Israel befindet sich in einem Prozess der „Neudefinition“
Israel geht in einen Prozess der „Neudefinition“ – neue Dynamiken nach dem Vorfall in As-Suwayda (13. Juli)
Am 13. Juli kam es in Suwayda zu einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen Milizen unter der Führung des drusisch-arabischen Führers Hikmet al‑Hajri (mit mutmaßlichen Verbindungen zu Israel) und Beduinen-Arabern. Dieser Vorfall hat nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten Region neue geopolitische Realitäten hervorgebracht.
Die Ereignisse von Suwayda zeigen, dass Israels einstige strategischen Gewinne, die seit dem 7. Oktober erzielt worden waren, größtenteils zunichtegemacht wurden und das Land sich schnell isoliert hat. Israel verfügt offenbar nur noch über eine begrenzte „Karte“: eine kleine Gruppe von Drus*innen und die YPG. Diese Politik wurde von Netanyahu bereitwillig verschlissen, der aus dem Machterhalt kurzfristigen Nutzen zog – und erkannte, dass selbst die USA Israels Angriffe in Syrien nicht immer unterstützten.
Bündnisse gegen Israel formieren sich in der Region
Netanyahus Regierungspolitik – sowohl die Massaker in Palästina als auch militärische Angriffe auf Nachbarstaaten – hat eine vereinigende Wirkung über die islamische Welt entfaltet. Es entstand die weit verbreitete Überzeugung, dass nur Machtdemonstration Israel stoppen könne. Der von Präsident Recep Tayyip Erdoğan vorgeschlagene „Allianz von Jerusalem“–Ansatz fand Zustimmung in weiten Teilen der muslimischen Welt. Türkisch-kurdisch-arabische Solidarität wurde als historische Chance betrachtet, im Nahen Osten gemeinsam eine neue Ordnung auf Basis von Frieden und Stabilität zu etablieren.
Israels letzter Trumpf: Drus*innen und Kurden
Als Israel erkannte, dass sich in der Region eine Koalition gegen es formiert und die Abraham-Abkommen an Wirksamkeit verlieren, begann es offen, seine historische Strategie der Unterstützung von Minderheiten – insbesondere Drus*innen und Kurden – zu verfolgen.
Um die innenpolitische Einheit zu sichern, reagierte PKK/KCK-Führer Abdullah Öcalan auf die „terrorfreie Türkei“-Initiative des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli und forderte die Entwaffnung und Selbstauflösung der Organisation. Die Folge war ein positiver Impuls in Teilen der kurdischen Bevölkerungen in der Türkei, dem Irak und Syrien – gleichzeitig aber eine massive Zäsur in Israels Strategie, die auf die Fragmentierung der Region setzte.
Nach dieser Entwicklung verblieb als letztes Spiel Israels nur noch die SDG/YPG innerhalb der Kurden. Tel Aviv versuchte, die SDG, die am 10. März einen Föderationsvertrag mit Damaskus unterzeichnet hatte, zur Missachtung dieses Abkommens zu bewegen und ihre Forderung nach Autonomie weiter zu forcieren. Die YPG, unter der Führung von Mazlum Abdi, betonte wiederholt, nicht Teil eines Einheitsstaates sein zu wollen.
Am 13. Juli erreichte die Strategie Israels auch die Drus*innen in Syrien: In Suwayda eskalierte der Konflikt zwischen der Miliz des israelvernetzten Hikmet al‑Hajri und beduinischen Gruppen. Premierminister Netanyahu erklärte öffentlich: „Wir werden die Stationierung syrischer Kräfte im Süden oder Bedrohungen der drusischen Gemeinschaft nicht zulassen.“ Daraufhin wurden Luftangriffe gegen Einheiten der syrischen Armee geflogen, die zwecks Vermittlung und Waffenstillstandsverhandlung in die Stadt entsandt worden waren. Obwohl das Regime in Damaskus durch Verhandlungen mit drusischen Funktionsträgern den Rückzug erzielte, setzte Israel seine Luftoperationen fort – auch in der Zeit des 15.–16. Juli mit Angriffen auf das Generalstabsquartier und den Präsidialbereich in Damaskus.
Neue Allianzen: Beduinen gegen die Spaltungspolitik
Während dieser Entwicklungen zeigte sich im Norden, dass SDG/YPG und drusische Gruppen solidarisch agierten. Außenminister Hakan Fidan warnte die YPG: „Es liegen Berichte über Aktivitäten der YPG vor. Unsere Botschaft an sie ist, dass sie die Gelegenheit hier nicht nutzen sollten, um in unerwünschte Entwicklungen einzutreten… Sie mögen keine destruktive Rolle übernehmen. Andernfalls bringt Opportunismus große Risiken.“
Zugleich erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums, dass die USA Israels Luftangriffe nicht unterstützten.
