen Palästinas sowie in Ländern wie Libanon, Syrien und Jemen. Diese Eskalation untergrub das zuvor aufgekommene diplomatisch-moderate Klima zwischen den Staaten der Region erheblich und führte stattdessen zu einem neuen Klima des Misstrauens. Insbesondere Israels zunehmender militärischer Druck auf von Iran unterstützte Stellvertreterakteure wie die Hisbollah und die Huthi, sowie Irans direkte und indirekte Vergeltungsmaßnahmen gegen Israel, rückten sicherheitszentrierte und polarisierende Dynamiken erneut in den Vordergrund der regionalen Politik.

Diese Entwicklung führte dazu, dass einige regionale Akteure – vor allem in den Golfstaaten – ihre Bedrohungswahrnehmungen temporär mit denen Israels in Einklang brachten. Militärische Kapazitäten und sicherheitspolitische Kooperationen gewannen erneut an Priorität. Damit wich die Phase regionaler Normalisierung einem neuen strategischen Kontext, in dem Stellvertreterkriege sich verschärfen und geopolitische Fragilitäten zunehmen.

Dass Israel heute in der Lage ist, direkte und intensive militärische Angriffe gegen den Iran durchzuführen, ist eine direkte Folge der nach dem 7. Oktober wieder erstarkten Fragmentierung und des tiefgreifenden Vertrauensverlustes in der Region.

Die relativ ungehinderte Nutzung des Luftraums von Ländern wie Jordanien, Syrien, Irak und Saudi-Arabien durch Israel sowie deren Zurückhaltung, eine klare und entschlossene Haltung gegenüber den Angriffen einzunehmen, ermutigt Israel dazu, solche Operationen mit größerer Kühnheit und Rücksichtslosigkeit durchzuführen.

Der Zusammenbruch der regionalen Sicherheitsarchitektur, das schwindende gegenseitige Vertrauen und das Fehlen strategischer Koordination zwischen den Akteuren haben Israels operativen Spielraum erweitert. Dies ermöglicht es Israel, seine militärischen Kapazitäten nicht nur zur Verteidigung, sondern zunehmend auch für proaktive Angriffsdoktrinen einzusetzen.

Diese Entwicklung zeigt, dass Israel in der gegenwärtigen politischen Landschaft der Region nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch eine vorteilhafte Position einnimmt – und dass diese Position eng mit den aktuellen Dynamiken der regionalen Zersplitterung verknüpft ist.

Israels aggressive Tendenzen, die es zunehmend rücksichtslos über die gesamte Region ausdehnt, können nur durch eine enge Zusammenarbeit und koordinierte Haltung der regionalen Akteure gestoppt werden.

Solange die Atmosphäre regionaler Fragmentierung bestehen bleibt, wird Israel nicht zögern, sich neue Ziele zu suchen.

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