Ist es möglich, unsere Gier zu überwinden?
Viele Kommentatoren betrachten die Begriffe „aus trockenem Lehm geformter Ton“ und „das Einhauchen Seines Geistes“, die im Koran in Sure 32, Verse 7–9 (as-Sadschda) über die Schöpfung des Menschen erwähnt werden, als grundlegende Schlüssel zur Beschreibung des Menschen. Auf der einen Seite steht ein Geschöpf, das „auf schönste Weise erschaffen“, mutig genug ist, das göttliche Treuhandamt zu tragen, das edelste unter allen Wesen, vor dem sich selbst die Engel verneigten und das als Statthalter auf Erden eingesetzt wurde. Auf der anderen Seite aber ist derselbe Mensch blutvergießend, verderbt, ungeduldig, habgierig, unersättlich, undankbar, schwach, geizig, streitsüchtig und voller übermäßiger Begierden – kurz: er kann der „niedrigste der Niedrigen“ (esfel-i sâfilîn) sein.
Diese gegensätzlichen Merkmale gleichzeitig in sich zu tragen, macht die menschliche Psyche zu einer Arena eines großen Kampfes, einer gewaltigen Prüfung.
Von der Logotherapie zur Spiritualität
Gibt es in der modernen Psychologie ähnliche Sichtweisen auf das menschliche Innenleben? Zwar zeigen sich bei der Kinderpsychologin und Psychoanalytikerin Melanie Klein – bekannt etwa durch ihr Werk „Neid und Dankbarkeit“ – gewisse Parallelen, doch besonders spürbar ist der Einfluss bei Viktor Frankl, der in unserem Land vor allem durch sein Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ (original: Man’s Search for Meaning) bekannt ist.
Frankl war der Begründer der Logotherapie, auch bekannt als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ – nach Freud und Adler. Seine zentrale These: Der Mensch ist gezwungen und verpflichtet, dem Leben einen Sinn zu geben. Wenn dieser Sinn fehlt, entsteht ein „existentielles Vakuum“, das zu psychischen Erkrankungen führen kann.
Frankl selbst überlebte die nationalsozialistischen Konzentrationslager; seine gesamte Familie – bis auf seine Schwester – wurde in Gaskammern ermordet. Auf Grundlage dieser extremen Erfahrungen entwickelte er die Logotherapie. Er beobachtete, dass Häftlinge, die trotz Alter oder Schwäche noch Zukunftspläne und eine innere Aufgabe empfanden, eine größere Überlebenschance hatten als junge, körperlich starke Männer, die jedoch keinen Lebenssinn mehr sahen – sie zerbrachen innerlich, nahmen sich das Leben oder starben unter den Bedingungen im Lager.
Für Frankl ist das größte psychologische Problem unserer Zeit der „Verlust des Sinns“ – die existenzielle Leere. Die menschliche Existenz gründet für ihn auf dem Streben nach Bedeutung; der Mensch will immer einen Sinn finden. Glück, so Frankl, ist nicht das direkte Ziel – es ist ein Nebenprodukt des Bemühens um Sinn.
Er schlägt drei Wege vor, wie man diesem Streben nach Sinn nachkommen kann:
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Durch ein Werk oder eine Leistung
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Durch das Erleben von Beziehungen oder Erfahrungen
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Durch die Haltung, die man gegenüber unvermeidlichem Leid einnimmt
Das Glück, sagt Frankl, wird sich einstellen – als Folge des erfüllten Sinns.