Nach einem am 17. Juli in Kraft tretenden Waffenstillstand unterzeichnete die Türkei gemeinsam mit zehn arabischen Staaten eine Erklärung, in der bestätigt wurde: „Die Sicherheit und Stabilität Syriens ist ein grundlegendes Element regionaler Sicherheit und gemeinsame Priorität.“ Dies wurde als Beginn eines anti‑israelischen Blocks in der Region gewertet.
Die Beduinen-Stämme brachen bewusst in die Konfliktszene ein: Als Bilder erschienen, die zeigten, dass Drusinnen Berichten zufolge etwa 1.500 Beduinen als Geiseln nahmen und Hunderte Zivilisten in einem Krankenhaus massakrierten, mobilisierten Beduinen in der arabischen Welt tausende Stammesmitglieder. Waffenbrüder aus Deir ez-Zor, Raqqa, Hama, Homs und Aleppo zogen nach Suwayda. Stammesführer verkündeten, dass die Drusinnen auf Geheiß Israels agierten – man stehe fest zur syrischen Regierung und koordiniere mit Damaskus.
Erklärungen von beduinischen Vertretern aus Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, in den Kampf eingreifen zu wollen, vereitelten Israels Strategie, die es darauf anlegte, die syrische Armee gegen die Zivilbevölkerung aufzuhetzen und das Land durch Drusinnen und YPG zu spalten. Die rasche Organisation der beduinischen Konföderationen überraschte viele – Israel, das auf die Aktivierung synergistischer Kräfte – YPG und manche Drusinnen setzte, sah sich plötzlich einem loyalen, staatstreuen Stammesmiliz gegenüber.
Am 20.–21. Juli wurde auf US-Vermittlung ein Waffenstillstand in Kraft gesetzt, wodurch die Kämpfe in Suwayda beendet wurden. Die durch die Ereignisse um Suwayda entstandene Allianz zwischen arabischen Stämmen und Damaskus stellt nicht nur für die Drus*innen, sondern auch für die SDG/YPG eine neue Herausforderung dar.
Am 26. Juli veröffentlichten 133 Stämme und Clanführende eine gemeinsame Erklärung, mit der sie der von Israel unterstützten YPG, insbesondere bei Nichtintegration in den syrischen Staatsapparat, offen den Krieg erklärten. In der Erklärung heißt es wörtlich:
„Wir lehnen das Projekt der PKK und der mit ihr verbundenen Milizen ab, die mit Unterstützung ausländischer Mächte gegen das syrische Volk und den Staat operieren. In diesem Zusammenhang erklären wir unsere Entschlossenheit, gegen diese Gruppen aufzustehen und unser Land zu verteidigen.“
Die arabischen Stämme bekräftigten zudem, dass sie Schulter an Schulter mit der Armee der Syrischen Arabischen Republik kämpfen werden, um die territoriale Integrität Syriens, seine Unabhängigkeit, Einheit und die Rechte seiner Bevölkerung zu wahren.
Da in den von der SDG beherrschten Gebieten bis zu 70 % der Bevölkerung aus arabischen Stämmen und Clans besteht, lässt sich ein Konflikt innerhalb der SDG zwischen Araber*innen und separatistischen kurdischen Kräften als unmittelbar bevorstehend einschätzen. Israel hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass seine Aktivierung der „Drusen- und YPG-Karte“ eine breite arabische Gegenfront und Loyalität zum Damaskus‑Regime mobilisieren würde.
Syrien bittet erstmals um türkische Militärhilfe
Ein weiterer Wendepunkt war, dass die syrische Regierung zum ersten Mal offiziell türkische Unterstützung anfragte, um ihre Verteidigungsfähigkeit gegen alle Terrororganisationen zu stärken – und die Türkei positiv darauf reagierte.
Am 23. Juli teilte das türkische Verteidigungsministerium mit, dass die Türkei sich weiterhin für die Wahrung der territorialen Integrität Syriens, regionale Stabilität und den entschlossenen Kampf gegen Terrorgruppen einsetzt. In Übereinstimmung mit dieser Anfrage werde die Türkei Syrien durch Ausbildungs-, Beratungs- und technische Unterstützung helfen, seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Außenminister Hakan Fidan erklärte am selben Tag, dass die Türkei bereit sei, direkt einzugreifen, um alle Bestrebungen nach Spaltung Syriens zu unterbinden und die Forderung nach Autonomie im Süden Syriens im Keim zu ersticken. Obwohl Diplomatie Vorrang habe, betonte er:
„Wenn jedoch Gründung von Teilstaaten und Instabilität angestrebt wird, betrachten wir das als direkte Bedrohung unserer Sicherheit und werden eingreifen.“
Nach dieser Ankündigung wurden in den Medien Berichte und Bilder von gepanzerten Fahrzeugen und Spezialkräften veröffentlicht, die in Syrien eingesetzt wurden.
