Putins Dilemma

Wie ich bereits zuvor betont habe, ist der entscheidende Faktor bei der Analyse, wie der Krieg in der Ukraine enden könnte, dass Russland diesen Krieg de facto bereits verloren hat, da es die Ukraine nicht besiegen konnte. Das Hauptinteresse des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin bestand darin, eine Pufferzone an der Ostgrenze der NATO, zwischen Russland und Polen, zu schaffen und diese Zone unter Kontrolle zu halten. Darüber hinaus wollte er den Großmachtstatus wiedererlangen, den die Sowjetunion vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu ihrem Zusammenbruch innehatte. Mit dem Verlust dieses Status verlor Russland seine Vorherrschaft über Osteuropa und die östliche Hälfte Deutschlands. Ebenso verlor es seine unangefochtene Kontrolle über den Südkaukasus und Zentralasien, gab die Position auf, gegenüber China stärker zu sein, und verlor den Großteil seines Einflusses im Nahen Osten. Auch seine Macht in der Dritten Welt schwand und wurde vom heutigen einzigen echten Konkurrenten der USA, China, abgelöst.

Der militärische Bedeutungsverlust Russlands ging einher mit der Unfähigkeit, eine bedeutende Wirtschaftsmacht zu werden. Sowohl in der Zarenzeit als auch in der kommunistischen Ära war Russland wirtschaftlich stets schwach. Trotz großer und wertvoller Gebiete sowie einer gut ausgebildeten Bevölkerung blieb Russland bestenfalls eine „wirtschaftlich unterdurchschnittliche“ Nation.

Bereits lange vor Putins Präsidentschaft begann und endete der Niedergang Russlands. Sein Aufstieg zur Macht wurde durch den privaten Sektor — also die Oligarchen — ermöglicht, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen Großteil der Wirtschaft konsolidierte und in das globale Wirtschaftssystem integrierte. Die Oligarchen waren die entscheidende Kraft, die Putin zum Präsidenten machte, und in dieser Zeit entwickelte sich die russische Wirtschaft im Vergleich zu ihrem Ausgangspunkt deutlich.

Putin vertrat eine traditionelle russische Sichtweise hinsichtlich nationaler Prioritäten: Russland vor Angriffen und Einmischungen von außen zu schützen. Für ihn war der einzige Weg zur wirtschaftlichen Erholung die Gewährleistung der Sicherheit. Dies bedeutete, möglichst große Teile der in den 1990er-Jahren verlorenen Pufferzone zurückzuerobern und so die Westgrenze abzusichern. Im Fall der Ukraine überschätzte Putin die militärische Stärke Russlands und unterschätzte den Widerstand der Ukrainer — selbst ohne die Unterstützung aus den USA und Europa. Er ging davon aus, dass Russland den Sieg erringen würde, bevor die USA und Europa eingreifen konnten.

Die Unfähigkeit, die Ukraine rasch zu besetzen, brachte ein weiteres Problem mit sich: die Wirtschaft. Als Ressourcen vom zivilen Sektor zum Militär umgeleitet wurden, verschlechterte sich die russische Wirtschaft. Letzte Woche wurde bekannt, dass drei große russische Banken beim Zentralbank um Rettungshilfen gebeten hatten. Die größten Verlierer dieses Krieges neben den Toten sind die Oligarchen: Ihre Vermögenswerte wurden von ausländischen Banken eingefroren, und sie können dringend benötigte Investitionen aus dem Ausland nicht mehr anziehen. Außerdem verloren sie erheblichen Zugang zu Auslandsmärkten — abhängig davon, wie abhängig der jeweilige Markt von russischen Kohlenwasserstoffen war. Als Russland die Ukraine angriff, befand sich die Wirtschaft zwar noch nicht vollständig auf dem Wachstumspfad, war aber auf dem richtigen Weg. Der Krieg brachte diese Entwicklung zum Stillstand.

Angesichts der Niederlagen in der Ukraine und der Unfähigkeit Russlands, seine frühere Macht wiederherzustellen, ist es für Putin nahezu unmöglich geworden, Frieden zu schließen. Der damalige US-Präsident Donald Trump hatte die Möglichkeit eines bedeutenden wirtschaftlichen Annäherungsprozesses mit Russland ins Spiel gebracht, der auch US-Investitionen umfassen sollte, um den Krieg zu beenden. Ich glaubte damals, Putin würde dieses Angebot gern annehmen, doch inzwischen zeigt sich, dass er nicht einmal bereit ist, die kleinen eroberten Gebiete aufzugeben, um die Feindseligkeiten zu beenden. Die hohen menschlichen Verluste und wirtschaftlichen Kosten — ganz zu schweigen vom Schaden seines eigenen Ansehens — machen einen Kompromiss zumindest derzeit unrealistisch.