Globale Ablehnung von Instabilität in Syrien
Schon am 11. Juli, zwei Tage vor Ausbruch der Kämpfe, betonte Tom Barrack, US-Botschafter in Ankara und Sonderbeauftragter für Syrien, in New York, dass die USA weiterhin einen unitären syrischen Staat unterstützen. Er sagte, dass Washington keine Garantien für einen unabhängigen SDG‑Staat gebe, sondern zur Wiedervereinigung mit Damaskus ermutige.
Am 21. Juli in Beirut kritisierte Barrack Israels Intervention scharf und stellte fest: Israel bevorzuge einen zerfallenden, fragmentierten syrischen Staat statt eines starken und zentralisierten Landes. Er betonte, dass die Luftangriffe ohne US‑Abstimmung erfolgten und dass die USA nicht in dieses Vorgehen eingebunden waren. Er verwies außerdem darauf, dass diese Angriffe Trumps Bemühungen um eine Normalisierung zwischen Syrien und Israel erschwerten. Washington unterstütze die neue Regierung in Damaskus und sehe keine Alternative zur Zusammenarbeit bei der Wiedervereinigung des Landes.
Die Tatsache, dass – mit Ausnahme von Israel und Iran – die gesamte internationale Gemeinschaft für die Stabilität und Einheit Syriens eintrat, verbunden mit Forderungen nach Aufhebung der Sanktionen sowie Unterstützung für den Übergangspräsidenten Ahmad al-Schara, zeigt die Realitätslosigkeit von Israels Plan, Syrien über Drus*innen und YPG zu zersetzen.
Fazit: US‑türkische Strategie zur Stabilisierung und mögliche Intervention
Am 28. Juli empfing der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler US‑Botschafter Tom Barrack zum Thema Syrien. Zwar wurde offiziell nichts bekannt gegeben, doch Angaben vonseiten des syrischen Außenministeriums deuteten darauf hin, dass Barrack forderte:
Sollte die SDG die Wiedervereinigung verweigern, stünde militärische Intervention als letzte Option im Raum. In diesem Fall müsse die Türkei eine führende Rolle übernehmen. Die USA hätten sowohl Luftangriffe als auch eventuelle Bodeneinsätze durch die türkischen Streitkräfte als Wunsch geäußert, um lebenswichtige Punkte zu sichern und Chaos zu verhindern.
Israel hatte seine Hoffnung gesetzt auf den inneren Zerfall Syriens unter al‑Schara. Doch seine Strategie scheiterte: Außer den YPG und der Miliz um Hikmet al‑Hajri vereinten sich alle übrigen Gruppen um den Präsidenten. Die arabischen Stämme bekannten öffentlich ihre Loyalität zur Regierung. Gleichzeitig wurde eine Absprache zwischen Damaskus und Ankara zur Gewährleistung der Sicherheit bestätigt. Ab 28. Juli war klar: Sollten SDG/YPG weiter eine Integration verweigern, stimmten die USA und die Türkei überein, dass die türkische Armee militärisch gegen die YPG vorgehen würde.
Mit den aufeinanderfolgenden Entwicklungen der letzten 15 Tage wurde Israel regelrecht erschüttert, sein Handlungsspielraum in Syrien deutlich eingeschränkt. Die Annahme, dass die USA unabhängig von den Umständen Israels Vorgehen in Syrien bedingungslos unterstützen würden, ist endgültig zusammengebrochen.
Der US-Botschafter Tom Barrack, der in zionistischen Kreisen heftige Kritik erntete, äußerte in einer viel beachteten Rede:
„Israel muss neu definiert werden. Es befindet sich derzeit in einem Prozess der Neudefinition. Was zwischen Israel und dem Iran geschieht, ist für uns alle ein Signal: ‚Die Zeit ist abgelaufen – wir müssen einen neuen Weg einschlagen.‘ Der Schlüssel zu diesem Weg ist die Türkei.“
Trotz der zahlreichen begangenen Massaker und des Völkermords konnte Israel keinen militärischen Erfolg gegen den Widerstand der Hamas erzielen. Auch die seit März gegen die Bevölkerung von Gaza eingesetzte Hungerwaffe schlug fehl. Der internationale Druck zwang Tel Aviv letztlich dazu, humanitäre Hilfslieferungen zuzulassen. Gleichzeitig scheiterte Israels Spiel in Syrien – sein strategischer Boden bricht weg.
Damit ist der Punkt erreicht, an dem Israels Handlungsspielraum nahezu vollständig erschöpft ist und eine „Neudefinition Israels“ unumgänglich geworden ist.
Die kommenden Entwicklungen deuten darauf hin, dass die zionistische Lobby, die bislang die US-Außenpolitik maßgeblich geprägt hat, an Einfluss und Ansehen verlieren wird. Die Ära, in der die USA Israel unter allen Umständen unterstützten, geht ihrem Ende entgegen. Der Verlust dieser Rückendeckung könnte zu innerem Chaos in Israel führen – und der Tag, an dem Palästina als Vollmitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen wird, rückt näher.