Putins derzeitige Strategie ist eine verzweifelte Maßnahme, die Ukraine durch weitreichende Drohnenangriffe, nicht nur auf Kiew beschränkt, zu zermürben. Mangels anderer Optionen folgt er dabei der Strategie, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg gegenüber Großbritannien anwendeten: Hitler setzte die Luftwaffe als Terrorwaffe ein, um Großbritannien zur Kapitulation zu zwingen. Putin startet eine Terroroffensive gegen Kiew, ignoriert jedoch eine wichtige Lektion der Geschichte: Luftwaffe allein führt selten zum Sieg.

Einer von Putins größten Fehlern war die Fehleinschätzung von Trump. Putin erkannte Trumps Verhandlungsdringlichkeit und spielte das Spiel, um ihn bewusst in die Irre zu führen. Doch er unterschätzte, dass Trumps öffentliche Lobpreisungen von Putins Friedensbereitschaft nicht dessen endgültige Entscheidung bedeuteten. Putin machte Trump mit diesen Lobeshymnen zum Narren, und kein US-Präsident kann es sich leisten, so dazustehen. Die klare Reaktion war Trumps erneute Waffenlieferungen an die Ukraine. Ebenso wichtig war Trumps deutliche Wiederannäherung an die NATO. Deutschland schickte zudem eine Panzerbrigade nach Litauen und erneuerte seine Rüstungsverpflichtungen. Diese Schritte dürften in Russland langanhaltende Erinnerungen wachgerufen haben.

Trump kündigte an, sollte der Krieg nicht binnen 50 Tagen enden, werde er nicht nur Moskau, sondern auch alle Länder bestrafen, die bestimmte russische Exportgüter beziehen, und Russland wirtschaftlich schwer schaden. Putins Wette, dass die Drohnenangriffe Kiew zur Kapitulation zwingen würden, scheiterte. Sein einziger Hoffnungsschimmer bleibt, dass Trump nur blufft und Russland weiterhin die Kriegsbeendigung verweigert. (Auch der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew sieht das so.)

Meiner Ansicht nach begeht Putin hier einen großen Fehler. Erstens: Trump toleriert kein Herabsetzen. Zweitens: Selbst wenn man die Persönlichkeiten außer Acht lässt, würde Trump durch die Nichterfüllung seiner 50-Tage-Drohung nicht nur sein eigenes Ansehen in der Welt und bei der amerikanischen Öffentlichkeit beschädigen.

Trump sieht sich jetzt der Realität gegenüber, die alle amerikanischen Präsidenten erleben: Nach den ersten 100 Tagen taucht von allen Seiten Opposition auf. Die Zustimmungswerte sind schwach und es gibt auch innerhalb seiner eigenen Anhängerschaft Spaltungen. Das ist für Trump weder ungewöhnlich noch unwiderruflich. Aber jetzt ist nicht die Zeit, gegenüber Putin schwach und verängstigt zu wirken. Natürlich wollen viele Amerikaner nicht in den Russland-Ukraine-Krieg verwickelt werden. Doch das bedeutet nicht, dass Trump zulassen darf, sich zum Narren machen zu lassen und dadurch geschwächt zu werden.

Der Schlüssel in diesem ganzen Prozess liegt in der Innenpolitik Russlands. Putin ist ein Diktator, aber Misserfolg kann Diktatoren ebenso leicht stürzen wie jeden anderen. Die Drohung, die Trump ausgesprochen hat — Russland schwere wirtschaftliche Schäden zuzufügen, falls kein Frieden erreicht wird — könnte für Moskau sehr ernste Folgen haben. Putin würde sowohl militärisch als auch wirtschaftlich scheitern, und es würde eine Krise unter seinen engsten Vertrauten ausbrechen, die nicht mit ihm untergehen wollen. Ich kenne nicht alle politischen Intrigen in Russland, aber falls Trump es diesmal mit groß angelegten Wirtschaftssanktionen ernst meint, wird Putin sich in einer noch viel schlechteren Lage wiederfinden. An dieser Stelle glaube ich nicht, dass Trump zurückstecken wird.

Putin setzte auf die Möglichkeit, die Ukraine mit einem letzten erbarmungslosen Schlag zu zerschlagen. Stattdessen rückte die USA näher an die NATO heran und begann zusammen mit Deutschland, Waffen an die Ukraine zu liefern. Deutschland verlegte zudem Panzer näher an die russische Grenze. Nun bleibt die große Frage: Wird Putin nach seinen Fehlkalkulationen politisch überleben können?

Quelle: https://geopoliticalfutures.com/putins-dilemma/